13:56

Jesus lehrt beten
Predigt zu Lk 18,1–8

97 Vorletzter Sonntag, 13. November 2022, Frankfurt a. M.

Gebet ist Bekenntnis. Wie wir beten, was wir bitten und was wir erwarten hängt 1:1 mit dem zusammen, wie wir Gott sehen, was wir von ihm halten und wie es um unsere Beziehung mit ihm gestellt ist.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist ein Gleichnis Jesu über das Beten,
aufgeschrieben beim Evangelisten Lukas
im 18. Kapitel.
Ich werde den vorgesehenen Abschnitt
im Laufe der Predigt komplett vorlesen.

Lasst uns beten:
Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte
und ein Licht auf meinem Wege!
2 — Amen

Liebe Brüder und Schwestern!

(1) Es war einmal,
als das Wünschen noch geholfen hat…

…so beginnt das ein oder andere von Grimm’s Märchen.

„Damals“,

  • vielleicht zur Urzeit der Welt,
  • vielleicht in der eigenen Kindheit noch,

da gab es eine Zeit,
in der Wünsche noch in Erfüllung gingen.
Aber diese Zeit ist vorbei,
wir sind erwachsen,
wir wissen es besser:
Wünschen, bitten und beten sind nutzlos.
Sie können sogar gefährlich sein.

Mamatschi schenke mir ein Pferdchen.
Ein Pferdchen wär mein Paradies.

So bettelte „ein kleines Bübchen“ „wunder-süß“.

Darauf bekam der kleine Mann
Ein Schimmelpaar aus Marzipan.
Die sieht er an, er weint und spricht:
„Solche Pferde wollt ich nicht“.

Nächstes Jahr Weihnachten probiert’s die Mutter nochmal:

Auf einem Tische stehen stolz
Vier Pferde aus lackiertem Holz.
Die sieht er an, er weint und spricht:
„Solche Pferde wollt ich nicht“.

Im Lied wird der Junge dann erwachsen.
Die Pferde, die er dann kriegt,
sind die Pferde
vor dem Leichenwagen seiner Mutter:

Vor einer schwarzen Kutsche standen
Vier Pferde, reich geschmückt und schön.
Die holten ihm sein liebes Mütterlein
Da fiel ihm seine Jugend ein:

…wie sehr er sich von seiner Mutter
ein
richtiges Pferd gewünscht hat.
Jetzt hat er
richtige Pferde,
aber
die will er dann auch nicht.

Als Moral von dieser Geschichte
würde ich zwei Dinge benennen:

(1)Eine dicke Warnung:
Pass auf, was du dir wünschst:
Es kann so in Erfüllung gehen,
dass es schlecht für dich ist.

(2)Wenn du dir etwas wünschst,
sieh zu,
dass es angemessen
und erfüllbar ist.

Wenn man sich den bürgerlichen Mittelstand
als Zielgruppe für den Schlager denkt:
Ein Pferd ist,
in Bezug auf Anschaffung und Unterhalt,
nicht drin.
Sich das zu wünschen ist unangemessen.
Der Junge darf sich das nicht wünschen,
sondern nur als Spielzeug –
ein Bild von einem Pferd.
Wenn er diese Regel überschreitet,
sehr ihr, was dabei herauskommt:
Er wird sehr traurig werden.

Das ist eine sehr typische Perspektive,
wenn die Welt-Weisheit
auf Wünschen, Bitten und Beten schaut.

Etwas stärker vergeistlicht
findet man „Gebete“ schon mal auf Poster
oder Tassen gedruckt.
Zum Beispiel:

Gott gebe mir die Kraft,
zu ändern, was ich ändern kann,

den Langmut,
zu ertrage, was ich nicht ändern kann

und die Weisheit,
das eine vom anderen zu unterscheiden.

Das ist ein weltlich vollkommen akzeptables Gebet.
Die Bitten halten sich genau an den Rahmen,
die ihnen die Welt-Weisheit vorgibt.
Die Bitten sind angemessen,
denn „Kraft“, „Langmut“ und „Weisheit“
sucht man problemlos bei sich selber.

Der „gesunde Menschenverstand“
hat gegen dieses „Gebet“ nichts einzuwenden.
Es beginnt mit „Gott“,
aber da könnte problemlos auch
- „das Schicksal“,
- „die Vorhersehung“
- oder „der Kosmos“
stehen.
Niemand muss von außen eingreifen,
damit dieses Gebet in Erfüllung geht;
ein Wunder ist nicht nötig.
Damit rechnet der „gesunde Menschenverstand“ auch nicht. —

Gebet ist Bekenntnis.
- Wie wir beten,
- was wir bitten
- und was wir erwarten
hängt 1:1 mit dem zusammen,
- wie wir Gott sehen,
- was wir von ihm halten
- und wie es um unsere Beziehung mit ihm gestellt ist.

(2) Liebe Gemeinde,
hört folgendes Gleichnis,
das Jesus seinen Jüngern sagte,
darüber, dass sie allezeit beten
und nicht nachlassen sollen: (Lk 18)

2Es war ein Richter in einer Stadt,
der fürchtete sich nicht vor Gott
und scheute sich vor keinem Menschen.
3Es war aber eine Witwe in derselben Stadt,
die kam zu ihm und sprach:
„Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!“
4Und er wollte lange nicht.

Danach aber dachte er bei sich selbst:
„Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte
noch vor keinem Menschen scheue,“
5will ich doch dieser Witwe,
weil sie mir soviel Mühe macht,
Recht schaffen,
damit sie nicht zuletzt komme
und mir ins Gesicht schlage“.

6Da sprach der Herr:
„Hört, was der ungerechte Richter sagt!
7Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten,
die zu ihm Tag und Nacht rufen,
und sollte er’s bei ihnen lange hinziehen?
8Ich sage euch:
Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.
Doch wenn der Menschensohn kommen wird,
meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?“

Jesus bürstet unser Gottesbild etwas gegen den Strich.
Der Richter

fürchtet sich nicht vor Gott
und scheut sich vor keinem Menschen.

Nicht gerade ein sympathischer Charakter,
aber einer, der souverän ist.

Wenn ich segne,
sage ich in aller Regel:

Es segne und behüte dich,
der allmächtige und barmherzige Gott…

Gott ist allmächtig.
Nichts zwischen Himmel und Erde kann ihn davon abhalten,
dich zu segnen.
Diese Allmacht ist, was Jesus hier betont.
Es gibt nichts,
das den Richter aufhalten könnte,
der Witwe Recht zu schaffen.

Genau so souverän ist Gott
und weil er ein gerechter Gott ist,
können wir uns darauf verlassen,
dass er unser Gebet erhört.

Für welche Bitten gilt das?
Für alle Bitten!
Jesus sagt:

Alles, was ihr bittet in eurem Gebet:
Glaubt nur, dass ihr’s empfangt,
so wird’s euch zuteil werden.
3

Wer so betet,
schaut auf Gott als einen liebenden Vater.

Wer so betet,
wendet sich an Gott wie ein Kind,
das Geborgen ist in der Beziehung zu seinen Eltern
und das Leben auch noch nie anders erlebt hat
als behütet
und erfüllt.

So auf Gott zu schauen,
wie solch ein Kind,
das nennt die Bibel „Glauben“.

Doch wenn der Menschensohn kommen wird,
meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?“

(3) Liebe Brüder und Schwestern,
das ist die Stelle,
möchte ich Jesus fragen:

Sach mal, Jesus,
hast du das mal probiert,
so zu beten?

Du weißt, dass dich der Vater allezeit hörst,
und um das dem Volk zu zeigen,
rufst du Lazarus aus seinem Grab – 
und er kommt.
4

Was ist denn mit mir?
Ich bete mein Leben lang um Heilung
und bin doch krank.

Was ist mit mir?
Ich bete um Frieden
und lebe im Streit.

Was ist mir mir?
Ich stelle keine Ansprüche,
doch der schwarze Wagen wird einst kommen – 
- für meine Mutter,
- für meinen Vater
- und für mich.

Ja, Jesus hat so gebetet
und er hat so gelebt.

Als ihn die Angst und das Zittern überkam,
betete er in Gethsemane:

Mein Vater, ist’s möglich,
so gehe dieser Kelch an mir vorüber;
doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!
5

Jesus weiß sich auf einem Weg,
auf den der Vater ihn sendet.
Nicht ein anonymes Schicksal gibt
oder gibt eben nicht,

sondern er nimmt den schweren Kelch, den bittern,
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
dankbar, ohne Zittern
aus seiner guten und geliebten Hand.
6

Das ist Glauben.

Als Jesus am Kreuz hängt,
schreit
7 er zu Gott.

Eli, eli, lama asabtani?
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
8

Das sind Worte des 22. Psalms.
In seinem Todeskampf
betet Jesus einen Psalm,
der von uns Gottverlassenen handelt. –
Und der Psalm endet damit,
dass Gott den Elenden Essen geben wird,
dass er ihnen Recht schaffen wird,
dass er tun wird, was er versprochen hat.

Das ist die Essenz von Weihnachten:
Gott kommt in unsere Gottesferne,
weil er uns nahe sein will.

Die Klage,
das Gebet, das sich nicht erfüllt,
das Gebet, das sich erfüllt
und das Lob –
hier schwingen sie in einer Harmonie.
Diese Harmonie heißt „Glauben“.

Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt!
Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt!
Der sich den Erdkreis baute, der lässt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht!
9

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!10 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Mk 11,24


4 Vgl. Joh 11.42–44.


5 Mt 26,39


6 Nach D. Bonhoeffer, vgl., ELKG² 379,3.


7 Vgl. den ThWNT-Artikel εὔχομαι, εὐχή zum Beten im AT: Mein „ruft“ und „schreit“ zu Gott, „ruft“ ihn „an“.


8 Mt 27,46


9 ELKG² 322,5 „Die Nacht ist vorgedrungen“


10 Phil 4,7