09:59

Tote begraben
Predigt zu Lk 9,59–62

143 Passionsandacht zu den Werken der Barmherzigkeit Judika, 17. März 2024, Frankfurt

Doch Christus lehrt uns, Prioritäten zu setzen. Das Evangelium verkündigen wir dann am lautesten, wenn der Wert, den wir bei Gott haben, und diese Freiheit, die Christus uns schenkt, unser Leben bestimmen.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift,
das ich uns heute Abend auslegen werde,
steht im Evangelium nach Lukas im 9. Kapitel.

59Und Jesus sprach zu einem andern:

Folge mir nach!

Der sprach aber:

Herr, erlaube mir,
dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.

60Aber Jesus sprach zu ihm:

Lass die Toten ihre Toten begraben;
du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

61Und ein andrer sprach:

Herr, ich will dir nachfolgen;
aber erlaube mir zuvor,
dass ich Abschied nehme von denen,
die in meinem Haus sind.

62Jesus aber sprach zu ihm:

Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück,
der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

(1) in der Bibel gibt es kein Gebot,
die Toten zu begraben.
Es gibt viele Beispiele und Vorbilder,
aber mir ist kein Vers bekannt,
wo steht:

Du sollst deinen Nächsten bestatten,
wenn er tot ist.

Nun sollte man sich hüten,
aus Nicht-Gesagtem Schlüsse zu ziehen.

Aus einem „Nicht“ kann man nicht schließen.

Doch der Kontrast zu den Nachbarkulturen fällt auf.

Berühmt ist das Beispiel der Antigone.
Als der König verbietet,
ihren Bruder zu bestatten,
nimmt sie eher die Todesstrafe in Kauf,
als ihn den Vögeln zu überlassen.
Sie glaubt,
sie müsse den Göttern mehr gehorchen,
als den Menschen.
Darin stimmt sie prinzipiell mit dem Apostel Petrus überein.
3
Wir erkennen daran,
wie sehr antike Menschen sich in der Pflicht sahen,
andere zu bestatten.
Wir erkennen daran auch,
wie hart das Wort ist,
das Christus seinem Gegenüber sagt:

Lass die Toten ihre Toten begraben.

Das sagt er ihm
in Bezug auf seinen Vater.

(2) Warum ist das so?
Warum halten Menschen es für ihre Pflicht,
die Toten zu begraben?

Das hat in der Antike ja nicht aufgehört.
Auch heute noch werden die Leiber der Verstorbenen
besonders beachtet.

  • Bei einem Unfall werden sie abgedeckt.
  • Der Staat richtet Bestattungen aus
    für Bedürftige.
  • Ein Archäologe fand im Magazin seiner Universität
    ein menschliches Skelett.
    Das war ein Überbleibsel einer Ausgrabung
    von vor Jahrzehnten.
    Das kann da nicht liegen.
    Das ist ein Mensch.
    Der gehört bestattet.
    So verlangt es das Gesetz,
    so verlangt es ganz grundlegender, basaler Anstand.

Der Tod ist die größte Macht diesseits des Himmelreiches.
- Kein Starker kann ihn niederzwingen.
- Kein Kluger kann sich rausreden.
- Kein Reicher kann sich freikaufen.
Vor dem Tod sind wir alle gleich.
Hier sind wir ganz Mensch
und nur Mensch.
In einem Toten erkennen wir unsere eigene Sterblichkeit.
Wir werden uns aber auch bewusst,
dass ein Mensch sind.
Deswegen gehört es zum Mensch-Sein,
Tote zu begraben.

Den Schluss,
den ich für meine Arbeit daraus gezogen habe,
ist der:
So weit es die Kräfte zulassen,
wird dieses Pfarramt jede Bestattung durchführen,
um die es gebeten wird.
Ich kann freilich nur eine Sorte Beerdigung,
und das ist eine christliche.
Das heißt,
dort wird Jesus Christus verkündigt
und die Hoffnung,
die er macht auf das ewige Leben.
Ansonsten bin ich aber flexibel,
was die Gestaltung betrifft.
Wenn es Frank Sinatra sein soll,
dann eben Frank Sinatra.

(3) Liebe Gemeinde,
wenn es zum Mensch-Sein gehört,
Tote zu begraben,
dann kommt dieses Gebet letztendlich von Gott.
Wie kann Jesus da zu einem sagen:

Lass die Toten ihre Toten begraben;
du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! […]

Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück,
der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Jesus scheint der Meinung zu sein,
dass für diesen konkreten Menschen
die Beerdigung des eigenen Vaters
zwischen ihm und Christus steht.
Jesus scheint zu sagen:

Wenn du da hingehest,
zur Beerdigung deines Vaters,
dann verleugnest du das Evangelium,
das du verkündigen sollst.

Der Apostel Paulus schreibt:

Ist jemand in Christus,
so ist er eine neue Kreatur;
das Alte ist vergangen,
siehe, Neues ist geworden.
4

Es gibt Dinge,
hier auf der Welt,
die passen nicht zu einem neuen Menschen.
Das kann von Christenmensch zu Christenmensch
sehr unterschiedlich aussehen.
Was für den einen ein Götzendienst ist,
darüber zuckt ein anderer mit den Schultern:

Es gibt nur den einen Gott.

Was für den einen unreines Essen,
unreine Gedanken
oder eine teuflische Versuchung ist,
ist für den anderen harmlos.

  • Das Gläschen Wein,
    das für den einen Christenmensch Genuss und Freude ist
    ist für den anderen das Tor zu Absturz und Tod.
  • Das Buch,
    das für den einen eine spannende Provokation ist,
    ist für den anderen
    der Kern des Zweifels und des Abfalls.

Ein Familientreffen,
ist die meisten schön,
Für andere ist es vielleicht nervig aber im Grunde harmlos.
Aber für einige wenige kann eine Beerdigung
das Einfallstor für alten Schmerz
und tiefe Verletzungen sein.
Die Verwandten müssen das nicht böse meinen
oder gehässig verschulden.
Es ist einfach, wie es ist.

Heute redet man davon,
die Beziehungen seien „toxisch“.
Das heißt,
die Familie kann Gift für dich sein.

Früher redete man von „Sünde“.
Adam tritt Gottes Gebot mit Füßen.
Kain tötet seinen Bruder.
Auch so kann Familie sein.
Die Kräfte,
die uns davon abbringen,
was Gott in uns geschaffen hat,
erbst du da,
wo Menschen dir am nächsten sind.

Die Sünde korrumpieren alles.
Die Familie,
die Gott uns zum Segen gegeben hat,
wird zum Ort des Fluches.

Doch:

Zur Freiheit hat uns Christus befreit!5

Durch seinen Tod bist du herausgerissen aus deinem Tod.
Durch seine Auferstehung hat jetzt schon das Leben begonnen,
das du im Himmel haben sollst.

Natürlich bis du ein Mensch,
ganz hier in dieser Welt.
Du stehst unter den Sachzwängen dieser Welt
und die Pflichten eines Menschen gelten für dich;
auch die Pflicht, Tote zu begraben.

Doch Christus lehrt uns, Prioritäten zu setzen.

Lass die Toten ihre Toten begraben;
du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

  • Wenn der Tote ein Anker ist,
    der dich in das Alte hinabzieht,
    dann geh nicht auf die Beerdigung.
  • Wenn die Familie dabei nur die Kette festzieht,
    die dich fesselt,
    dann sind sie die Toten –
    und können auch den Toten beerdigen.

Dein Wert
und dein Heil
sind von der Pflicht
und von deinen Werken nicht abhängig.

Du bist wertvoll.
Du bist wertvoller als Silber und Gold.
Gott selbst hat dich freigekauft,
denn Christus hat sein Blut für dich gegeben.
6

Das Evangelium verkündigen wir dann am lautesten,
- wenn dieser Wert
- und diese Freiheit
unser Leben bestimmen.
Dann verweist unser Leben auf Christus,
- der sich uns schenkt,
- der uns trägt,
- der uns die Stätte bereitet
im Hause seines Vaters.

Ihm,
unserem Hern und Heiland
sei Ehre und Preis
von nun an bis in Ewigkeit.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Vgl. Apg 5,29.


4 2.Kor 5,17


5 Gal 5,1


6 Vgl. 1.Petr 1,18f.


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