19:43

Der Ernst der Nachfolge
Predigt zu Lk 9,57–62

18 Okuli, 15. März 2020, Bethlehemsgemeinde, Bremen

Diese Predigt legt drei Worte Jesu aus, die er zu Menschen sagt, die ihm auf seinem Weg zum Kreuz begegnen. Es sind durchaus harte Worte, die auch uns in unserer Zeit treffen können. – Ohne beim Abfassen zu wissen, dass dies der letzte Gottesdienst in der Bethlehemgemeinde sein würde, den wir in absehbarer Zeit halten, nehme ich in der Predigt einen Bezug zum Corana-Virus: Es ist wichtig, dass wir nicht die Lösungen der Toten auf die Probleme der Lebenden anwenden. Nicht nationales Denken ist förderlich, sondern nur ein Denken, das alle Menschen mit einschließt. Jetzt lese ich in den Nachrichten, US-Präsident Trump habe Milliarden geboten, um einen eventuellen Impfstoff exklusiv für sein Land haben zu können. – Als wolle er mir ein Beispiel liefern, wie man es nicht macht.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist das Evangelium des heutigen Sonntags,
aus dem Evangelium nach Lukas im 9. Kapitel.
Ich werde die relevanten Teile im Laufe der Predigt wiederholen.
2

Lasst uns beten:
Herr Jesus Christ,
harte Worte hast du den Menschen auf deinem Weg gesagt.
Lass uns nicht zurückschrecken,
sondern sprich in unser Herz durch das Wort der Predigt,
damit wir hören, was sie uns zu bedeuten haben. — Amen

Liebe Brüder und Schwestern!

Der Aufbau dieser Predigt
folgt dem Aufbau des biblischen Textes:
Drei Menschen sprechen mit Jesus
und er antwortet mit kantigen Worten,
die in den Ohren klingeln.
Ich möchte uns die drei Worte vor Augen führen
und sie für uns aufschließen.

1. Füchse und Vögel

Einer sagte zu Jesus:

57bIch will dir folgen, wohin du gehst.

58Und Jesus sprach zu ihm:

Die Füchse haben Gruben,
und die Vögel unter dem Himmel haben Nester;
aber der Menschensohn hat nichts,
wo er sein Haupt hinlege.

Das ist ganz typisch:

Ich will dir nachfolgen,
wohin auch immer du gehst!

Mensch! Weißt du eigentlich,
worauf du dich einlässt?
Weißt du eigentlich,
was du dir da wünscht?

Das ist jemand, der ein Held des Glaubens sein will.
Ein
Held, das ist einer, der „das Heft in der Hand“ hat,
der die Kontrolle hat.
„Heft“ heißt der Griff eines Schwertes.

Nur: Ein „Held des Glaubens“ hat keinen Glauben!

„Glauben“ heißt
- vertrauen,
- loslassen,
- abgeben.
Glauben heißt, Jesus das Heft in die Hand zu geben
und ihm die Kontrolle über das eigene Leben zu geben.

Doch wie macht man das?
Wie erkenne ich Jesu Willen für mein Leben?
Wie unterscheide ich Jesu Auftrag
von meinen eigenen religiösen Eitelkeiten
und den Erwartungen meiner Eltern und meiner Kirche?

Ich habe dafür auch keine magische Formel
und keine Bauanleitung.
Ich glaube, es ist vor Allem eine Frage der Haltung:

  • Nicht wissen, was Gott von einem will,
    sondern
    vermuten, was Gott von einem will.
  • Niemals aufhören, zu hören – auf sein Wort.
  • In jedem Moment seines Lebens damit rechnen,
    dass Jesus einen ruft;
    womöglich auch zur Umkehr ruft
    von einem falschen Weg.
  • Kritisch sein (insbesondere kritisch gegen einen selbst!),
    denn wir müssen damit rechnen,
    dass wir selbst diejenigen sind,
    die uns blind machen für Gott.
  • Jesus kann dich auch ganz gegen gesellschaftliche und kirchliche Erwartungen führen.

Die beiden andere Gesprächspartner
uns unserem Predigtabschnitt heute,
sind genau dafür deutliche Beispiele.

2. Die Toten ihre Toten bestatten lassen

59Jesus sprach zu einem andern:

Folge mir nach!

Der sprach aber:

Herr, erlaube mir,
dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.

60Aber Jesus sprach zu ihm:

Lass die Toten ihre Toten begraben;
du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

Dieser Mensch hat das Gesetz auf seiner Seite:

  • …das Gesetz der Liebe,
    dass man seinen Vater nicht im Stich lässt.
  • …das Gesetz des Anstandes,
    dass man die Toten mit Würde zu behandeln habe.
  • …das Gesetz der Torah,
    dass man Vater und Mutter zu ehren habe.
    3

Jesus ist der Sohn Gottes.
Er ist Herr über das Gesetz.
Wir können uns nicht selbst vom Gesetz entbinden,
doch wenn wir unser Leben mit Jesus leben,
wird er uns im Glauben führen,
auch wenn wir die normalen Wege verlassen müssen.

Lass die Toten ihre Toten begraben…

Das Wort, das dasteht, heißt nicht

Zwinge die Toten, ihre Toten zu begraben…

sondern es ist das selbe Wort,
das im Vaterunser „vergeben“ heißt:
Loslassen, erlassen, verlassen.
Er heißt:

  • Erlaube den Toten, ihre Toten zu begraben…
  • Lass los, was dich bindet,
    so dass du meinst, alles müsste wie immer sein.
  • Belasse es dabei, nimm hin und toleriere,
    dass manchmal die Toten ihre Toten begraben müssen…

Lass los und lass dich Fallen in die Hand von Jesus.
Er ruft dich!
Wenn wir in unserem Leben loslassen
und seinem Ruf folgen,
werden wir unser Leben ganz neu gewinnen.
Wir werden ganz neuen Mut finden
und ganz neue Wege.

Wenn ich in die Nachrichten schaue,
liegt der Ausbruch des Corona-Virus’ ganz oben auf.
Was ist eigentlich das Neue und Gefährliche an diesem Virus?
Ist er wirklich gefährlicher, als jede andere Grippe? –
Er ist neu und es gibt noch keine erprobten Medikamente.
Wichtiger für unsere Wahrnehmung scheint mir aber,
dass dieser Virus in ein neues gesellschaftliches Umfeld kommt.
Wir leben in einem hochmobilen Zeitalter.
Eine Krankheit,
die auf den Fisch- und Wildmärkten der chinesischen Provinz Wuhan zum ersten Mal auf den Menschen übergesprungen ist,
steckt hier in Bremen Menschen an. —
Der Virus ist nicht von hier,
er ist nicht von
daheim,
sondern er ist un
heimlich.

Dass Menschen heute so viel reisen,
macht das erst möglich.
Es macht aber auch möglich,
dass Ärzte auf der ganzen Welt zusammenarbeiten
bei der Bekämpfung des Virus’.

„Lasst die Toten ihre Toten begraben…“ heißt hier,
nicht die Lösungsansätze der Toten
auf die Probleme der Lebenden anzuwenden:
Nicht nationales Denken,
hilft uns weiter,
und schon gar kein Denken, das nur so weit reicht,
wie der Schatten des eigenen Kirchturms.
Nur ein Denken und Handeln,
das Landesgrenzen überspringt ist noch fruchtbar.
Wir müssen das Alte hinter uns lassen.
Was früher nützlich und stark war,
kann uns heute im Wege stehen.

Liebe Gemeinde,
versteht mich nicht falsch:
Es geht mir nicht darum, das alles Neue gut ist,
nur weil es neu ist.
Mit diesem Denken wären wir genau so wenig bei Jesus,
wie mit einem Denken,
das alles Alte automatisch gut ist,
weil es alt ist.

Ich plädiere für ein Denken,
das ganz im Hier und Jetzt ist,
aber gleichzeitig immer in der Beziehung mit Jesus.
Das ist, was Jesus’ dritter Gesprächspartner nicht versteht:

3. Wer die Hand an den Pflug…

61Ein andrer sprach:

Herr, ich will dir nachfolgen;
aber erlaube mir zuvor,
dass ich Abschied nehme von denen,
die in meinem Haus sind.

62Jesus aber sprach zu ihm:

Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück,
der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Was dieser Mensch will, ist doch erst mal sehr anständig:
Er möchte seine Beziehung mit Jesus so leben,
dass sie sozial verträglich ist.
Man muss seinen Glauben nicht ständig vor sich hertragen,
und Freunden und Verwandten damit auf die Nerven gehen.

Glauben kann man aber auch nicht verheimlichen.
So, wie die Stadt, die auf einem Berg liegt,
nicht verborgen werden kann,
wird das „Licht der Welt“ auch immer durchscheinen.
4
Das kann zu Konflikten führen,
aber man muss sie nicht suchen.

Bei diesem Mensch geht es auch um was anderes:
Er will Jesus nachfolgen,
aber er hält sich den Rückweg offen.
Er möchte seine alten Beziehungen noch pflegen.
Er will es sich nicht verderben mit seinem „Haus“,
also den Menschen,
mit denen zusammen er sein Leben lebt
und seinen Lebensunterhalt verdient.

Er möchte Jesus in seinem Leben,
- aber bitte in Maßen!
- und zu seinen eigenen Bedingungen!
5

Brüder und Schwestern,
das ist nicht zu haben!

Als Jesus am See Genezereth entlang ging,
sah er Petrus bei seinen Netzen.

Und er sprach zu ihm:

„Folge mir nach…!“

Sogleich verließ er seine Netze und folgte ihm nach.6

An einem anderen Tag sah er Levi, den Zöllner, am Zoll sitzen
und sprach zu ihm:

„Folge mir nach!“

Und er stand auf und folgte ihm nach.7

Wenn man von Jesus in die Nachfolge gerufen wird,
macht man einen Schritt auf ihn zu.
Und das ist ein Schritt von dem weg,
wo man gerade ist.
„Der Zöllner musste den Zoll [verlassen und]
Petrus [seine] Netze […]“.
8
Schon der erste Schritt, der Jesu Ruf folgt,
stellt uns in eine neue Existenz.

Wir Deutschen blicken manchmal verwundert
auf Amerikaner oder Kanadier,
wie leicht es ihnen fällt,
ihre Zuhause aufzugeben,
und in eine andere Stadt zu ziehen –
manchmal tausende Kilometer von ihrer alten Heimat entfernt.
Es ist die Erfahrung der Auswanderung,
die diese Kulturen prägt.
Wer einmal die Erfahrung gemacht hat,
dass man sich woanders eine neue Existenz aufbauen kann,
der lässt leichter los,
was ihn an einem Ort bindet.

Genau so ist das Leben eines Christen auch.
In der Taufe hat Christus unsere neue Existenz gegründet.
Wir sind Auswanderer,
die die Welt verlassen werden,
um Einwanderer zu sein im Reich Gottes.
Dahin sind wir auf dem Weg.
Wir sind Pilger und haben hier keine bleibende Stadt.
9

Liebe Brüder und Schwestern,
ich ahne, dass dieser Gedanke
für viele von euch einen bitteren Beigeschmack hat.
Für viele von euch
ist das Leben geprägt von der Erfahrung der Vertreibung.
Vertreibung ist nicht ein hoffnungsvoller Aufbruch
in ein neues Leben,
sondern der brutale Abbruch
einer bestehenden Existenz.
Sich im Westen etwas neues aufzubauen,
war hart.
Um so mehr möchte man erhalten,
was man sich geschaffen hat.
Und so sehr man diese Haltung
menschlich nachvollziehen kann,
so sehr ist sie
geistlich eine Gefahr.

Geistlich bauen nicht wir unsere Existenz,
sondern Christus ruft uns ins Leben.
Die Kirche wird
von ihm gebaut,
aus lebendigen Steinen,
10
nicht dadurch, dass wir Kirchen bauen und sie erhalten.
Die „Gemeinde der Heiligen“ wird nicht zusammengehalten
durch preußisches Pflichtbewusstsein,
sondern versammelt sich um den einen Herrn Jesus Christus.

Wer seine Hand an den Pflug legt
und blickt zurück,
der ist nicht geeignet für das Reich Gottes.

Wenn du pflügst, musst du dich an den Furchen orientieren,
die schon da sind,
sonst gibt das Chaos.
Die Gemeinden müssen ihren Blick auf Christus richten
und nicht zurückschauen
auf Gebäude und Privilegien.
Dann können wir frei und offen entscheiden,
was für uns dran ist.

4. Conclusio

Liebe Gemeinde,
wir haben drei kurze Gespräche mit Jesus angeschaut.
Alle drei enden in einem harten Wort:
- die „Helden des Glaubens“,
- die „Leichengräber der Toten“,
- und die „Ackerleute beim Pflügen“,
sie bekommen alle von Christus eine starke Ansage:
- „Du kannst gar kein Held sein!“
- „Lass los, was für die Toten ist, ergreife das Leben!“
- „Richte deinen Blick auf Christus, sonst ist deine Arbeit vergebens!“

Jesus Christus stellt diesen aberwitzigen Anspruch,
dass er Gott ist und uns das auch sagen darf.
Er schickt uns auf eine Pilgerfahrt durch die Welt,
wovon sollen wir da leben?

Ich möchte uns an dieser Stelle an die Lesung aus dem Alten Testament erinnern.
Elia wird auch von Gott losgeschickt.
Und nein: Es war nicht einfach.

Elia hatte Angst,
er lief um sein Leben.
Er kam in die Wüste und er war am Ende.

Er setzte sich unter einen Wacholder
und wünschte zu sterben.
11

Doch Gott rührt ihn an.
Ein Engel weckt ihn:

Steh auf und iss!

Geröstet Brot und ein Krug mit Wasser.
Lebensmittel der einfachsten Art.
Und dieses Essen,
diese göttliche Speise trägt Elia durch die Wüste,
vierzig Tage und vierzig Nächte lang.

Was bekommen wir, was trägt uns?
Brot und Wein.

In der Nacht, da der Herr verraten ward,
nahm er das Brot,
dankte, brach es und sprach:

„Nimm und iss;
mein Leib, für dich gegeben“,

… „das neue Testament in meinem Blut“.

Speisen der einfachsten Art,
aber mit der größten Wirkung.
Es mögen noch vierzig Jahre sein,
bis der Herr wiederkommt,
oder vierzig Zeitalter –
aber dies trägt uns durch bis zum Schluss.

- Ob wir in einer Kathedrale Gottesdienst feiern,
- im Hinterzimmer einer Kneipe
- oder im Wohnzimmer eines einzelnen,
dies ist immer gleich:
Der Herr Jesus Christus ist unter uns.
Er macht unsere Gemeinschaft
zu seiner Gemeinschaft.

Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen:
wir sind, die wir von einem Brote essen,
aus einem Kelche trinken,
alle Brüder und Jesu Glieder.
12

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!13 Amen.

Predigtabschnitt Lk 9,57–62

57Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm:

Ich will dir folgen, wohin du gehst.

58Und Jesus sprach zu ihm:

Die Füchse haben Gruben,
und die Vögel unter dem Himmel haben Nester;
aber der Menschensohn hat nichts,
wo er sein Haupt hinlege.

59Und er sprach zu einem andern:

Folge mir nach!

Der sprach aber:

Herr, erlaube mir,
dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.

60Aber Jesus sprach zu ihm:

Lass die Toten ihre Toten begraben;
du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

61Und ein andrer sprach:

Herr, ich will dir nachfolgen;
aber erlaube mir zuvor,
dass ich Abschied nehme von denen,
die in meinem Haus sind.

62Jesus aber sprach zu ihm:

Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück,
der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

1 1.Kor 1,3


2 Predigttext am Ende des Manuskript.


3 Vgl. Ex 20,12.


4 Vgl. Mt 5,14.


5 Vgl. DBW 4,49.


6 Nach Mt 4,18–20.


7 Vgl. Mk 2,14.


8 DBW 4, 50.


9 Vgl. Heb 13,14.


10 Vgl. 1.Petr 2,5.


11 Folgt ELKG 026.


12 ELKG 159.


13 Phil 4,7