13:51

Träume und Tränen
Predigt zu Ps 126

133 Ewigkeitssonntag, 26. November 2023, Frankfurt

„Wir werden sein wie die Träumenden“ und „wir waren wie die Träumenden“. Beide Übersetzungen sind möglich für den Anfang dieses Psalmes. Wie können beide gleichzeitig wahr sein?

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist der 126. Psalm. Er trägt die Überschrift:

1Ein Wallfahrtslied.

Und das geht so:

Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird,
so werden wir sein wie die Träumenden.

2Dann wird unser Mund voll Lachens
und unsre Zunge voll Rühmens sein.

Dann wird man sagen unter den Heiden:
Der
Herr hat Großes an ihnen getan!

3Der Herr hat Großes an uns getan;
des sind wir fröhlich.

4Herr, bringe zurück unsere Gefangenen,
wie du die Bäche wiederbringst im Südland.

5Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.
6Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen
und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Lasst uns beten:
Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!
2 — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

(1) als ich ein Kind war,
noch jünger als unsere Konfis jetzt,
gab es eine Fernsehwerbung,
in der Kinder ein Fruchtbonbon eingepflanzt haben.
Daraus wuchs ein Baum
und der trug – Fruchtbonbons!
Natürlich habe ich davon geträumt,
das auch zu machen.
Ich habe mir einen Ort in Mamas Garten ausgesucht,
wo ich meinen Bonbon-Baum gerne gehabt hätte.

Das war natürlich vollkommen unrealistisch:
An der Stelle war es viel zu dunkel,
dazu noch Hanglange:
Da wachsen überhaupt keine Fruchtbonbons!

Ich habe mir aber trotzdem vorgestellt,
wie meine Klassenkammeraden kommen
und den Baum bestaunen.
Und ich habe mich gefreut
und habe großzügig Bonbons verschenkt,
genau wie die Kinder in der Fernsehwerbung.

Wer werden sein wie die Träumenden …

Dann wird man sagen unter den Heiden:
Der Herr hat Großes an ihnen getan!

Wir werden uns freuen
und unsere Nachbarn werden bestaunen,
wie gut wir uns mit unserem Gott verstehen.
Wir werden etwas vorzeigen können,
das jeder sehen kann.
Alle werden sehen,
dass sich unser Vertrauen auf Gott gelohnt hat. —

Der Anfang unseres Psalmes heute Morgen
ist eine Herausforderung für die Übersetzer.
Die Gelehrten wissen nicht sicher zu sagen,
ob von Vergangenem oder Zukünftigem die Rede ist.
3

Für die Sprachwissenschaft
und für die Logik mag das ein Problem sein,
aber für meine Lebenserfahrung ist es das nicht.
Vergangenes ist nicht immer glatt fertig und abgeschlossen.
Zukünftiges wirft schon lange seine Schatten voraus
in Erwartung und Vorbereitung.
Ganz oft mischt sich beides
und ich lebe in einer Gemengelage von Angefangenem
aber Unfertigem.

Wir haben einen Teilerfolg errungen!

Das ist auf der Arbeit manchmal schon echt viel:

Der Auftrag ist nicht perfekt gelaufen,
aber gut genug,
um eine Rechnung zu schreiben.

Wenn man am Computer arbeitet,
(die Programmierer kennen das):

Hey! Ich bin einen Schritt weiter!
Ich hab’ eine
andere Fehlermeldung.

Erst im Himmelreich wird alles perfekt sein.
Im Himmel schreiben wir Programm ohne Fehler
und der Herr führt unsere Hände
zu seinem Werk. —

Als der Herr die Gefangenen Zions erlöst hat,
waren wir wie die Träumenden.

Und:

Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird,
so
werden wir sein wie die Träumenden.

Das ist gleichzeitig wahr.

Als die Oberschicht der Israeliten deportiert wurde,
waren sie nicht aus der Welt.
Es wird Heimreisen gegeben haben für Einzelne.
Nachrichten aus dem Heiligen Land
haben die Exilierten erreicht.

Als dann die Verbote gelockert wurden
oder aufgehoben,
da wird mancher gesagt haben:

Mein neues Geschäft in Babylon läuft so gut,
was soll ich in das alte Jerusalem zurückkehren?

Manche jungen Israeliten werden jemanden gefunden haben
im heidnischen Babylon.
Sie werden sagen:

Ich hab’ hier Familie. Ich will bleiben.

Empörte Eltern antworten:

Aber die sind doch gar nicht in der SELK!

Äh, ich meine natürlich:

Das sind aber gar keine Israeliten!

Ja und? — Ich habe meine Familie aber lieb. — Hallo??

Die Mitte unseres Psalms
bildet ein Vers,
der ist ganz ausdrücklich ein Gebet.
Gott wird direkt angeredet:

4Herr, bringe zurück unsere Gefangenen,
wie du die Bäche wiederbringst im Südland.

Die wenigsten von uns haben Gefangene zu beklagen
und der Beginn der Regenzeit im Negev, im „Südland“,
ist für uns weit weg und fremd.

Doch mit diesen Betern zusammen
danken wir Gott für alles, das er für uns getan hat;
und wir hoffen auf das, was Gott tun wird,
denn wir wissen, wie sehr wir seinen Segen brauchen

  • für unsere Arbeit
    mit ihren Teilerfolgen,
  • für unser Zusammenleben
    mit seinen Schwierigkeiten,
  • für unser Leben
    mit seinen Untiefen.

(2) Liebe Gemeinde,
der Psalm endet mit einer Liedstrophe voller Wirklichkeit
und voller Hoffnung:

5Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.
6Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen
und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Der kleine Junge mit seinem Fruchtbonbon
wollte aus einem Bonbon viele machen.
So werden
- unter der Hand des Bauern
- und unter dem Himmel Gottes
aus dem einen Samenkorn viele neue Körner.
In der Zeit,
als der Psalm geschrieben wurde,
wussten das alle Menschen –
und zwar nicht nur theoretisch, sondern aus eigener Erfahrung.
Parktisch alle Familien hatten ein Feld für sich
und zogen sich Getreide für den eigenen Verbrauch.
Deswegen benutzt Jesus gerne Bilder aus der Landwirtschaft:
Der gute Samen des Wortes
soll auf guten Boden fallen
und reiche Frucht bringen:
dreißigfach, sechzigfach, sogar hundertfach.
4
Dreißig mal so viel Ernte wie Saatgut:
Das ist für damalige Bauern optimaler Ertrag.
5

5Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

Am Ende der Trockenzeit wissen die Familien:
Die Zeit der Aussaht ist nahe!
Doch das Getreide, das sie heben,
ist Nahrung und Saatgut zugleich.
Sie leben seit Monaten von ihren Vorräten.
Die Eltern gucken in die Gesichter ihrer Kinder.
Sie weinen vor Hunger.

Jedes Korn,
das sie jetzt malen und zu Brot verarbeiten,
fehlt ihnen zur Zeit der Aussaht im Korb.
Zur Zeit der Ernte kostet es dreißigfach.
Dann fehlt es in der Scheune und in der Speisekammer.
In genau einem Jahr
würden sie ihre Kinder nicht mehr weinen hören,
denn der Hunger hat sie geholt.
Das sind die Tränen,
von denen hier die Rede ist.

Das Leben der Menschen,
die dieses Lied geschrieben haben,
sah von den äußeren Bedingungen her
ganz anders aus, als unser Leben.
Doch auch viele von uns wissen,
wie ein Tal der Tränen an seinem tiefsten Punkt aussieht.
Wir teilen die Erfahrung
mit den Betern dieses Psalms,
dass Gott bei uns ist – immer.

Einige von uns hier in der Kirche
gedenken heute daran,
dass sie im vergangenen Jahr
Abschied nehmen musste von einem lieben Menschen.
Im Angesicht des Todes vermischen sich Dankbarkeit
für die gemeinsame Zeit
mit Trauer über den Verlust
mit der Hoffnung auf das Himmelreich.

Bei einer Bestattung sage ich:

Erde zur Erde, Asche zur Asche, Staub zu Staub.

(dann):

Es wird gesät verweslich
und wird auferstehen unverweslich.
Es wird gesät in Niedrigkeit
und wird auferstehen in Herrlichkeit.
Es wird gesät in Schwachheit
und wird auferstehen in Kraft.
6

Im Angesicht von Erde, Asche und Staub,
die noch wegen der Tränen in den Augen verschwimmen,
redet der Glauben von Leben, Herrlichkeit und Kraft.
Das macht nur Sinn,
weil Gott in Jesus Christus in die Welt gekommen ist.
Die Vergangenheit des Leids
und die Zukunft der himmlischen Freude
sind gleichzeitig geworden
in seiner Gegenwart.

5Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.
6Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen
und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Vgl. Hans-Joachim Kraus: „Psalmen“, Bd. 2, Neukirchen 1961, z. St.


4 Vgl. Mk 4,8.


5 Landwirtschaftlich unrealistisch: Ein moderner Weizen leistet 40-fachen Ertrag. Für die Antike müssen wir sicherlich von deutlich geringeren Quoten ausgehen.


6 1.Kor 42b.43


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 366 KB)

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2.Petr 3,3–13, Ewigkeitssonntag

Die jungen Leute zweifeln. Die erste Generation der Christen stirbt langsam weg. Mehr…

Neuer Himmel und neue Erde
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Wie passt das zusammen? Auf dem Altar standen viele Kerzen für Tote und eine Taufkerze. In diesem Gottesdienst haben wir der Verstorbenen des letzten Jahres gedacht und ein kleines Mädchen getauft.

Törichte und kluge Jungfrauen
Mt 25,1–13, Ewigkeitssonntag

In dieser Predigt werde ich Jesu Gleichnis von zwei Seiten betrachten: Erstens, glaube ich, 
 dass diese Geschichte einen bitter-witzigen Charakter hat. Zweitens, möchte ich das Gleichnis ganz bewusst unter der Überschrift des heutigen Sonntages lesen: „Die ewige Stadt“.