Der Herr wird den Erdkreis richten
Predigt zu Mt 25,31–46
Wenn man nach einem Streit nach Hause kommt, muss es möglichst eine Aussprache geben. Damit wir das Himmlische Festmahl feiern können, gibt es das Letzte Gericht.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.
Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist das Evangelium des heutigen Sonntages
bei Matthäus um 25. Kapitel:
Jesus malt uns das Weltgericht vor Augen.
Lasst uns beten:
Herr, dein Wort ist lebendig und kräftig
und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, […]
und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.2 —
Beschneide, was uns von dir trennt.
Sprich zu uns in deinem Wort,
damit heilt, was verhärtet ist,
und lebt, was aufwächst zu dir. —
Amen.
Liebe Brüder und Schwestern,
(0) nach dem Trinitatisfest kommen 20 und mehr Sonntage,
die haben keine besondere Prägung.
Das ist fast die Hälfte des Jahres.
Bevor dann mit dem Advent das neue Kirchenjahr losgeht,
werden drei Sonntage von Hinten gezählt:
der drittletzte,
vorletzte
und letzte Sonntag im Kirchenjahr.
Sie fallen in unser Weltgegend
in den dunklen, grauen, nassen November.
Auf der einen Seite passen diese Sonntage gut zum Wetter,
auf der anderen Seite so gar nicht,
denn ihr Evangelium scheint warm und klar
gegen die Dunkelheit des Herbstes.
- „Wo ist denn nun das Himmelreich?“
fragen die grauen Zweifel.
„Es ist mitten unter uns!“
antwortet der strahlende Glaube. - „Adler sterben und die Ratten gedeihen“,3
lehrt uns die Erfahrung.
„Alle werden wieder vor einander gleich,
jeder kriegt, was er verdient“,4
antwortet die Ewigkeit. - „Wir werden verwelken wie die Blätter
und verrotten wie das Laub“,
sagt uns die Erwartung.
„Gott will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen“,5
antwortet die Verheißung.
Heute Morgen soll ich uns den zweiten Gedanken darlegen
und Jesu Predigt6 vom letzten Gericht auslegen.
(1) Gericht zur Gerechtigkeit
Das Leben ist ungerecht.
Unser Tun bestimmt mitnichten unser Ergehen.
Weder bestraft der liebe Gott kleine Sünden sofort,
noch sieht man sich im Leben immer zweimal.
Eher ist der Ehrliche der Dumme7
und die Kohle fällt nach oben.8
Gott mutet uns zu,
in einer Welt zu leben,
in der wir den Eindruck haben,
dass Gott verborgen ist.
Manch einer erlebt es so,
als würde Gott sich nicht für uns interessieren.
Dabei stehen wir uns selber im Weg.9
Wir greifen lieber zur verbotenen Frucht,
als daran zu glauben,
dass Gott es gut mit uns meint.
Wir halten eher fest, was wir haben,
und lassen unseren Nächsten
hungrig, durstig, / nackt und einsam
links liegen.
Wie soll uns da das Himmelreich werden?
Unser Abschnitt heute Morgen
handelt von Dingen
jenseits der Kluft zwischen Leben und Tod.
Das Übersteigt unsere Erfahrung und unseren Verstand
und deswegen redet Jesus in Bildern.
Er wählt das Bild einer Gerichtsverhandlung.
Manchmal redet Jesus auch davon,
dass wir zum Vater heimkehren.
Wenn man heimkehrt nach einem Streit,
muss es ein Gespräch geben.
Man kann auch tun, als wäre nichts gewesen.
Das ist schon manchmal ein Segen,
aber besser ist, man redet,
sonst heißt es bei der nächsten Familienfeier:
„Du hast aber damals …“
Wie gut, wenn man dann sagen kann:
Das ist doch längst geklärt.
Wir haben doch darüber geredet.
Als der verlorene Sohn heimkehrt,
sagt er aus ehrlichem Herzen:
Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.
Ich bin hinfort nicht mehr wert,
dass ich dein Sohn heiße.
Und er wollte ihm noch sagen:
Mach mich zu einem deiner Tagelöhner.
Aber der Vater kommt ihm zuvor,
ordert das beste Gewand
und die teueren Schuhe,
den Ring
und das Fest.
Der Vater bemüht sich sogar um den älteren Bruder:
Komm feiere mit uns!
Du hattest mich die ganze Zeit.
Alles, was mein ist, ist dein.10
Wie wird dieses Familienfest für die beiden Brüder sein?
Was wird sein,
wenn der Senior sich aus dem Betrieb zurückzieht?
Wenn der ältere Bruder der Chef ist
und sagt zum Jüngeren:
Du weist, wie der Laden läuft.
Deine Fähigkeiten können wir gut brauchen.
Was sind deine Gehaltsvorstellungen?
Wird der Junior dann seinem großen Bruder sagen,
was er seinem Vater sagen wollte:
Mach mich zu deinem Tagelöhner!
Oder leitender Angestellter?
Chefetage?
Die Hälfte von der Hälfte,
die er nicht mit Fressen und Huren verprasst hat?
Die beiden Brüder müssen eine tragfähige Einigung finden,
möglichst noch, so lange der Vater lebt.
Ansonsten wird jede Familienfeier zum Pulverfass.
Damit wir das Himmlische Festmahl feiern können,
gibt es das Letzte Gericht.
(2) Glauben findet im Leben statt
Liebe Gemeinde,
Jesus macht in seiner Rede
das Heil des Menschen von seinen Werken abhängig macht.
Ist das denn so richtig lutherisch?
Es kommt doch auf den Glauben allein an!
Hier merkt man: Da ist was schief!
… und auch nicht genau beobachtet.
Jesus redet von bestimmten Werken:
- Zu den Schafen werden jene gezählt,
die seine geringsten Brüder
genährt, getränkt und gekleidet haben.
Sie haben Gemeinschaft mit ihnen gesucht
unter widrigen Umständen. - Was ist denn mit den anderen guten oder bösen Werken?
Und wer sind die geringsten Brüder?
- Die Armen?
- Die armen Christen?
- Die armen Pastoren?
Alle drei Möglichkeiten sind vertreten worden.
Glaube findet im Leben statt.
Gott will eine Beziehung mit dir, hier und jetzt.
Da gehört selbstverständlich dazu,
was du tust und lässt,
was du fühlst
und was du glaubst.
Wenn es keine Möglichkeit gäbe, zu scheitern,
wäre unsere Beziehung zu Gott belanglos.
Wir leben unser Leben nicht im god mode,
unverwundbar
und mit unendlich Munition.
Für diejenigen,
die mit Computerspielen nicht vertraut sind:
Das wäre,
als spielten wir Skat,
und du bekommst jede Runde
vier Buben,
vier Asse
und zwei Zehnen.
Mit dem Blatt kann man nicht verlieren –
und jede Runde wird belanglos.
Genau so funktionieren angeblich fromme Irrlehren:
Ich habe mich für Jesus entschieden
und mit Sünde und Schuld
habe ich nichts mehr zu tun!
Da redet zwar einer von Jesus,
aber er braucht Jesus gar nicht mehr.
Ich bin so lutherisch-orthodox,
ich komme mit der modernen Gesellschaft nicht mehr klar.
Ich möchte mich auf die fromme Insel zurückziehen.
Jemand der so redet,
braucht Jesus auch nicht mehr.
Und es fällt gar nicht auf:
Er hat ja die Lehre von Jesus
und redet ständig darüber.
Der lebendige Gott
lebt nicht in sauberen Gedankengebäuden,
sondern er legt sich in einen Stall
zwischen Menschen und Tiere.
Die Gemengelage deines Lebens
macht er sich zum Zuhause,
weil das ist,
wo du bist.
Ja, in dieser Predigt
macht Jesus das Heil vor dem Gericht
an unseren Taten fest.
Aber es geht nicht um
- Ablass,
- Wallfahrten
- oder Gelübde.
Es geht auch nicht um
- „sexuelle Reinheit“,
- Gender
- oder Abtreibung.
Es geht darum, in jedem Menschen,
der uns begegnet, zu fragen:
Herr, bist du es?
In und unter seinen geringsten Brüdern
begegnet uns Christus
hier und jetzt.
(3) Christus für uns
Liebe Schwester in Christus,
lieber Bruder im Herrn,
wer bist du in Jesu Predigt?
- Sitzt du im Publikum,
weil du einer der Wohltäter bist? — - Sitzt du auf der Anklagebank,
weil du einer der Pechvögel bist,
die ihre Chance verpasst haben? — - Oder sitzt du auf der Zeugenbank,
als einer der geringsten Brüder (oder Schwestern)? —
Wer du auch bist,
sieh auf und erhebe dein Haupt.11
Schau zum Richter.
Das ist nämlich kein Jurist,
der nur seinen Job macht,
das ist kein Beamter,
der dich nicht kennt.
Auf dem Thron der Herrlichkeit sitzt der,
der sein Leben für dich gegeben hat.
Wir werden nicht von einem Fremden gerichtet,
sondern von unserem Bruder,
der unser ganzes Leben angenommen hat.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!12 Amen.
1 1.Kor 1,3
2 Nach Heb 4,12.
3 Michael Kunze, „Adler Sterben“, vertont von Udo Jürgens.
4 „Wünsch dir was“, von den Toten Hosen, Text: Campino, Komposition: Andi.
5 Nach Jes 65,17, ELKG² 75.
6 In der Wortwahl folge ich Gottfried Voigt: „Der schmale Weg“, Göttingen 1978, S. 485ff, dessen Vorarbeiten zur Perikope diese Predigt Impulse zu Auslegung und Gliederung verdankt.
7 Buchtitel von Ulrich Wickert.
8 Klaus Lage: „Faust auf Faust“, 1985.
9 Die Sünde ist unsere Sünde, nicht Gottes Sünde.
10 Nach Lk 15,31f.
11 Nach Lk 21,28, dem Wochenspruch zum 2. Advent, ELKG² 2.
12 Phil 4,7
Weitere Predigten zu Vorletzter Sonntag:
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Röm 14,1–10,
Vorletzter Sonntag
Manchmal fühlt sich die Welt an wie eine Geisterbahn: Schrecken um jede Ecke und tendenziell geht es bergab.
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Lk 18,1–8,
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Gebet ist Bekenntnis. Mehr…
Das Weltgericht
Jer 8,4–7,
Vorletzter Sonntag
Die Zugvögel haben keinen Kalender, sie haben weder Karte noch Kompass und doch wissen sie, wann sie reisen müssen und kennen den Weg. Sie sind im Einklang mit dem, was Gott für sie vorgesehen hat. Und wir?