14:01

Der Engel auf dem Ölberg
Predigt zu Lk 22,39–46

109 Gründonnerstag, 6.4.2023, Frankfurt

Gesegnet ist der Mensch, dem Gott zur rechten Zeit ein Wort der Stärkung zukommen lässt, für den nächsten Schritt auf dem rechten Weg. Auch Jesus hat er so gestärkt, als er voller Angst und Zögern war. Diese Predigt ist auch ein herzlicher Gruß der Trinitatisgemeinde, Frankfurt, an die St. Trinitatisgemeinde in Weigersdorf mit besten Wünschen für eine gesegnete Advents- und Osterzeit.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
steht beim Evangelisten Lukas im 22. Kapitel.

Wir waren gerade dabei,
wie Jesus mit seinen Jüngern das Passamahl gehalten hat,
das letzte gemeinsame Abendessen.
Wir haben ihre Gespräche untereinander gehört:
- Streit um die Rangordnung,
- Petrus Treueschwur und Jesus’ Prophezeiung an ihn.
Jetzt begleiten wir die Gruppe bei einem Abendspaziergang:

39Und Jesus ging nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg.
Es folgten ihm aber auch die Jünger.

40Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen:

Betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt!

41Und er riss sich von ihnen los,
etwa einen Steinwurf weit,
und kniete nieder,
betete
42und sprach:

Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir;
doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!

43Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel
und stärkte ihn.

44Und er rang mit dem Tode und betete heftiger.
Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen,
die auf die Erde fielen.

45Und er stand auf von dem Gebet
und kam zu seinen Jüngern
und fand sie schlafend vor Traurigkeit.

46Und sprach zu ihnen:

Was schlaft ihr?
Steht auf und betet,
damit ihr nicht in Anfechtung fallt!

Lasst uns beten:
Herr Gott, himmlischer Vater, schicke uns den Engel oder Offenbarung, damit das Wort der Predigt dein Wort an uns sei. — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

(1a) der Herr Jesus Christus spricht zu seinen Jüngern:

Wer euch hört,
der hört mich.
1

Deswegen sollen wir die Predigt hören,
als rede Gottes Engel selbst
durch die Worte des Predigers.
Das ist dem Prediger gerade dann ein Trost,
wenn er mit dem Gefühl hier oben steht:

Ich habe leider keinen brennenden Dornbusch zu bieten.

Als der Geschmack in der Innenraum-Gestaltung von Kirchen
kitschige Engel noch schön fand,
hat man an so manche Kanzel
einen Engel angebracht,
der ins Ohr des Predigers flüstern soll –
oder zum Beispiel auch Engel,
die eine Sanduhr tragen.

Die musste der Herr Pastor vor der Predigt umdrehen.
Wenn dann in der Sanduhr unten mehr Sand ist als oben,
da wusste die Gemeinde:
Gleich kommt das Evangelium.

Oder die Sanduhr war das Evangelium:

Gleich ist es vorbei!

Letztes Gericht ist,
wenn der Prediger –
mitten in der Predigt –
die Sanduhr nochmal umdreht
mit den Worten:

Ich komme zu Punkt zwei…

(b) Im Abendmahl stimmen wir ganz ausdrücklich ein
in den Chor der Engel.

Die seligen Serafim preisen [Gott] mit einhelligem Jubel.
Mit ihnen lasst auch unsere Stimmen uns vereinen
und anbetend, ohne Ende lobsingen:
„Heilig, heilig, heilig ist der
Herr Zebaoth;
alle Lande sind seiner Ehre voll…“

Hier im Abendmahl erhalten wir Nahrung und Stärkung,
wie Elia sie von einem Engel bekommen hat:
Essen und Trinken,
das ihn durchträgt bis zum Berg Gottes, dem Horeb.
2

Wort und Sakrament:
Sie hat Gott eingesetzt,
dass der Heilige Geist den Glauben wirke
und unsere Herzen stärke,
wo und wann er will.
3
Das ist ganz klassische lutherische Theologie.

(c) Liebe Gemeinde,
der Abschnitt aus dem Lukas-Evangelium,
der uns heute morgen vorliegt,
hat mir persönlich noch mal deutlich gemacht,
wie weit sich Gott darauf eingelassen hat,
ein Mensch zu sein.
Jesus hat Angst
und er leidet eine Seelennot,
dass er „Blut und Wasser schwitzt“.
Er betet – 
und in seinem Gebet hat er eine Begegnung mit einem Engel.

Gott sendet seine Boten,
wenn er einen Menschen
anspricht und stärkt. 
Das macht er für uns,
manchmal auch ganz „außer der Reihe“. —
Jesus ist auch in dieser Hinsicht wahrer Mensch.

Ich habe heute Morgen zwei Geschichten mitgebracht,
die uns das verdeutlichen.
Eine aus der Bibel und eine aus dem Alltag.

(1) Erstens: Josua begegnet dem General Gottes

Josua hatte das Kommando von Mose übergeben bekommen.
Jetzt steht ihm die erste wirkliche Prüfung bevor.
Wir befinden uns am Vorabend der Schlacht um Jericho.

Die Bibel berichtet:

13Und es begab sich, als Josua bei Jericho war,
dass er seine Augen aufhob
und gewahr wurde,
dass ein Mann ihm gegenüberstand,
ein bloßes Schwert in seiner Hand.

Und Josua ging zu ihm und sprach:

Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden?

14Er sprach:

Nein,
sondern ich bin der Fürst über das Heer des
Herrn.
Ich bin gerade gekommen.

Da fiel Josua auf sein Gesicht.4

Das ist auch fast alles,
was der Engel Josua zu sagen hat:

Ich bin da.

Manchmal ist es gar nicht mehr,
was Gott uns sagt:

Ich bin da.5

Und das ist alles, was nötig ist,
um uns zu stärken
für den nächsten Schritt.

Josua zog am nächsten Tag in die Schlacht
und errang einen großen Sieg.
Dieser Sieg der Israeliten in Jericho ist zum Urbild geworden
für den Sieg der Armen und Entrechteten.
Sie haben Gott auf ihrer Seite
und er kämpft für sie,
wenn sie in den Kampf ziehen.
6

(2) Die zweite Geschichte: Lisas Vertretungslehrer7

Lisa Simpson ist in der Schule ein bisschen eine Überfliegerin.
Da trifft es sich nicht gut,
dass ihre Klassenlehrerin eigentlich keinen Bock mehr hat
auf ihren Beruf.

Als die Lehrerin dann krank wird,
kriegt ihre Klasse einen jungen Vertretungslehrer.
Das ist ein Mensch,
der mit seinem Beruf
auch seine Berufung gefunden hat.

  • Er nimmt die Kinder ernst,
    die er vor der Nase hat.
    Sie sind nicht nur Nummern im System,
    sondern junge Menschen,
    die er persönlich wahrnimmt.
  • Ihm geht es um die Sache:
    Die Faszination an der Wissenschaft,
    die Anregung an der Literatur,
    die Schönheit an der Kunst.

Er merkt natürlich schnell,
mit welcher Begeisterung Lisa dabei ist
und welche Begabungen sie mitbringt.
Und sie fühlt sich wahrgenommen
und wertgeschätzt in einer Weise,
die sie so nicht kannte.

Doch die Klassenlehrerin wird wieder gesund
und Lisa muss sich verabschieden.
Da fließt das eine oder andere Tränchen – 
vielleicht hat das kleine Mädchen auch ein bisschen geschwärmt
für ihren jungen Lehrer.

Zum Abschied schenkt er ihr einen Brief.
Und da steht nur eine einzige Sache drauf:

Du bist Lisa Simpson.

Nun, das ist für Lisa kaum etwas Neues.
Sie kannte ja ihren eigenen Namen.
Aber manchmal ist es gar nicht mehr,
was wir hören müssen:

Du bist du,
das ist der Clou.

Du bist gewollt, kein Kind des
Zufalls, keine Laune der Natur.
8

Lisa jedenfalls
wurde von diesem Zuspruch gestärkt für den nächsten Schritt.
Sie konnte ihrem Vater mal so richtig die Meinung sagen;
und sie konnte sich wieder mit ihm versöhnen,
als die Dinge geklärt waren.

1Ein jegliches hat seine Zeit: […]

8lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit;
Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.
9

Gesegnet ist der Mensch,
dem Gott zur rechten Zeit
ein Wort der Stärkung zukommen lässt,
für den nächsten Schritt auf dem rechten Weg.
Auch Jesus hat er so gestärkt,
als er voller Angst und Zögern war.

(3) Ihr lieben,
ich habe diese Predigt angefangen
und über Engelsdarstellungen in Kirchen geredet.
Wir in Frankfurt haben ja keinen einzigen.
In den 50er Jahren waren Engel wohl nicht mehr „in“.
10

Hundert Jahre früher durften Engel scheinbar nicht fehlen.
In der Kirche der Trinitatisgemeinde in Weigersdorf
gibt es mindestens zwei Engel.
Die Weigersdorfer haben hinter ihrem Altar Fenster,
so ähnlich, wie bei uns.
Im linken Fenster bringt ein Engel eine Kanne,
im rechten Fenster einen Kelch.

Das ist in so fern ungewöhnlich:
Wenn der eine Engel einen Abendmahls-Kelch bringt,
für den Wein,
dann würde man erwarten,
dass der andere Brot bringt.
Was soll denn in der Kanne sein?
Wein haben wir ja schon!

Des Rätsels Lösung
fand der Pfarrer beim Aufräumen im Schrank. – 
Der Pfarrer in Weigersdorf
ist Benjamin Rehr, übrigens,
ein Enkel von Wilhelm Rehr,
der mein Amtsvorgänger war,
als hier die Kirche gebaut wurde. —

Jedenfalls fand Benjamin
in einem Schrank in der Kirche die Kanne,
nämlich genau die Kanne,
die der linke Engel in der Hand hat:
die Kanne für das Taufwasser.

Der Künstler,
der dieses Fenster gestaltet hat,
hat dem Engel also nicht
irgendeine Kanne in die Hand gemalt,
sondern die,
die jeder in der Gemeinde kannte.
Die wird immer dann benutzt,
wenn jemand getauft wird.

Das himmlische Wesen
hat einen ganz irdischen,
ganz vertrauten Gegenstand in der Hand.
In deiner Taufe haben sich Himmel und Erde berührt
und Gott selbst hat dich neu gemacht
und dich gestärkt
für ein Leben im Glauben.

11Er hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,
12dass sie dich auf den Händen tragen
und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.

13Über Löwen und Ottern wirst du gehen
und junge Löwen und Drachen niedertreten.

14„Er liebt mich,
darum will ich ihn erretten;
er kennt meinen Namen,
darum will ich ihn schützen.

15Er ruft mich an,
darum will ich ihn erhören;
ich bin bei ihm in der Not,
ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.

16Ich will ihn sättigen mit langem Leben
und will ihm zeigen mein Heil.“
11

Ehre sei dem Vater
und dem Sohn
und dem Heiligen Geist,
wie es war im Anfang,
jetzt und immerdar und in Ewigkeit.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!12 Amen.

1 Lk 10,16


2 Vgl. 1.Kön 19.


3 Vgl. CA 5.


4 Jos 5,13ff, gestrafft.


5 Vgl. Ex 3,14.


6 Vgl. z.B. den SpiritualJoshua Fought the Battle of Jericho“. Was hier freilich fehlt ist die Diskussion darüber, in wie weit Gott den die Bewohner von Jericho gegenüber gerecht war, den Israeliten ihre Stadt im Krieg zu schenken. M.E. verfehlt diese Kritik aber die Pointe der Erzählung, ähnlich, wie die Diskussion, ob denn die Storm Trooper auf dem Todesstern zurecht den Tod gefunden haben.


7 Nacherzählung von “Lisa’s Substitute”, “The Simpsons”, S02E19, USA 1991.


8 Aus: „Du bist du“, Cosi 374.


9 Aus Pred 3.


10 Das Siegel der Trinitatisgemeinde ist ein Engel. Dieser bleibt aber künstlerisch unverbunden mit der Gestaltung des Kirchraumes und dem restlichen öffentlichen Auftritt der Gemeinde.


11 Ps 91,11–16


12 Phil 4,7