15:41

Pferdophant
Predigt zu Apk 1,9–18

12 Letzter So. n. Epiphanias, 2. Februar 2020, Bremen, Tauferinnerung

Johannes schildert in unserem Abschnitt eine Vision, die er hatte. Er hat den himmlischen Jesus gesehen. Welch ein extatisches Erlebnis! Ich behaupte, Extase gibt es auch bei uns im Gottesdienst. Ernsthaft!

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist eine Vision des Sehers Johannes,
aufgeschrieben im 1. Kapitel der Offenbarung:

9Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse
- an der Bedrängnis
- und am Reich
- und an der Geduld in Jesus,
war auf der Insel, die Patmos heißt,
um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus.

10Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn
und hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune,
11die sprach:

Was du siehst, das schreibe in ein Buch
und sende es an die sieben Gemeinden:
nach Ephesus und nach Smyrna
und nach Pergamon und nach Thyatira
und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea.

12Und ich wandte mich um,
zu sehen nach der Stimme,
die mit mir redete.
Und als ich mich umwandte,
sah ich sieben goldene Leuchter
13und mitten unter den Leuchtern einen,
der war einem Menschensohn gleich,
angetan mit einem langen Gewand
und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel.

14Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle,
wie der Schnee,
und seine Augen wie eine Feuerflamme
15und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht,
und seine Stimme wie großes Wasserrauschen;
16und er hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand,
und aus seinem Munde ging ein scharfes,
zweischneidiges Schwert,
und sein Angesicht leuchtete,
wie die Sonne scheint in ihrer Macht.

17Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot;
und er legte seine rechte Hand auf mich und sprach zu mir:

Fürchte dich nicht!
Ich bin der Erste und der Letzte
18und der Lebendige.
Ich war tot,
und siehe, ich bin lebendig
von Ewigkeit zu Ewigkeit
und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.

Lasst uns beten:
Herr, du hast zu Johannes geredet mit mächtiger Stimme.
Wir bitten dich:
Rede nun zu uns durch das Wort der Predigt.
— Amen

Liebe Brüder und Schwestern,
dem Brixener Freskenmaler Leonhard war eine unmögliche Aufgabe gestellt: Er sollte einen Kriegselefanten malen.
Nur – wie sollte er im Tirol des 15. Jahrhunderts wissen,
wie ein Elefant aussieht?
Er kannte Beschreibung,
die die wesentlichen Fakten enthielt:
- Ein riesiges Tier,
- mit großen Ohren
- und einer Nase, die so lang ist,
dass sie auf den Boden reicht.

Diese Angaben sind alle richtig.
Doch Leonhard konnte nur von dem ausgehen,
was er kannte:
Er gab dem Elefanten den Körper eines Pferdes,
mit schlanken Beinen
und einem frisierten Schwanz.
Um die Exotik des dargestellten Wesens zu unterstreichen,
- malte er ihm die paarhufigen Füße einer Kuh,
- Ohren, die an die Flügel eines Drachen erinnern
- und einen langen Rüssel,
der weder einem Elefanten noch einem Schwein besonders schmeicheln würde.

Uns heute kommt diese Darstellung lächerlich vor.
Für die Zeitgenossen des Künstlers
war sie aber vollkommen in Ordnung.
Sie hatten ja auch noch nie einen Elefanten gesehen.
Ein „normaler Mensch“ im 15. Jahrhundert
hat im Grunde nie sein Dorf verlassen.
Ein Elefant ist für ihn etwas aus einer anderen Welt.
Ob der Elefant aus Afrika kommt,
oder von einem anderen Planeten,
das machte für die ersten Betrachter dieses Bildes
keinen Unterschied:
Beides ist unerreichbar und fremd.

Der Elefant ist für sie exotisch.
Das heißt:
- „fremd“,
- „von außerhalb der eigenen Welt“,
- „aus einer anderen Sphäre“.

Und das bedeutet euch:
Einer, der schon mal einen
echten Elefanten gesehen hat,
hat kaum eine Chance den Menschen zu Hause zu beschreiben,
wie ein Elefant wirklich aussieht.
Er wäre hilflos.
Und genau so hilflos ist Johannes,
wenn er uns seine Vision von Christus beschreiben will.

Johannes war auf der Insel Patmos.
Er war dort

um des Wortes Gottes willen und des Zeugnisses von Jesus.2

Diese Insel war eine Art Gefängnis.
Es wirkt, als hätte Johannes Ärger bekommen wegen seiner Predigt von Jesus.

Er ist verbannt auf diese Insel
und es ist Sonntag.
An dem Tag,
an dem sich die Christen in aller Welt den Gottesdienst feiern,
wird Johannes „vom Geist ergriffen“.
Gottesdienst und Extase gehören zusammen. —

Das klingt für uns im ersten Moment ein bisschen merkwürdig:
Extase bedeutet doch,

  • dass ich neben mir stehe,
  • das ich in Trance gerate
  • oder wenigstens dass ich große Gefühle habe.
  • Extase bedeutet,
    dass ich mir irgendwie überirdisch vorkomme.

Wenn das der Maßstab ist,
macht die lutherische Kirche etwas falsch.
Diese Veranstaltung hier scheint doch ungefähr so extatisch
wie das „literarische Quartett“.

Dagegen beschreibt Johannes seine Erfahrung
mit intensiven Bildern:

[Er sieht einen,]
der war einem Menschensohn gleich,

…nicht einfach ein Mensch,
aber erkennbar einem Menschen ähnlich.

…angetan mit einem langen Gewand
und gegürtet um die Brust mit einem goldenen Gürtel.

Der Gurt über der Brust mag an einen Priester erinnern,
das Gold an einen König. –
Dies ist ein wichtiger,
von Gott eingesetzter Mensch.

14Sein Haupt aber und sein Haar war weiß wie weiße Wolle,
wie der Schnee,
und seine Augen wie eine Feuerflamme
15und seine Füße wie Golderz, das im Ofen glüht,

Diese Beschreibung erinnert an Bilder aus
Superhelden-Filmen:
Batman und Iron-Man haben Lampen als Augen.
Der Blick von Superman ist wie ein Laser
und jeder Superheld hat perfekte Muskeln:
Mehr Mensch als ein Mensch.
3

Man merkt, wie Johannes sich abmüht,
etwas zu beschreiben, das in eine andere Sphäre gehört.
Wir können uns den himmlischen Jesus
genau so wenig vorstellen,
wie sich ein Bauer im 15. Jahrhundert
einen Elefanten vorstellen konnte.

Das zu sehen ist Extase.
Das ist etwas besonderes.
Wo soll das im Gottesdienst vorkommen?

Liebe Brüder und Schwestern,
das Wesentlich an Extase sind nicht die großen Gefühle
oder die aufregenden Show-Effekte.
„Extase“, von der Wortbedeutung her,
heißt, dass man außerhalb von sich steht,
außerhalb der gewohnten Sphäre –
und dafür in der Sphäre Gottes.

Hier im Gottesdienst spricht Gottes Wort mich an –
aus den Lesungen der Bibel.
Oder Gott spricht mich an durch die Predigt.
Da kann es passieren,
dass ich für den Bruchteil eines Momentes neben mir stehe.
– Extatisch –
Und ich sehe aus der Sphäre Gottes auf mich ’rüber.
Was sehe ich denn dann?
…dass ich ein Sünder bin!

Wenn ich mit den Augen meines Schöpfers auf mich blicke,
dann sehe ich,
- was ich bin
und was ich nicht bin,
- was ich tue
und was ich nicht tue.

Das hat nichts zu tun mit
- gesellschaftlichem „Normal“
- oder moralischen Ansprüchen,
sondern es ist die Durchbrechung
der Wiederkehr meiner immergleichen Ausflüchte
und Sachzwänge.

Wenn ein Mensch dich auf deine Fehler und Sünden anspricht,
kann das verletzend und demütigend sein.
Wenn
Gott dich auf deine Fehler und Sünden anspricht,
ist es schöpferisch und heilsam.

Das kann man erleben, …

  • wo Gottes Zuspruch einen Menschen dazu bringt,
    stark zu sein und zu tun, was nötig ist.
  • wo Gottes Vergebung einen Menschen dazu bringt,
    sich einen Fehler einzugestehen
    und Verantwortung zu übernehmen.
  • wo Gottes Liebe einen Menschen dazu bringt,
    Liebe weiterzugeben
    und andere anzunehmen,
    wie er angenommen worden ist.

Für Johannes war es wichtig und richtig,
eine Vision des Auferstandenen Jesus zu sehen,
weil sie mit dem Auftrag verbunden war,
den jungen christlichen Gemeinden zu schreiben.
In den folgenden Kapitel der Offenbarung
stehen Briefe an jede einzelne,
mit Ermahnung, Trost und Auferbauung.

Gott hat auch eine Vision für dich.
Sie mag nicht in so starke Bilder gekleidet sein,
aber es geschieht das Wunder,
dass Gott Menschen anspricht.
Er reißt dich heraus aus deinem gewohnten Trott.
Das gilt im Großen wie im Kleinen:
Sein Wort ist auch heute noch schöpferisch
und wirkt, was es sagt –
auch in deinem Leben.

Liebe Brüder und Schwestern,
als Johannes sich umwendet
und den Auferstandenen sieht,
fällt er hin „wie tot“.
Und Jesus streckt seine rechte Hand aus,
rührt ihn an und sagt:

Fürchte dich nicht.

Diese Berührung stärkt ihn
und die Worte nehmen ihm die Angst.

In diesem Gottesdienst begehen wir eine Tauferinnerung.
Ich werde euch gleich einladen,
nach vorne zu kommen
und euch die Hände auflegen zu lassen.
Dabei wird euch zugesprochen:

Du bist ein geliebtes Kind Gottes,
du bist ein getaufter Christ.

Es ist nur eine Kleinigkeit,
eine kleine Berührung,
ein einfaches Wort,
das dich an deine Taufe erinnern soll.
Die Taufe besteht auch aus Kleinigkeiten:
- ein bisschen Wasser,
- ein einfaches Wort,
und doch ist in ihr Gottes ganze Macht gegenwärtig.

Die Tauferinnerung ist ein Versuch,
einen Elefanten zu malen,
ohne je einen Elefanten gesehen zu haben:
- Er ist groß
- und er hat eine lange Nase, die bis zum Boden reicht.
Es ist sicher noch mehr zu sagen über Elefanten,
aber das ist, was ich sicher weiß.

Die Wirklichkeit Gottes ist für uns Menschen nicht zu fassen.
Aber das ist, was ich sicher weiß:
- Gottes Wort wirkt, was es sagt
- und in der Taufe hat er uns in die Hand genommen
und hält uns fest
als seinen geliebten Schatz.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!4 Amen.

1 1.Kor 1,3

Der Titel „Pferdofant“ ist entnommen dem hübschen Beitrag „Zwei Elefangen in Brixen“, https://www.wup.info/blogleser/zwei-elefanten-in-brixen.html.


2 Vers 9.


3More human than human”, is our motto. – “Eldon Tyrell”


4 Phil 4,7


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 1.8 MB)

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