15:49

Der Sphinx’ Rätsel: eine Homilie
Predigt zu Pred 11,9–12,7

68 20. So. n. Trinitatis, 17. Oktober 2021, Frankfurt

Dieser Abschnitt der Bibel ließt sich, als wären es Chiffren oder Code. Was verbirgt sich hinter den Bildern? Das passende T-Shirt zu Predigt gibt es unter www.christkind.clothing

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Diese Predigt legt einen Abschnitt aus dem 11. und 12. Kapitel des Prediger-Buches aus.
Dieses Buch sammelt Lebensweisheiten
als Sprüche und Gedichte
wie sie ein weise König für sein Kind abfassen würde,
wenn es so langsam aus dem Haus geht.

Ich werde den Text abschnittsweise auslegen
und während der Predigt vortragen.

Lasst uns beten:
Herr, Gott, himmlischer Vater,
sende deinen Heiligen Geist mitten unter uns.
Durch ihn öffne unsere Ohren für deine Weisheit
und unser Herz für dein Evangelium. — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

so beginnt der Prediger unseren Abschnitt:

11,9So freue dich […] in deiner Jugend
und lass dein Herz guter Dinge sein in deinen jungen Tagen.

Tu, was dein Herz gelüstet
und deinen Augen gefällt;
aber wisse,
dass dich Gott um das alles vor Gericht ziehen wird.

10Lass den Unmut fern sein von deinem Herzen
und halte fern das Übel von deinem Leibe;
denn Kindheit und Jugend sind eitel.

Die Bibel ist das Buch des Lebens.
Und als Buch des Lebens weiß es uns auch dies zu sagen:

Carpe diem!
Pflücke den Tag!

So lange du jung bist,
lass es ruhig mal richtig krachen!

Vor einigen Jahren ging in den sozialen Medien
das Hashtag
#yolo um.

You only live once.
Man lebt nur einmal.

Viele junge Leute haben sich gesagt:

Ich investiere in Erlebnisse, Reisen und Beziehungen,
nicht in tote Gegenstände.

Man lebt nur einmal –
und das letzte Hemd hat keine Taschen.

Der Prediger würde diese Haltung begrüßen, denke ich.
Doch der weise Vater,
der sein Kind auf dem Weg zum Erwachsen-Werden begleitet,
zieht eine Grenze ein:

Wisse,
dass dich Gott um das alles vor Gericht ziehen wird.

10Halte fern das Übel von deinem Leibe;
denn Kindheit und Jugend sind eitel.

Die Grenze der persönlichen Freiheit
ist das Wohl der anderen –
und auch dein Wohl.

Ausschweifungen mit Drogen oder Sex gehen da nicht.
Die Jugend ist vergänglich, „eitel“.
Du wirst zur Rechenschaft gezogen für das,
was du tust.
Wer es in seiner Jugend Alkohol und Drogen übertreibt,
spürt das im Alter.
Das war in der Antike nicht anders als heute.

Das Prediger warnt sein Kind davor
mit Blick auf das Gericht Gottes.
Statt
#yolo – du lebst nur einmal
sagt er
#yolf – du lebst „nur“ für immer.
Die Frage ist, ob du dir ewiges Gericht
oder ewige Geborgenheit zuziehst.
So gesehen ist hier
#yolf hier
der erhobene Zeigefinger des Predigers.

Ein Freund von mir vertreibt T-Shirts mit dem Hashtag #yolf
als christliche Antwort auf
#yolo.
Ihr habt das bestimmt schon mal bei mir gesehen.
Ich trage das allerdings nicht als erhobenen Zeigefinger.
Dazu komme ich am Ende der Predigt.

Der Prediger fährt fort
und erinnert sein gerade erwachsenes Kind daran,
was ihm bevorsteht.
Er tut das in Bildern.
Die sind fast wir Chiffren oder wie Code.
Ich werde das Stück für Stück vortragen
und ich werde Pausen machen,
so dass sich alle überlegen können,
was das wohl bedeutet.

Der Prediger beginnt und schreibt:

12,1Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend,
ehe die bösen Tage kommen
und die Jahre sich nahen,
da du wirst sagen: „Sie gefallen mir nicht“;

2ehe die Sonne und das Licht,
Mond und Sterne finster werden
und Wolken wiederkommen nach dem Regen,

Der macht keine Werbung für das hohe Alter,
würde ich sagen.

„Alt werden ist nichts für Weicheier“,
habe ich mir mal sagen lassen.

Das Altern hat man früher
vielleicht sogar stärker gespürt als heute.
Die Medizin war ja noch nicht so weit wie jetzt.

Der Prediger schreibt,
das sei…

3zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern
und die Starken sich krümmen

Wer sind die Hüter des Hauses?
Und wer sind die Starken?

Ich würde doch sagen,
das sind die Hände, die zittern
und die Beine, die krumm geworden sind… 
oder der Rücken.

Im Deutschen hat man sich „krumm gemacht“,
wenn man ein Leben lang viel gearbeitet hat.
„Die Starken“ sind aber mindestens zwei
und deshalb würde ich vermuten, es meint die Beine.

Und es geht weiter mit:

und müßig stehen die Müllerinnen,
weil es so wenige geworden sind,

Wer sind wohl die Müllerinnen,
die untätig herumstehen?

Das ist geschrieben vor der Erfindung der Brücke
und der Implantate
und des Gebisses.
Wenn dann ein Zahn „durch“ war,
kam da nichts nach.
Der konnte nicht mehr „mahlen“
und die „Müllerinnen… stehen müßig“
weil sie keine Gegenspieler mehr haben.

und wenn finster werden, die durch die Fenster sehen,
4und wenn die Türen an der Gasse sich schließen,
dass die Stimme der Mühle leiser wird,
und wenn sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt,
und alle Töchter des Gesanges sich neigen;

Hörgeräte und Brillen waren auch noch nicht erfunden:
Die Augen, die durch die „Fenster“ ihrer Höhlen schauen,
werden finster.
Die Ohren werden schlechter,
so dass alles dumpfer
und insbesondere kann man nicht mehr verstehen,
wenn andere Menschen reden.
Die „Mühle“, wo die „Müllerinnen“ von gerade noch arbeiten,
bei den jüngeren Leuten zumindest,
wird leiser.
Es ist nicht mehr so einfach,
einer Konversation zu folgen
und an einem Gespräch teilzunehmen.
Für viele ältere Menschen
ist Einsamkeit ein Thema.

5wenn man vor Höhen sich fürchtet
und sich ängstigt auf dem Wege,

Meine Oma hat sich noch mit 70 ein Bein gebrochen.
Danach war sie auf allen Wegen deutlich vorsichtiger.
Als Kind habe ich das nicht verstanden.
Heute weiß ich,
wie sehr ihr das klar gemacht haben muss,
dass sie älter geworden ist:

man ängstigt sich auf dem Wege…

Zum Schluss umschreibt der Prediger
das Leben des Menschen so:

wenn der Mandelbaum blüht
und die Heuschrecke sich belädt
und die Kaper aufbricht;

Der Frühling ist kurz, in dem der Mandelbaum blüht.

Mit den „Kapern“ ist genau das gemeint,
das man aus den Königsberger Klopsen weglässt,
wenn man es nicht mag.
Dieses Gewürz wird im Mittelmeerraum schon seit Jahrtausenden angebaut
und fast genau so verwendet,
wie noch heute:
In Öl oder Salzlake eingelegt.
2

Was will uns das hier sagen?
Die Kaper ist eine Blüte
und sie geht nur von Morgens bis Mittags auf.
Das Blühen der Kaper ist schnell vorbei – 
wie der Frühling,
wie die Jugend des Menschen.

Der Prediger schreibt weiter:

denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt,
und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; –

Das ist eine Beerdigung.
„Klageleute“, bezahltes Personal, das laute Totenklage hält,
gehörte damals zu einer Beerdigung,
wie die dunkel angezogenen Sargträger,
die die Bestattungsunternehmen heute anstellen.

Danach folgen diese Bilder:

6ehe der silberne Strick zerreißt
und die goldene Schale zerbricht
und der Eimer zerschellt an der Quelle
und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt.

7Denn der Staub muß wieder zur Erde kommen,
wie er gewesen ist,
und der Geist wieder zu Gott,
der ihn gegeben hat.

Die Bibel ist das Buch des Lebens –
deswegen redet sie auch über den Tod.
Der Tod gehört zum Leben dazu:
Der silberne Strick wird zerreißen
und die goldene Schale zerbrechen
und der Löffel wird abgegeben.
Es ist unausweichlich,
da kommt keiner drumherum.
So hat Gott es geordnet.
Alle seine Geschöpfe sind sterblich.

Aber du bist nicht irgendein Geschöpf.
Du bist ein Mensch.
Der Mensch ist das einzige Geschöpf,
das Gott zu seinem Ebenbild
3 gemacht hat.
Trotz der kurzen Zeit,
trotz des Alters,
trotz der Sterblichkeit
erachtet Gott dich für wertvoll – 
so wertvoll,
dass er sich selbst an deine Stelle stellt
und seinen Sohn für dich gibt.

Die Evangelien erzählen Jesus’ Leben so,
dass sein Tod unausweichlich ist.
Die Propheten haben es vorausgesagt
und die Schrift bezeugt es.
4

Als Petrus das nicht hören will,
nennt Jesus ihn „Satan“.
5
Selbst als Jesus in Gezemaneh Angst und Zähneklappern leidet,
wird dieser Kelch ihm nicht erspart.
6
Es führt kein Weg daran vorbei.
Für Jesus ist sein Tod genau so unausweichlich wie für uns.
7
Genau wie bei uns gehört für sein Tod zum Leben dazu.
Hier sehen wir, dass Christus ganz Mensch ist.

Im Glaubensbekenntnis sagen wir:

Christus ist gestorben…
und hinabgestiegen in das Reich des Todes.

Das heißt:
Auch in
dieser Hinsicht
ist Jesus ein richtiger Mensch,
genau wie du und ich.

Gott hat in Christus den Menschen angenommen
mit Geist, Seele, Leib –
und mit Tod.

Christus hat uns angenommen,
unsere Sünde und unseren Tod auf sich genommen –
und weil er Gott ist –
überwunden.

Wir sind mit ihm verbunden.
Christus stirbt für uns
und wir werden mit Christus auferstehen.

Deswegen trage ich auch mein #yolf-Shirt so gerne:
Es ist ein Bekenntnis.
#yolo, man lebt nur einmal:
Das ist mir zu kurz gegriffen.

Man lebt nur einmal, schon klar,
aber in mein Leben ist Jesus getreten
und er hat es angenommen
mit allem, was dazugehört.

Mein Leben ist wertvoll in den Augen Gottes – 
sicherlich nicht perfekt!
aber wertvoll. – Es ist der Rettung wert.

Ein alter Mann hat mir mal gesagt,
ja, das sei schon nicht so leicht mit dem älter werden,
aber das Licht wird wärmer.
Wenn er die Tage von seiner Geburt an zählt,
wird er immer älter.
Er würde viel lieber andersrum zählen.
Er denkt sich:
Von Jesus aus gesehen werde ich immer jünger. — Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!8 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Weiß ich aus der Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Echter_Kapernstrauch


3 Vgl Gen 1,27.


4 Vgl. Röm 1,2 und Lk 24,27.


5 Vgl. Mk 8,33.


6 Vgl. Mt 26,39.


7Cf. “tragedy” in J.A. Cuddon: „Dictionary of Literary Terms and Literary Theory“, 3rd ed. 1992, p. 983ff. My representation of tragedy is crude at best, I know, but this is not a talk on literary history of theory. Interestingly, Cuddon observes in his article: “On the plane of reality, the life and death of Christ have all the basic traditional elements of tragedy – especially inevitability. His death was foreseen and forecast, and was a ’foregone conclusion’. And even Christ was very nearly without hope. His cry of agony and despair from the Cross was the final proof, so to speak, of the authenticity of his human nature“.


8 Phil 4,7


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