15:09

Jesus und die Ehebrecherin
Predigt zu Joh 8,1–11

89 4. So. n. Trinitatis, 10. Juli 2022, Frankfurt am Main

Für uns ist dieser Satz so etwas wie ein Volley geworden: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“. Damit kann man jeden Vorwurf ungebremst zurückspielen.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
steht im Evangelium nach Johannes, im 8. Kapitel:

53Und jeder ging heim. 1Jesus aber ging zum Ölberg.
2Und frühmorgens ging er wieder in den Tempel,
und alles Volk kam zu ihm,
und er setzte sich und lehrte sie.

3Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau,
beim Ehebruch ergriffen,
und stellten sie in die Mitte
4und sprachen zu ihm:

Lehrer,
diese Frau
ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden.

5Mose aber hat uns im Gesetz geboten,
solche Frauen zu steinigen.

Was sagst du?

6Das sagten sie aber,
ihn zu versuchen,
damit sie ihn verklagen könnten.

Aber Jesus bückte sich
und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
7Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen,
richtete er sich auf
und sprach zu ihnen:

Wer unter euch ohne Sünde ist,
der werfe den ersten Stein auf sie.

8Und er bückte sich wieder
und schrieb auf die Erde.

9Als sie aber das hörten, gingen sie weg,
einer nach dem andern,
die Ältesten zuerst.

Jesus blieb allein mit der Frau zurück,
die noch in der Mitte stand.

10Jesus aber richtete sich auf und fragte sie:

Frau, Wo sind sie?
Hat dich niemand verdammt?

11Sie antwortete:

Niemand, Herr.

Und Jesus sprach:

So verdamme ich dich auch nicht;
geh hin und sündige nicht mehr.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Schwestern in Christus,
liebe Brüder im Herrn,

(1) diese Frau wird vorgeführt von einem wütenden Mob
und die Herren, die diesen Mob anführen,
wollen auch Jesus vorführen.

5Mose aber hat uns im Gesetz geboten,
solche Frauen zu steinigen.

Was sagst du?

Was macht für einen wütenden Mob
den „wahren“ Gesetzeslehrer aus?
Dass er das Gesetz durchzieht, natürlich!

Es mag einem in unserer Kirche passieren,
dass man gefragt wird
von einigen,
die sich anmaßen fromm zu sein:

„Glaubst du auch wirklich an die Bibel?“

Ja,
natürlich,
aber was soll denn das heißen?

  • dass die Erde 6.000 Jahre alt ist?
  • dass Jona wirklich im Fisch war?
  • dass die heterosexuelle, bürgerliche Ehe
    die einzige von Gott gewollte Lebensform des Menschen ist?

„Wenn du nicht glaubst, was ich für richtig halte,
dann nimmst du die Bibel nicht wahr
und gehörst eigentlich auch nicht richtig zur SELK“.

- Homosexualität,
- Abtreibung
- und Frauenordination –
das sollen die Themen sein, worum es der SELK geht?

Für viel wichtiger halte ich,

  • dass Gott barmherzig ist
  • und deswegen Mensch geworden ist in Christus
  • und Christus zu uns kommt unter Brot und Wein,
  • sein Taufe uns neu macht
  • und sein Wort uns frei macht von Sünde und Schuld
    in der Beichte.

Doch damit erhält man freilich keine Aufmerksamkeit
in den sozialen Medien.

Die Schärfe des Gesetzes
ist weniger attraktiv
als die Milde der Barmherzigkeit.

Gott will seine Barmherzigkeit zu unserer Vergebung machen.
Doch wir Menschen sind unter der Macht der Sünde.
Wir Menschen lieber Gottes Gesetz
zu unserem Gesetz.

Im 5. Buch Mose,
auch genannt das Deuteronomium,
steht im 22. Kapitel geschrieben:
3

22Wenn jemand dabei ergriffen wird,
dass er einer Frau beiwohnt,
die einen Ehemann hat,
so sollen sie beide sterben,
der Mann und die Frau,
der er beigewohnt hat;
so sollst du das Böse aus Israel wegtun.

Wo ist in unserer Geschichte eigentlich denn der Mann?
Die Frau hat den Ehebruch wohl kaum alleine begangen.
Aber den Mann in die Mitte zu zerren,
dafür hat beim Mob der Mut nicht gereicht.

Moses’ Anliegen ist,
das Böse aus Israel wegzutun.
Dafür ist das Gesetz.
Die Ankläger nutzen es, um Jesus zu „versuchen“. —
Sie machen Gottes Gesetz
zu ihrem Gesetz
und nähren das Böse,
während sie fromm tun.

(2) Liebe Gemeinde,
natürlich waren die wenigsten Schriftgelehrten und Pharisäer
die Art Menschen,
die einen Mob gegen eine einzelne Frau aufhetzen.
In der jüdischen Literatur aus der Zeit Jesu
wird breit diskutiert,
in wie weit es sinnvoll und zielführend sei,
für den Ehebruch die Todesstrafe anzusetzen.
Abgesehen davon hat man natürlich nicht Menschen gelyncht,
sondern hatte geregelte Verfahren,
mit Zeugen und Anwälten.
Das Ergebnis dieser Verfahren war in der Regel die Scheidung
als Folge des Ehebruchs.
Eine Spur davon finden wir auch im Neuen Testament.
Wenn Jesus nämlich über Scheidung und den Scheidbrief redet,
sagt er:

Wer sich von seiner Frau scheidet,
es sei denn wegen Ehebruchs,
der macht, dass sie die Ehe bricht;
und wer eine Geschiedene heiratet,
der bricht die Ehe.
4

Jesus verschärft das sechste Gebot und sagt:

Wer eine Frau ansieht,
sie zu begehren,
der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen
in seinem Herzen.
5

Die Todesstrafe ist dabei gar nicht mehr im Horizont.
Daher liegt es nahe zu sagen,
dass zu Jesu Zeit
dieses Gesetz nicht mehr voll zur Anwendung kam.

Wir dürfen uns aber auch hier nicht täuschen:
Auch dieser eher fortschrittliche Umgang mit dem Gesetz
macht aus dem Gesetz Gottes
ein Gesetz der Menschen.

Wenn Moses schreibt:

So[, mit der Todesstrafe für den Ehebruch,]
sollst du das Böse aus [deiner Mitte] wegtun.
6

Wie können wir Menschen da nach diesem Gotteswort greifen
und es zu unserem Eigentum machen?
Öffnen wir so dem Bösen nicht Tor und Tür?

Wir komme nicht darum herum,
in das Gesetz einzugreifen:
Nicht mal die frommsten der Frommen
fordern für den Ehebruch die Todesstrafe –
also zumindest habe ich in unserer Kirche
diese Forderung noch nicht gehört.

Welche Kriterien helfen uns
bei der Anwendung von Gottes Gesetz?

Die lutherische Theologe
unterscheidet traditionell einen geistlichen
und einen weltlichen Gebrauch des Gesetzes.
Letzterer heißt auch der „politische“ Brauch des Gesetzes.

Auf geistlicher Ebene führt uns das Gesetz vor Augen,
dass wir Sünder sind
und der Gnade Gottes bedürfen.
So führt es uns zu Christus.
Es ist uns eine Hilfe,
den geistlichen Absprung zu wagen
und uns in die liebenden Arme Gottes fallen zu lassen.
Das Gesetz ist ein Kontrastmittel,
das die Barmherzigkeit Gottes
in unserem Leben sichtbar macht.

Das Gesetz (in seinem ersten Gebrauch)
dient dem Evangelium.

Gott sucht Missetat der Väter heim
bis ins dritte und vierte Glied
an den Kindern derer, die ihn hassen,
aber er erweist Barmherzigkeit an vielen tausenden,
die ihn lieben.
7

Denn Gottes Zorn währet einen Augenblick
und lebenslang seine Gnade.
8

Gottes Zorn ist real. —
Doch dein ganzes Leben steht unter der Gnade, selbst im Zorn.

Auf weltlicher, „politischer“ Ebene soll das Gesetz
die Folgen der Sünde in Zaum halten und eindämmen.
9
Das Gesetz (in seinem zweiten Gebrauch)
dient sichtbar und spürbar den Menschen.

Christus spricht:
Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht
und nicht der Mensch um des Sabbats willen.
So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.
10

Das Wort „Menschensohn“ in diesem Satz
kann sich genau so gut auf ihn, Christus, beziehen,
wie auf jedes andere Kind Adams,
also auf uns alle.

Und das Gesetz,
das Jesus hier anspricht,
ist keine Kleinigkeit.
Der Sabbat ist Schöpfungsordnung.
So wie der Walzer einen ¾ Takt hat,
so hat die Schöpfung einen Takt aus einem betonten
und sechs unbetonten Schlägen.
Wer sich dieser Ordnung verweigert,
verweigert sich einem Rhythmus,
der seit der Schöpfung schlägt.

Das Gesetz ist groß
und doch dürfen wir selbst fragen,
was für uns dran ist,
was uns nützt,
und wie wir mit diesem geschenkten Tag umgehen wollen.

(3) Liebe Gemeinde,
ich möchte diese Idee zum Abschluss durchführen
an folgendem Abschnitt Heiliger Schrift:
Im Buch Leviticus, dem 3. Buch Mose,
heißt es im 20. Kapitel:

Wenn jemand bei einem Mann liegt wie bei einer Frau,
so haben sie getan,
was ein Greuel ist,
und sollen beide des Todes sterben;
Blutschuld lastet auf ihnen.
11

Lasst uns beten:

Herr Jesus Christus,
schenke mir Glauben, dass ich stets deine Vergebung suche.

Ps 139,23Erforsche mich, und erkenne mein Herz;
prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.
24Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin,
und leite mich auf ewigem Wege.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!12 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Vgl. auch Lev 20,10.


4 Mt 5,32


5 Ebd. V. 28.


6 Nach Dtn 22,22.


7 Nach Ex 20,5f


8 Ps 30,6


9 Nach ASm 3, „Vom Gesetz“, BSELK S. 750f.


10 Nach Mk 2,27f und öfter.


11 Lev 20,13


12 Phil 4,7