11:24

Geschwister Jesu sind Kind und Erbe
Predigt zu Gal 4,1–7

135 Christfest I, 25. Dezember 2023, Frankfurt

Die Predigt beginnt mit einer Geschichte, die uns die Lesung plastisch machen soll, und ich rede dann über Albrecht Dürers Selbstportrait.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist aus dem Brief des Paulus an die Galater
im 4. Kapitel.
Wir haben sie vorhin als Epistel-Lesung gehört.
Ich werde den Abschnitt komplett wiederholen.

Lasst uns beten:
Herr, sende uns deinen Heiligen Geist,
damit der Brief an die Galater
ein Wort für uns sei. — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

  • diese Predigt beginnt mit einer Geschichte.
    Sie soll uns plastisch machen, was Paulus uns schreibt.
  • Danach möchte ich die Linie ziehen,
    zu Meister Dürer,
    der uns vom Gottesdienstblatt so intensiv anschaut.

(1) Die Geschichte handelt von Albert und Manuel.
Die beiden kennen sich schon aus dem Kindergarten.
Sie leben auf dem Land.
Manuels Vater hat einen Bauernhof.
Seine Mutter ist gestorben,
als er noch ein Baby war.
Da ist es für seinen Vater eine große Hilfe,
wenn Alberts Mutter die beiden vom Kindergarten
und von der Schule abholt
und sie bei ihr zu Hause erst mal Mittagessen kriegen.

Als die Jungs älter werden,
entdecken sie den Bauernhof als großen Abenteuerspielplatz.
Manuels Vater ist ihr Vorbild:
Er ist groß,
er kann alles
und er fährt Trecker.
Die Jungs schauen zu ihm auf.
Sei wollen natürlich beide Bauer werden.

Das Spiel wird relativ schnell ernst.
Vor der Schule noch eine Stunde arbeiten,
füttern, melken, dem Alten zur Hand gehen.
Das ist für Manuel irgendwann normal: Alltag.
Genau so selbstverständlich ist es aber auch,
dass Albert kommt und mitmacht.
Das ist schon außergewöhnlich:
ein Teenager,
der morgens aufsteht
– in aller Herrgottsfrühe –,
quer durchs Dorf läuft,
um auf einem fremden Hof mitzuarbeiten.
Er macht das nicht für Geld oder so,
er macht es aus Freundschaft,
aus Liebe vielleicht.
er macht das, weil er es eben macht. —

Natürlich ist nicht alles nur Bilderbuch und Glückseligkeit.
Als Albert den großen Trecker gegen die Stallmauer setzt,
ist die Rechnung vom Landmaschinenmechaniker fünfstellig
und der Zorn des Vaters ist real.

Er sagt:

Was hast du getan?2

Der zerknirschte Albert antwortet:

Ich will das bezahlen …

Ach ja?
Wovon denn?

Und überhaupt:
Das ist nicht, worum es geht!

Albert, du bist wie ein Sohn für mich.

Das bedeutet aber auch,
dass du denkst und handelst wie ein Sohn –
und nicht wie ein Fremder.

Alles, was mein ist, ist dein.3
So geh auch damit um.

An diesem Tag hat Albert gelernt,
was Verantwortung ist.
Aber die bewusste Erinnerung,
die er mitgenommen hat ist,
dass der Vater zu ihm gesagt hat:

Du bist wie ein Sohn für mich. —

Wenige Jahre später nimmt der Vater Manuel zur Seite.
Er eröffnet seinem leiblichen Sohn,
dass er sterben müsse.
Krebs,
Endstadium,
es würde bald sehr schnell gehen.

Er hätte aber für alles gesorgt:
Bis Manuel volljährig ist,
gäbe es einen Vormund
und ein Geschäftsführer würde den Betrieb verwalten.
Es ginge jetzt um sein Testament.

Und dann fragt der Vater seinen Sohn:

Was ist mit Albert?

Und er muss gar nicht weiter erklären;
der Sohn versteht sofort.
Er antwortet:

Ja, Vater,
ja von Herzensgrund.
4

So stehen dann im Testament zwei Erben:
ein Kind, den der Vater gezeugt
5 hat,
und ein Kind, den der Vater gerufen hat bei seinem Namen.
6

So schreibt der Apostel Paulus an die Galater, im 4. Kapitel:

1Ich sage aber:
Solange der Erbe minderjährig
7 ist,
ist zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied.
Er ist zwar der Herr ist über alle Güter,
2aber er untersteht Vormündern und Geschäftsführern8
bis zu der Zeit, die der Vater bestimmt hat.

3So auch wir:
Als wir unmündig waren,
waren wir in der Knechtschaft der Mächte der Welt.
4Als aber die Zeit erfüllt war,
sandte Gott seinen Sohn,
geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
5damit er die, die unter dem Gesetz waren,
erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.

6Weil ihr nun Kinder seid,
hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen,
der da ruft:

Abba, lieber Vater!

7So bist du nun nicht mehr Knecht,
sondern Kind;
wenn aber Kind,
dann auch Erbe – durch Gott.

(2) Liebe Gemeinde,
Albrecht Dürer malt ein Selbstportrait –
als Christus.

Hat der se noch alle?
Was glaubt der, wer er ist?

Seine Kleidung ist edel und teuer.
Sie weist ihn als ein erfolgreiches Mitglied der Gesellschaft aus,
wirtschaftlich wie kulturell.
Einer, der so ’rumläuft, hat es geschafft.

Die Qualität des Bildes,
die Kunstfertigkeit,
kann es problemlos
mit seinem Zeitgenosse Leonardo da Vinci aufnehmen.
Das Bild ist ein Arbeitsmuster.
Potentielle Kunden können sehen:
Wer hier bestellt, bestellt beim Besten.

Dürer inszeniert seine rechte Hand,
in einer Segensgeste,
die eigentlich nur Christus zukommt.
Will er vielleicht sagen:

So wie Gott ein Schöpfer ist,
bin ich auch kreativ,
wenn ich den Pinsel führe?

Dabei guckt er uns gerade an.
Streng symmetrisch ist der Aufbau.
Wir haben keine Chance,
seinem Blick zu entfliehen.
Und auch er:
Er stellt sich schonungslos
unserem Blick und unserem Urteil.

Ich glaube:
Der Albrecht Dürer auf diesem Bild,
hat Weihnachten verstanden.

Ich bin sicher,
der Mensch Albrecht Dürer
wusste,
dass er die Sorte Albrecht ist,
die schon mal den Trecker gegen die Stallbauer setzt.
Er wusste, dass der Zorn des Vaters sein Recht hat:

  • Er hat das Wort Gottes nicht immer gehalten.
  • Er ist daran gescheitert, seinen Nächsten zu lieben.
  • Er ist sicher nicht immer nur demütig gewesen
    vor seinem Gott.
    9

Genau, wie wir alle.

Doch der Albrecht auf dem Bild weiß,
dass er trotz allem von Gott angenommen ist,
wie ein Vater sein Kind annimmt.
So gesehen ist das Bild viel mehr als nur ein Beweis für die Kunstfertigkeit des Mahlers.

Es ist ein Lobpreis Gottes,
der uns geschaffen hat zu seinem Ebenbild.
Es verherrlicht Christus,
der ein Mensch geworden ist,
um uns zu erlösen,
damit auch wir Kinder Gottes sind. —

Du bist ein Kind Gottes;
wenn aber Kind,
dann auch Erbe.

Dem dreieinigen Gott
sei Lob und Ehre,
Preis und Herrlichkeit
in Ewigkeit.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!10 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Gen 4,10


3 Lk 15,31


4 ELKG² 414,3 „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“


5 Vgl. Nicaenum, ELKG² S. 35.


6 Vgl. Jes 43,1.


7 LUT85 hat „unmündig“. Das ist m.E. weniger schnell aufzufassen. Es geht um Mündigkeit, natürlich, aber dass der Erbe ein Kind ist, ist anschaulicher als der juristische Begriff und näher an νήπιος, dem Original.


8 „Pfleger“ trifft es nicht (mehr): Es geht darum, dass der Minderjährige den Betrieb (das οἴκος) nicht führt, sondern ein Geschäftsführer (οἰκονόμος).


9 Vgl. Micha 6,8.


10 Phil 4,7


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