14:44

Der Tod zum Leben
Predigt zu Joh 12,20–24

51 Lätare, 14. März 2021, Bremen

Wir folgen den „Griechen“ aus unserem Predigtabschnitt und hören, wie sie sich überlegen: Was bedeutet das für mich, dass Jesus sagt, der Menschensohn müsse verherrlicht werden? Und was hat es mit dem Korn auf sich, dass in der Erde sterben muss?

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist der Anfang des Evangeliums,
so, wie wir es gerade gehört haben.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Brüder und Schwestern!

(1) Der Johannes-Evangelist macht es richtig spannend.
Wir gehen heute Morgen in Gedanken zum Passah-Fest
hinauf nach Jerusalem.

Wenn wir uns das Evangelium als Filmsequenz vorstellen,
müssen wir uns lange Einstellungen denken,
die uns die Atmosphäre des Festes in Jerusalem zeigen.
Wir begleiten die „Griechen“ über viele Schritte,
bis sie dort ankommen, wo Jesus ist.

Dann reden sie erst mit Philippus.
Die Kamera verweilt auf seinem Gesicht
und wir sehen seine Überraschung.
Während Philippus sich aufmacht um mit Andreas zu reden,
wird die Musik immer intensiver.
Andreas und Philippus zusammen gehen zu Jesus.
Sie finden Jesus.
Wir sehen Jesus’ Gesicht in Großaufnahme.
Plötzlich hört die Musik auf.
In die Stille hinein sagt Jesus:

Die Zeit ist gekommen,
dass der Menschensohn verherrlicht werde.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
Wenn das Weizenkorn
nicht in die Erde fällt
und erstirbt,
bleibt es allein;
wenn es aber erstirbt,
bringt es viel Frucht.

So gesehen ist es eine sehr beeindruckende Szene.
Sie macht die Worte Jesu richtig wichtig.

Eine Sache wundert mich aber:
Es ist so, als würde ein ganzes Stück von Film fehlen.
Wir wissen nämlich überhaupt nicht,
zu wem genau Jesus das sagt.

  • Sagt er das mehr-so zu sich selbst,
    weil er in Gedanken war,
    als die beiden Jüngern zu ihm kommen?
  • Sagt er es zu Philippus und Andreas?
  • Sagt er es den beiden Jüngern als Wort für die „Griechen“?
    Mit einem schönen Gruß?

Ich glaube, der Evangelist Johannes macht das absichtlich.
Er lässt weg, wem Jesus das genau sagt,
damit wir uns ganz auf Jesus konzentrieren.
Er zeigt uns Jesus (sozusagen) in Großaufnahme,
weil Jesus das
uns sagt:

Die Zeit ist gekommen,
dass der Menschensohn verherrlicht werde.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
Wenn das Weizenkorn
nicht in die Erde fällt
und erstirbt,
bleibt es allein;
wenn es aber erstirbt,
bringt es viel Frucht.

(2) Ich möchte diese kleine Szene
ein bisschen weiterspinnen.
Ich stelle mir vor,
wie sie am Lagerfeuer sitzen,
Philippus und Andreas
und dazu eine kleine Gruppe von (sagen wir) drei „Griechen“.
Sie sitzen zusammen und überlegen,
was diese Worte zu bedeuten haben.
Sie überlegen, was das
für sie bedeuten,
was Jesus da gesagt hat.

Der erste sagt:

„Menschensohn“, das sind wir ja alle.
Die Frauen auch, natürlich.
Das ist ja Hebräisch
und man könnte das auch als „Menschenkind“ übersetzen.

Denn im Leben von jedem Menschen gibt es Momente,
da wird man jemand neues.
Man lässt ein altes Ich hinter sich
und wird ein anderer Mensch –
für einen selbst und auch für die anderen.

Ich selbst zum Beispiel habe gerade eine Familie gegründet.
Der Junggeselle, der ich mal war, der ist quasi tot.
Bis in die Puppen mit den Freunden abhängen
und einen trinken – das geht nicht mehr!
Ich hab jetzt Verantwortung.

Und nicht mehr nur für mich alleine,
sondern wir sind jetzt zu zweit
und bald auch zu dritt –
und dann mal gucken!

Da ergreift die einzige Frau in der Runde das Wort.

Also ich habe das etwas anders verstanden,

sagt sie.

Vor einigen Jahren ist mein Mann gestorben.
Dann sind auch unsere Kinder krank geworden.
Ich bin alleine übrig geblieben.

Ich habe mir sehr gewünscht,
die Frau eines guten Mannes zu sein
und die Mutter seiner Kinder.

Ich habe meinen Traum
buchstäblich zu Grabe tragen müssen.
Das war ganz schön schwer für mich.

Das ist ein Schicksal,
das sehr typisch war für Frauen in der Antike.

Die Frau aus unserer Gruppe erzählt weiter.
Sie sagt:

Es war schwer für mich,
aber die Familie von meinem Mann hat mich aufgenommen.
Ich habe eine neue Rolle bekommen.
Ich kümmere mich jetzt mit um die Alten
und unterstütze meine Schwägerin bei ihren Kindern.
Ich bin natürlich nicht so angesehen wie sie,
aber ich bin versorgt.
Vielen Witwen geht es viel schlechter.
Ich habe meinen Frieden gemacht mit dem,
wie es gekommen ist.

Nach einer Weile bemerkt der jüngere Mann,
der zuerst geredet hat:

Das ist gar nicht so viel anders von dem,
was ich gemeint habe.
Du hast auch eine alte Rolle hinter dir gelassen
und eine neue gefunden.

Sie antwortet:

Ja, aber nicht durch neues Leben, sondern durch Tot.
Und ich habe mir das nicht ausgesucht,
sondern es ist einfach passiert.

Da sagt er:

Es tut mir leid,
dass dein Mann und deine Kinder gestorben sind!

Alle schweigen eine Weile.
Dann fragt er:

Bist du ganz allein?

Nein,

sagt sie,

ich lebe mit der Familie von meinem Schwager.
Ich habe ihn und seine Kinder noch mal ganz anders kennengelernt. Das ist meine neue Gemeinschaft.

Als letzter von den Griechen ergreift ein älterer Herr das Wort.

Er sagt:

Ich habe das so verstanden mit dem Korn,
das in die Erde fällt,
dass man wissen muss,
wann seine Zeit gekommen ist.

Ich bin jetzt alt.
Mein Sohn ist jetzt an der Reihe.
Ich bin das Weizenkorn,
er ist der Spross.
Ich muss ihm den Betrieb überlassen.
Da bin ich nicht weltfremd:
Wenn ich mich nicht zurückziehe,
gibt es nur Streit.

Ich bin zwar noch nicht tot,
aber ich bin auch nicht mehr der Macher.
Das ist jetzt für mich dran,
dass ich mich auf’s Altenteil zurückziehe.

Man merkt dem Alten deutlich an,
dass er genau weiß, dass er recht hat.
Aber das heißt aber noch lange nicht,
dass ihm das leicht fällt.

Phillipus und Andreas haben sich das geduldig angehört.
Bevor jetzt aber noch jemand seine Lebensgeschichte
zum Besten gibt,
greifen sie in das Gespräch ein.
Sie erklären, dass „Menschensohn“ ein Wort ist,
das in der Heiligen Schrift vorkommt.
Es seien zum Teil sehr geheimnisvolle Dinge,
die da gesagt würden.
Der Menschensohn, das sei jemand wie Adam;
einer, der der Mensch an sich ist
und mit dem jeder Mensch etwas zu tun hat.

Die Jünger sagen:

Jesus lehrt über den Menschensohn,
dass er etwas mit dem leidenden Gottesknecht zu tun hat.
Einige von uns hier glauben,
dass er von sich selbst redet.

Die Griechen fragen: „Wie, von sich selbst?“

Ja, also da sind wir uns auch nicht so ganz sicher.
Jesus macht immer wieder solche Anspielungen.
Wir wissen nur:
Es dauert nicht mehr lange,
dann wird etwas passieren.
Himmel und Erde werden sich berühren.

(3) Liebe Gemeinde,
wir wissen natürlich, was Jesus bevorsteht.
Jesus Ankündigungen beziehen sich auf das Kreuz.
Am Kreuz hat sich der Himmel geöffnet
und Gott hat die Menschen mit sich versöhnt.
Das haben die Propheten geweissagt.

In der kleinen Szene, die ich uns ausgemalt habe,
habe ich den beiden Jüngern
die
himmlische Seite in den Mund gelegt.
Dafür waren die Griechen ganz bei sich
und unserem Leben
hier in der Welt.

In Jesus Christus berühren sich diese beiden Pole:
Gott und Mensch,
Himmel und Erde.

Wenn Jesus davon redet,
dass der Menschensohn verherrlicht wird,
dann ist das nicht einfach ein vergangenes Ereignis.
In unserem Leben vollziehen wir den Tod zum Leben nach.

In jedem Lebensabschnitt,
- in jedem Jahr,
- in jeder Woche
lassen wir ein altes Ich zurück
und werden ein Stückchen neu.

Das Weizenkorn,
das in die Erde fällt und stirbt,
bringt viel Frucht.

In diesem Werden und Vergehen
ist Jesus bei uns.

Für mich persönlich wird das besonders deutlich beim Abendmahl.
Das Abendmahl ist ein kleiner Tod
und eine kleine Auferstehung.
Der, der durch Karfreitag und Ostern gegangen ist,
kommt zu mir.
Jesus geht meinen Weg mit mir.
Seine Kraft zu leben
formt mein neues Ich. – Das ist meine Hoffnung.

Wir sagen:

Das Abendmahl stärke deinen Glauben
zum ewigen Leben.

Das stimmt.
Das ewige Leben fängt im Glauben
schon im vergänglichen Leben an.
Immer, wenn wir ein Stück neu werden,
können wir es deutlich spüren.

Jesus hat den Tod der alten Schöpfung
auf sich genommen.
In ihm ist uns das Leben der neuen Schöpfung ganz nah!

Dieses Jesus geht mit dir auf deinem Lebensweg.

  • Wenn du einen neuen Lebensabschnitt anfängst
    ist er bei dir mit seinem Segen.
  • Wenn du mal einen Traum begraben musst,
    steht er dir zur Seite mit seinem Trost.
  • Wenn du dich dich dereinst zur Ruhe legst,
    nimmt er dich an die Hand
    und geht mit dir – 
    bis zum Schluss
    und darüber hinaus.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!3 Amen.

Predigtabschnitt Joh 12,20–24

20Es waren aber einige Griechen unter denen,
die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest.
21Die traten zu Philippus,
der von Betsaida aus Galiläa war,
und baten ihn und sprachen:

Herr, wir wollten Jesus gerne sehen.

22Philippus kommt und sagt es Andreas,
und Philippus und Andreas sagen’s Jesus weiter.
23Jesus aber antwortete ihnen und sprach:

Die Zeit ist gekommen,
dass der Menschensohn verherrlicht werde.
24Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
Wenn das Weizenkorn
nicht in die Erde fällt
und erstirbt,
bleibt es allein;
wenn es aber erstirbt,
bringt es viel Frucht.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Phil 4,7


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Die Verleumdung des Petrus’
Lk 22,54–62, Lätare

Ist Petrus gescheitert? Hat Petrus die Prüfung bestanden? Warum weint Petrus?

Predigt aus dem Video-Gottesdienst
Gastprediger: Pfarrvikar Simon Volkmar, Jes 54,7–10, Lätare

Dies ist das erste mal, dass wir einen Gast-Prediger hören. Pfarrvikar Simon Volkmar aus Hermannsburg hat mit mir seine Predigt aus dem Video-Gottesdienst des Kirchenbezirkes Niedersachsen-West zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!