13:11

Wahrheit ist konkret, für euch, gegeben
Predigt zu 1.Kor 11,23–25

182 Gründonnerstag, 17.4.2025, Frankfurt

„Konkret“ heißt fest und beständig. So ist Gottes Treue und Wahrheit.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Was ist Wahrheit?2

Pontius Pilatus’ Frage
ist die Überschrift für einige Predigten
in dieser Passions- und Osterzeit.
Dies ist die zweite Predigt aus dem Zyklus
und vertritt die These:
Biblische Wahrheit ist konkret.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
sind die Einsetzungsworte,
wie sie sich finden im 1. Brief des Paulus an die Korinther
im 11. Kapitel.
Der Apostel schreibt:

Der Herr Jesus,
in der Nacht, da er verraten ward,
nahm er das Brot,
dankte
und brach es und sprach:

Das ist mein Leib,
der für euch gegeben wird;
das tut zu meinem Gedächtnis.

Desgleichen nahm er auch den Kelch
nach dem Mahl
und sprach:

Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut;
das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis.

Lasst uns beten: dein Wort ist die Wahrheit.
Sprich zu uns durch das Wort der Predigt,
denn in deinem Lichte sehen wir das Licht.
— Amen

Liebe Schwestern und Brüder,

(1) folgendes stellt sich der Schulklasse bei der Mathe-Klausur:

Aufgabe 1
Gegeben ist ein rechtwinkliges Dreieck a, b, c ∊ ℝ
mit a = 3, b = 4,
mit dem rechten Winkel zwischen a und b.
Berechnen Sie:
1. c
2.
sowie die Winkel α, β zwischen a und c,
b und c, respektive.
3. Bestimmen Sie die Fläche des Dreiecks.

Ja, ich weiß,
einigen von uns läuft des kalt den Rücken runter,
wenn ich das so vorlese;
aber keine Angst:
Es geht hier nicht um diese Lösung
dieser mathematischen Aufgabe.
Viel mehr geht es um eine Beobachtung.
Diese Art von Denken ist abstrakt.
Aufgabe 1 erschafft ihr eigenes Universum.
In diesem Universum gibt es nur a, b, c and α, β und γ.
Alles andere,
die ganze bunte Wirklichkeit
- mit ihrem Krummen und Geraden,
- Messfehlern und Beschönigungen
wird beurlaubt und zurückgestellt
zugunsten der perfekten Abstraktion.

Dabei ist das Schöne an der Abstraktion,
dass das gedachte, perfekte Dreieck
den wirklichen Dingen ähnlich genug ist,
um nützlich zu sein.
Geometrie heißt „Erdvermessung“.
Das, was wir in der Schule lernen,
wurde ursprünglich mal entwickelt
bei den königlich-ägyptischen Finanzbehörden der Antike.
Der Pharao hatte nämlich beschlossen,
die Bauern nach der Größe ihrer Felder zu besteuern.
Finanzbeamte zogen los
mit Messstab und -band
und berechneten die Flächen von Feldern.
Dabei waren sie mir Formeln ausgestattet,
die überall gelten.
Für jedes Dreieck in der Ebene
ist die Fläche gleich der Höhe mal der Grundlinie durch zwei.

Das abstrakte Dreieck
passt gut genug auf die konkreten Dreiecke bei der Messung,
um dem Grundbesitzer einen Steuerbescheid zu schreiben.
Die Abstraktion gibt uns ein Gefühl von Kontrolle
und Durchblick.
(2) Dieses Gefühl haben wir auch bitter nötig.
Die alten Griechen haben gesagt:

πάντα ῥεῖ – 
alles fließt.

Man steigt nie zwei mal in den selben Fluss.

Wenn die wüssten!

  • Die Milchstraße bewegt sich durch den Raum.
  • Unser Sonnensystem dreht sich in seinem Arm der Michstraße
    um ein gemeinsames Zentrum.
  • Die Erde fliegt auf einer Bahn um die Sonne
  • und dreht sich dabei um die eigene Achse,
    die auch noch schief steht
    gegenüber ihrer Umlaufbahn.

Man steigt nie zweimal in den selben Fluss?
Absolut betrachtet
geht man nie zweimal an den selben Ort.

Wo ist da ein Fixpunkt für uns?
Was ist das Navi, das uns sagt: „Sie sind jetzt hier?“
Wir fallen ungebremst durch das Weltall.

Wo hat Gott gesagt:

Stop, jetzt ist mal was anderes dran? —

In der Nacht,
da der Herr Jesus verraten ward… 

Nicht in einem abstrakten Universum,
sondern zu einer konkreten Zeit,
an unserem konkreten Ort,
will Gott auch sein.
Alles fließt
und Gott schmeißt sich mit uns in den Fluss
und sagt:

Hier ist ein konkreter Zeitpunkt
auf den ihr euch beziehen könnt.

Ich bin bei euch,
alle Tage,
bis an das Ende der Welt.
3

(3)

In der Nacht,
da der Herr verraten ward,
nahm er das Brot,
dankte,
brach es… 

Dieses Geschehen
findet nicht in der Abstrakten Welt des Intellekt statt.
Es ist auch nicht in der noblen Welt der Reichen
oder der Glamour-Welt der Schönen,
sondern Gott bindet sich
an einen Alltagsgegenstand aller Menschen:
an ein Stück Brot.
Gott wählt einen Gegenstand,
der uns ganz vertraut
und ganz selbstverständlich ist.

Jesus spricht das Dankgebet vor dem Essen
und er teilt es mir anderen.
Das Gebet ist eine Verbindung zu Gott,
auf der Vertikalen.
Teilen ist die Verbindung unter uns Menschen,
auf der Horizontalen.
Die Linien kreuzen sich in Christus.

Die Jünger,
die dort anwesend waren,
sind konkrete Menschen.
Wie kennen ihre Namen.
Doch sie sind eben zwölf Jünger,
zwölf,
stellvertretend für das Volk Gottes.
Weil sie da sind,
sind wir dort.
Weil Jesus mit ihnen geteilt hat,
teilt er mit uns
und sagt zu uns, hier und jetzt:

(4)

Das ist mein Leib,
für euch gegeben wird.

„Was soll das bedeuten?“
und „Wie kann das sein?“
Wir wären nicht die ersten,
wenn wir uns diese Frage stellen.

Wie kann er uns ein Fleisch zu essen geben?4

fragen sich die Menschen in Joh 6.
Die einzig richtige Antwort auf diese Frage ist:

Ich weiß es nicht.

Also, so wissenschaftlich, technisch, weiß das kein Mensch,
genau so wenig wie wir wissen,
wie die Auferstehung stattgefunden hat.
Anscheinend ist das „Wie“ nicht wichtig.

Was ich höre in dem Wort

Das ist mein Leib,
für euch gegeben wird.

dass ich dort vorkomme,
als der,
der ich bin.
Ich bin ein Mensch mit Leib und Blut,
Haut und Haaren.

  • Natürlich habe ich auch Ideen,
    manchmal sogar gute.
  • Natürlich habe ich auch Gedanken,
    manchmal sogar sinnvolle.
  • Ich habe auch was zu sagen
    und manchmal ist es freundlich
    und erbaut meine Mitmenschen.

Doch ich selbst
bin im Wesentlichen mein Leib.
Als Leib kommt Christus zu mir
in einer Art,
die ich greifen, fassen
und zu mir nehmen kann.
„concrētus“ heißt „dicht“, „fest“.
Gott macht sich für uns sinnlich erfahrbar,
gegenständlich
und greifbar.
Dabei geht er das Risiko ein,
dass er verwechselbar wird mit schnödem Brot.
Für uns entäußert er sich seiner Herrlichkeit
und wird unscheinbar wie ein Bissen Brot
und klein wie das Kind in der Krippe.

(5) Christus spricht:

Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut.

Der Alte Bund basierte nicht auf einem ewigen Prinzip
oder Gottes zeitlosem Willen.
Der Alte Bund basierte auf der Freundschaft,
die Gott mit Abraham geschlossen hat
und mit dessen Familie,
sein Sohn Isaak
und dessen Sohn Jakob,
der auch genannt wird: Israel.

Gott sagt zu Abraham:

In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.5

Die Freundschaft mit einem konkreten Menschen
wird zur Erwählung des ganzen Volkes.
Das Heil, das Gott für Israel bestimmt hat,
schwappt über auf die Heiden.
Gott spricht zu seinem Knecht bei Jesaja:

Es ist zu wenig,
dass du mein Knecht bist,
die Stämme Jakobs aufzurichten
und die Zerstreuten Israels wiederzubringen,
sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht,
dass du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.
6

Das ist Gottes Wahrheit und Treue,
dass er uns Menschen sein Heil schenkt.

  • Im Fluss der Weltgeschichte
    legt er für uns eine Boje an,
    an der wir uns festmachen können.
  • Er macht sich uns vertraut
    und stiftet Gemeinschaft zwischen Gott und uns
    und untereinander.
  • Er nimmt unseren Leib an,
    indem er Leib wird.
  • Sein Bund reicht vom Tag der Schöpfung bis zu dir,
    hier und heute.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!7 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Joh 18,38


3 Mt 28,20


4 Vgl. Joh 6,52.


5 Gen 12,3b


6 Jes 49,6


7 Phil 4,7


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Der Engel auf dem Ölberg
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