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Geisterbahn
Predigt zu Röm 14,1–10

168 Vorletzter Sonntag, 17. November 2024, Frankfurt

Manchmal fühlt sich die Welt an wie eine Geisterbahn: Schrecken um jede Ecke und tendenziell geht es bergab.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist ein Abschnitt aus dem Brief des Paulus an die Römer
im 14. Kapitel.
Der Apostel schreibt:

14,1Den Schwachen im Glauben nehmt an
und streitet nicht über Meinungen.

2Der eine glaubt, er dürfe alles essen;
wer aber schwach ist, der isst kein Fleisch.
3Wer isst, der verachte den nicht, der nicht isst;
und wer nicht isst, der richte den nicht, der isst;
denn Gott hat ihn angenommen.

4Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest?
Er steht oder fällt seinem Herrn.
Er wird aber stehen bleiben;
denn der Herr kann ihn aufrecht halten.

5Der eine hält einen Tag für höher als den andern;
der andere aber hält alle Tage für gleich.
Ein jeder sei in seiner Meinung gewiss.
6Wer auf den Tag achtet, der tut’s im Blick auf den Herrn;
wer isst, der isst im Blick auf den Herrn,
denn er dankt Gott;
und wer nicht isst, der isst im Blick auf den Herrn nicht
und dankt Gott auch.

7Keiner von uns lebt sich selber,
und keiner stirbt sich selber.
8Leben wir, so leben wir dem Herrn;
sterben wir, so sterben wir dem Herrn.
Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.

9Denn dazu ist Christus gestorben
und wieder lebendig geworden,
dass er über Tote und Lebende Herr sei.
10Du aber, was richtest du deinen Bruder?
Oder du, was verachtest du deinen Bruder?
Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden.

Lasst uns beten: Herr Gott, himmlischer Vater, sende herab auf uns deinen Heiligen Geist, damit der Brief des Paulus an die Römer ein Brief an uns ist. — Amen

Liebe Starke und Schwache im Glauben,
das heißt, liebe Gemeinde,

(1) wenn man es wohl meint mit Paulus,
könnte man sagen:
Er schreibt uns diesen Anfang des 14. Kapitels
mit einem zwinkernden Auge.
Meint man es nicht so wohl mit ihm,
dann ist das, was er hier schreibt,
eine ausgesprochene Frechheit.

Er sagt:

Den Schwachen im Glauben nehmt an
und streitet nicht über Meinungen.

Und dann lässt er durchblicken,
dass er mit „den Schwachen“
diejenigen Christen meint,
die einen asketischen Lebensstil für sich gewählt haben.
Ausgerechnet die,
die mit viel Aufwand und Willenskraft
ganz entschieden Christen sein wollen,
ausgerechnet die nennt Paulus hier „schwach“.
Dabei sind sie es,
die für Jesus Opfer bringen
und ihren Kopf hinhalten.

Jedesmal, wenn der Dienstplan besprochen wird:

Nein, an dem Tag kann ich nicht.
Der ist meinem Gott gewidmet.

Der Chef regt sich auf:

Immer das Selbe mit dir,
der Herr Christ braucht eine Extrawurst!
Kannste dir nicht mal einen normalen Gott suchen?
So wie alle anderen auch?
Dass man dich wenigstens vernünftig einplanen kann?

Da muss man stark sein gegenüber den Kollegen,
stark sein gegenüber dem Chef
und stark sein gegenüber dem Chef vom Chef.

Oder:
Man geht mal mit den Schulfreunden aus
und dann gibt’s schon die Diskussion:

Wohin können wir dich denn überhaupt mitnehmen?

Ein Restaurant geht nicht,
schon gar nicht in der Nähe von einem Tempel.

Dann lass uns doch über den Fleischmarkt gehen
und eine Wurstbude suchen!

Nein, das geht natürlich auch nicht.
Wer weiß, wo die das Fleisch her haben. —
Und dann sitzt der römische Christ
zwischen seinen Freunden
und stippt das ungesäuerte Brot in die Gemüsesuppe
während sie sich die Steaks aufschneiden.

„Schmeckt’s?“

„Ja, ja, leka.“

Für so einen Lebensstil
muss man willensstark sein.

Dann geht man am Sonntag in die Kirche
und es wird ein Brief vorgelesen vom Apostel Paulus,
der sagt:

Du bist der Schwache im Glauben.

Ja… danke Paulus!

Was macht Paulus hier?
Paulus greift in einen Konflikt ein
zwischen denjenigen die sagen:

Ein richtiger Christ
muss sich von allem Heidnischen fern halten!

und denen, die sagen:

Die heidnischen Götter gibt es gar nicht.
Da brauch man sich nicht fürchten,
da brauch man sich nicht ekeln,
da kann man ganz entspannt mit umgehen.

Die ersteren finden die anderen lasch und lau im Glauben.
Die letzteren sehen gar nicht ein,
dass sie sich so einen Stress machen sollen.
Sie sagen:
ein starker Glaube überwindet solche Bedenken leicht. —

In diesem Streit geht Paulus einen Schritt zurück
und bietet eine neue Perspektive.

4Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest?
Er steht oder fällt seinem Herrn.
Er wird aber stehen bleiben;
denn der Herr kann ihn aufrecht halten.

Wir haben einen anderen Christenmenschen nicht zu beurteilen.
Die Wahrheit ist nicht auf meiner Seite,
sie ist nicht auf seiner Seite,
sondern sie ist uns beiden übergeordnet.

Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden.2

Der Glaube an das letzter Gericht
erlöst uns von der Last,
selbst die endgültige Lösung herbeizuführen.
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Deswegen kann der Schwache den Starken annehmen
und der Starke den Schwachen.

(2) Liebe Gemeinde,
wir bekennen mit der ganzen Kirche,
ja der ganzen Christenheit,
dass wir an Jesus Christus glauben:

Er sitzt zur rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters;
von dort wird er kommen
zu richten die Lebendigen und die Toten.
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Trotzdem scheint Paulus’ Argumentation
für uns nicht zu funktionieren.
Oft genug liegt das daran,
dass es nicht nur um Meinungen geht,
sondern auch um Handlungen.
Es geht nicht nur um Privates,
sondern um Gemeinsames.
Essen und Sonntagsheiligung
kann man für sich privat entscheiden.
Ob wir Frauen zu Pastorinnen machen
und sie auch anerkennen in dieser Rolle,
müssen wir gemeinsam entscheiden.

In mancher Hinsicht
scheint uns der Glaube an das Letzte Gericht
sogar zu lähmen:

Brauchst keine Angst zu haben um’s Klima
und vor Atomwaffen.
Deswegen alles bleibt die Zeit nicht stehen.
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Will sagen:

Das letzte Gericht kommt,
ob mit Klimaerwärmung oder ohne,
ob der Regenwald stirbt oder lebt
ob wir in der Diktatur leben oder in der Demokratie.

So gesehen fühlt das Leben sich an wie eine Geisterbahn.
Wir sitzen in so einer Gondel
und um jede Ecke erwartet uns neuer Schrecken:

  • Du fährst um die Kurve und …
    Wusch!
    Donald Trump wieder zum Präsidenten der USA gewählt!
  • Und du hast den Schreck noch nicht verdaut,
    da geht es um die nächste Kurve:
    Wusch! Ampelkoalition zerbrochen!
  • Dann kommt eine kleine Kurve:
    Wusch! APK 2025:
    Werden die Pfarrer die Ratlosigkeit überwinden?
  • Finale!
    Wusch! Synode!
    Wird es die SELK noch geben
    am 1. Advent im nächsten Jahr?
    Oder feiern wir Weihnachten …
    ich weiß auch nicht wie.

Wir haben keine Kontrolle
und irgendwie geht es immer bergab.

Da ist es keine Kleinigkeit zu sagen:

Hey! Fürchte dich nicht!

Wir sind hier in Deutschland.
Die Gespenster sind TÜV-geprüft,
die Gondel ist TÜV-geprüft,
und die Schienen sind auch TÜV-geprüft.

Ganz egal,
wie sehr du dich zwischendurch erschreckst,
du kannst gewiss sein,
für deine 7,50 € kommst du sicher unten an.

Am Ende der Zeit wird Gott den Erdkreis richten.

Siehe, ich mache alles neu,

spricht der Herr.

Gott wird abwischen alle Tränen […],
und der Tod wird nicht mehr sein,
noch Leid
noch Geschrei
noch Schmerz wird mehr sein;
denn das Erste ist vergangen.
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Mit dieser Perspektive auf das große Ganze
kann man getrost
mit den Katastrophen umgehen,
die einem das Leben entgegenhält.
So wird Angst überwunden.
Angst lähmt, Trost ermutigt.

(3) Ihr lieben,
zu jedem Gedanken über das große Ganze
gehört in der Bibel und in der Theologie
ein Gedanke zum ganz Speziellen.
Gott hält die Welt in seiner Hand
und er weiß um ein jedes Haar auf deinem Kopf.
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(a) Wir sitzen nicht in einer Geisterbahn,
sondern wir leben in Gottes guter Schöpfung.
Du bist von Gott geschaffen worden
und Gott hat dich mit guten Gaben beschenkt,
damit du dein Leben bewältigen kannst:
- Klugheit und Kunst,
- Fähigkeiten und Fertigkeiten,
- Einsicht und Durchblick.
Wir sitzen nicht in einer ungesteuerten Gondel,
sondern unser Schöpfer will,
dass wir die Erde bebauen und bewahren.
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Wir dürfen und sollen gestalten.
Gott schenkt seinen Segen,
wo du dich einsetzt und investierst.

Die Liebe des Vaters
reicht von der Schöpfung
bis zum Endgericht.

(b) Doch mit all unserer Kraft
und unseren Gaben
greifen wir oft genug daneben.
Der Mensch ist ein Sünder,
taub für Gottes Wort
und blind für seine Zeichen.

Die Schrecken,
die über uns kommen,
die hat
Gott nicht gemacht.
Das waren wir schön-fein selber.
Wir vergehen uns aneinander
und bringen Schuld über uns. —

Wenn es Frieden geben soll auf Erden,
dann müssen wir alle
vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden.
Gerechtigkeit gibt es nur,
wenn einer gerade steht
für all das, das wir verbockt haben.

Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ,
der Herr Zebaoth
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Er verzichtet auf all sein Recht,
entäußert sich,
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und er kommt als Mensch zu uns Menschen.
Er übernimmt die Schuld,
die wir schulden.

Du bist sein
und er ist dein.

Durch deine Taufe ererbst du das Reich.
Der Sohn ist aus der Ewigkeit zu uns gekommen,
um uns durch Vergebung zu erlösen.
Seine Liebe reicht vom Endgericht
bis zu Schöpfung.

(c) Der Geist ist,
wo sich beide treffen:
hier, jetzt, in deinem Leben.

So bist du nicht allein unterwegs,
sondern du bist mit deinen Freunden auf der Kirmes.
Du bist mit Menschen unterwegs,
die du lieb hast.
Mit ihnen teilst du den Schrecken und die Freude.
Du gehörst zur heiligen christlichen Kirche,
der Gemeinschaft der Heiligen.
Hier Berühren sich Himmel und Erde,
Zeit und Ewigkeit.
Wer hier lebt,
lebt aus der Kraft der Gerechtigkeit
und des Friedens.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!11 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Vers 10.


3 Diesen Satz habe ich mitgeschrieben in einem Vortrag von Chr. Barnbrock „Was uns eint“. In wie weit das seine Formulierung ist, weiß ich aber nicht mehr.


4 Apostolisches Glaubensbekenntnis, ELKG² S. 34.


5 So ähnlich sah es Bob Marley im Redemption Song: „Have no fear for atomic energy / ’Cause none of them can stop the time“, Album „Uprising“, 1981.


6 Offb 21,4 und 5.


7 Vgl. Mt 10,30 und Lk 12,7.


8 Vgl. Gen 2,5.


9 ELKG² 527,2 „Ein feste Burg ist unser Gott“


10 Vgl. Phil 2,6.


11 Phil 4,7


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Mt 25,31–46, Vorletzter Sonntag

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Gebet ist Bekenntnis. Mehr…

Das Weltgericht
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Die Zugvögel haben keinen Kalender, sie haben weder Karte noch Kompass und doch wissen sie, wann sie reisen müssen und kennen den Weg. Sie sind im Einklang mit dem, was Gott für sie vorgesehen hat. Und wir?