12:27

Die Hure Rahab (2)
Predigt zu Jos 2

199 17. So. n. Trinitatis, 12. Oktober 2025, Frankfurt

Gott kann noch mal ganz anders sein, als wir es erwarten. Doch wenn das so ist, wie wissen wir, dass er nicht willkürlich ist und beliebig handelt?

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist der Abschnitt aus dem Alten Testament,
den wir vorhin gehört haben.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Schwestern und Brüder,

(1) manchmal erscheint einem die Welt grau und unfreundlich.
Das Leben in der Gemeinschaft mit anderen Menschen
ist kompliziert,
- in der Familie,
- in der Gemeinde,
- in der Kirche.
Auch die Lokal-, Bundes- und Weltpolitik
hat noch nicht alle Probleme gelöst.
Viel mehr hat man den Eindruck,
alles wird immer noch schwieriger und komplizierter.
Da tut es gut,
sich einen Nachmittag aus dem Geschehen herauszuziehen
und in eine andere Welt zu flüchten.
Da kann man Literaturwissenschaftler sein,
so viel man will:
Manchmal ist es schön,
wenn der böse Cowboy den schwarzen Hut auf hat
und der gute Cowboy den weißen.
Das ist eine einfache Geschichte,
wo man genau weiß,
wo man dafür sein soll
und wo dagegen.

Da ist es dann auch ganz egal,
wie viele Klingonen dabei sterben,
Hauptsache, der Todesstern explodiert… 

Wie? War nicht richtig? Ok, ich probier’s nochmal:

Ganz egal,
wie viele Orks in der Erde versinken,
Hauptsache, Harry Potter gewinnt.

Auch nicht richtig?

Ihr merkt:
So ganz ernst darf man diese Geschichten auch nicht nehmen.
Die Welt ist kompliziert,
und ein primitives Schema „Gut-gegen-Böse“
ist nicht geeignet,
die Wirklichkeit zu erfassen,
in der wir leben —
geschweige denn,
die Wirklichkeit Gottes.

(2) Damit, liebe Gemeinde,
sind wir genau bei dem Thema,
zu dem uns der Abschnitt Heiliger Schrift heute morgen führt.

Der Abschnitt über die Hure Rahab
und den Kundschaftern in Jericho
ist Teil von genau so einer einfachen Geschichte.

Die Israeliten sind die Guten.
Gott hat sie erwählt
und ihnen das Land Kanaan geschenkt.
Die Menschen,
die da wohnen,
die Kanaaniter,
das sind die Bösen in dieser Geschichte.
Mit denen darf man keine Gemeinschaft haben.
Wenn da schöne Frauen dabei sind,
sind das alles Huren,
die das Volk zum Götzendienst verführen.
Das kann man schon bei Mose nachlesen.
3

Um so überraschender
ist unser Abschnitt heute Morgen.
Mitten in dieser Geschichte des Siegeszuges,
lesen wir eine Episode von einer kanaanäischen Frau,
die zum Glauben an Gott gekommen ist:
die „Hure“ Rahab.

Es wird in der Literatur viel darüber spekuliert,
was ihr den Beinamen „Hure“ eingebracht hat.

  • Ist das wörtlich gemeint,
    und war das „Haus“ in dem sie wohnte,
    wohlgemerkt mit ihrer ganzen Familie,
    wirklich eine Art Bordell?
  • War sie vielleicht eine heidnische Priesterin,
    deren Kulte die Bibel gerne mit Unzucht gleichsetzt?

Ich glaube,
in diesem Zusammenhang reicht schon,
dass sie Kanaaniterin war,
um ihr diesen Beinamen einzubringen.
Die Bibel hat das so stehen lassen;
mit Absicht.

Wohlgemerkt:
Die Bibel hat diese Bezeichnung stehen lassen,
in einer Geschichte,
wo der Glaube dieser Frau
für das Volk Israel
große Wirkung entfaltet hat.

(3) Ich hatte diese Woche ein Gespräch
da erzählte jemand über ein Banner,
das an einer Kirche in der Innenstadt hängt.
Das sei eine Regenbogefahne
und da steht drauf:

Gott ist queer.

Mein Gesprächspartner meinte,
das sei albern.
Er fände das peinlich,
dass die Kirche sich so anbiedert an die Dinge,
die gerade irgendwie Mode sind.

Dabei stellt er aber sofort klar,
er habe nichts gegen Schwule und Lesben.
Jeder solle leben,
so wie er möchte,
aber für die Kirche fänd’ er’s halt peinlich.

„Na ja“, habe ich gesagt.
Ich hatte diese Geschichte für heute Morgen schon im Kopf.

Man mag das peinlich finden,
dass die Kirche sich so anbiedert.
Aber es ist nicht gesagt,
dass Gott immer nur so tickt,
wie wir uns das vorstellen.

Gott tickt auch schon mal quer zu dem,
was wir so erwarten.

Das gilt selbst dann,
wenn wir es mit biblischer Begründung erwarten.
Frauen aus fremden Völkern
sind für die Bibel ein rotes Tuch.

Das ein Motiv.
Die heidnischen Frauen der Könige, zum Beispiel.
Immer wenn David oder einer seiner Söhne
eine Prinzessin aus einem Nachbarland zur Frau nimmt,
gibt es in der Bibel kritische Bemerkungen.
Diese Frauen brachten ihre Götter mit
und ab dem Moment
ging es mit dem König bergab.

(4) In der Geschichte aus dem Evangelium heute
haben die Jünger eine ähnliche Rolle.
Die kennen ihre Bibel gut
und als diese kanaanäische Frau
mit einem Anliegen zu Jesus kommt,
wollen sie,
dass er sie zurückweist.
Jesus macht das auch zuerst
und seine Begründung liegt auf einer ganz ähnlichen Linie.
Er sagt:

Ich bin nur gesandt
zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

Mit anderen Worten:

Ich bin nur für die Juden zuständig, nicht für die anderen.

Darauf antwortet die kanaanäische Frau
mit einem Glaubensbekenntnis:

Ja, Herr;
aber doch essen die Hunde von den Brosamen,
die vom Tisch ihrer Herren fallen.

Darauf sagt Jesus dann nur noch:

Dein Glaube ist groß.

Und dieser Glaube
entfaltet große Wirkung in ihrem Leben.
Jesus sagt zu ihr:

Dir geschehe, wie du willst!

Und ihre Tochter wurde gesund
zu derselben Stunde.

Gott nimmt sich heraus,
noch mal ganz anders zu sein,
als wir es erwarten würden.
Er schenkt seinen Glauben gern,
auch solchen,
bei denen
wir ihn nicht vermuten würden.

Gott ist Gott.
Wir sollen uns mit unserem Urteil zurückhalten.
4

(5) Ich hatte neulich eine Konversation mit einer KI,
also einer künstlichen Intelligenz.
Das war für ich das erste Mal
und ich war erstaunt,
wie natürlich und wie menschlich diese Stimme klang.

Bei jeder Frage,
die wir dieser Software gestellt haben,
antwortete sie zuerst mit einem Kompliment:

„Das ist eine gute Frage.“

„Das ist eine interessante Frage.“

„Das ist eine komplexe und gut durchdachte Frage“.

„Ja danke“, habe ich mir gedacht.

Ich meine, ist schon klar:
Diese Software ist ein Produkt
und die Firma hat ein Interesse daran,
dass ich positive Gefühle habe
ihrer Dienstleistung gegenüber.
Ich soll ja mein Abo bezahlen.

Ich hatte aber auch diesen Instinkt,
dieser Software gegenüber mal klarzustellen:

Pass mal auf,
du hast meine Fragen nicht zu bewerten.

Ich bin der Mensch
und du bist das Werkzeug.

Du bewertest mich nicht,
ich bewerte dich.

Gott erinnert uns auch ab und zu
und sagt:

Pass mal auf,
ich bin Gott
und du bist mein Geschöpf.

Ich kann noch mal ganz anders sein,
als du es dir vorstellst
und auch quer zu allem,
was du erwartest. —

Wenn das aber so ist,
wie können wir uns dann auf Gott verlassen?
Was ist denn dann wirklich fest?

Was wollen wir nun hierzu sagen?

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat,
sondern hat ihn für uns alle dahingegeben –
wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
5

Das Wunder wider alle Erwartungen
hat in deinem Leben schon stattgefunden.
Dass du zum Glauben an Jesus Christus gekommen bist,
und das sich hier,
an den Wasserflüssen des Mains zu Frankfurt
Menschen zum Gottesdienst versammeln,
das ist ein Wunder.

Gott hat dir den Glauben geschenkt
und seine Liebe in dich investiert.
Dies entfaltet seine Wirkung
und und schenkt dir Segen,
da, wo du gerade stehst.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!6 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Vgl. Num 25,1–5; Krause, „Exegese für die Predigt“, unter A.3.


4 Vgl. Mt 7,1: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“.


5 Röm 8,31f


6 Phil 4,7


Manuskript pdf, 4.7 MB)

Weitere Predigten zu 17. So. n. Trinitatis:
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Gal 3,26–29, 17. So. n. Trinitatis

„Ihr habt Christus angezogen“ – Perfekt gekleidet und ausgestattet gehen wir zum Treffen der Außerirdischen aus einer anderen Welt: „Die Gemeinde der Heiligen“, so heißt unsere Convention. Doch was nehmen wir mit von dort in die Gemengelage unseres Alltages?

Hören und Glauben
Der Glaube behält den Sieg, indem er die Waffen steckt vor dem Richtigen., Röm 10,9–18, 17. So. n. Trinitatis

Wie gehen wir damit um, dass es einen „garstigen Graben“ gibt zwischen dem, was die Bibel erzählt, und dem, wie wir unseren Alltag erleben?