Leben kommt in der Wüste
Predigt zu Jes 35,1–10
Das ist mal so eine richtige SELK-Predigt: Wort und Sakrament. Doch es lohnt sich zu wiederholen: Unser Gebet „Maranatha, komm, Herr Jesus“ erfüllt sich in und unter den Inhalten und der Gemeinschaft des Gottesdienstes und unseres Lebens im Glauben.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.
Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
steht geschrieben im Buch des Propheten Jesaja
im 35. Kapitel.
Der Prophet sagt:
1Die Wüste und Einöde wird frohlocken,
und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien.
2Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude.
Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben,
die Pracht von Karmel und Scharon.
Sie sehen die Herrlichkeit des Herrn,
die Pracht unsres Gottes.
3Stärkt die müden Hände
und macht fest die wankenden Knie!
4Sagt den verzagten Herzen:
„Seid getrost,
fürchtet euch nicht!
Seht, da ist euer Gott!
Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.“2
5Dann werden die Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
6Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch,
und die Zunge der Stummen wird frohlocken.
Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen
und Ströme im dürren Lande.
7Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen,
wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein.
Wo zuvor die Schakale gelegen haben,
soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
8Und es wird dort eine Bahn sein,
die der heilige Weg heißen wird.
Kein Unreiner darf ihn betreten;
nur sie werden auf ihm gehen;
auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
9Es wird da kein Löwe sein
und kein reißendes Tier darauf gehen.
Sie sind dort nicht zu finden,
sondern die Erlösten werden dort gehen.
10Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen
und nach Zion kommen mit Jauchzen.
Ewige Freude wird über ihrem Haupte sein;
Freude und Wonne werden sie ergreifen,
und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
Lasst uns beten:
Herr Gott, himmlischer Vater,
sei bei uns in deinem Heiligen Geist,
damit die Worte des Propheten
Worte für uns sind. — Amen
Liebe Schwestern und Brüder,
(1) Wort
einer der großen Helden meiner Kindheit
war Bernhard Grzimek.
Grzimek ist mit einem Zebra-Flugzeug nach Afrika geflogen,
um wilden Tieren zu helfen.
Das hat er dokumentiert,
zum Beispiel in dem Film „Serengeti darf nicht sterben“.
Eine der stärksten Erinnerungen,
die ich an den Film habe,
ist der Moment, in dem die Regenzeit einsetzt.
Den größten Teil des Films
schaut man sich die Gnus, Zebras und Gazellen an,
wie sie durch eine gelb-braune Savanne
mit knochigen Bäumen laufen.
Wenn dann der Regen kommt,
explodiert über Nacht die ganze Landschaft.
Der Kontrast könnte kaum größer sein.
Wo vorher quasi Wüste war,
sehen wir jetzt die Tiere auf satten, grünen Wiesen
bis zum Horizont.
Die Zebras grasen zwischen gelben und weißen Blümchen.
Ihre Fohlen laufen ihnen um die Beine.
Wo vorher Tod war, ist jetzt Leben.
Blühen und Vermehrung ersetzen Absterben und Niedergang.
Der Prophet zeigt und dieses Starke Bild als ein Versprechen.
Bald, bald!, wird das passieren!
Er stimmt damit ein als ein Oberton
in den Dreiklang der Lesungen.
Jesajas eigenes Gebet macht den Anfang:
Heilland, reiß die Himmel auf!
Sei du selbst die Regenzeit,
die uns Leben bringt!3
Und der Apostel schreibt uns:
Seid geduldig und stärkt eure Hände,
denn das Kommen des Herrn ist nahe.4
Jesus selbst sagt uns:
Seht auf, erhebt eure Häupter,
weil sich eure Erlösung naht!5
Klingt super!
Und jetzt?
Wo sind denn die satten, grünen Wiesen
in der Wüste der Wirklichkeit?6
Wie hilft mir das,
wenn ich gerade damit beschäftigt bin,
die Prioritäten meiner Patchwork-Familie zu managen
oder mich neu zu erfinden,
weil eine Krankheit mich einschränkt?
Wo ist denn meine Erlösung sichtbar, spürbar, erfahrbar? —
Es ist unser Glaube,
dass Gott der Herr uns Kraft und Leben schenkt
in seinem Wort.
Gottes Wort wirkt, was es befielt:
Gen 1,24Gott sprach:
Die Erde bringe hervor lebendiges Getier,
ein jedes nach seiner Art:
Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes,
ein jedes nach seiner Art.
Und es geschah so.
Gott spricht zu uns:
Jes 35,3Stärkt die müden Hände
und macht fest die wankenden Knie!
Jak 5,8Seid geduldig und stärkt eure Hände!
Und es geschieht so.
Gottes Wort offenbart uns Gottes Wesen.
Es löst Freude, Zuversicht und Hoffnung in uns aus.
Doch in und unter den Informationen und den Gefühlen
ist Gottes schöpferische Kraft bei uns gegenwärtig.
Es ist verborgen, unscheinbar und verwechselbar,
doch hier erfahren wir Licht und Leben.
Durch Gottes Wort geschieht Schöpfung wie am ersten Tag.
Viele Christenmenschen, die das erfahren,
reden von einer Wiedergeburt
oder einem Erwachen.
Doch auch diejenigen,
die ihren Glauben nicht an einem großen Gefühl festmachen,
geht die Wirkung von Gottes Wort
nicht spurlos vorbei.
(2) Sakrament
Liebe Gemeinde,
Jesaja benutzt noch andere Motive,
um uns das Advents-Evangelium zu verkündigen.
Er schreibt:
5Dann werden die Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
6Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch,
und die Zunge der Stummen wird frohlocken.
Wenn unser Erlöser kommt,
wird das Leben alle Krankheit überwinden.
Dieses Bild ist uns vertraut von den Heilungswundern Jesu,
über die wir in den Evangelien hören.
Jesus sagt zu einem Gelähmten:
Dir sind deine Sünden vergeben.
Erhebe dich,
nehme dein Lager
und geh nach Haus’.7
Da erhob er sich,
nahm sein Lager
und ging nach Haus’.
Jesus sagt zu einem Tauben:
Effata! Öffne dich!
Da löste sich die Blockade aus seinen Ohren
und die Fessel seiner Zunge.8
Jetzt hört er das lebendige Wort
und er kann das Evangelium weitergeben.
Natürlich fragt sich da so mancher Christenmensch:
- Wo ist denn meine Heilung?
- Wunder geschehen doch jeden Tag.
Hier und jetzt wäre schön! - Wie überwinde ich meine Krankheit,
meinen Schmerz
und meine Trauer? - Wo ist die Pille, die ich einwerfen kann,
und alles wird wieder gut?
Die Alten nannten das Abendmahl
„Arznei der Unsterblichkeit“.9
Auch antike Menschen kannten
- Krankheit,
- Leid
- und älter werden.
Im Abendmahl
haben sie so viel oder so wenig körperliche Heilung erfahren,
wie wir auch.
Wunder geschahen damals wie heute jeden Tag,
aber „machen“ konnten sie die genau so wenig, wie wir.
Vielmehr spricht aus der Bezeichnung
„Arznei der Unsterblichkeit“
der Glaube,
dass sie durch das Abendmahl
schon jetzt Gemeinschaft haben
mit Jesus Christus,
wie sie im Himmel sein wird.
Ein Arzt ist uns gegeben,
der selber ist das Leben;
Christus, für uns gestorben,
der hat das Heil erworben.10
Im lebendigen Wort begegnet uns die Kraft der Schöpfung.
Im Abendmahl begegnet uns die Kraft der Annahme.
Gott hat in Jesus Christus uns Menschen angenommen,
mit Leib und Seele und allem, was dazugehört.
Das, was dazugehört,
ist eben auch
- Krankheit und Verfall,
- Leiden und Trauern,
- Kreuz und Tod.
Das kann man als Mensch nicht überspringen.
Jesus hat es auch nicht übersprungen,
sondern er hat es auf sich genommen
- leiblich
- für uns.
Deswegen ist das so wichtig,
dass das Abendmahl leiblich ist.
Krankheit und Tod sind ja auch leiblich.
Im Abendmahl ist Gott leiblich bei uns und für uns;
und so die „Arznei der Unsterblichkeit“.
(3) Gottesdienst
Abendmahl als solches
war dem Propheten Jesaja nicht vor Augen.
Die „Bahn“, der „heilige Weg“,
den er in der Wüste sieht,
führt zum Zion, dem Tempelberg.
Was machen die Erlösten, wenn Gott sie befreit hat?
Sie feiern Gottesdienst.
Hier haben wir Gemeinschaft mit Gott und untereinander.
Hier sind Wort und Sakrament.
In und unter dem Knirschen und Reiben
- das Wortwahl,
- Psalmtöne
- und Musikgeschmäcker
mit sich bringen,
schenkt Gott uns Liebe und Leben.
Gegen Eitelkeit und Streit,
trotz alten und neuen Verletzungen
will Gott unter uns gegenwärtig sein.
10Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen
und nach Zion kommen mit Jauchzen.
Ewige Freude wird über ihrem Haupte sein;
Freude und Wonne werden sie ergreifen,
und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
Amen.
Maranatha, komm, Herr Jesus.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!11 Amen.
1 1.Kor 1,3
2 Das Gerechtigkeits-Motiv lasse ich in der Predigt weg. Der Predigtweg Wort–Sakrament–Gottesdienst müsste sonst einen Umweg machen, insbesondere den erklärungsbedürftigen atl. Begriff „Rache“ bzw. „Vergeltung“.
3 Dies ist eine Paraphrase von ELKG² 307, natürlich, was wiederum eine Paraphrase der atl. Lesung aus Jes 63 zu diesem Proprium ist.
4 Jak 5,8 (Epistel, ELKG² 2)
5 Lk 21,21 (Evangelium, ELKG² 2)
6“Welcome to the desert of the real”, Morpheus über die Wirklichkeit außerhalb der „Matrix“, USA 1999.
7 Vgl. Mt 9,1–7.
8 Vgl. Mk 7,34f.
9 Pharmakon athanasias, Ignatius, Brief an die Epheser 20,2; zitiert nach Wibilex, Art. „Abendmahl“.
10 ELKG² 603,4
11 Phil 4,7
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