Von Gott durch Jesus gekannt
Predigt zu Joh 10,11–16
Jesus Christus spricht: „Ich bin die Seife“. – Natürlich nicht! Doch er ist der Mittler zwischen Mensch und Gott, wie die Seife dem Öl Öl und dem Wasser Wasser ist. Sorry wegen der Tonqualität: Es ist einfach niemand da, der bei der Aufnahme das mal nachführen könnte.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.
Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist ein Abschnitt aus dem Evangelium nach Johannes
im 10. Kapitel.
Wir haben sie gerade als Lesung gehört.
Wenn ich das übersetze,
klingt das so:
Christus spricht:
11Ich bin der gute Hirte.
Der gute Hirte setzt sein Leben ein –
um der Schafe willen.
12Der Lohnarbeiter,
- der ist kein Hirte
- und die Schafe sind nicht seins.
Wenn der den Wolf kommen sieht,
lässt er die Schafe Schafe sein
und flieht. –
Und der Wolf raubt sie
und zerstreut sie. –
Denn er ist ein Lohnarbeiter
und ihm liegt nichts an den Schafen.
14Ich bin der gute Hirte.
Ich kenne die meinen und die meinen kennen mich,
15wie der Vater mich kennt und den Vater ich.
16Und andere Schafe habe ich auch,
die sind nicht aus diesem Stall.
Auch diese muss ich führen
– und sie hören meine Stimme! –
und es wird eine Herde sein
und ein Hirte.
Lasst uns beten:
Herr Jesus Christus,
öffne uns die Ohren und die Herzen,
damit wir sehen
und verstehen
und neu geschaffen werden
in dir.
— Amen
Liebe Schwestern und Brüder,
zur Einleitung dieser Predigt
möchte ich zwei Schritte mit euch gehen.
Im ersten Schritt geht es um „verstehen“
und im zweiten Schritt geht es um den „Mittler“ Jesus Christus.
(1a) „verstehen“
Ich bitte Holger nach vorne auf die Stufen des Altars.
Holger und ich stehen jetzt hier vorne
und blicken auf die Welt.
Jetzt werden Holger und ich uns ver-stehen.
Holger und ich tauschen die Plätze.
Jetzt haben Holger und ich uns ver-standen.
Ich stehe, wo Holger stand
und Holger steht, wo ich stand.
Wenn Holger und ich jetzt über die Welt reden,
können wir uns verstehen,
weil wir mal den Standpunkt des anderen
zu unserem Standpunkt gemacht haben. —
Gott und Mensch
können sich nicht ver-stehen,
weil wir Menschen nicht in der Lage sind,
mit Gott den Platz zu tauschen.
Mit Gott den Platz tauschen zu wollen,
ist lebensgefährlich.2
Wer die Früchte vom Baum der Erkenntnis frisst,
vor dem muss der Baum des Lebens geschützt werden.
Spätestens seit Genesis 3 leben wir genau in dieser Situation.
Es ist ein unüberwindbarer Sund
zwischen Gott und uns. —
Dieser Gedanke bringt mich zum zweiten Schritt der Einleitung
und zu dem Experiment,
das hier aufgebaut ist.
Holger, sei bitte so nett
und unterstütz’ mich noch bei diesem kleinen Experiment.
(1b) Der Mittler
Unten in dem Gefäß ist Wasser.
Das habe ich blau gefärbt,
damit man es sieht.
Oben auf dem Wasser schwimmt Öl.
Öl und Wasser können nicht miteinander.
Da braucht es keinen Cherub mit dem flammenden Schwert.
Die Natur der Moleküle ist so,
dass man die Substanzen nicht mischen kann.
Holger, sei so nett und kipp die Seife in das Gefäß.
Die Moleküle der Seife
haben – so zu sagen –
zwei Naturen.
Die Seife ist dem Öl Öl
und dem Wasser Wasser. —
Jesus Christ spricht:
Ich bin die Seife.
Nein, das sagt er natürlich nicht.
Jesus sagt solche Dinge wie:
Ich und der Vater sind eins.3
In unserem Abschnitt sagt Jesus es so:
Ich kenne die meinen und die meinen kennen mich,
15wie der Vater mich kennt und den Vater ich.
Die Seife ist dem Öl Öl
und dem Wasser Wasser.
Das ist symmetrisch gedacht
und die Bibel redet des öfteren so.
Es ist ein Gott
und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen,
nämlich der Mensch Christus Jesus.4
Es ist aber wichtig,
im Hinterkopf zu behalten,
dass Gott derjenige ist,
der hier handelt.
Gott wird Mensch,
um uns Menschen Mensch zu sein,5
ohne, dass er aufhört, Gott zu sein.
Das ist ein bisschen anders, als bei der Seife.
Bei der Seife sind es ja drei: Wasser, Seife und Öl.
Hier sind es nur zwei,
Gott der uns Menschen ein Mensch wird.
In diesem Bund ist Gott der erste und der dritte. –
Das schillert ein bisschen.
Das ist eine ungewöhnliche Denkfigur,
was ja auch nicht weiter überraschend ist,
wenn wir mit irdischen Worten
von himmlischen Dingen reden.
Deswegen kommt es auf Seiten von uns Menschen
zu Missverständnissen
und ich möchte die zweite Hälfte der Predigt nutzen,
um drei Missverständnisse anzusprechen.6
Erst mal aber vielen Dank an Holger,
dass er das chemische Experiment heute Morgen
durchgeführt hat.
(3a) Glaube ist nicht Tinder
Erstes Missverständnis:
Glauben ist nicht wie Tinder.
Tinder ist eine Dating App.
Da kriegt man die Bilder von Menschen gezeigt
und kann dann links oder rechts wischen.
Wenn du nach links wischt
und der Mensch auf dem Bild
wischt bei deinem Bild auch nach links,
dann werdet ihr conntected und könnt miteinander schreiben.
Das heißt:
Es gibt einen Anspruch daran,
- wie du aussiehst,
- wie du bist usw.,
und du musst den Ansprüchen des anderen genügen.
Das ist symmetrisch.
Ihr habt beide Ansprüche
und ihr müsst gegenseitig
den Ansprüchen des anderen genügen.
Doch Glaube ist nicht Tinder.
Die Beziehung zwischen Gott und Mensch
ist nicht symmetrisch.
Natürlich hat Gott Ansprüche an uns.
In der Bibel sind die Ansprüche klar zu erkennen.
Da steht vorne dran:
Du sollst…
Du sollt keine anderen Götter haben neben mir.
Du sollst den Feiertag heiligen.
Du sollst nicht stehlen.
Du sollst nicht töten.
Du sollst nicht ehebrechen.
Unsere Epistel von heute Morgen
formuliert auch einen Anspruch:
Christ hat für euch gelitten
und euch ein Vorbild hinterlassen,
dass ihr sollt nachfolgen
seinen Fußstapfen… 7
Jesus kann uns in mancherlei Dingen ein Vorbild sein,
aber lange nicht in allem.
Jesus selbst lehrt:
Selig sind die Barmherzigen,
denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind die Sanftmütigen;
denn sie werden das Erdreich besitzen.8
In der Bergpredigt sagt Jesus auch:
Du sollst deine Feinde lieben.9
Spätestens da stellt sich die Frage,
ob wir das überhaupt können.
Wenn wir manche Feinde nur lieben
und uns nicht wehren,
werden wir vergehen.
Jesus ist doch gerade der gute Hirte,
der sein Leben einsetzt um der Schafe willen.
Jesus hat sein Leben gegeben, damit wir unser Leben behalten.
Hier sehen wir,
dass Gottes Gesetz
ein schöpferisches Wort Gottes ist,
das uns zu einer kreativen Auseinandersetzung anregt.
Gottes Wort bewegt uns zur Umkehr
und macht uns neu. —
Selbst Gottes Anspruch
ist sein Geschenk an uns.
In dem Bild, das Jesus hier benutzt,
ist Gott ein liebender Familienvater.
Jesus ist der erstgeborene Sohn,
der als unser Hirte dient.
Das ist keine Geschäftsbeziehung,
wie für den Lohnarbeiter.
Bei allem Anspruch sind nie Produktionsmittel,
sondern wir sind geboren unter seinen Händen.
Wir leben unter seinem liebevollen Blick.
(3b) Glaube ist nicht intellektuell
Zweites Missverständnis:
Glaube ist nicht intellektuell.
Glaube ist nicht das Nachsprechen von Dogmen
oder das für-wahr-erklären von Wundern oder ähnlichem.
Glaube ist Antwort auf die Anrede Gottes.
Wir hören seine Stimme im Evangelium,
Gottes gute Botschaft für dich,
und die Gemeinde antwortet mit: „Ich glaube“.
Es ist wie zwischen Prinzessin Lea und Han Solo.
Und kurz bevor Han Solo in Karbonit eingefroren wird,
sagt Prinzessin Lea zu ihm:
Ich liebe dich.
Und er antwortet:
Ich weiß!
So ist das hier auch.
Gott sagt im Evangelium:
Ich liebe dich.
Und die Gemeinde antwortet:
Ich glaube dir.
Ich glaube,
dass du der Vater bist,
der mich geschaffen hat
und mein Leben erhält.
Ich bin nicht nur Leben, das Leben will,
und Leben, das auf Kosten anderen Lebens vegetiert,
sondern mein Leben kommt aus Gott.
Ich glaube,
dass Jesus Christus mein guter Hirte ist,
der sein Leben um meinet willen eingesetzt hat.
Ich glaube,
dass der Heilige Geist
mein leben durchatmet
jetzt und hier,
mir Glauben schenkt
und Gebet
und mich erinnert an das alles.
Ich glaube an Vergebung,
ich glaube an Auferstehung,
ich glaube an Gemeinschaft
und bin
durch meine Taufe
in dem allen
mitten drin.
Glaube ist nicht intellektuell,
Glaube ist existenziell.
(3c) Glaube ist Wirklichkeit, nicht Möglichkeit
Drittes und letztes Missverständnis:
Der Glaube ist nicht Möglichkeit,
sondern Wirklichkeit.
Um diesen Glauben zu verschenken,10
hat Gott das Predigtamt eingesetzt,
das Evangelium und die Sakramente zu geben.
Das Evangelium wird gepredigt,
nicht weil du Glauben hast,
sondern damit du Glauben hast.
Das Abendmahl ist Leib und Blut Christi,
nicht weil du Glauben hast,
sondern damit du Glauben hast.
Wenn du jetzt sagst:
Aber ich zweifle. — Ich bin unsicher.
Ja, ich auch! Sind wir alle.
Wer zweifelt denn nicht im Angesicht dieser Dinge,
wer wäre nicht unsicher?
Wenn wir den Abendmahlstisch schließen
für die Zweifler, die Sünder und die Unsicheren,
dann darf überhaupt niemand mehr den Altarbereich betreten.11
Deine Möglichkeiten sind begrenzt.
Es kommt ganz allein an auf Gottes Wirklichkeit.
Christus Jesus ist hier,
der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist,
der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.12
Er ist der gute Hirte, der uns zusagt:
Ich kenne die meinen und die meinen kennen mich,
15wie der Vater mich kennt und den Vater ich.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.
1 1.Kor 1,3
2 Es ist die Grundform der Sünde. Die Griechen hatten ein eigenes Wort dafür,
sie nannten das ὕβρις.
3 Joh 10,30
4 1.Tim 2,5
5 Gott wird Mensch, damit der Mensch wird wie Gott (Anselm von Canterbury)
6 Die „Missverständnisse“ sind angeregt durch die „Theologische Aktualisierung“ zum heutigen Proprium. Ich arbeite mich (vielleicht auch etwas unfair) an diesem Text ab. Das ist auch nicht nur gut; doch einen „Anspruch“ zu sehen in diesem Herrenwort, weil das „kennen“ symmetrisch sein soll, der dann noch konkretisiert wird damit, dass wir zur Kirche rennen sollen, ist m.E. ein theologischer Unfall.
7 ELKG² 38
8 Mt 5,5.7
9 Nach Mt 5,44.
10 Zu „erlangen“, natürlich.
11 Was den geschlossenen Abendmahlstisch nicht in Frage stellt. Der Abendmahlstisch ist geschlossen für diejenigen, die sagen: „Es ist nur symbolisch“ oder „Ich erwarte nichts“. Dann kannst du auch sitzen bleiben, und solltest es vielleicht sogar, wenn du dich selber ernst nimmst. – Doch das gehört nicht in die Predigt, sondern in die Kirchenordnung (und vielleicht in eine Fußnote). Und da steht es ja auch.
12 Röm 8,34