16:47

Schäfer im Sturm
Predigt zu Ps 23

149 Miserikordias Domini, 14. April 2024, Bad Schwartau

Ordinationspredigt für Benjamin Lippa, Hirtensonntag 2024 in Bad Schwartau. Christus spricht: „Ich bin der gute Hirte“. Für alle, die in der Kirche ihren Ehrgeiz, ihre Sehnsucht und ihr Zuhause haben, ist dieser Vers Gesetz.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist der 23. Psalm.

1Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.

2Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.

3Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.

4Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.

5Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.

6Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Lasst uns beten:
Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte
und ein Licht auf meinem Wege!
2
— Amen

Liebe Schwestern in Christus,
liebe Brüder im Herrn!

Lieber Benni,
zu dieser Predigt gehört ein Geschenk.
Das ist ein kleiner Nagel,
wie man ihn in die Wand schlägt,
um ein Bild daran zu hängen.

(1) Als ich in der Bremer Gemeinde den Dienst antrat,
wollte ich gerne selber an der Webseite arbeiten können.
„In Ordnung“, meinte die Administratorin,
„ich richte dir ein Konto ein“.

Zugangsdaten bekam ich per e-Mail:

Benutzername: hirte
Passwort: irgendeine Zahl

„Hirte“, dachte ich mir,
„bin ich das?“

Nun weiß ich natürlich,
dass man im Norden „Pastor“ sagt
und das ist auch nicht mehr als Latein
und bedeutet „Hirte“.
Aber sie hatte dieses Wort gewählt
und ich habe mich gefragt,
ob das gesund ist:

  • Möchte ich von mir als Hirte denken?
  • Möchte ich, dass die Gemeinde von mir als Hirte denkt?
  • Jesus Christus ist der gute Hirte.3
    Kann ich, will ich, darf ich
    von mir selbst als Hirten denken –
    oder vielleicht doch besser als Schäferhund?
  • Denkt die Gemeinde womöglich von sich selbst als Schafen?
    als Herdentiere, die einem Leithammel folgen?

Wegen Letzterem brauchte ich mir bei der Administratorin
keine Gedanken machen.
Sie ist eine gestandene Bäuerin
eine selbstbewusste Frau ist.
Ich bin sicher:
Sie führt mit ihrem Mann eine Beziehung auf Augenhöhe –
so lange er tut, was sie sagt. —
Um so weniger passte das Bild des Hirten als Anführer
über die Schafe als willenlose Masse.

(2) Ich bin in dieser Frage einen Schritt weiter gekommen,
als ich in der Bremer Kunsthalle
Ernst Barlauchs Plastik sah „Der Schäfer im Sturm“.

Die Holz-Statue hat einen Umriss von fast 50⨉50 cm, 25 tief.
Sie hat mich auf Anhieb beeindruckt.

Der Schäfer ist ungefähr in meinem Alter,
eher ein paar Jahre älter.
Er hat den Körperbau eines starken Mannes – 
aber nicht wie einer, der im Sportstudio trainiert,
sondern wie einer,
der von Jugend an körperlich gearbeitet hat.
Er trägt grobe Schuhe
und Kleidung aus Wolle;
darüber einen gewachsten Mantel
und einen flachen Hut.

Er stellt sich mit einem Ausfallschritt in den Sturm,
mit dem Gewicht auf beiden Beinen.
Er geht etwas ins Knie,
damit er festen Stand hat.
Den Hut muss er sich festhalten.
Dabei neigt er seinen Kopf in den Wind,
wie eine Geste der Demut.
Mit der anderen Hand greift er den wehenden Mantel. —
Unter dem Mantel birgt sich sein Hund.
Mit gesenktem Kopf sucht er Windschatten
und die Nähe zu seinem Herrn.

Das ist ein Hirte:

  • einer, der bei seiner Herde bleibt wenn der Sturm kommt,
  • einer, der da ist für seine Tiere,
  • einer der mich birgt,
    unter dem Saum seines Gewandes,
    4
    auch wenn es ihn was kostet.

In der alten Zeit waren die Schäfer sachkundige Heiler.
Es gab ja keine Ärzte.
Die Schäfer hatten Erfahrung darin,
Heilung zu fördern
und Leben zu erhalten.
Das ist,
was gemeint ist,
wenn der Psalmist betet:

Der Herr erquickt meine Seele.

Das klingt für uns nur noch nach Kirchensprache,
aber das Gemeinte bezieht sich auf Alltag
und Handwerk.

Der Hirte führt die Herde dorthin,
wo es optimale Lebensbedingungen gibt.
Das ist sein Berufsethos.

Er führet mich auf rechter Straße
um seines Namens willen.

So entspricht es seinem Wesen.
Sonst würde er nicht „Hirte“ heißen.

Er wehrt die Angriffe von Raubtieren ab.
Deswegen ist der Knüppel, den er trägt,
den Schafen eine Beruhigung.

4Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.

Ich war die Tage in Frankfurt auf der Dippemess,
auf der Kirmes,
und einer der freundlichen Polizisten am Eingang
hatte eine Langwaffe angelegt,
eine Maschinenpistole.
Die Maschinenpistole hat eine Kampfentfernung von 100m.
Auf wen oder was willst du schießen
auf 100m
auf einer Kirmes?
Als Waffe ist die Maschinenpistole vollkommen sinnfrei.
Sie dient nur dazu,
dass wir sehen,
dass unsere Ordnungshüter,
unsere Ordnungs-Hirten,
„Stecken und Stab“ dabei haben.

Dein Stecken und Stab beruhigen mich.

Die Schafe essen
und werden nicht gegessen.
Sie erfahren vom Hirten Pflege und Zuneigung.
Die Herde ist sein Wohlstand.
Die Tiere sind ihm wertvoll.

5Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.

Mit diesen Bildern im Hinterkopf
schaut man in Norden auf einen Hirten.
Was macht das mit mir,
wenn sie mich „Pastor“ nennen?

(3) Liebe Gemeinde,
Jesus Christus spricht:

Ich bin der gute Hirte.5

An diesem Herrenwort bewahrheitet sich für mich,
was in den unseren Bekenntnisschriften festgehalten ist:

Die ganze Schrift,
beide Altes und Neues Testament,
wird in die zwei Stücke geteilt
und lehrt diese zwei Stücke,
nämlich Gesetz [und Evangelium].
6

Dieser Bibelvers ist starker Zuspruch:
Christus ist
dein guter Hirte.

Aber, Benni!
für dich und für mich
ist das scharfes Gesetz.
Das gilt überhaupt für alle Menschen,
die ihren Ehrgeiz, ihre Sehnsucht und ihr Zuhause
in der Kirche haben.

Jesus rettet.
Du rettest nicht.

Das ist ein Zuspruch,
aber damit ist auch der Anspruch formuliert,
dass wir loslassen sollen:

(a) unseren Ehrgeiz,
geizig zu sein mit der eigenen Ehre.

Soli Deo gloria.

Dem Herrn allein die Ehre.

Das gilt für alle,
die gerne viel arbeiten,
und besonders für die,
die nicht nichts tun können.
Es steht dir nicht zu, Mensch,
dem Werk Christi etwas hinzufügen zu wollen.

Theoretisch wissen wir das alle:

Wir sind nicht Gott.

Dafür muss man nicht Dogmatik an der LThH studiert haben.
Doch wir fühlen und handeln nicht so.
In unserem Inneren wollen wir Gott sagen,
wo es lang geht.
Wir wollen klug sein wie Gott:
Das ist „eine Lust für die Augen und verlockend“.
7
Wir sollen
unser Kreuz aufnehmen,
wenn wir Christus nachfolgen.
8
Das Kreuz hat Jesus längst für uns getragen.
Er trägt die Gemeinde durch seine Gnade,
nicht wir durch unsere Arbeit.

(b) Wir müssen unser Suchtverhalten kontrollieren.
Wir müssen die Sehnsucht loslassen.
Kein Konjunktiv:

Es könnte alles so schön sein!

Statt dessen: Indikativ:

So ist, was Gott uns bereitet hat.

Benni kommt aus Bad Schwartau
und er träumt von Gottesdiensten in Bochum
mit Band und Gospelchor.
Da möchte ich Werbung machen für Blütenlese.
Auf unserer Webseite
blgd.tv gibt es alle Musik,
die wir aufgenommen haben,
zum runterladen.
Wenn kein Musiker Dienst tut im Gottesdienst,
nimmt man sich sein Handy und eine Lautsprecherbox
und hat Musik.
Mehr als Null.
Das ist als Bild für zukünftige Gottesdienste in Bochum
unter Umständen realistischer.

Die Sehnsucht dürfen wir haben,
aber wir müssen sie kontrollieren.
Das heißt,
dass man einen Gottesdienst mit der selben Andacht feiert,
ob die Band spielt
oder der Distanzchor abgespielt wird.

(c) Als letztes:
Im Hebräerbrief heißt es:

Wir haben hier keine bleibende Stadt,
sondern die zukünftige suchen wir.
9

Ich war einen meiner Kollegen besuchen im Westerwald.
Der zeigte mir in der Sakristei seiner Kirche
einen Nagel in der Wand.
Da war die Ahnenreihe seiner Vorgänger
und an seinem ersten Tag dort,
an seinem 1. Mai 2024,
hat er den Nagel in die Wand geschlagen,
an dem sein Bild hängen wird.

Ps 102,26[Herr,] du hast vorzeiten die Erde gegründet,
und die Himmel sind deiner Hände Werk.
27Sie werden vergehen,
du aber bleibst;
sie werden alle veralten wie ein Gewand;
wie ein Kleid wirst du sie wechseln,
und sie werden verwandelt werden.
28Du aber bleibst, wie du bist,
und deine Jahre nehmen kein Ende.

Unsere Gebäude und Einrichtungen,
unsere Körper und Kirchen-Körper
entstehen und vergehen.
Gott allein bleibt.

(4) Ihr lieben,
Barlachs „Schäfer im Sturm“
bietet mir mindestens zwei Ansatzpunkte,
mich zu identifizieren:

Der Schäfer hat die Kraft,
dem Sturm entgegenzutreten.
Er hat Ausrüstung, Technik und Erfahrung,
die ihn dabei unterstützt.
Die Kraft ist der Glaube,
das Gott Wunder wirkt hier in der Welt
durch Wort und Sakrament.
Zurüstung und Technik sind das Studium
und das Vikariat.
Erfahrung kommt von ganz alleine.

Ich stelle mir gerne vor,
dass der Schäfer ein Zuhause hat,
wo es warm ist und gemütlich.
Vielleicht wartet da jemand auf ihn,
der ihn lieb hat.
Das ist das Himmelreich.
Jesus ist vorausgegangen,
um uns die Stätte zu bereiten.
10

Wenn mir der Sturm aber gar zu sehr ins Gesicht fegt
dann wäre ich auch gerne der Hund.

Der Herr ist mein Hirte.

Und ich ducke mich
in den Windschatten seiner Gnade.
Da lehne ich meinen Kopf an ihn an
und ich muss gar nicht selber stark sein,
sondern er ist stark für mich.
Auf seinem Hof gibt es eine Stätte,
wo ich hingehöre.

6Gutes und Barmherzigkeit
werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des
Herrn
immerdar.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!11 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Vgl. Joh 10,11 und 14.


4 Vgl Jes 6,1; Mt 9,29; 14,36; Lk 8,44.


5 Joh 10,11.14


6 ApolCA Ⅳ, BSELK S. 268; im Original: „… nämlich Gesetz und göttliche Verheißungen“.


7 Gen 3,6


8 Vgl. Mt 26,24.


9 Heb 13,14


10 Vgl. Joh 14,2f.


11 Phil 4,7


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Ez 34, Miserikordias Domini

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