16:44

Die Liebe ist zu uns gekommen
Predigt zu 1.Joh 4

120 1. So. n. Trinitatis, 11. Juni 2023, Frankfurt

Gott spricht zu dir und er spricht zu dir persönlich. „Du bist ein getaufter Christenmensch, du bist ein geliebtes Kind Gottes!“ Das gilt dir, nicht einer Gruppe oder einem Kollektiv oder der Über-Seele. Aber dieses Wort ereignet sich durch einen anderen Menschen, in Beziehung und in Liebe.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Mir fällt heute morgen zu,
uns die Epistel-Lesung auszulegen,
im 1. Johannesbrief, im 4. Kapitel.
Ich habe Verse aus dem Kapitel ausgewählt,
die uns etwas Zusammenhang liefern
und uns bestimmte Aspekte vor Augen führen.
Andere Aspekte spare ich mir für eine zukünftige Predigt auf.

Lasst uns beten:
Herr, Gott, himmlischer Vater,
sende deinen Heiligen Geist unter uns,
dass wir durch die Worte des Apostels erkennen,
wer Jesus Christus ist;
2
segne alles Reden und Hören. — Amen

(1)4,1Ihr Lieben,

glaubt nicht einem jeden Geist,
sondern prüft die Geister, ob sie von Gott sind;
denn es sind viele falsche Propheten ausgegangen in die Welt.
2Daran sollt ihr den Geist Gottes erkennen:
Ein jeder Geist, der bekennt,
dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist,
der ist von Gott;
3und ein jeder Geist,
der Jesus nicht bekennt,
der ist nicht von Gott.

O ha! – Da fährt der Johannes schweres Geschütz auf.

Es gibt anscheinend Menschen,
die vertreten eine andere Theologie als er.
Diese Lehre hält Johannes nicht nur für falsch,
sondern er hält sie für böse.

  • Johannes betont,
    dass Jesus „ins Fleisch“ gekommen sei.
    Seine Gegner haben wohl vertreten,
    dass es beim Glauben nicht um Jesu Leib,
    sondern um eine Art intellektueller Erkenntnis
    3 gehe.
  • Johannes betont,
    dass Gott zu uns hinabgekommen
    4 ist
    und wir davon wissen
    durch Verkündigung
    und Zeugnis
    5
    im Heiligen Geist.
    Seine Gegner haben wohl für sich in Anspruch genommen,
    Gott direkt geschaut zu haben
    6
    durch einen Aufstieg in den Himmel
    oder etwas Ähnliches. —

Emma und Frank wachsen ohne ihren Vater auf – 
jeweils auf andere Art.

Emmas Vater fährt auf Montage.
Er ist nur am Wochenende da, wenn überhaupt.
Manchmal sieht sie ihn 14 Tage am Stück nicht
und dann nur am Samstag.
Samstags schläft er viel.
Er verpasst wichtige Jahre im Leben seiner Kinder,
aber was soll er machen?
Das ist nun mal sein Beruf
und sie haben es nicht so dicke;
sie brauchen das Geld.

Frank hat seinen Vater nie kennengelernt.
Seine Eltern haben sich getrennt, als er ein Baby war.
Sie reden nicht miteinander.

Frank erzählt Emma in der Schule:

„Ich habe meinen Vater gesehen!“

„Ehrlich? Wie war er so?“

„Er sieht aus wie James Bond.
Er fährt einen schwarzen Geländewagen,
der ist kugelsicher und hat 300 PS“.

„Warum braucht er einen kugelsicheren Wagen?“

„Na, weil er doch Geheimagent ist…?“

An dieser Stelle merkt Frank,
dass das nicht so ganz glaubwürdig ist,
was er da erzählt.
Es entsteht eine peinliche Pause.
Nach einer Weile sagt er:

Ich habe geträumt von meinem Vater,
weißt du.

Liebe Gemeinde,
da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens.
Frank wünscht sich einen Vater
und in seinem Traum – oder Tagtraum –
hat er sich ein Bild von einem Vater selbst gemacht.
Dazu hat er die Farben und Elemente verwendet,
die ihm Kino und Fernsehen zur Verfügung stellen:

  • Souverän wie James Bond,
  • fährt er in seinem Batmobil durch die Gegend.
  • Er sucht einen jungen Robin,
    mit dem er zusammen für das Gute kämpft.

Manche Menschen haben intensive geistliche Erlebnisse.
Das Wunder geschieht,
dass Gott sich offenbart in Träumen und Visionen.
Doch diese Träume sind immer
unsere Träume.
Visionen können wir nur mit Farben und Elementen malen,
die wir schon kennen.
Deswegen stützen wir unseren Glauben nicht auf Visionen,
sondern wir stützen ihn auf Geschichte.

  • Wir glauben,
    dass Gott die Geschichte betreten hat in Jesus Christus, –
    nicht als Idee oder Erkenntnis,
    sondern als Mensch.
  • Und dieser Mensch Jesus Christus
    ist Teil deiner Lebensgeschichte.

Beides ist nicht voneinander zu trennen:
das ganz Große, die Schöpfung,
und dein persönliches Leben.

Gott kommt so zu uns, wie es zu uns passt. –
Wir müssen keine Voraussetzungen erfüllen.

  • Du musst nicht geistlich begabt sein.
  • Du musst nicht studiert sein.
  • Du musst nicht mal erwachsen sein
    oder sprechen können.
    Gott will bei allen Babies sein.
    Deswegen wird er selbst ein Baby
    und liegt an Weihnachten in den Windeln in einer Krippe.

Das ist eine der schönsten Geschichten der Welt
und sie ist Teil deiner Lebensgeschichte.

(2) Ich lese uns noch ein Stück aus dem Brief vor.
Johannes schreibt:

7Ihr Lieben,
lasst uns einander liebhaben;
denn die Liebe ist von Gott,
und wer liebt, der ist von Gott geboren
und kennt Gott.
8Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht;
denn Gott ist die Liebe. […]

12Niemand hat Gott jemals gesehen.
Wenn wir uns untereinander lieben,
so bleibt Gott in uns,
und seine Liebe ist in uns vollkommen. —

Als Emma und Frank geredet haben,
war gerade diese peinliche Pause entstanden.
Beiden war klar, dass er ein bisschen geflunkert hat.

Frank sagt:

Meine Mutter hat gestern erzählt,
dass mein Vater wieder überwiesen hat.

Dabei schaut er auf den Boden. –

Emma macht einen Schritt auf ihn zu
und nimmt ihn in den Arm. —

Niemand hat Gott jemals gesehen.
Gott hat in Christus die Geschichte betreten,
aber niemand von uns hat Christus im Fleisch jemals gesehen.
Der Glaube wurde uns vermittelt –
und zwar in Beziehungen.

Wir haben Mütter und Väter im Glauben,
die uns Christus bezeugt haben,
auf je eigene Art und Weise.

Das heißt nicht,
dass das immer einfach ist.
Beziehung ist
auch Arbeit.
Je näher man sich ist, desto eher verletzt man sich.
Das gilt in der Familie,
in Freundschaften
und – ganz selbstverständlich – gilt das in der Kirche auch.

So wie Gott den Weg eines Menschen gegangen ist,
so geht der Glaube den Weg der Liebe.

  • Angefangen von den Menschen,
    die uns ganz nahe sind,
    wie unsere Eltern und Freunden,
  • über die Menschen in der Kirche,
  • insbesondere die, die dazu berufen und gesegnet sind,
  • bis zu den Aposteln,
    die mit Jesus in Galiläa zusammen waren.

Das ist der Weg,
den Gott für den Glauben vorgesehen hat.
Dazu gibt er seinen Heiligen Geist.

Das Augsburger Bekenntnis formuliert:

Damit dieser Glaube entsteht,
hat Gott das Predigtamt eingesetzt,
das Evangelium und die Sakramente gegeben,
durch die als Mittel der Heilige Geist wirkt
und – wo und wann er will –
die Herzen tröstet
und Glauben gibt
denen, die das Evangelium hören,
das lehrt,
dass wir durch Christi Verdienst einen gnädigen Gott haben,
wenn wir das glauben.
7

Gott spricht zu dir
und er spricht zu dir persönlich.

Dir sind deine Sünden vergeben!

Du bist ein getaufter Christenmensch,
du bist ein geliebtes Kind Gottes!

Das gilt dir,
nicht einer Gruppe
oder einem Kollektiv
oder der Über-Seele.
Aber dieses Wort ereignet sich durch einen anderen Menschen,
in Beziehung
und einer Liebe.
Diese Liebe müssen wir nicht selber machen,
sondern sie kommt von Gott.

(3) Mit diesem Gedanken
lese ich uns noch einen dritten Abschnitt:

16bGott ist die Liebe;
und wer in der Liebe bleibt,
der bleibt in Gott und Gott in ihm.
17Darin ist die Liebe bei uns vollkommen,
dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts;
denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.
18Furcht ist nicht in der Liebe,
sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus;
denn die Furcht rechnet mit Strafe. […]

Emma und Frank lernen beide ein Instrument.

Emmas Mutter ist es wichtig,
dass sie eine klassische Ausbildung bekommt.
Die Klavierstunden sind teuer
und da soll ihre Tochter „richtige“ Musik lernen.
Emma muss viel üben.
Sie muss auch regelmäßig vorspielen,
wenn die Verwandtschaft zu einer Feier eingeladen ist.
Das findet Emma eine blöde Situation,
allein vorspielen zu müssen.

Du willst doch,
dass Papa sich freut –
und Oma und Opa.

So macht ihr die Mutter einen gewissen Druck.

Frank lernt Gitarre.
Er kriegt auch Einzelunterricht
und er spielt im Schulorchester mit.
Da geht er mit seiner Gitarre etwas unter.
Deswegen freut er sich,
wenn die Musiklehrerin für ihn Solopartien ’raussucht.
Frank träumt davon,
in einer Band zu spielen
und vor vielen Menschen aufzutreten.
Die Auftritte mit dem Schulorchester machen ihm Spaß,
besonders die Solos. —

Johannes schreibt,
wir hätten „Zuversicht am Tag des Gerichts“.
„Freimut“ könnte man auch übersetzen:
den Mumm haben zu sagen, wie es ist.

Wir stehen einst mit unserem ganzen Leben vor Gott.
Zuversicht haben wir dafür nicht,
weil wir so klug, fromm oder moralisch sind,
sondern weil Christus uns angenommen hat.

Ein Instrument zu lernen, ist anstrengend.
Man muss viel üben.
Man muss sich mit Musiktheorie auseinandersetzen.
Man muss mit einem gewissen Frust umgehen.
Da hilft schon mal ein bisschen Motivation von den Eltern.
Die können aber sehr unterschiedlich klingen:

Du musst üben,
sonst blamierst du dich!

Oder:

Je mehr du übst,
desto mehr Freude hast du an der Musik!

Menschen zu lieben ist anstrengend.
Beziehung ist Arbeit.
Da hilft schon mal das Wort des Apostels,
der schreibt:

Lasst uns einander liebhaben!

Die Motivation für diese Liebe
haben wir aus dem Guten, Positiven,
nicht, weil wir Angst vor Strafe haben,
sondern weil Christus uns zur Liebe bewegt.

Die Nächstenliebe fließt aus Gottes Liebe,
wie die Freude aus der Musik. – 
In unserem Leben
mag Musik etwas
- mit Disziplin und Üben zu tun haben,
- mit guten und mit schlechten Lehrern,
- mit liebevollen oder mit strengen Eltern.
Doch wenn aus der Musik Freude fließt, fließt sie immer direkt.

Glaube und Religion
können durchaus problematische Seiten haben,
aber wenn das Gute aus dem Glauben fließt,
dann fließt es immer direkt.
Da, wo das Gute gezwungen werden muss,
ist es nicht das Gute.
Wo Angst herrscht, steht Glaube in Frage.

(Schluss)
Liebe Gemeinde,
ich bin drei Schritte mit euch gegangen heute Morgen:
(1) Johannes ist es wichtig,
dass Christus Mensch geworden ist,
in der Geschichte,
die deine Geschichte ist.
(2) Ich habe drüber geredet,
dass wir Gott erleben in liebevollen, geistlichen Beziehungen,
(3) und dass Angst im Widerspruch zu Glauben steht.
Diese Linie zieht Johannes bis zum letzten Gericht.

Mir hat mal jemand gesagt,
im 1. Johannesbrief stehe nicht viel drin,
da ginge es nur um die Liebe. –
Aber was für eine Liebe!
Und was für ein Lobpreis unserem Herrn Jesus Christus,
der Mensch geworden ist für uns und zu unsrem Heil.
Er bleibe in uns
und leite uns mit seinem Geist und seiner Liebe
bis er wiederkommt in Herrlichkeit.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!8 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Nach 1.Joh 4,2


3 „Gnosis“. Das Wort ist aber schwierig und belegt und hat eine (Forschungs-) Geschichte, die ich hier nicht ausbreiten möchte.


4 Vgl. V 9f.


5 Vgl. V 14.


6 Vgl. V. 12.


7 ELKG² S. 1681.


8 Phil 4,7


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