Kleider machen Wirklichkeit
Predigt zu Gal 3,26–29
„Ihr habt Christus angezogen“ – Perfekt gekleidet und ausgestattet gehen wir zum Treffen der Außerirdischen aus einer anderen Welt: „Die Gemeinde der Heiligen“, so heißt unsere Convention. Doch was nehmen wir mit von dort in die Gemengelage unseres Alltages?
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.
Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist ein kurzer Abschnitt aus dem Brief des Paulus an die Galater im 3. Kapitel:
26Denn ihr seid alle durch den Glauben
Gottes Kinder in Christus Jesus.
27Denn ihr alle,
die ihr auf Christus getauft seid,
habt Christus angezogen.
28Hier ist nicht Jude noch Grieche,
hier ist nicht Sklave noch Freier,
hier ist nicht Mann noch Frau;
denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.
29Gehört ihr aber Christus an,
so seid ihr ja Abrahams Kinder
und – nach der Verheißung – Erben.
Lasst uns beten:
Herr Gott, himmlischer Vater,
sende uns deinen Heiligen Geist,
damit die Worte des Apostels unser Herz erreichen
und wir umkleidet werden mit der Gegenwart
deines Sohnes Jesus Christus.
— Amen
Liebe Schwestern und Brüder,
(Einführung)
als ich jugendlich war,
lief jeden Mittwoch Nachmittag im Fernsehen
Raumschiff Enterprise –
Die nächste Generation.
Das war meine absolute Top-Lieblingsserie.
Ich war nie von irgendwas ein wirklicher Fan,
keine Marke,
keine Band,
kein Filmstar, –
außer von Raumschiff Enterprise.
Leute aus einer perfekten Gesellschaft
- (nach den Maßstäben der frühen 90er Jahre)
- fliegen durch das Weltall
- begegnen interessanten Außerirdischen
- und bestehen mit ihnen gemeinsam aufregende Abenteuer.
Dabei sprechen sie perfekt Hochsprache
und lösen ihre Konflikte und Missverständnisse
freundschaftlich,
professionell
und auf Augenhöhe.
Leidenschaft und Ehre der Klingonen
sind ebenso integriert
wie die Leidenschaftslosigkeit der Vulkanier.
Die selbe Harmonie existiert zwischen
Frau und Mann,
Schwarz und Weiß. —
Arm und reich gibt es einfach nicht mehr.
Alle kriegen ihr Essen aus dem Replikator,
der mit einem dezenten Surren
liefert, was man bestellt.
Earl Grey, heiß!
(Der letzte Teil ist wichtig!
Wer trinkt schon gerne lauwarmen Tee?)
Das ist eine Utopie.
Wo gibt es so was?
Nirgendwo. Das hat „keinen Ort“,
οὐ τόπος, U-topie.2
Kein Wunder,
dass Menschen trotzdem an diesen Ort gehen wollten,
zumindest im Traum
oder im Spiel.
Aus diesem Impuls sind die Star Trek Conventions entstanden.
Menschen treffen sich
und ziehen für einen Tag ihre Sternenflotten- Uniform an
oder den Kampfanzug der Klingonen,
selbstgenäht
und mit selbst hergestellten Requisiten.
Kein Wunder aber auch,
dass Menschen immer wieder versucht haben,
ihre Utopie wahr zu machen.
Dazu zwingen sie ihre Mitmenschen
in die Einheitsuniform ihrer Ideologie:
- Sozialismus,
- National-Sozialismus
- und Fundamentalismus,
auch solcher, der sich christlich nennt. —
Paulus redet hier von etwas anderem.
Hier ist nicht Jude noch Grieche,
hier ist nicht Sklave noch Freier,
hier ist nicht Mann noch Frau;
denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.
Indikativ:
Hier ist nicht …
Nicht Konjunktiv:
Hier wäre nicht …
wenn ihr den utopischen Traum teilen würdet …
Auch kein moralischer Imperativ:
So sollt ihr sein …
Keine utopischen Ideale oder moralische Forderungen.
Paulus redet von vollendeten Tatsachen.3
Ihr alle,
die ihr auf Christus getauft seid,
habt Christus angezogen
Die Taufe ist der Eingang zum Himmelreich.
Star Trek Fans stehen in ihren Uniformen
vor dem Eingang eines Kongresszentrums.
Sie gehen durch die Tür.
Ein Schwall warmer Luft aus der Klimaanlage empfängt sie.
Und dann stehen sie auf einem fremden Planeten.
Um sie herum sind interessante Außerirdische –
oder zumindest Leute,
die so angezogen sind.
Sie sind unter ihres Gleichen,
Menschen die die gleiche Sehnsucht haben.
Die Taufe ist die Tür zum Himmelreich.
Du bist perfekt angezogen und ausgestattet,
denn du hast Jesus Christus angezogen.
Die Convention heißt bei uns
„Gemeinschaft der Heiligen“.
Das ist kein Traum,
keine Utopie, kein Nicht-Ort,
sondern hier und jetzt.
In und unter dieser versammelten Gemeinde
ist die Gemeinschaft der Heiligen real gegenwärtig.
Ob Orgel oder Band,
Verstärker oder Tremulant –
In und unter der Musik im Gottesdienst
ist der Gesang der himmlischen Heerscharen
eine gegenwärtige Wirklichkeit.
Wenn die Musik sich nun hier um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.4
Hier im Himmelreich
gelten die Regeln der alten Schöpfung nicht mehr. —
Was heißt das jetzt?
Was hilft uns das?
Dinge, die klar und durchsichtig sind in der unsichtbaren Welt
sind hier, in der sichtbaren Welt,
oft undurchsichtig und unklar.
(1) Juden und Griechen
Das ist das zentrale Anliegen für Paulus
hier in diesem Brief.
Seine Gegner in Galatien machen die Gemeinde irre,
indem sie sagen:
Ihr seid keine richtigen Christen,
wenn ihr keine richtigen Juden seid.
Ihr müsst euch beschneiden lassen.
Dagegen erinnert er die Christen an ihre Taufe:
Ihr habt Christus angezogen.
Hier ist nicht Jude noch Grieche.
Seine Argumentation muss gefruchtet haben.
Die Beschneidung ist nie zur Pflicht neben der Taufe geworden.
Aber Juden und Griechen,
in Christus eins,
sind immer noch Menschen.
Wenn es nicht die Beschneidung ist,
dann ist es das Götzenopferfleisch.
Die Griechen sind auf den Fleischmarkt gegangen
und haben sich was gekauft.
Die Juden konnten das aber nicht mitessen.
War das Tier vielleicht einem Götzen geopfert worden?
Solches Fleisch ist nicht koscher.
Das ist ekelig, das geht gar nicht.
Wie können die so was essen?
Paulus wählt hier einen Kompromiss:
Esst, was ihr essen möchtest, aber …
seht aber zu,
dass diese-eure-Freiheit
für die Schwachen nicht zum Anstoß wird.5
Von wegen wir sind hier alle im Himmelreich!
Das ist eine Gemengelage und ein Kompromiss.
Aber in aller Gemengelage,
in den Sachzwängen,
die uns begegnen,
gilt dies auch:
Wir haben nur einen Gott,
den Vater,
von dem alle Dinge sind
und wir zu ihm:
und einen Herrn, Jesus Christus,
durch den alle Dinge sind
und wir durch ihn.6
Christus trägt den Kompromiss.
Er hat die Gemengelage ganz angenommen,
wie er unser Leben ganz angenommen hat.
(2) Sklaven und Freie
Schon die alten Philosophen ahnten,
dass die Sklaverei einer zivilisierten Gesellschaft unwürdig sei.
Die Stoiker unter ihnen glaubten an die Einheit Gottes.
Dieser Einheit soll die Einheit der Menschen entsprechen.7
Doch die gesellschaftliche Wirklichkeit sah anders aus.
Es gab keine sozialen Netzwerke.
Wer in Armut gefallen war,
konnte sich leicht gezwungen sehen,
sich als Knecht zu verdingen. –
Ein Sklave werden ist immerhin besser, als der Tod.
Hier ist nicht Sklave noch Freier.
Es mag so aussehen,
als sei Paulus zurückgerudert von dieser Aussage.
Den Sklaven Onesimus schickt er zurück zu seinem Herrn.8
Paulus ermahnt die Sklaven:
Ihr Sklaven,
seid gehorsam euren irdischen Herren
mit Furcht und Zittern,
in Einfalt eures Herzens,
so gehorsam, wie ihr dem Herrn Christus seid.9
Hier sind also doch Sklaven und Freie.
Doch halt! Der Apostel hat noch mehr zu sagen.
Er schreibt:
Ihr Herren,
tut [den Sklaven] gegenüber das gleiche […];
denn ihr wisst,
dass euer und ihr Herr im Himmel ist,
und bei ihm gilt kein Ansehen der Person.10
Im Himmel ist kein Ansehen der Person,
hier auf der Erde sind noch Sklaven und Freie.
Doch der Himmel und die Erde
sind nicht etwa unabhängig voneinander,
sondern gerichtet auf den einen Herrn,
Jesus Christus.
In der Gemengelage und den Kompromissen unseres Lebens
lässt er uns nicht allein,
sondern weist uns den weg.
(3) Männer und Frauen
Liebe Gemeinde,
- Juden und Griechen –
Das ist lange Geschichte. - Sklaven und Freie –
So was gibt es in der ganzen zivilisierten Welt nicht mehr. - Aber Frauen und Männer –
Das ist unsere Gemengelage.
Das brennt uns unter den Nägeln.
Ratlos schauen wir auf unsere Kirche, die SELK,
wenn es um Frauenordination geht.
Von Spaltung ist die Rede.
Die einen sehen religiöse Verhärtung,
die anderen Irrlehre und Häresie.
Werden wir einen gemeinsamen Weg finden?
Gesamtgesellschaftlich
ist für viele die Idee von gender ein Reizthema.
Veränderungen sind für die einen „Gaga“
und für die anderen ein moralisches Muss.
Werden wir eine gemeinsame Sprache finden?
Die Emanzipation „der Frau“
ist in vieler Hinsicht Theorie geblieben.
Das ist an Gehältern und Machtpositionen
leicht zähl- und messbar.
Die einen sehen Versagen und Schuld des Patriarchats,
die anderen finden,
die Schöpfungsordnung setze sich hier sichtbar durch.
Denn ihr alle,
die ihr auf Christus getauft seid,
habt Christus angezogen.
Hier ist nicht Mann noch Frau;
denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.
In Christus ist das Himmelreich hier in der Welt gegenwärtig.
Wir sind noch nicht im Letzten, in Gottes Reich.
Unsere Welt ist das Vorletzte:11 erlöste Gemengelage.
Christus hat dich dazu erlöst,12
die Emanzipation der Frau einzufordern,
denn vor Gott ist weder Mann noch Frau.
Christus hat dich dazu erlöst,,
traditionelle Hausfrau zu sein
und deinem Mann zu dienen,
denn dies ist das Vorletzte.
Christus hat dich dazu erlöst,,
dein biologisches Geschlecht aufzugeben oder zu ändern,
in dem Maß, das für dich richtig ist,
denn vor Gott ist weder Mann noch Frau.
Christus hat dich dazu erlöst,,
stolz ein Mann oder eine Frau zu sein.
Zieh an, was du meinst,
denn du hast Christus angezogen in deiner Taufe.
Christus hat dich dazu erlöst,,
in deine Bibel zu schauen
und zu sagen,
was du da liest,
und zu vertreten,
was du für richtig hältst.
Wir sind im Vorletzten.
Mehr als das können wir alle nicht tun,
als aufrichtig zu sein vor Gott und den Menschen
und einst Gottes Urteil über uns anzunehmen.
Gottes Urteil über deine Meinung
ist ihm anheim gestellt im Gericht.
Gottes Urteil über dich ist längst gefällt:
29Gehört ihr aber Christus an,
so seid ihr ja Abrahams Kinder
und – nach der Verheißung – Erben. — Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.
1 1.Kor 1,3
2 Vgl. Metzler Literatur Lexikon, Art. „Utopie“, S. 481, Stuttgart 1990.
3 Vgl. Betz, Galaterbrief, z.St., S. 333.
4 Nach Bonhoeffer, ELKG² 379,6.
5 1.Kor 8,9
6 1.Kor 8,6
7 Vgl. Betz, S. 339.
8 Vgl. Philemon-Brief.
9 Nach Eph 6,5.
10 Vers 9.
11 Vgl. Bonhoeffer, DBW 6.
12 Hier u.ö. habe ich das Manuskript gegenüber der Version für den Vortrag geändert und den Erlöser namentlich eingetragen.
Weitere Predigten zu 17. So. n. Trinitatis:
Hören und Glauben
Der Glaube behält den Sieg, indem er die Waffen steckt vor dem Richtigen.,
Röm 10,9–18,
17. So. n. Trinitatis
Wie gehen wir damit um, dass es einen „garstigen Graben“ gibt zwischen dem, was die Bibel erzählt, und dem, wie wir unseren Alltag erleben?