Ziel und Zweck der Wahrheit
Predigt zu Jes 50,4–9
Alles Kraft und Macht, Wahrheit und Brillianz sind bedeutungslos ohne Ziel und Zweck. Was will Gottes Wahrheit?
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.
Was ist Wahrheit?2
Pontius Pilatus stellt diese Frage, als er Jesus verhört.
Er stellt sie Jesus,
er stellt sie sich selbst,
er stellt sie auch uns,
die wir im Evangelium davon hören.
Nun habe ich auch keine letztgültige Antwort auf diese Frage.
Trotzdem möchte ich unternehmen,
einige Schlaglichter zu setzen
in den Predigten der Passions- und Osterzeit.
Dies ist die erste Predigt aus dem Zyklus
und sie fragt nach Ziel und Zweck der Wahrheit.
Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist ein Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja
im 50 Kapitel. Die Ausleger nennen diesen Abschnitt „Das dritte Gottesknechtslied“.
Gottes Knecht spricht so:
4Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben,
wie sie Jünger haben,
dass ich wisse, mit den Müden zu reden
zur rechten Zeit.
Alle Morgen weckt er mir das Ohr,
damit ich höre, wie Jünger hören.
5Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet.
Und ich bin nicht ungehorsam
und weiche nicht zurück.
6Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen,
und meine Wangen denen, die mich rauften.
Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.
7Aber Gott der Herr hilft mir,
darum werde ich nicht zuschanden.
Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht
wie einen Kieselstein;
denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde.
8Er ist nahe, der mich gerecht spricht;
wer will mit mir rechten?
Lasst uns zusammen vortreten!
Wer will mein Recht anfechten?
Der komme her zu mir!
9Siehe, Gott der Herr hilft mir;
wer will mich verdammen?
Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen,
die die Motten fressen. —
Lasst uns beten:
Herr Gott, himmlischer Vater,
wecke uns das Ohr durch das Wort der Predigt,
damit wir hören, wie ein Jünger hört,
und wissen, mit den Müden zu reden,
denn dein Wort schenkt das Leben.
— Amen
Liebe Schwestern und Brüder,
(Einleitung)
(1) Liebe Gemeinde,
da möchte man sich doch eine Scheibe abschneiden,
mit welcher Festigkeit
der Gottesknecht seinen Gegnern gegenübertritt
und wie mutig
er für die Wahrheit einsteht.
Da kann man sehen,
dass er es ernst meint
und dass da was dran sein muss an dem,
was er zu sagen hat.
Widerstand gilt oft als ein Zeichen für Wahrheit.
Ich möchte das an zwei Beispielen zeigen.
Die Beispiele funktionieren sowohl in der Kirche,
aber auch in Gesellschaft und Politik.
Beispiel 1 sind die sog. Konservativen.
Deren Universal- und Totschlag-Argument ist:
Das war schon immer so.
Unser Gegner ist der Zeitgeist.
Er lenkt von der Geschichte ab,
die wir schon mit Gott haben. –
Daran kann man sehen,
dass unsere Meinung die Wahrheit ist,
dass der Zeitgeist gegen uns ist.
Beispiel 2 sind die sog. Liberalen.
Ihr Universal- und Totschlag-Argument ist:
Das passt gar nicht mehr in unsere Zeit.
Unser Gegner ist der Geist der Vergangenheit,
die Nostalgie der Ewig-Gestrigen.
Sie lenkt von der Hoffnung ab,
die Gott uns für die Zukunft schenkt. –
Daran kann man sehen,
dass unsere Meinung die Wahrheit ist,
dass der Geist der Vergangenheit gegen uns ist.
Beide Gruppen,
sagen „Wahrheit“
und bezeichnen damit die eigene Meinung.
Sinn und Zweck dieser Wahrheit
ist sich selbst durchzusetzen. —
Jesajas Gottesknecht setzt sich nicht selbst durch.
Er redet von Widerstand und Gegnerschaft,
er redet von körperlicher und seelische Gewalt, –
doch er wehrt sich nicht.
Er bleibt ganz passiv,
denn seine Hilfe ist bei Gott
und nur bei Gott.
7Gott der Herr hilft mir,
darum werde ich nicht zuschanden.
9Siehe, Gott der Herr hilft mir;
wer will mich verdammen?
(2) Dabei sitzt der Gottesknecht
an der Quelle der Wahrheit.
Neulich habe ich einen Videoclip gesehen.
Wir sehen einen jungen Mann
in der Berufskleidung eines Arztes.
Er sitzt in seinem Elternhaus am Frühstückstisch.
Ein Butler serviert ihm Tost und Marmelade.
Seine Mutter beschwert sich:
Was trägst du denn schon wieder diese blöde Digitaluhr?
Ich habe dir doch so eine schöne Armbanduhr
zu Weihnachten geschenkt.
Er antwortet:
Mama,
ich arbeite in einem Kleinstadt-Krankenhaus.
Wenn ich da mit einer Rolex für 25.000 € rumlaufe,
kriegen die Leute Angst vor mir.
Ich bin Arzt.
Ich kann nur heilen,
wenn die Menschen eine Beziehung zu mir haben.
Sie müssen mir vertrauen.
Deswegen muss ich nahbar sein
und ihnen auf Augenhöhe begegnen.
Man kann Arzt sein
- für das Geld,
- für den Ruf
- oder wegen des schicken Doktortitels.
Dieser junge Mann ist Arzt,
um die Kranken zu heilen.
Das ist sein Ziel
und der Zweck seiner Arbeit.
4Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben,
wie sie Jünger haben,
dass ich wisse, mit den Müden zu reden
zur rechten Zeit.
Alle Morgen weckt er mir das Ohr,
damit ich höre, wie Jünger hören.
5Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet.
Der Gottesknecht ist an der Quelle der Wahrheit.
Er hat sein Ort an Gottes Mund
und Gottes Wort erfüllt ihn ganz und gar.
Doch es geht ihm nie darum,
sich durchzusetzen.
Es geht ihm nicht um seinen Ruf
oder den Titel „Gottesknecht“.
Ziel und Zweck von Gottes Wahrheit ist,
mit den Müden zu reden zur rechten Zeit,
die Kranken zu heilen
und das Reich Gottes aufzubauen
unter den Armen und Leidenden
in einer gefallenen Welt. —
(3) Wir feiern heute den Palmsonntag.
Die Passionsgeschichte strebt ihrem Höhepunkt zu.
Wir hören,
wie Jesus in Jerusalem eingezogen ist.
Jesus hat dieses Ereignis
absichtsvoll inszeniert.
Er hat die Eselin bestellt bei seinen Jüngern.
Er wusste genau,
dass die Menschen die Sacharja-Stelle kannten:
Fürchte dich nicht,
du Tochter Zion!
Siehe, dein König kommt zu dir
und reitet auf einem Eselsfüllen.
Als er sich auf das Tier setzte,
wusste er,
dass er diese Erwartung bei ihnen wecken würde.
Jesus sagt ihnen:
Ich bin der Friedefürst.
Ich bringe Freiheit von Unterdrückung und Not
und gebe euch meinen Frieden.
Kommt her zu mir,
alle, die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.3
Die Jerusalemer haben das genau verstanden.
Sie haben „Hosanna“ gerufen
und ihm einen königlichen Empfang bereitet. —
Warum hat Jesus das gemacht?
Wollte er sich mal richtig feiern lassen?
Hat er den Ruf haben wollen
oder den Titel „Friedenskönig?“ —
Wohl kaum.
Jesus wusste,
was noch auf ihn zukommt.
Sehenden Auges ist er auf das Kreuz zugegangen.
Der Menschensohn muß viel leiden
und verworfen werden
und getötet werden
und nach drei Tagen auferstehen.4
Warum tut er sich das an?
Will er als Poster in all unseren Zimmern hängen?
Will er uns ein Vorbild sein zur Nachahmung?
Oder sich den Titel „Christus“ verdienen? —
Wohl kaum.
Es geht ihm nicht um sich selbst,
es geht ihm nicht ums Prinzip.
Gottes Wort ist die Wahrheit,
und diese Wahrheit ist für dich.
Du bist das Ziel von Gottes Wahrheit,
dein Leben und dein Heil sind sein Zweck.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!5 Amen.
1 1.Kor 1,3
2 Joh 18,38
3 Mt 11,28
4 Aus Mk 8,31.
5 Phil 4,7
Weitere Predigten zu Palmarum:

Unserem Verein beigetreten
Phil 2,6–11,
Palmarum
Der Philiper-Hymnus feiert den Einzug des Sohnes in die Welt. Jesus ist Spitzenspieler und er tritt unserem Verein bei. Jesus ist nicht ein Stürmer, der behauptet, er habe die „Hand Gottes“, sondern der ganze Jesus ist Gottes Mensch.

Krippe und Kreuz
Heb 11,24–12,2,
Palmarum
Ich kam in die Situation, meiner Mutter zu erklären, warum es mir so wichtig ist, Krippe und Kreuz auf der Stola zu haben. Mehr…

Das dritte Gottesknechtslied
Jes 50,4–9,
Palmarum
Da wegen der Bestimmungen zur Eindämmung von Corona zur Zeit keine regulären Gottesdienste stattfinden, ist dies die Predigt zum Sonntag Palmarum von letztem Jahr. Sie legt die Lesung aus dem Alten Testament aus, das dritte „Gottesknechtslied“. Mehr…