Gottes Bund mit David, Israel und uns
Predigt zu Jes 55,1–5
Eine Predigt aus Bremen, die eine Linie zieht von den Israeliten in Babylon zu den Schlesiern in Bremen und zu uns, die wir heute zusammen in der Kirche sind.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.
Diese Predigt legt das Wort des Propheten Jesaja aus,
das wir als Lesung schon gehört haben.2
Lasst uns beten:
Herr Gott, Jesus Christus, wir bitten dich:
Lass das Wort, das Jesaja für Israel hatte,
zu einem Wort für uns werden.
Segne du alles Reden und Hören
in deinem Heiligen Geist. — Amen
Liebe Gemeinde!
(1) „Am Weserstrand zu Bremen“
Heute ist der 30. Juni. Und das heißt,
ich bin jetzt genau zwei Monate euer Seelsorger.
Ich hatte Dienstbeginn in Bremen am 1. Mai.
Einige von Euch durfte ich schon näher kennenlernen
und zu Hause besuchen.
Ich habe schon einige von euren Lebensgeschichten gehört
und es gibt etwas, das ich beobachtet habe:
Für eine bestimmte Generation
fängt die Lebensgeschichte an mit –
„Ich bin geboren im Osten,
in Schlesien,
und ich bin hierher gekommen als Kind,
weil meine Familie flüchten musste“.
Flüchten, entwurzelt werden:
So fangen diese Geschichten an.
Dann geht die Geschichte weiter mit dem „Wirtschaftswunder“,
dem Wiederaufbau. – Arbeiten, sich etwas verdienen.
Das eine Geschichte von jungen Leuten
und einer Aufbruchstimmung.
Die haben Hammer und Schüppe in die Hand genommen,
Schweißgerät und Maurerkelle,
und haben angefangen.
Die sind auf Arbeit gegangen,
und nach der Schicht haben die zu Hause weiter gemacht:
Ein Reihenhaus in Bremerhaven,
ein freistehendes Häuschen
–zum Beispiel– hier in der Wilhelm-Busch-Siedlung.
Und wenn das eigene zu Hause im Rohbau stand,
ging es weiter mit dem Bau der Kirche
oder dem Engagement in einem Chor oder Kreis.
In der Kirchengemeinde hat man Menschen getroffen,
die eine ähnliche Erfahrung hatten:
Die Flucht, der Neuanfang.
Und in einem neuen –und neu durchmischen!– Deutschland
fand man hier in einem gemeinsamen Glauben zueinander.
Dann kam eine neue Generation.
Das Leid der Flucht kannten sie nur aus Erzählungen.
Und die alte Heimat war ihnen fremd.
Bremen war schon immer ihre Heimat.
Der Glaube der Eltern
und ihre Kirchengemeinde
haben nach und nach ihre bindende Kraft verloren.
Während sich unter den Eltern
der Schlesier eine Schlesierin gesucht hat,
waren die Kinder alle Bremer.
Und unter den Bremern und Bremerinnen
gab es auch welche aus der Landeskirche
und Katholiken.
Und dann haben die festgestellt:
Das sind auch anständige Leute –
und haben sich eine Kirchengemeinde gesucht,
wo es gerade passt.
Das hat nichts mit bösem Willen zu tun,
das hat sich einfach so ergeben:
Viele der Eltern sitzen heute
ohne ihre Kinder
und ohne ihre Enkel in der Kirchenbank.
(2) „An den Wasserflüssen zu Babylon“
Liebe Brüder und Schwestern,
die Menschen,
zu denen der Prophet Jesaja
mit unserem Predigtwort gesprochen hat,
sind in einer ganz ähnlichen Situation.
Vierzig Jahre ist es her,
dass sie aus Palästina vertrieben worden sind
und sich in Babylon ansiedeln mussten.
Das waren fähige Leute.
Die Babylonier haben die geistige und handwerkliche Elite
der besiegten Völker mitgenommen.
Die mussten zwar den Schmerz überwinden,
- entwurzelt worden zu sein,
- die Heimat verloren zu haben,
aber natürlich haben die
Werkzeug in die Hand genommen
und sich ein neues Leben aufgebaut, in Babylon.
Und ganz ähnlich wie die Schlesier,
von denen ich gerade ein Bild gemalt habe,
war ihr Glaube und ihre Tradition
ein wichtiger, gemeinsamer Bezugspunkt.
In Babylon liegen die Ursprünge von dem,
was heute „Synagoge“ heißt.
„Zusammenkommen“ heißt dieses Wort,
zusammenkommen zum Gottesdienst,
sich versammeln um das Wort Gottes.
Auch unser Gottesdienst, hat noch diese Struktur.
Auch er hat seinen Ursprung
in diesen Vorformen der Synagoge in Babylon.
Doch nach vierzig Jahren Exil
hat eine junge Generation gefragt,
was sie mit dem Gott ihrer Väter noch anfangen soll.
- Hatten die Babylonischen Götter nicht den Krieg gewonnen?
Hatte sich Marduk nicht eindeutig als der stärkere erwiesen,
als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs? - Und abgesehen davon
ging es ihnen nicht schlecht in Babylon.
Also: wirtschaftlich. - Und der ein oder andere Israelische Handwerksgeselle wird festgestellt haben:
„Auch babylonische Mütter haben hübsche Töchter…“
Als es dann hieß:
„Wir haben bald eine Chance auf Rückkehr
nach Palästina und Galiläa!“
Da haben so manche jungen Leute mit den Schultern gezuckt:
„Was sollen wir da?
Jerusalem hat keine Stadtmauer mehr
und zerstört ist der Tempel“.
König David war lange tot
und der Glanz Salomos lange erloschen.
Die Könige,
die ihre Nachfahren waren,
waren mal mehr, mal weniger fähig.
Es gab keine wirkliche Chance,
das Israel als ein eigenes Land
mit einem „richtigen“ König aus Davids Haus
jemals wiederkommt.
Die Israeliten in Babylon fühlten sich doppelt gestraft:
- Sie waren von zu Hause entführt worden.
- Und ihr Zuhause gab es nur noch in einem ärmlichen Zustand, ohne Wohlstand, ohne Glanz, ohne König, ohne Macht.
(3) Gottes Bund mit David, Israel und mit uns
Vor dieser Gemeinde hält Jesaja eine regelrechte Erweckungspredigt!
Jes 55,1Wohlan, alle, die ihr durstig seid,
kommt her zum Wasser!
Und die ihr kein Geld habt,
kommt her,
kauft und eßt!
Kommt her
und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!
2Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist,
und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?
Hört doch auf mich,
so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.
3Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir!
Höret, so werdet ihr leben!
Liebe Brüder und Schwestern,
in diesen Worten steckt ein Widerspruch:
„kauft ohne Geld“
Was jetzt? „Kaufen“ oder „ohne Geld“?
Hier geht es um nicht weniger als die „Umwertung aller Werte“3: weder Geld noch Glanz noch Macht sind das Wesentliche im Leben,
sondern das Wort Gottes.
Gottes Segen erkennen wir nicht daran,
- wie reich unsere Gemeinde ist,
- wie sehr unsere Gemeinde auf Hochglanz poliert ist
- und ob wir es schaffen, genug Druck aufzubauen,
dass alle jungen Leute jeden Sonntag hier antreten,
sondern daran,
- dass Gottes Wort unter uns lebendig ist,
- dass es uns etwas zu sagen hat,
- dass es Trost spendet,
- und unseren Glauben stärkt.
Der Prophet hat aber noch mehr zu sagen:
Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen,
euch die beständigen Gnaden Davids zu geben.
4Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt,
zum Fürsten für sie und zum Gebieter.
5Siehe, du wirst Heiden rufen,
die du nicht kennst,
und Heiden, die dich nicht kennen,
werden zu dir laufen um des HERRN willen,
deines Gottes,
und des Heiligen Israels,
der dich herrlich gemacht hat.
Gott will mit den alten Israeliten einen Bund schließen,
wie er ihn mit David geschlossen hat.
Was ist das für ein Bund?
David hatte eine Beziehung zu Gott,
wie kaum je ein anderer Mensch.
Über Abraham sagt man, er sei ein „Freund“ Gottes gewesen.4
Zu David verhält Gott sich wie ein Vater zu seinem Sohn.5
Zum Beispiel: Als David als junger Mann
zu den Priestern von Nob kam,
haben er und seine Soldaten
die Schaubrote im Tempel gegessen.6
Das könnt ihr euch so vorstellen,
dass der Sohn nach Hause kommt,
und den Eltern von oben bis unten den Kühlschrank leerfuttert.
Ein Kind –zu Hause– darf das.
Und David durfte das bei Gott.
Selbst als David wirklich danebengegriffen hat,
stand seine Beziehung zu Gott nicht in Frage.
Er hat einem Mann die Frau genommen
und diesem Mann umbringen lassen.
Und die Bibel bemerkt dazu lakonisch:
Aber dem Herrn mißfiel die Tat,
die David getan hatte.7
Und David wird bestraft, – bitter bestraft!
Aber David sagt auch:
„Herr, sei mir Sünder gnädig!“8
Seine Beziehung zu Gott steht nicht in Frage.
Gott liebt ihn, selbst wenn ihm seine Sünde missfällt.
Und David liebt Gott
und wendet sich auch in der Tiefe seiner Schuld an ihn.
Das ist die Art von Beziehung,
die Gott mit jedem einzelnen haben möchte.
Über viele der Psalmen steht geschrieben:
„Ein Psalm Davids…“9
Es wird diskutiert, was das heißt:
- Hat David diesen Psalm geschrieben?
- Hat er Psalmen gesammelt und aufschreiben lassen?
- Oder haben spätere Abschreiber die Psalmen mit dieser Bezeichnung versehen?
Das sind Fragen der Literaturgeschichte.
Eines scheint mir ganz deutlich über die Psalmen:
Wer Psalmen betet, der möchte beten, wie David.
Wer Psalmen betet, der möchte wie David sagen:
„Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte,
und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit“.10
Und er möchte wie David singen:
„Alles was Odem hat,
lobe den Herrn“.11
Der Prophet Jesaja selbst verwendet oft und gerne eine Sprache, die an die Sprache der Psalmen erinnert.
Jesaja predigt wie einer,
zu dem Gott gesagt hat:
Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen,
euch die beständigen Gnaden Davids zu geben.
Es ist an dieser Stelle,
dass ein neuer Gedanke in Israel auftaucht.
Der Bund mit David
war eine Beziehung zwischen Gott und einem Einzelnen,
Gott und einem König.
Wie wird das der Bund und die Beziehung von vielen?
Es wird der Bund und die Beziehung von vielen,
indem Gott einen neuen König erweckt aus dem Hause Davids:
Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais,12
Davids Vater…
und er heißt Wunder-Rat,
Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.13
Dies wird ein König sein,
der für sein Volk steht
und sein Volk wird sich in ihm erkennen können.
Der Titel dieser König wird „der Gesalbte“ sein,
auf Hebräisch: der Messias.
Und er wird nicht wohlhabend
und strahlend
und mächtig sein.
Der Prophet Sacharja schreibt:14
Tochter Zion, freue dich sehr,
und du, Tochter Jerusalem, jauchze!
Siehe, dein König kommt zu dir,
ein Gerechter und ein Helfer,
arm
und reitet auf einem Esel,
auf einem Füllen der Eselin.
Nicht ein prächtiges Pferd wird er reiten,
keinen auf Hochglanz polierten Wagen fahren,
sondern ein Lasttier wird er reiten,
wie es ein normaler Mensch aus dem Volk hat.
Hosianna, Davids Sohn,
sei gesegnet deinem Volk!15
Das ist nicht aus der Bibel,
das ist aus dem Gesangbuch!
Und auch ohne, dass ich hier Weihnachtslieder zitiere,
hättet ihr gemerkt,
dass die Linien von Jesajas Predigt
bis zu Jesus Christus reichen.
Und über Jesus Christus
reichen sie bis zu uns.
Jesus war noch mal auf eine ganz andere Art und Weise
– wirklich! –
Sohn Gottes.
In ihm geht Gott noch einen Schritt weiter und schließt
einen „neuen Bund“16 mit uns, die wir an ihn glauben.
Gottes Wille zu Gnade und Annahme fließt über
und reicht über das auserwählte Volk hinaus.
Er schenkt auch uns „die beständigen Gnaden Davids“.
Auch wir haben eine Beziehung zu Gott,
wie David sie hatte.
Auch wir beten zu ihm in Psalmen!
Wir nennen Gott unseren „Vater“
und wissen uns als seine Kinder,
weil Jesus unser Bruder geworden ist.17
(4) Schluss
Liebe Brüder und Schwestern,
wenn Jesaja den Israeliten im Exil verheißt –
Siehe, du wirst Heiden rufen,
die du nicht kennst,
und Heiden, die dich nicht kennen,
werden zu dir laufen um des HERRN willen.
…dann fühle ich mich angesprochen.
Die Israeliten waren im Krieg geschlagen.
Sie wurde weggeführt in ein fremdes Land
und jeder musste denken,
dass der Gott der Babylonier
stärker ist als ihr Gott.
Selbst die jungen Leute werden sich gefragt haben,
was er denn noch taugt, der Gott ihrer Väter.
Doch wer hätte sich träumen lassen,
damals „an den Wasserflüssen zu Babylon“,18
dass einst an der Weser zu Bremen
Menschen nach genau diesem Gott fragen?
Wer hätte gedacht,
dass 2.500 Jahre später noch Menschen fragen nach den Worten ihres Propheten Jesaja?
Ich weiß nicht, was Gott vor hat
mit dieser Gemeinde,
mit diesen Gebäuden,
mit uns, die wir hier versammelt sind.
Doch ich bin ganz sicher,
dass Gottes Bund fest steht.
In Gottes Beziehung zu David war dieser Bund vorgezeichnet.
Jesaja hat den Israeliten von ihm gepredigt.
In Jesus Christus ist dieser Bund
ein Bund aller geworden,
die an ihn glauben.
Heb 13,8Jesus Christus
gestern
und heute
und derselbe –
in Ewigkeit.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!19 Amen.
Jes 55,1Wohlan, alle, die ihr durstig seid,
kommt her zum Wasser!
Und die ihr kein Geld habt,
kommt her,
kauft und eßt!
Kommt her
und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!
2Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist,
und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?
Hört doch auf mich,
so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.
3Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir!
Höret, so werdet ihr leben!
Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen,
euch die beständigen Gnaden Davids zu geben.
4Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt,
zum Fürsten für sie und zum Gebieter.
5Siehe, du wirst Heiden rufen,
die du nicht kennst,
und Heiden, die dich nicht kennen,
werden zu dir laufen um des HERRN willen,
deines Gottes,
und des Heiligen Israels,
der dich herrlich gemacht hat.
1 1.Kor 1,3
2 Bibeltext am Ende des Manuskriptes!
3 Nietzsche bezeichnete so den „Sklaven-Aufstand“, den Judentum und Christentum gegen die antike Kultur betrieben.
4 Jak 2,23 u.ö.
5 Vgl. Ps 2,7.
6 Vgl. 1.Sam 21.
7 2Sam 11,27
8 Nach Ps 51.
9 Ps 51,1 u.ö.
10 Ps 51,3 (diesmal als Zitat!)
11 Vgl. Ps 150.
12 Jes 11,1
13 Jes 9,5
14 Sach 9,9
15 ELKG 409,2
16 1.Kor 11,25
17 Vgl. Röm 8,29.
18 Ps 137
19 Phil 4,7
Weitere Predigten zu 1. So. n. Trinitatis:

Gottes kräftiges Wort
Jer 23,16–29,
1. So. n. Trinitatis
Jeremia und ich, ich und Jeremia. Was soll man predigen zu einem Propheten, der sagt: „Hört nicht auf die Worte der Prediger, die euch predigen, denn sie betrügen euch“?

Die Liebe ist zu uns gekommen
1.Joh 4,
1. So. n. Trinitatis
Gott spricht zu dir und er spricht zu dir persönlich. „Du bist ein getaufter Christenmensch, du bist ein geliebtes Kind Gottes!“ Das gilt dir, nicht einer Gruppe oder einem Kollektiv oder der Über-Seele. Aber dieses Wort ereignet sich durch einen anderen Menschen, in Beziehung und in Liebe.

Mitte und Grenze
Neh 7,72b–8,11,
1. So. n. Trinitatis
Diese Predigt behandelt eine beeindruckende Szene aus dem Buch Nehemia: Esra, der Preister und Schriftgelehrte, und der Statthalter Nehemia organisieren einen Wort-Gottesdienst für das Volk Israel um die Stadtmauer einzuweihen. Mehr…