17:52

Abrahams Opfer
Predigt zu Gen 22,1–14

142 Judika, 17. März 2024, Frankfurt

„Was bist du nur für ein Mensch“, möchte man den Abraham fragen. Und wenn dann jemand antwortet, Abraham handle ja nur auf Gottes Befehl, wird es nicht viel besser: „Was ist das nur für ein Gott? Und was für ein Mensch, der ihm folgt?“

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
steht geschrieben im Buch der Genesis im 22. Kapitel.
Dort heißt es:

1Nach diesen Geschichten
versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm:

Abraham!

Und er antwortete:

Hier bin ich.

2Und er sprach:

Nimm Isaak,
deinen einzigen Sohn,
den du liebhast,
und geh hin in das Land Morija
und opfere ihn dort zum Brandopfer
auf einem Berge, den ich dir sagen werde.

3Da stand Abraham früh am Morgen auf
und gürtete seinen Esel
- und nahm mit sich zwei Knechte
- und seinen Sohn Isaak
und spaltete Holz zum Brandopfer,
machte sich auf und ging hin an den Ort,
von dem ihm Gott gesagt hatte.

4Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf
und sah die Stätte von ferne
5und sprach zu seinen Knechten:

Bleibt ihr hier mit dem Esel.
Ich und der Knabe wollen dorthin gehen,
und wenn wir angebetet haben,
wollen wir wieder zu euch kommen.

6Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer
und legte es auf seinen Sohn Isaak.
Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand;
und gingen die beiden miteinander.

7Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham:

Mein Vater!

Abraham antwortete:

Hier bin ich, mein Sohn.

Und er sprach:

Siehe, hier ist Feuer und Holz;
wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?

8Abraham antwortete:

Mein Sohn,
Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.

Und gingen die beiden miteinander.

9Und als sie an die Stätte kamen,
die ihm Gott gesagt hatte,
baute Abraham dort einen Altar
und legte das Holz darauf
und band seinen Sohn Isaak,
legte ihn auf den Altar oben auf das Holz
10und reckte seine Hand aus
und fasste das Messer,
dass er seinen Sohn schlachtete.

11Da rief ihn der Engel des Herrn vom Himmel und sprach:

Abraham! Abraham!

Er antwortete:

Hier bin ich.

12Er sprach:

Lege deine Hand nicht an den Knaben
und tu ihm nichts;
denn nun weiß ich,
dass du Gott fürchtest
und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont
um meinetwillen.

13Da hob Abraham seine Augen auf
und sah einen Widder hinter sich in der Hecke.
Er hing mit seinen Hörnern fest.
Und er ging hin
und nahm den Widder
und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt.

14Und Abraham nannte die Stätte „Der Herr sieht“.
Daher man noch heute sagt:
„Auf dem Berge, da der
Herr sieht“.2

Lasst uns beten:
Mein Gott, wie bist du so verborgen
wie ist dein Rat so wunderbar!
Was helfen alle meine Sorgen?
Du hast gesorget, eh ich war.
Mein Vater, führ mich immerdar
nur selig, wenn auch wunderbar.
3 — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

(Einstieg)
man möchte Abraham fragen:

Was bist du nur für ein Mensch?

Auch, wenn du vorher wusstest,
dass die Geschichte gut ausgeht,
weil du Gottes Verheißung hattest:
So was darf kein Vater mit seinem Kind machen!

Wenn Abraham dann entschuldigt wird,
er gehorche doch nur dem Befehl Gottes,
dann will man Gott fragen:

Was bist du bloß für ein Gott?

Der Verweis darauf,
dass Gott ja an Jesus durchgezogen habe,
was er Abraham nur zur Probe befielt,
macht es nicht wirklich besser.
4

Was bist du bloß für ein Vater?

Zu so einem Vater will niemand rufen:

Abba, lieber Vater!5

Die Geschichte ist eine Zumutung.
Das kann niemand leugnen.

Ich möchte heute Morgen
von der Epistel her
auf diese Erzählnug schauen.
Der Abschnitt im Hebräerbrief
schaut auf das Kreuzesgeschehen als ein Opfer.
Der Apostel redet von Jesus als unserem Hohepriester.
Das heißt:
In diesem Gedankengang des Hebräerbriefes
ist Jesus nicht das Lamm Gottes,
sondern er ist der Priester.
Jesus hat nicht die Rolle von Isaak,
und liegt gefesselt auf dem Holz,
sondern er hat die Rolle von Abraham,
der das Messer in der Hand hat.
Wie macht das Sinn?

Für die alten Israeliten
waren Abraham, Isaak und Jakob
Identifikationsfiguren.
Zum einen waren sie Ur-ur-ur…usw… Urgroßväter.
Sie sind Verwandtschaft, Familie.
Zum anderen waren sie Vorbilder im Glauben.
Die Erzväter hatten eine enge Beziehung zu Gott.
Abraham wird Gottes Freund genannt.
Das ist die Art Gottesbeziehung,
die sich jeder wünscht, der glaubt.

Mit dem historischen Abstand
schoben sich die Bilder dieser drei Männer übereinander.
Das sieht man zum Beispiel daran,
dass es Geschichten gibt,
die sowohl von Abraham
als auch von Isaak erzählt werden.
Die Biographien dieser beiden Männer
sind im Laufe des Erzählens verschmolzen.
Abraham und Isaak sind fast schon der selbe
in unterschiedlichen Personen.
6

Wir haben einen ähnlichen Gedanken auch
in der Trinitätslehre:
Vater und Sohn sind der selbe.

Wer mich sieht,
sieht den Vater.
7

sagt Christus.

Wenn wir so auf das Kreuzesgeschehen blicken,
merken wir,
dass unsere Alltagskathegorien nicht richtig passen:
- Täter und Opfer,
- Lamm und Priester.
Das gilt ganz ähnlich auch
für die Geschichte von Abraham und Isaak
auf dem Berg Moriah.

Mit diesen Gedanken im Hintergrund
möchte ich zwei Schritte mit euch gehen.
Ich werde etwas zum Opfer sagen,
wo das herkommt
und ich werde Parallelen ziehen
zwischen unserer Geschichte heute Morgen
und unserem Leben.

(1) Aber zuerst zum Opfer:
Ich vertrete heute Morgen die These:
Opfer ist Evangelium.

  • Das ist für Lutheraner merkwürdig zu hören.
    Das liegt zum einen daran,
    dass unsere Bewegung ganz tief geprägt ist
    von Luthers Kritik
    an der Opfer-Theologie des Mittelalters.
    Da geht es vor allem um das Abendmahl.
    Opfer ist dort Leistung,
    um sich Gottes Gnade zu verdienen –
    und dann ist sie keine Gnade mehr.
  • Zum anderen haben viele
    die Opfer-Kritik der Propheten im Ohr.

Beide haben natürlich vollkommen recht,
- Luther im Mittelalter
- und die Propheten gegenüber ihren Zeitgenossen.

Doch in seinem Ursprung
ist das Opfer ein Weg,
den Gott den Menschen gebahnt hat.
Hier haben sie Gemeinschaft mit ihm.

Denkt euch einen Mann wie Abraham.
Er ist Nomade
und lebt von seinen Herden.
Wir sind gewöhnt, aus der Fülle zu leben.
Er lebt aus dem Mangel.
Das fängt bei der Grundversorgung an.
Das Gras,
das seine Tiere fressen,
wächst nicht schnell genug nach.
Deswegen ist er ja ein Nomade
und zieht von Ort zu Ort.

Dann guckt er sich seine Herde an
und sieht zwei Sorten Tiere:
Böcke und Schafe.
Die Schafe geben
- Milch
- und Wolle.
Die Böcke?
- Wolle.
Es wäre besser um ihn bestellt,
wenn alle Tiere Schafe wären.
Für die Zucht
reicht genau ein Bock.
Was machen wir mit den anderen Böcken?
Nun,
wir scheiden die Böcke von den Schafen
8
und schlachten sie
und essen sie.

Jetzt hat unser Schafhirte zur Zeit Abrahams
aber Gefühle wie jeder andere Mensch auch.
Diese Böcke sind unter seinen Augen geboren worden,
vielleicht sogar unter seinen Händen.
So ein Lamm ist auch echt niedlich.
Antike Menschen hatten ein anderes Gefühlsleben, als wir,
aber ich kann mir nicht vorstellen,
dass das komplett an ihnen vorbeigegangen ist.
Ein Böcklein zu töten fühlt sich echt böse an.
Und es hat auch die Spur des Bösen in sich.
Das Tier ist ein Geschenk Gottes.
Das Leben des Tieres ist Gottes Eigentum.
9
Wenn der Mensch seine Hand danach ausstreckt,
muss er mit Gott wieder ins Reine kommen.

Noah aber baute dem Herrn einen Altar …
und opferte Brandopfer auf dem Altar.
Und der
Herr roch den lieblichen Geruch
und sprach in seinem Herzen:
„Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen
um der Menschen willen …“
10

Er schließt einen Bund mit Noah und erlaubt ihm,
ganz ausdrücklich:

Alles, was sich regt und lebt,
das sei eure Speise;
wie das grüne Kraut
habe ich’s euch alles gegeben.
11

Das Opfer ist der Weg, damit umzugehen.
Auch du tust,
was sich böse anfühlt,
ja,
was die Spur des Bösen enthält,
hast du im Opfer Gemeinschaft mit Gott.
Niemand kommt in seinem Leben darum herum:
Wir sind und bleiben
auf die Gnade und die Vergebung angewiesen.

(2) Mit diesem Gedanken im Hinterkopf
möchte ich auf unser Leben schauen,
insbesondere auf unser Leben,
wenn wir noch jünger sind – 
ungefähr so alt,
wie unsere Jugendband.

Es kommt die Zeit im Leben eines Menschen,
da ist die Kindheit vorbei.
Dann müssen die Eltern tun,
was sich böse anfühlt,
ja, was die Spur des Bösen enthält.
Sie müssen die böse Stiefmutter geben
und die Kinder aussetzen
im dunklen Wald des Alltages.
Da werden sie die
der Versuchung des Pfefferkuchenhauses standhalten müssen,
denn irgendwann setzt jede Süßspeise an.
Da wird die grausame Hexe der Karriere versuchen,
die Kinder zu fressen.

Wenn dann die Kinder Kieselsteine ausgelegt haben
und ins „Hotel Mama“ zurückwollen,
muss man hart bleiben:

Kind, du bist jetzt erwachsen.
Für dich ist jetzt dran: dunkler Wald.

Niemand kommt in seinem Leben darum herum:
Wir müssen tun,
was sich böse anfühlt,
ja,
was die Spur des Bösen enthält.

Die Eltern tun das nicht blind.
Genau wie Abraham:
Er geht nicht blind zu der Opferstätte,
sondern unter der Verheißung Gottes.
Isaak ist der Sohn,
den Gott ihm gegeben hat.
Das legitime Kind,
das er im hohen Alter noch gezeugt hat.
Es wäre sehr leicht zu verstehen,
wenn Abraham eine ungesunde Fixierung auf dieses Kind hätte.
Trotzdem lässt er ihn los.

Für Abraham war das Opfer noch ganz der Ort,
wo Gott ihn in den Arm nimmt.
Unter Gottes Verheißung lässt er den Jungen los
und erhält ihn neu wieder.

Auch ihr lasst eure Kinder nicht blind los.
Die Verheißung der Taufe geht mit ihnen
und Gott wird sie stärken und bewahren im Glauben.
Gott ist ein Gott, der mitgeht,
auch in den dunklen Wald.

Das gilt umgekehrt auch für die Kinder.
Um erwachsen zu werden,
muss man sich von seinen Eltern abgrenzen.
Da kann es passieren,
das man tun muss,
was sich böse anfühlt:

Mama:
Die Blümchen-Vorhänge von Oma sind hässlich.
Nimm sie wieder mit.

Wenn man die Abnabelung einmal hinter sich hat,
kann man im Laufe der Jahre immer noch feststellen,
dass man seinen Eltern immer ähnlicher wird.

Auch auf diese Art
sind Abraham und Isaak,
der Priester und das Lamm,
miteinander verbunden
und gehen ineinander auf.

(Schluss)
Liebe Gemeinde,
die Bibel ist das Buch des Lebens,
weil Gott in unser Leben hineinspricht.
Gott spricht in unser Leben,
nicht nur an den Sonnentagen,
sondern auch an den Tagen,
an denen das Gute verborgen bleibt.
Gott geht mit uns,
auch wenn wir einen schweren
oder einen schmerzhaften Weg gehen müssen.

Da kommt keiner drumherum:
Wir müssen manchmal tun,
was sich böse anfühlt,
ja sogar,
was die Spur des bösen enthält.
Doch Gott hier lässt uns nicht allein.

Seine Verheißung bleibt wahr,
auch wenn es ganz anders aussieht.
In diesem Glauben geht Abraham seinen Weg mit Isaak.

Gottes Segen ist mit uns,
auch wenn wir durch den dunklen Wald gehen müssen.
Er weiß, wie das ist.

Das Lamm Gottes ist der Hohepriester,
der mitfühlen kann mit denen,
die unwissend sind und irren,
weil er auch selber Schwachheit an sich trug.
12

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!13 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Die Ätiologie des Ortes trägt für diese Predigt nichts aus.


3 Salomo Franck


4 So auch die „Theologische Aktualisierung“ der „Exegese für die Predigt“ z.St. und Proprium.


5 Vgl. Gal 4,6.


6 Ich bin kaum der erste, der auf diese Idee kommt. Das Bild auf der Titelseite zeigt Abraham, wie er einen erwachsenen Isaak opfert, einen Isaak mit Bart, wie er ihn selbst trägt. Wollte der Künstler beiden Figuren sogar das selbe Gesicht geben? Wie bei einem Gnadenstuhl, bei dem der Vater das Gesicht des Sohnes trägt.


7 Joh 14,9; vgl. Joh 12,45.


8 Vgl. Mt 25,31ff, das Weltgericht. Die Böcke sind der Inbegriff für die, die sterben.


9 Vgl. Gen 9,4. Das ist der Grund, dass der Mensch das Blut nicht zu sich nehmen soll.


10 Aus Gen 8,20f.


11 Gen 9,3


12 Nach Heb 5,2.


13 Phil 4,7


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 1.8 MB)

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