16:48

Wahre Stärke
Predigt zu Röm 12,17–21

28 4. So. n. Trinitatis, 5. Juli 2020, Bethlehemsgemeinde, Bremen

Wer wahrhaft reich ist, schenkt. Wer wahrhaft mächtig ist, 
handelt verantwortlich. Wer wahrhaft stark ist, 
macht andere stark. — Paulus redet davon, dass es unser wahrer Gottesdienst sei, uns selbst als Opfer hinzugeben und zu verschenken und dass wir aus der Barmherzigkeit Gottes dafür schöpfen.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist aus dem 12. Kapitel des Römerbriefes.
Paulus schreibt:

17Vergeltet niemandem Böses mit Bösem.
Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.

18Ist’s möglich, soviel an euch liegt,
so habt mit allen Menschen Frieden.

19Rächt euch nicht selbst,
meine Lieben,
sondern gebt Raum dem Zorn Gottes;
denn es steht geschrieben:

„Die Rache ist mein; ich will vergelten“,
spricht der Herr.

20Vielmehr:
- „wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen;
- dürstet ihn, gib ihm zu trinken.
Wenn du das tust,
so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“

21Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Brüder und Schwestern!

Die Eltern von Freunden von mir
hatte eine mittelständige Firma.
Sie waren recht wohlhabend
und hatten eine Villa in eine angesehenen Gegend ihrer Stadt.
Noch reichere Leute wollten das Grundstück gerne kaufen.
Da sagte die Familie von meinen Freunden:
„Nein. Wir wohnen schon seit 100 Jahren hier.“

Da gingen die Leute,
die noch reicher waren zur Bank
und sagten:
„Geben sie denen keinen Kredit mehr,
sonst wechseln wir das Kreditinstitut“.

Die Bank fordert ihren Kredit zurück.
Die mittelständige Firma geht bankrott
und sie müssen das Grundstück verkaufen.

Das Unternehmen geht an einen Mitbewerber,
behält den Namen
und die Söhne arbeiten als angestellte Manager –
in der Firma ihres Vaters.

Bei so einer Geschichte denkt jeder:

„Das ist nicht in Ordnung!
Das ist unfair!
Das darf so nicht sein!“

Dabei träumen viele davon,
reich zu sein
und sich alles kaufen zu können,
was sie wollen.
Aber von unserem Rechtsgefühl her,
von unserem Eindruck, was richtig und was falsch ist,
ist
das nicht in Ordnung.

Ein zweites Beispiel:
Junge Leute erben ein Haus.
In dem Haus sind zwei Wohnungen
und in der einen wohnt eine ältere Dame.
Die jungen Leute würden gerne
beide Wohnungen beziehen.
Deswegen versuchen sie,
die ältere Dame aus dem Haus zu vertreiben:
- erste mit Mieterhöhung
- dann mit Schreiben vom Anwalt
- am Ende mit lauter Musik und Dreck im Hausflur.

Da denkt auch jeder:

„Das ist nicht in Ordnung!
Dafür haben wir doch Gesetze!“

Ja, dafür haben wir Gesetze
und vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich.
Das Mietrecht schützt die ältere Dame.
Angenehm ist die Situation aber trotzdem nicht,
aber immerhin!

So ist der Lauf der Welt:
Das Ziel des Menschen ist Reichtum, Macht und Stärke.

Gott sei dank wissen wir tief in unserem Inneren:

  • Wer wahrhaft reich ist, schenkt.
  • Wer wahrhaft mächtig ist,
    handelt verantwortlich.
  • Wer wahrhaft stark ist,
    macht andere stark.

Gegenüber dem Lauf der Welt
ist das die „Umwertung aller Werte“.

  • Wo man Reichtum anhäuft für die eigenen Scheunen
    soll man etwas weggeben?
  • Wo man sich Einfluss hat,
    soll man sich vor dem Gericht Gottes fürchten?
  • Wo man stark ist,
    soll man nicht für sich und die seinen kämpfen,
    sondern für die,
    die es nicht für sich selbst können?
    Die sind doch die „Opfer“!
    Was hat ein Starker mit Opfern zu tun?

In der Überschrift zu unserem Kapitel des Römerbriefes
schreibt Paulus,
wir Christen sollen uns nicht der Welt gleichmachen.
3
Die Werte der Welt,
passen einfach nicht mehr für Christen.
Die Logik der Welt ist nicht unsere Logik.
Und Reichtum, Macht und Stärke sind hier Beispiele.

Der Grund dafür, dass wir nicht mehr in die Welt passen,
ist Jesus Christus:

  • Der, der die Welt erschaffen hat,
    wird ein Baby – wegen uns.
  • Der allmächtige Gott
    begibt sich in die Hände der Henker –
    für andere.
  • Der, dem alles gehört,4
    schenkt sich dir mit Leib und Blut.

Paulus redet davon,
dass es unser
wahrer Gottesdienst5 sei,
uns selbst als Opfer hinzugeben und zu verschenken
und dass wir aus der Barmherzigkeit Gottes dafür schöpfen.
Paulus droht uns nicht mit der Moral-Keule.
Er fordert nicht Leistung oder Gehorsam von uns,
sondern er sagt uns,
was er für Menschen passend findet,
die auf den Namen Gottes getauft sind,
der in Christus Mensch geworden ist.

Paulus schreibt:

17Vergeltet niemandem Böses mit Bösem.
Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.

Gerechtigkeit ist da,
wo Ausgleich geschieht.
Deswegen hat die Justizia vor dem Gericht
eine Wage in der Hand.
Paulus sagt,
wir sollen auf Ausgleich
im Bösen verzichten –
und das nicht nur für die Menschen aus unserem Umfeld,
wo sich das in Zukunft mal lohnen könnte,
6
sondern für
alle Menschen.
Vor Gott sind alle Menschen Sünder –
und damit alle Menschen gleich.

Jesus sagt, wir sollen sogar unsere Feinde lieben,
denn

Denn Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.7

Paulus ist hier ganz auf seiner Linie.
Die Begründung hat nichts damit zu tun,
dass wir in uns selbst eine Kraft
oder einen Antrieb haben sollen,
sondern Jesus bleibt ganz bei Gott:

Wer so handelt,
handelt wie Gott.

Dabei dürfen wir natürlich nicht vergessen,
dass wir immer noch Menschen sind.
Der Apostel schreibt:

18Ist’s möglich, soviel an euch liegt,
so habt mit allen Menschen Frieden.

Friedrich Schiller hat es mal so gesagt:

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben,
wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.
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Dass der Nachbar „böse“ sein kann,
ist die eine Sache.
Wie ist es denn mit mir selbst?
Wir sind endliche Wesen,
- von endlicher Kraft
- und endlichen Resourcen.
Natürlich gehen uns mal die Nerven durch.
Es gibt einen Punkt, an dem man sagen muss:

„Schluss jetzt!“
Ich muss mein Recht auch mal behaupten!

Was Paulus hier von uns will ist,
dass wir uns daran erinnern,
dass
wir diejenigen sind,
denen Gott zuerst unsere Schuld vergeben hat,
als wir noch Sünder waren.9
Gott hat sich uns geschenkt.
Da steht es uns schlecht an,
unserem Nachbarn und Nächsten nicht zu vergeben.
Wir sollen dieses Geschenk weiter geben.

Paulus schreibt:

19Rächt euch nicht selbst,
meine Lieben,
sondern gebt Raum dem Zorn Gottes.

Das klingt für uns ein bisschen komisch:

„Gebt Raum dem Zorn Gottes“.

Über den zornigen Gott reden wir nicht gern,
wir hätten lieber einen „lieben Gott“.
Ich denke, die Pointe hier ist,
dass wir den Zorn nicht mehr brauchen.

Wie viele Äußerungen im Internet oder in der Zeitung
sind darauf ausgelegt, uns zornig zu machen?
Klar: Das ganze grelle Zeug bindet unsere Aufmerksamkeit.
Presseleute müssen provozieren,
um ihre Medien zu verkaufen.
Deswegen spielen sie mit unserer Wut.
Im Ergebnis sind viele Menschen zornig
- auf Firmen,
- auf die Regierung,
- auf alle, die anderer Meinung sind, als sie.
Wie wäre es da,
wenn wir den Zorn einfach weggeben würden,
an eine Stelle,
die etwas damit anfangen kann?

Gott will unseren Zorn haben,
dann brauchen wir ihn nicht mehr haben.
Wie Jesus das Kreuz auf sich genommen hat,
will er unseren Zorn auf sich nehmen,
denn Zorn ist etwas, unter dem wir leiden.

Und bei Gott ist er an der besten Stelle.

  • Gott ist allwissend. –
    Er lässt sich nicht blenden durch grelle Provokation.
  • Gott ist allliebend. –
    Sein Zorn zerstört nicht,
    sondern hat schöpferische Kraft.
  • Gott ist allmächtig. –
    Sein Zorn schafft Gerechtigkeit im letzen Gericht.

Das haben wir als Eingangspsalm gebetet diesen Sonntag:

Der Herr ist gerecht, und liebt Gerechtigkeit.
Die Frommen werden schauen sein Angesicht.

Du führst mein Recht und meine Sache,
du sitzest auf dem Thron, ein rechter Richter.

Der Herr wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit
und die Völker regieren, wie es recht ist.
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Was ist mit der Familie,
der reiche Leute ihr Haus weggenommen haben?
Was ist mit der älteren Dame,
die so viel Ärger hat
mit ihren Vermietern?

Manchmal sagt man:

Es hat keinen Zweck,
sich über Dinge aufzuregen,
die man nicht ändern kann.

Das ist zwar richtig,
Aber die Ungerechtigkeit bleibt.

Die Ungerechtigkeit verpufft nicht einfach,
sondern Gott übernimmt sie.
Es ist wie mit dem Zorn:
Gott wird Gerechtigkeit herstellen,
notfalls im letzten Gericht.
Der Glaube an das Gericht
erspart uns,
unter Zorn und Ungerechtigkeit länger zu leiden,
als unbedingt nötig.
Wenn wir sie an ihn abgeben,
werden sie uns in unserem Herzen nicht mehr belasten.

Jesus sagt uns,
wir sollen für unsere Feinde beten.
Ganz ähnlich schreibt Paulus:

- „Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen;
- dürstet ihn, gib ihm zu trinken.
Wenn du das tust,
so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“.

  • Vergebung zeugt von größerer Stärke als Rache.
  • Jemanden auszuhalten, der anders denkt als man selbst,
    zeugt von größerem Selbstvertrauen,
    als Meinungs-Geschrei.
  • Essen und Trinken zu schenken,
    zeugt von größerem Reichtum als Geiz.

Diese umgekehrte Logik funktioniert ganz anders,
als es die Welt erwartet.
Wenn sie aber einfach nur
umgekehrt wäre,
wäre sie immer noch weltlich.
Durch Jesus Christus
ist dagegen etwas völlig neues in die Welt gekommen.
Er zeigt uns,
dass die Logik Gottes nicht die Logik der Welt ist.
Und er kommt zu uns:
- Christus ermutigt uns durch sein Wort
- und stärkt uns durch seine Anwesenheit in Brot und Wein.

Wenn Paulus unseren Abschnitt beendet mit den Worten:

21Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.

dann meint Paulus mit dem „Guten“
nicht deine guten Taten
oder deine moralische Gesinnung,
sondern das Gute in unserem Leben,
das das Böse überwindet,
ist Christus in unseren Herzen. — Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Röm 12,2


4 Vgl. Ps. 50.


5 Vgl. Röm 12,1; Ulrich Wilkens (EKK) zur Stelle.


6 Vgl. im Gegensatz dazu Lev 19,18, der unten noch mal vorkommt, weil es ums Rächen geht: „18 Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks“.


7 Mt 5,45


8 Wilhelm Tell IV, 3. (Tell).


9 Vgl. Röm 5,8.


10 Aus ELKG 049, Ps 11 und 9.


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 363 KB)

Weitere Predigten zu 4. So. n. Trinitatis:
Jesus und die Ehebrecherin
Joh 8,1–11, 4. So. n. Trinitatis

Für uns ist dieser Satz so etwas wie ein Volley geworden: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“. Damit kann man jeden Vorwurf ungebremst zurückspielen.

„Wenn’s ans Erben geht…“
Gen 50,15–21, 4. So. n. Trinitatis

Josephs Brüder greifen zu Lüge und Niedertracht, um etwas von ihm zu bekommen. Warum? Und warum so?