15:13

Fürbitte für alle in Christus
Predigt zu 1.Tim 2,1–6

115 Rogate, 14. Mai 2023, Frankfurt am Main

Unser Predigtabschnitt heute Morgen ist die Vorlage für die klassische Form der Fürbitten, wie sie sich in der Agende finden. Es ist dem Apostel wichtig, dass wir für alle Menschen beten, weil es nur eine Menschheit gibt, die von dem einen Gott geschaffen ist.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist aus dem 1. Brief an Timotheus im 2. Kapitel.
Der Apostel schreibt:

1So ermahne ich nun,
dass man vor allen Dingen tue
Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen,
2für die Könige und für alle Obrigkeit,
damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können
in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.

3Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland,
4welcher will,
dass allen Menschen erlöst
2 werden
und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

5Denn es ist ein Gott
und
ein Mittler zwischen Gott und den Menschen,
nämlich der Mensch Christus Jesus,
6der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung. –

Dies Zeugnis, jedem zu seiner Zeit:3
7Dafür bin ich eingesetzt als Prediger und Apostel –
ich sage die Wahrheit und lüge nicht –,
als Lehrer der Heiden im Glauben und in der Wahrheit.

Lasst uns beten: Herr, Gott, himmlischer Vater,
sende auf uns deinen Heiligen Geist,
damit das Schreiben an Timotheus
zu einem Brief an uns werde. — Amen

Liebe Gemeinde,

(Einleitung)
unser Predigtabschnitt heute Morgen
ist die Vorlage für die klassische Form der Fürbitten,
wie sie sich in der Agende finden.
Natürlich spiegelt sich in diesen Texten
eine geschichtliche Entwicklung.
Viele Menschen
zu unterschiedlichen Zeiten
haben ihre Gebete nach diesem Muster gerichtet
und das spiegelt sich in den Formen
und Anliegen,
die die Agende bietet.

In dieser Predigt werde ich einige Bemerkungen machen
zu unserem öffentlichen, gemeinsamen Gebet.
Wie die Fürbitten in der Agende
gliedere ich die Predigt in Kreisen
um eine gemeinsame Mitte:
(1) „Alle Menschen“,
(2) „Die Kirche“
(3) und „Du“.

(1) Alle Menschen

Alle Menschen sind Gottes Geschöpfe
und sein Ebenbild.
Auch, wenn wir Sünder sind,
ist ein vollständiger Abriss der Beziehung nie möglich.
Das ist wie bei unserem leiblichen Vater:
Auch, wenn wir ihn nicht kennen,
oder nichts mehr mit ihm zu tun haben,
ist er doch unser Vater.
Das änder nicht einmal der Tod.
4

Diese Verbindung in der Vertikalen,
zwischen Gott und uns,
schafft eine Verbindung in der Horziontalen,
zwischen uns und unserem Nächsten.
Alle Menschen sind Gottes Ebenbild.
Das bedeutet,
dass wir uns in jedem Menschen wiedererkennen können.

Erziehung und Kultur stehen dem manchmal im Weg.
Dann ist unser Blick getrübt
und wir können uns nur schwer wiedererkennen
in Menschen,
- die eine andere Hautfarbe haben,
- die eine andere Sprache oder Fahne haben.

Zum Glück ist Gott darin viel besser als wir.
Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden,
- nicht Mann,
- nicht Deutscher,
- nicht SELKie
- oder sonst irgendwie „normal“.
Von Gott aus gesehen
gibt es nur eine Menschheit,
nur eine Menschlichkeit,
genau so, wie es nur einen Gott gibt:

5Denn es ist ein Gott
und
ein Mittler zwischen Gott und den Menschen,
nämlich der Mensch Christus Jesus,
6der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.

Deswegen beten wir für alle Menschen.
Deswegen beten wir für unsere Regierung,
nicht für eine Partei. —

Meine Großtante war Jahrgang 1904.
Sie war während des 1. Weltkrieges ein Kind
und sie mussten in der Schule beten:

Gott strafe England!

Das hat sie mir als ein Erlebnis erzählt:
Ihr kam eines Tages eine Kolonne Kriegsgefangener entgegen
und da hatte sie die Erkenntnis:

Das sind ja Menschen!

Sie hatte ihr ganzes Leben
ein Misstrauen gegen die Kirche.
Und sie hatte recht:
Ein solches Gebet ist genau das Gegenteil von dem,
wozu uns der Apostel hier ermahnt. —

Wie beten wir für den Frieden in der Ukraine?
Unparteiisch sein ist einfach,
so lange es nicht unsere Soldaten sind,
die da kämpfen –
nur unsere Waffen.
Wie würdet ihr wollen,
dass wir hier in der Gemeinde für den Frieden beten,
wenn eure Söhne und Töchter
dort an der Front wären? —
Ich jedenfalls bin froh,
dass ich diese Gebete nicht schreiben muss.

Mann und Frau,
Freund und Feind,
Sünder und Gerechter:
Der Gnade Gottes bedürfen wir alle.
Deswegen beten wir für alle Menschen,
stellvertretend
und segnend.

Mit diesem Gedanken komme ich zum zweiten Abschnitt:

(2) Die Kirche

Der Apostel schreibt seine Mahnung an Timotheus
als einen Pastor.
Sie gilt also für die Gemeinde
und insbesondere für den Gottesdienst.
Als Gemeinschaft der Heiligen
sind wir herausgerufen aus der Welt,
durch die Taufe eingesenkt in Christus.
Wir Christen sind etwas Besonderes. – 
Und so wahr das ist,
so wahr ist auch,
dass wir noch ganz in der Welt sind,
wie alle anderen Menschen auch. —
Wir bedürfen der Gnade Gottes,
wie alle anderen Menschen auch.
Das Besondere ist also,
dass wir wissen,
dass wir gar nichts Besonderes sind.

Beispiele dafür gibt es aus dem Leben der Kirche genug,
im Großen und im Kleinen.
Die lutherische Kirche vertritt deswegen,
die Kirche sein nicht „rein“,
sondern eine Mischung aus Sündern und Gerechtfertigten.
Als solche kann die Kirche irren und bedarf der Korrektur.
Das gilt auch für alle kirchlichen Gremien und Ordnungen.

Wenn wir für die Kirche beten,
beten wir für alle,
die in ihr mitarbeiten.
Die Kirche besteht aus echten Menschen,
nicht perfekten, freischwebenden Geistwesen.
Wir beten, dass Gott uns sein Wort und Sakrament „erhalte“.
Da steckt drin,
das wir etwas besonderes haben und erleben,
hier im Gottesdienst.
Da steckt aber auch drin,
dass es nicht selbstverständlich ist,
sondern gefährdet.
Gottes Gnade ist eben
Gottes Gnade
und nicht unser Eigentum.

(3) Du

Als letzten Kreis möchte ich über die reden,
den einzelnen Christenmenschen,
der hier in der Kirche sitzt.
Die gleiche Spannung wie zwischen Gott und Mensch
trifft ja auch dich und mich.

Das Gebet hierfür ist das Rüstgebet:

Gott, sei mir Sünder gnädig.

Dieses Gebet sprechen wir nicht verzweifelt,
sondern im Glauben.

Rechnen wir mit Strafe, wenn wir so beten?
Mit Belohnung dafür,
dass wir uns derart erniedrigen?
Nein, mit beidem nicht.
Wir hoffen auf Neuschöpfung.

Gottes Reich,
seine neue Schöpfung,
ist in Christus zu uns gekommen.
Sie möge in uns wachsen
und sich durchsetzen,
schon jetzt, in dieser Welt. –
Wie das passiert
ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich.
Auch
wann das geschieht in deinem eigenen Leben
ist nicht gleich.

Deswegen kommt der Apostel zum Schluss
auf sein Amt zu sprechen.
Er schreibt:

[Das] Zeugnis [von Jesus Christus], jedem zu seiner Zeit:
7Dafür bin ich eingesetzt als Prediger und Apostel –
ich sage die Wahrheit und lüge nicht –,
als Lehrer der Heiden im Glauben und in der Wahrheit.

Von „Wahrheit“ und „Glauben“ ist hier die Rede.
„Wahrheit“ meint nicht
die Wahrheit einer mathematischen Gleichung:

a² + b² = c²

sondern die Art von Wahrheit,
die dich befreit.
Das macht etwas mit dir.

Der Glaube,
von dem hier die Rede ist,
ist nicht das Für-wahr-halten von Dogmen.
Glaube ist Vertrauen auf Gott.
Glaube macht etwas mit dir.

Ich muss an eine Situation denken:
Das war ein Lehrling im Betrieb
und er war richtig im Stress.
Hat hat zu viel gewollt
und zu viele Aufgaben übergeben bekommen.
Die Hälfte von dem,
was er anfasste
verfehlte ein Stück weit das Ziel.
Er war frustriert und wütend.

Da nahm in der Meister zur Seite
und sagt zu ihm:

Wer viel arbeitet,
macht auch viele Fehler.

Das ist natürlich wahr.
Das ist so ein Spruch,
der immer „wahr“ ist
und deswegen
an sich nichts sagt.
Aber in dem Moment
war das genau,
was der Lehrling hören musste.

Wer viel arbeitet,
macht auch viele Fehler.

Er konnte sich jetzt verzeihen,
dass bei all dem Stress
nicht alles 100%-ig perfekt lief.
Es hat ihn geerdet
und ihm sein Selbstvertrauen wiedergegeben.
Um so besser konnte er arbeiten.

Die Wahrheit von Jesus Christus ist so eine Wahrheit.
Der Meister hat dem Lehrling Selbstvertrauen zurückgegeben.
Die Verkündigung von Christus
gibt uns ein Gottvertrauen zurück,
das wir seit dem Paradies verloren haben.
Das ist die Botschaft des Apostels
und das ist die Botschaft der ganzen Kirche,
wenn sie Gottesdienst feiert,
wie wir es heute Morgen tun.

(Conclusio)
Liebe Gemeinde,
auf dem Gottesdienstblatt findet Ihr Überschriften
für die Abschnitte des Gottesdienstes.
Wir sind jetzt unter der Überschrift:

Verkündigung und Bekenntnis.

Oder mit anderen Worten:

Ansprache und Antwort

In und unter den Lesungen und auch der Predigt
spricht Gott uns an
und wirkt dieses Wunder in uns.
Er gibt uns unser Gottvertrauen zurück,
durch das,
was er sagt.

Wir antworten mit Gesang,
den Chorälen,
dem Halleluja,
und mit dem Bekenntnis:

Ich glaube an Gott;
ich glaube an Jesus Christus;
ich glaube an den Heiligen Geist.

Und wir antworten mit Gebet:
- für alle Menschen,
- für die Kirche
- und für uns selbst.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!5 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 σωθῆναι, das heißt natürlich auch „geholfen werde“, gemeint ist aber die geistliche Rettung, also die Erlösung. Hier trifft sich die deutsche Vokabel mit V. 6 ἀντίλυτρον, was sie im Original nicht tut. LUT84 will wohl einen Kurzschluss zur Allversöhnungslehre vermeiden.


3 Hier holpert etwas: 6ὁ δοὺς ἑαυτὸν ἀντίλυτρον ὑπὲρ πάντων, ⸂τὸ μαρτύριον⸃ καιροῖς ἰδίοις⸆. 7εἰς ὃ ἐτέθην⸃ ἐγὼ κῆρυξ … Der zweite Teil von V6 ist ungrammatisch. Das fanden die Abschreiber auch schon. ⸂ και μαρτυριον א* ¦ οὗ το μαρτυριον D* F G 104 ar (m) vgs; Ambst ¦ - A | ⸆ εδοθη D* F G it vgmss; Ambst In א hat eine Korrekturschicht ein „und“ davorgesetzt → irrelevant. Drei Majuskeln (u.a.) spezifizieren das Zeugnis genauer als bezogen auf Christus: „dessen Zeugnis…“. Dies ist aus dem Zusammenhang klar und NA28 bietet lectio brevior. In einer Majuskel, A, fehlt „das Zeugnis“ vollständig. Das kann man als authentisch erachten (lectio brevior) und würde dann Christi Erlösungswerk mit καιροῖς ἰδίοις qualifizieren. Gänige Auffassung ist, dass Christus sich genau einmal für alle gegeben hat, nicht jedem zu seiner eignen Zeit. Dies ist lectio difficilior. Man könnte freilich verstehen: Das Zeugnis von Christi Heilstat wird von Menschen unterschiedlich angenommen/für-wahr-genommen. Drei Majuskeln (u.a.) fügen am Schluss εδοθη ein „es wurde gegeben“. Dies trägt inhaltlich wenig aus.

Ich folge NA28, behalte τὸ μαρτύριον und es sinngemäß in den nächsten Vers zu ziehen, und das Reflexivpronomen sg. neutr. ὃ darauf zu beziehen, ähnlich ELB06.

Übersetzungen: ELB06 „[wovon] das Zeugnis zu seiner Zeit [verkündigt] werden sollte, 7wozu ich bestellt worden bin als Herold…“ – Hier sind in [] die textkritischen Varianten berücksichtigt, wie es scheint. KJV: “to be testified in due time. Whereunto I am ordained …“ – καιροῖς ἰδίοις ist unpersönlich gefasst. 


4 Vgl. FC 1, insb. BSELK S. 1332; auch: Kolb: „Die Konkordienformel“, Göttingen 2011, 88–91.


5 Phil 4,7