11:44

Gott kommt in unsere Zweideutigkeit
Predigt zu 2.Kor 1,18–22

5 4. Advent, 22. Dezember 2019, Pella-Gemeinde, Farven, und St. Matthäus Gem., Stade

Jesus Christus
 ist nicht „Ja“ und „Nein“ zugleich,
 sondern in ihm ist Gottes ganzes „Ja“ zu uns. Das ist eine starke Zusage! Aber sind wir Christenmenschen sind Sünder und Gerechtfertigte gleichzeitig.
 Gilt dieses „Ja“ in Christus nur für mich als Gerechtfertigten?
 Was ist mit mir, dem „alten Menschen“?

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist aus dem 2. Brief des Paulus an die Korinther im 1. Kapitel:

18So wahr Gott treu ist:2
unser Wort an euch ist
nicht „Ja“ und „Nein“ zugleich.
19Denn der Sohn Gottes,
Jesus Christus,
der unter euch durch uns gepredigt worden ist,
durch mich und Silvanus und Timotheus,
der war [auch] nicht „Ja“ und „Nein“,
sondern es war „Ja“ in ihm.
20Denn auf alle Verheißungen Gottes ist in ihm das „Ja“!
Darum sprechen wir auch durch ihn das Amen,
Gott zum Lobe.

21Gott ist’s aber, der uns fest macht
– zusammen mit euch – in Christus.
Er hat uns gesalbt
22und versiegelt.
Und er hat in unsere Herzen den Geist gegeben als Unterpfand.

Lasst uns beten: Herr, Gott, himmlischer Vater,
sende uns seinen Heiligen Geist,
damit Paulus’ Brief nach Korinth
zu einem Brief an uns werde. — Amen

Liebe Brüder in Christus,
liebe Schwestern im Herrn!

a) Simul iustus et peccator

Jesus Christus
ist
nicht „Ja“ und „Nein“ zugleich,
sondern in ihm ist Gottes ganzes „Ja“ zu uns.

Das ist eine starke Zusage!

Aber sind wir Christenmenschen sind Sünder und Gerechtfertigte gleichzeitig.
Gilt dieses „Ja“ in Christus nur für mich als Gerechtfertigten?
Was ist mit mir, dem „alten Menschen“?

Und dies ist nicht eine theoretische Überlegung
für den theologischen Elfenbeinturm.
Wenn wir den Gottesdienst beginnen mit dem Rüstgebet:

Gott sei mir Sünder gnädig…

Dann fallen mir immer Dinge aus der letzten Woche ein,
die in diese Kategorie gehören.

  • Große Dinge und kleine Dinge,
  • Dinge, die zwar moralisch unbedenklich scheinen,
    aber zwischen Gott und mir ein Problem sind.

Christus’ „Ja“ zu mir ist großartig:
Jesus ist ganz „Ja“,
aber ich –
ich bin „Ja“ und „Nein“ zugleich.
Ich bin zweideutig.

b) Sterblichkeit

Mir kommt es so vor,
als sei ein Mensch immer „Ja“ und „Nein“ zugleich.
Selbst das sprichwörtliche „Ja-Wort“ steht unter einem Vorbehalt: „Bis dass der Tod euch scheidet!“
Das ist eine Grenze,
die wir nicht überschreiten können.
Kein Versprechen, das
wir geben können,
kein „Ja“ und kein „Nein“,
das wir aussprechen können,
reicht über dieses Verfallsdatum hinaus:
Den eigenen Tod.

c) Begrenzte Erkenntnis

Genau wie unser Leben,
hat auch unsere Erkenntnis eine Grenze.
In seinem ersten Brief an die Korinther hat Paulus geschrieben:

Unser Wissen ist Stückwerk,
und selbst unser prophetisches Reden ist Stückwerk…
3

Wie sehr unser Wissen und unsere Erkenntnis „Stückwerk“ sind,
wird mir immer wieder klar an der Bibel.
Gott hat sein Wort zu konkreten Menschen geredet,
zu einer konkreten Zeit.
Und diese Zeit war vor hunderten von Jahren.
Dieser Abstand wird zum Beispiel daran deutlich,
- welche Techniken die Menschen damals zur Verfügung hatten,
- wie sie ihre Welt gesehen haben
- oder wie sie ihre Gesellschaft gestaltet haben.
Da fragt man sich schon,
was diese Geschichten über Schaf-Hirten und Kamel-Treiber
für
mein Leben zu sagen haben.

Und wir haben all diese Texte nicht im Original,
sondern wir haben nur
Abschriften
- von Abschriften
- von Abschriften.
Ganz egal, wie viel Mühe man sich gibt:
Beim Abschreiben macht man immer Fehler.

Je nach dem,
was sie abgeschrieben haben und wann,
sind die Abschreiber auch mehr oder weniger frei
mit ihren Vorlagen umgegangen.

Dann wurde die Bibel noch übersetzt.
Und auch wenn Martin Luther sie übersetzt hat:
Martin Luther ist ein Mensch.

Und als letztes Glied in dieser langen Kette
stehe ich hier oben auf der Kanzel
und lege euch das Wort aus.
– Das ist ja wie „Stille Post“!
Was soll da von Gottes Wort noch übrig bleiben?

Gott mag treu sein und fest,
aber Menschen sind Sünder.
Sie sind begrenzt, sterblich und töricht. —
Wie können wir da sicher sein,
dass dieses „Ja“,
von dem der Apostel Paulus redet,
wahrhaftig, ernst gemeint und unzweideutig ist?

⊙ Gott kommt in unsere Zweideutigkeit

Liebe Brüder und Schwestern,
Gott weiß genau, wer und was wir Menschen sind.
Gerade daran,
dass Gott sich ohne jeden Vorbehalt
auf unsere Zweideutigkeit einlässt,
erkennen wir,
dass sein „Ja“ eindeutig und unumstößlich ist.

Das Kind, das in der Krippe liegt, ist das „Ja“.
Von der
Krippe führt eine direkte Linie zum Kreuz.
Und trotzdem nimmt Gott sein „Ja“ nicht zurück,
sondern er sagt das „Ja“ um so deutlicher.
Sein „Ja“ stillt unsere Zweifel.
Jesus Christus überwindet unsere Zweideutigkeit.

c’) Die Bibel ist Gottes Wort

Unsere Kirche hält daran fest,
dass die Bibel Gottes Wort
ist.

  • Sie ist Gottes Wort,
    auch wenn sie von Menschen überliefert worden ist –
    mit all den
    Problemen, die menschliches Handeln mit sich bringt.
  • Sie ist Gottes Wort,
    auch wenn sie von Menschen übersetzt worden ist.
  • Die Predigt ist Gottes Wort,
    wenn sie der Schrift gemäß redet.

Wir glauben das,
weil Christus unsere Zweideutigkeit überwindet.

  • Nicht, weil die SELK so fromm ist,
  • nicht weil Martin Luther so klug war,
  • und schon gar nicht,
    weil
    ich hier der Prediger bin:

Wir verlassen uns ganz allein auf die Verheißung Gottes,
dass sein Wort nicht leer zu ihm zurückkehren wird,
4
weil uns in Jesus das „Ja“ gegeben ist.

b’) Ich glaube… an die Auferstehung des Fleisches

In seinem vorherigen Brief hatte Paulus an die Korinther geschrieben:

Gott aber sei Dank,
der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus!
5

Paulus zitiert dabei eine Verheißung aus dem Alten Testament:

Tod, wo ist dein Sieg?
Tod, wo ist dein Stachel?
6

Der Apostel verhöhnt den Tod.

Der Tod ist mächtiger als wir alle.
- Vom Harz-IV-Empfänger bis zum Billionär,
- vom Volksschüler bis zum Professor,
- vom Gefangenen bis zum Präsidenten:
Vor dem Tod kommt keiner davon.
Doch in Christus ist Gottes „Ja“ auf
alle Verheißungen,
und deswegen kann Paulus sich regelrecht lustig machen
über den Tod.

Dieses „Ja“ Gottes gilt für uns.
Im Angesicht der Verwesung
glauben wir an die Auferstehung des Fleisches –
das ist total verrückt, eigentlich!
Aber weil Christus in den Tod gegangen ist,
wissen wir, dass wir den Tod nicht fürchten müssen.

Jesus ist wahrer Mensch
und ist wie jeder Mensch gestorben – 
und zwar unter Schmerzen.
Er ist aber auch wahrer Gott
und deswegen hat
sein Wort kein Verfallsdatum.

Jesus sagt:

Himmel und Erde werden vergehen;
aber meine Worte vergehen nicht.
7

Und das sagt er nicht,
weil er ein „Religionsstifter“ ist.
Es geht nicht darum,
dass
wir seine Worte besonders sorgfältig überliefern.
Jesus ist es wichtig, uns zu sagen,
dass seine Worte Tod und Weltuntergang überstehen werden,
weil sie dieses „Ja“ für uns enthalten.

Sein „Ja“ zu uns gilt auch,
wenn wir längst verwest sind.
Das ist der Grund für unsere Hoffnung
über den Tod hinaus.

- Nicht unsere Körper,
- nicht unsere Medizin
- und auch nicht unsere Leistung oder unser Ruhm
schaffen uns Unsterblichkeit,
sondern sein „Ja“ an uns
überwindet den Tod.

a’) Sünde

Auch als getaufte Christen sind wir in der Welt.
Niemand kann sich dem entziehen.
Die gefallene Schöpfung ist nicht schwarz und weiß,
nicht eindeutig gut und eindeutig böse,
sondern alle möglichen Graustufen liegen dazwischen.
Unsere Beziehung zu Gott
ist auf unserer Seite ständig in Gefahr. —
Trotzdem hat er zu uns „Ja“ gesagt.

Paulus schreibt an die Römer:

Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin,
dass Christus für uns gestorben ist,
als wir noch Sünder waren.
8

„Als wir noch Sünder waren“
Ohne Vorbehalt ist Gott in unsere Zweideutigkeit gekommen
und hat sie am Kreuz überwunden.
Auf
unserer Seite mag es ein „Ja, aber…“ sein.
Doch auf
Gottes Seite ist es ein „Trotzdem, ja!“

◽︎ Conclusio

Liebe Gemeinde,
Christus hat uns ganz angenommen – er hat ganz „ja“ gesagt.
Wo auf unserer Seite Sünde, Tod und Zweifel stehen,
ist er ganz eindeutig und klar:

So sehr hat Gott die Welt geliebt,
dass er seinen eingeborenen Sohn gab,
damit alle, die an ihn glauben,
nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!9 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 πιστὸς δὲ ὁ θεὸς (Wortwahl folgt der Basisbibel).


3 1Kor 13,9


4 Jes 55,11


5 1Kor 15,57b


6 Jesaja 25,8; Hosea 13,14; nach 1.Kor 15,54f.


7 Lk 21,33 (Dieses Wort steht gleich im Anschluss an den Predigttext vom letzten Sonntag!)


8 Röm 5,8


9 Phil 4,7


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 1.8 MB)

Weitere Predigten zu 4. Advent:
Freude im Herrn
Phil 4,4, 4. Advent

Paulus schreibt uns einen Brief, in dem es ständig um Freude geht. Mehr…

Heimsuchung Marias
Lk 1,26–56, 4. Advent

„Wie soll das zugehen?“ fragt Maria. Also praktisch – und konkret? Der allmächtige, allwissende und allgegenwärtige Gott wird Mensch.