Nicht allein der Mund
Predigt zu Lk 11,1–13
Ein Gebet ist wie ein Eisberg: Ein kleiner Teil ist sichtbar und hörbar, aber das Wichtige spielt sich unter der Oberfläche ab.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.
Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist aus dem Evangelium,
das wir gerade gehört haben.
Ich werde im Verlauf der Predigt einige Sätze wiederholen.
Lasst uns beten:
Herr Jesus Christus,
lehre uns hören,
damit deine Worte
tief in unser Herz sprechen.
— Amen
Liebe Brüder und Schwestern,
ein Jünger tritt zu Jesus und bittet ihn:
Herr, lehre uns beten.
Ich glaube, diese Frage ist so etwas wie ein Eisberg.
Bei einem Eisberg ist ein kleiner Teil sichtbar,
über dem Wasser.
Der größte Teil des Eisberges
ist aber unter der Wasseroberfläche,
nicht sichtbar.
Der sichtbare Teil der Frage
„Herr, lehre uns beten.“
zielt auf genau auf das,
was Jesus zur Antwort gibt:
konkrete Worte,
mit denen man beten kann.
Die Jünger haben das aufgesogen,
auswendig gelernt,
und auf diese Weise hat das Gebet Jesu
seinen Weg ins Neue Testament gefunden,
als es aufgeschrieben wurde.
Ich glaube aber,
die Bitte hat auch einen Teil unter der Wasseroberfläche.
Sie zielt auf etwas,
das man nicht sehen kann:
Beten ist Ausdruck und Feier von Beziehung.
- Wir beten nicht,
um Gott darüber zu informieren,
wie es uns geht.
→ Das weiß der schon. - Wir beten nicht,
um bei Gott Dinge zu bestellen,
von denen wir meinen, dass wir sie brauchen.
→ Dafür gibt es Amazon und eBay.
Wir beten zu Gott,
um ihm unser Herz zu öffnen,
denn wir wissen,
dass er sein Herz für uns geöffnet hat,
denn er ist einer von uns geworden
in seinem Sohn Jesus Christus.
Der Alte Mensch ist aber verschlossen
und gegen Gott
in sich selbst gekehrt.2
Wer Jesus bittet,
ihm das Beten zu lehren,
bittet ihn darum,
von dieser Verkrümmung geheilt zu werden.
Erst dann können wir Jesus richtig umarmen.
Das ist das Wichtige
und das Eigentliche am Gebet.
Die Worte haben ihren Wert,
aber sie sind nur an der Oberfläche.
Vater unser im Himmelreich, […]
gib, dass nicht bet allein der Mund,
hilf, dass es geht von Herzensgrund.
So dichtet Luther die erste Bitte des Vaterunsers nach.3
Einige meinen,
wenn sie beten,
müssten sie große Worte machen,
die besonders emotional oder ganz persönlich sind.
Andere meinen,
nur Gebete mit biblischen oder traditionellen Worten
seien „richtige“ Gebete.
Beides hat seine Zeit und seinen Ort.
Das Wichtige beim Gebet ist nicht,
was wir sagen,
sondern dass Gott hört.
Wenn wir uns zu viel Gedanken machen
über Worte und Gestaltung,
dann nehmen wir uns selbst zu wichtig.
Das bedeutet wahrscheinlich,
dass wir Gott nicht wichtig genug machen.
Jesus’ Gebet beginnt mit den Bitten:
Vater!
Dein Name werde geheiligt.
Dein Reich komme.
Ja, wir Menschen mögen Gottes Namen heiligen,
und Gott in unserem Leben wichtig machen,
der diesen Namen trägt.
Aber auch unter dieser Wasseroberfläche
menschlicher Benimmregeln
liegt eine größere, göttliche Wirklichkeit.
Gottes Name ist ein Versprechen,
ein Versprechen von Gott an uns Menschen.
Mose fragt Gott am Dornbusch:
Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme
und spreche zu ihnen:
„Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!“
und sie mir sagen werden:
„Wie ist sein Name?“,
was soll ich ihnen sagen?
Gott antwortet:
Ich werde sein,
der ich sein werde.
Und Gott sprach:
So sollst du zu den Israeliten sagen:
„Ich werde sein“,
der hat mich zu euch gesandt.4
In diesem „sein“ steckt viel.
Ich werde da sein.
könnte man übersetzen,
oder:
Ich werde mich erweisen,
als der ich mich erweisen werde.
In seinem Gespräch mit Mose
bezieht Gott sich zurück auf die Freundschaft,5
die er zu Abraham, Isaak und Jakob hatte.
So eine Beziehung will ich mit ihren Kindern auch haben!
Dieses Versprechen soll Moses den Israeliten verkündigen.
Die ganze biblische Geschichte
ist die Erfüllung dieses Versprechens.
Im Neuen Testament schreibt der Apostel an die Hebräer:
1Nachdem Gott vorzeiten
vielfach und auf vielerlei Weise
geredet hat zu den Vätern durch die Propheten,
2hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet
durch den Sohn.
- Das Versprechen
- und seine Erfüllung
laufen zu
auf Jesus Christus.
Und eben dieser Jesus lehrt uns beten:
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name…
Wir Menschen mögen Gottes Namen in Ehren halten.
Aber in dem Moment,
da wir das beten,
hat er seinen Namen an uns schon wahr gemacht.
Gott ist mit uns –
Immanuel6 –
und er zieht uns zu sich hin.
Durch Jesus’ Gebet in unserem Mund
kommt zum Ausdruck,
dass wir Gottes Kinder sind.
Gott nimmt an unserem Leben teil
und verändert uns mit seiner schöpferischen Kraft.
Auf diese Weise ist das Himmelreich schon da.
Das Himmelreich ist so nah herbeigekommen,
dass sich die Bitte
Dein Reich komme!
und die Wirklichkeit des Reiches
gegenseitig durchdringen.
Was ich mir hier vorstelle
ist wie der Eis-Film im Kino.
Am Ende der Werbung im Kino
kommt der Eis-Film.
Man sitzt im Kino und denkt sich:
Och Mensch,
ein Eis,
das wäre jetzt nicht schlecht!
Noch bevor der Eis-Film richtig vorbei ist,
geht hinten die Tür auf
und da steht einer mit ’nem Bauchladen
und verkauft dir Eis
zu überhöhten Preisen.
- Die Verheißung von Eis,
- der Wunsch nach Eis
- und die Erfüllung – Eis! – durchdringen sich.
Fast so ist diese Idee auch:
- Jesus ist in die Welt gekommen
- und weckt in uns den Wunsch,
dass Gott seinen Namen heilige
und sein Reich komme. - Aber Jesus selbst ist die Erfüllung.
In ihm ist die Verheißung der Propheten
in Erfüllung gegangen.
- Die Verheißung,
- der Gebet
- und die Erfüllung
durchdringen sich
und das macht etwas mit uns.
Beten ist Ausdruck und Feier von Beziehung
und in der Beziehung zu unserem Schöpfer werden wir neu.
Das Eis im Kino macht dich dick
und lenkt dich vom Hauptfilm ab.
Die Gemeinschaft mit Jesus
macht dich dem Menschen ähnlicher,
der du wirklich bist,
und ist Vorgeschmack für das Heil und die Seligkeit
in Gottes kommender Welt.
Die Tür7 steht offen
und Gott verschenkt sich selbst
aus seinem Reichtum
für dein Leben.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!8 Amen.
1 1.Kor 1,3
2 Vgl. Luther zu Röm 5,4 in diversen Zusammenhängen.
3 Vgl. ELKG² 611,1 „Vater unser im Himmelreich“.
4 Ex 3,14
5 Nur einen von den dreien, Abraham, nennt die Bibel ausdrücklich „Gottes Freund“, Judit 8,19.
6 Vgl. Mt 1,23: Der Name für den Sohn der Jungfrau nach dem Propheten Jesaja.
7 Jesus Christus sprich: „Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden.“ (Joh 10,9) – Hier geht es freilich nicht um Kino und Eis, sondern um Schafe und Ställe, aber die wenigsten meiner Zuhörer haben einen Bauernhof.
8 Phil 4,7
Weitere Predigten zu Rogate:
Fürbitte für alle in Christus
1.Tim 2,1–6,
Rogate
Unser Predigtabschnitt heute Morgen ist die Vorlage für die klassische Form der Fürbitten, wie sie sich in der Agende finden. Es ist dem Apostel wichtig, dass wir für alle Menschen beten, weil es nur eine Menschheit gibt, die von dem einen Gott geschaffen ist.
Ohne Zweifel beten
Lk 11,5–13,
Rogate
Es wundert mich immer wieder, dass Jesus lehrt, wie sollen beten in vollem Vertrauen darauf, dass sich erfüllt, worum wir bitten. Dabei stehen doch sowohl unsere Erfahrung als auch unsere Vernunft diesem Glauben gegenüber. Inwiefern macht es trotzdem Sinn zu beten, ohne zu zweifeln?