Das dritte Gottesknechtslied
Predigt zu Jes 50,4–9
Da wegen der Bestimmungen zur Eindämmung von Corona zur Zeit keine regulären Gottesdienste stattfinden, ist dies die Predigt zum Sonntag Palmarum von letztem Jahr. Sie legt die Lesung aus dem Alten Testament aus, das dritte „Gottesknechtslied“. Am Sonntag Palmarum 2019 hätte meine Ordination stattgefunden, wenn das Kollegium der Superintendenten seinerzeit zugestimmt hätte. Auch dieses Jahr sollte wäre die Ordination auf diesen Sonntag gefallen, wenn nicht die Corona-Krise dazwischengekommen wäre.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.
Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt, ist das Wort des Propheten Jesaja, das wir gerade als Lesung gehört haben. Ich werde die Worte des Propheten aber auch komplett während der Predigt wiederholen.
Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen
(Predigttext auf den letzten Seiten des Manuskriptes!)
In Christus geliebte Gemeinde!
Über viele Jahrhunderte hinweg erreicht und heute Morgen ein Trostwort des Propheten Jesaja.
Es handelt davon,
- zu hören und zu reden wie ein „Jünger“,
- zu leiden und auszuhalten wie ein Knecht,
- zu hoffen und stark zu sein im Vertrauen auf Gott.
Unter diesen drei Überschriften möchte ich uns das Predigtwort vor Augen stellen, so dass es uns hilft,
die Passion Christi besser zu verstehen.
(1)Hören und reden wie ein Jünger
Ich kann mich gut erinnern an den ersten Tag
eines neuen Lehrlings im Betrieb von meinem Onkel.
Wir stehen zusammen in der Restaurant-Küche
und das abendliche à la carte-Geschäft nimmt Fahrt auf.
Es herrscht eine geschäftige Stimmung:
Die Köche wirbeln zwischen Töpfen und Pfannen,
Kellner platzen durch die Schwingtür
und annoncieren Bestellungen.
Der Lehrling steht etwas verloren an der Seite,
bemüht, so wenig wie möglich im Weg zu stehen.
Da bellt ihn der Küchenchef an:
„Hol mal zwölf Teller!“
Der Lehrling geht an den Schrank und nimmt
einen Teller, vom Stapel,
noch einen Teller,
einen dritten Teller…
Der Küchenchef verdreht die Augen,
greift am Lehrling vorbei in den Schrank,
zählt zwölf Teller ab,
und nimmt sie als Stapel heraus.
Klar: Der Lehrling kennt nur kochen zu Hause:
für vier Leute, vier mal das gleiche,
nicht für vierzig Leute frei nach der Speisekarte.
Der Lehrling hat seine erste Lektion gelernt:
Hier steht man unter einem gewissen Druck,
es muss schnell gehen!
Es sind solche Erfahrungen, die eine Ausbildung ausmachen.
Wenn man ein Handwerk „von der Pike auf“3 lernt,
sitzen die Handgriffe irgendwann.
Das ist die Bedeutung des Wortes „Jünger“.
Das hebräische Wort, das hier steht,
kommt von „lernen“ und „lehren“,
genau wie unser Wort „Lehrling“.4
Als Lehrling erlernt man aber nicht nur technische Fertigkeiten,
sondern man wächst auch seinen Beruf hinein.
Dazu gehört zum Beispiel Berufskleidung:
Kochhose und -jacke und natürlich die berühmte Kochmütze,
in unserem Beispiel.
Dazu gehört Fachsprache.
Die ist in der deutschen Küche meist Französisch.
Dazu gehört eine bestimmte Haltung,
wie man sein Tagwerk angehet,
die Gemeinschaft, die man mit Kollegen pflegt
und vieles mehr.
Der Prophet schreibt:
4Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben,
wie sie Jünger haben,
dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.
Alle Morgen weckt er mir das Ohr,
daß ich höre, wie Jünger hören.
Wie ein Lehrling vom Meister
die Handgriffe, die Fachsprache und die Gewohnheiten lernt,
so geht der Prophet bei Gott selbst in die Lehre.
Er lernt, wie man die Müden und Niedergeschlagenen anspricht,
und sie so richtig5 aufbaut.
Auf diese Weise sind die Worte des Lehrers denen gegenwärtig,
die den Jünger hören.
Weil Gott seinem Knecht das Ohr öffnet,
kann dessen Mund so reden, dass es wirkt.
Und es wirkt bis heute:
Noch Jahrtausende später hören wir,
was Jesaja aufgeschrieben hat,
als Gottes Wort.
Noch Jahrtausende später bringt es Trost und Hoffnung denen,
die es hören.
Viel stärker aber als die Nähe zwischen
Meister und Lehrling,
Gott und seinem Propheten,
ist die Beziehung zwischen Gott-Vater und -Sohn:
Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an.6
Das selbe Herz schlägt in Vater und Sohn.
Die Worte Jesu kommen von Herzen,
sie kommen vom Herz Gottes:
„Kommt her zu mir, alle,
die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.7
„Dir sind deine Sünden vergeben“.8
Und:
„Dies ist mein Leib,
dies ist das neue Testament
in meinem Blut“.9
Dies ist eine Liebeserklärung Gottes für dich.
Sie erreichen uns nicht durch einen Lehrling,
den der Meister losgeschickt hat,
nicht durch einen Propheten,
durch den die Gottheit reden,
sondern Gott selbst hat sich aufgemacht
und ist zu uns gekommen
in Christus.
„Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott“
– dieses Bekenntnis steht in der Mitte unserer Verkündigung.
Doch warum ist es so wichtig, dass Christus gelitten hat?
Warum erzählen wir jedes Jahr aufs neue von Karfreitag
und hängen uns den Mann am Kreuz sogar in die Wohnung?
Ist das nicht brutal und bedrückend?
Mit dieser Frage kommen wir zum zweiten Abschnitt:
(2) Leiden und aushalten wie ein Knecht
„Ein deutscher Unteroffizier führt von vorne!“ –
Das war eines der ersten Dinge,
die uns unser Gruppenführer gesagt hat.
Das war sein Selbstverständnis:
Er führt durch Vorbild,
er motiviert, indem er der erste ist, der aufspringt,
der erste, der in Deckung geht,
der erste, wenn es unangenehm wird.
Ich kann mich gut an unseren ersten Tag
„im Gelände“ erinnern:
Es galt, „in tiefster Gangart“ ein Schlammloch zu überwinden,
also auf dem Bauch kriechen,
ohne dass das Gewehr dreckig wird.
Und unser Unteroffizier hat von vorne geführt:
Er war der erste im Schlammloch,
er war der letze am anderen Ende,
weil er jedem anderen geholfen hat.
Ich hör’ noch, wie die anderen Unteroffiziere über ihn gelacht haben: „Du siehst genau so aus, wie einer von den Glatten!“ –
also wie einer von den Rekruten.
Die anderen Unteroffiziere haben ihn ausgelacht.
Wir haben ihn geliebt!
Erstens hat er wahr gemacht, was er gesagt hat:
„Der Unteroffizier führt von vorn’“ –
das ist genau, was er gemacht hat.
Aber hat sich auch zu einem von uns gemacht.
Er hat sich nicht geschont.
Er war sich nicht zu fein oder zu wichtig,
sich neben uns in den Dreck zu schmeißen.
Es war ihm die Mühe wert,
–genau wie wir–
die Uniform,
die Ausrüstung
und das Gewehr reinigen zu müssen.
Wir waren stolz darauf,
seine Soldaten zu sein
und wir wären unserem Unteroffizier gefolgt,
bis zum Ende der Welt.
Liebe Brüder und Schwestern,
ich gebe zu,
ich schwelge hier ein bisschen in Bundeswehr-Pathos.
So ab 40 verklären sich die Erinnerungen!
Aber es hat mich als jungen Mann beeindruckt,
dass der Unteroffizier nicht nur große Worte gemacht hat,
sondern sich selbst eingesetzt hat, wie er gesagt hat.
Ich glaube, deswegen folgt bei Jesaja nach dem Abschnitt über das Hören und das Reden
ein Abschnitt über das Leiden:
5Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet.
Und ich bin nicht ungehorsam
und weiche nicht zurück.
6Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen,
und meine Wangen denen, die mich rauften.
Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.
Der Gottesknecht bringt den „Müden“ und Niedergeschlagenen
nicht nur tröstende Worte,
sondern er stellt sich auch neben sie in das Leid.
So wie Paulus über Christus schreibt:
7bEr ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
8Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod,
ja zum Tod am Kreuz.10
Christus stellt sich mit uns unter den Befehl Gottes
und ist „gehorsam“.
Er wirft sich mit uns in den Staub
der Krankheit und der Vergänglichkeit.11
Selbst den Tod hat Christus erlitten,
in jeder Hinsicht, wie ihn ein Mensch erleidet.
Es bleibt ein Geheimnis,
warum Gott das Leiden zulässt,
aber Gott lässt auch keinen Zweifel daran,
dass es hinter dem Leiden und Sterben einen Sinn gibt.
Er hat selbst Leiden auf sich genommen,
als einer von uns.
Das ist die Umarmung,
die zu den Liebeserklärung dazugehört.
Jesus macht nicht nur schöne Worte,
die trösten können,
sondern er ist bei uns
„alle Tage, bis ans Ende der Welt“.12
Diese Zusage bringt uns zum letzten Abschnitt über:
(3) Hoffen und stark sein in der Welt
Ihr kennt das bestimmt auch:
Es gibt schon mal Situationen im Leben,
in denen es nicht so läuft,
wie man es sich wünscht.
Da sagt man sich,
oder bekommt von anderen gesagt:
„Wer weiß, wofür das gut ist?“
Oder, auch sehr beliebt:
„In ein paar Jahren wirst du denken,
’wie gut, dass das damals so gelaufen ist…‘“
An sich ist das ein schwacher Trost.
Dieses Denken scheint doch mehr darauf zu setzen,
dass sich mit der Zeit die Erinnerungen verklären.
So, wie ich vorhin mit Pathos von der Bundeswehr erzählt habe: Mit dem Abstand der Jahre schaut man versonnen zurück – aber eben nicht „versöhnt“.
Der Schluss von Jesajas Prophetenwort geht darüber hinaus:
8Gott der Herr ist nahe,
der mich gerecht spricht;
wer will mit mir rechten?
Laßt uns zusammen vortreten!
Wer will mein Recht anfechten?
Der komme her zu mir!
9aSiehe, Gott der Herr hilft mir;
wer will mich verdammen?
Trotzig wirkt der Sprecher dieser Worte! –
aber nicht,
- weil er sich selbst für stark hält,
- oder weil er damit rechnet,
dass die Zeit alle Wunden heilt,
sondern weil er weiß,
dass Gott ihn retten wird.
Als Jesus am Kreuz hing rief er:
„Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?“
Das der Anfang des 22. Psalms.
In diesem Lied schildert „David“,
wie er von Feinden umringt wird
und im „Staub des Todes“ liegt.13
Doch er bleibt dort nicht stehen,
sondern der Psalm endet mit einer Vision
vom endgültigen Sieg Gottes:
29Denn des Herrn ist das Reich,
und er herrscht unter den Heiden.
30Ihn allein werden anbeten alle,
die in der Erde schlafen;
vor ihm werden die Knie beugen alle,
die zum Staube hinabfuhren
und ihr Leben nicht erhalten konnten.
Christus ist nicht im Tod geblieben,
sondern er ist auferstanden.
Er ist uns auf diesem Weg vorausgegangen.
Mit ihm und durch ihn
werden auch wir aus der Zeit des Leides als Sieger hervorgehen.
Wir werden aus dem Staub des Todes auferstehen.
Nein, dadurch ist das Leid nicht weniger Leid,
aber wir wissen auch, dass wir nicht verzweifeln müssen:
Der Tod wird nicht das letzte Wort haben,
Leid und Einsamkeit wird nicht die letzte Regung sein,
sondern Trost in Christus
und Freude in der Gemeinschaft seines Reiches.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!14 Amen.
Predigttext
4Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben,
wie sie Jünger haben,
daß ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.
Alle Morgen weckt er mir das Ohr,
daß ich höre, wie Jünger hören.
5Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet.
Und ich bin nicht ungehorsam
und weiche nicht zurück.
6Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen,
und meine Wangen denen, die mich rauften.
Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.
7Aber Gott der Herr hilft mir,
darum werde ich nicht zuschanden.
Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein;
denn ich weiß, daß ich nicht zuschanden werde.
8Er ist nahe, der mich gerecht spricht;
wer will mit mir rechten?
Laßt uns zusammen vortreten!
Wer will mein Recht anfechten?
Der komme her zu mir!
9Siehe, Gott der Herr hilft mir;
wer will mich verdammen?
Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen,
die die Motten fressen.
1 1.Kor 1,3
2 Ps 119,105
3 Diese Redewendung hat ihren Ursprung beim Militär: Die Pike war eine Lanze und damit die einfachste Waffe eines Rekruten. Die Laufbahn eines jungen Soldaten begann also mit der Pike als Waffe und wurde demnach „von der Pike auf gelernt“.
4 לִמּוּד in Vers 4; LXX hat παιδείας, „Lehre“.
5 Die Bedeutung von „zur rechten Zeit“ ist eigentlich breiter. Ich vermute LUT 84 wählt diese Formulierung aufgrund von LXX: ἐν καιρῷ ἡνίκα δεῖ εἰπεῖν λόγον.
6 Phil 2,6.7a (Epistel an Palmarum!)
7 Mt 11,28
8 Mt 9,2
9 Vgl. 1Kor 11,24f
10 Phil 2,7b.8
11 Vgl Ps 22,16!
12 Mt 28,20
13 Vers 16, s.o.
14 Phil 4,7
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Unserem Verein beigetreten
Phil 2,6–11,
Palmarum
Der Philiper-Hymnus feiert den Einzug des Sohnes in die Welt. Jesus ist Spitzenspieler und er tritt unserem Verein bei. Jesus ist nicht ein Stürmer, der behauptet, er habe die „Hand Gottes“, sondern der ganze Jesus ist Gottes Mensch.
Krippe und Kreuz
Heb 11,24–12,2,
Palmarum
Ich kam in die Situation, meiner Mutter zu erklären, warum es mir so wichtig ist, Krippe und Kreuz auf der Stola zu haben. Mehr…