18:56

Lohn und Gnade
Predigt zu Jer 9,22–23

13 Septuagesimae, 9. Februar 2020, Bremerhaven (28.1.2018, Heilig-Geist-Kirche, Görlitz)

Diese Predigt legt zwei Verse aus dem Buch Jeremia im Licht des Evangeliums dieses Sonntages aus.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift für den Sonntag Septuagesimae ist die alttestamentliche Lesung, die wir vorhin gehört haben. Ich werde sie uns im Laufe der Predigt vollständig wiederholen und verzichte deswegen an dieser Stelle darauf, sie vorzulesen.

Lasst uns beten: Herr Gott, Heiliger Geist, wir bitten dich um die Gnade, dass du zu uns kommst und unsere Herzen erfüllst. Öffne uns dein Wort, auf dass wir hören und schauen. — Amen

Liebe Gemeinde!

Im Rahmen meines Studiums
musste ich einige Praktika absolvieren.
Mein „Diakoniepraktikum“ habe ich in einem christlichen Krankenhaus gemacht,
und zwar in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Sowohl die Mitarbeiter als auch die Patienten hatten in der Regel einen christlichen,
(und das bedeutet dort in diesem Fall meistens:
einen evangelikalen)
Hintergrund.
Ich war also von sehr „frommen“ Leuten umgeben.

Den einen Tag hatte ich ein hellblaues Oberteil an
über einem weißen T-Shirt.
Und ich sah im Spiegel, dass ich das Oberteil schief anhatte.
Es ist irgendwie eine Eigenschaft dieses Kleidungsstücks:
An mir hängt es meistens irgendwie schief.
Es hat einen V-Ausschnitt,
so dass man auf der einen Seite das weiße T-Shirt sieht
und auf der anderen Seite gar nicht.
Und ich sah das im Spiegel
und versuchte, das irgendwie gerade zur rücken.

Ich stehe also da, vor dem Spiegel, und „zuppel“ an mir ’rum,
da spricht mich eine Frau von hinten an und sagt:

„Da will aber jemand besonders schön sein!“

Ich denke mir nichts dabei und sage:

„Mein Oberteil ist irgendwie schief heute“.

Und zuppel weiter, mein Hemd lässt sich aber von meinem Wunsch nach farblicher Symmetrie nicht beeindrucken.

Und wieder sagt die Dame hinter mir:

„Sie wollen wohl besonders schön sein??“

Und da ist ein Nachdruck in ihrer Stimme,
der mich aufhorchen lässt,
ja,
der mich fast zusammenzucken lässt.
Ich sehe meine Gesprächspartnerin an und merke,
dass das etwas ist, dass
sie gesagt bekommen hat.
Sie steht da hinter mir,
beobachtet mein Verhalten,
und spiegelt eine Lektion,
die sie
mit Nachdruck gelehrt bekommen hat:
Dass sie nicht
eitel sein darf.

Sie hat gelernt,
dass ein christliches Mädchen hat sich zurückzuhalten:
Ihre Zierde hat allein /
die Frömmigkeit zu sein!
Sich um die eigene Schönheit zu bemühen,
sich hübsch zu machen:
Das ist Eitelkeit. —
Das ist ein
Rühmen.

Jeremia schreibt:

22So spricht der HERR:
- „Ein Weiser rühme sich
nicht seiner Weisheit,
- ein Starker rühme sich
nicht seiner Stärke,
- ein Reicher rühme sich
nicht seines Reichtums.

Und man hat hier anscheinend hinzugefügt:

Eine Frau rühme sich nicht ihrer Schönheit –
und ein Mann schon mal gar nicht.

Was bedeutet das, sich etwas zu „rühmen“?

Kurz gesagt:
Wenn dich einer fragt:

„Warum bist du wertvoll und liebenswert?“
(Also: Warum bist du der Liebe wert?)

Was du dann antwortest, dessen „rühmst“ du dich.

So gesehen ist die Frage nach dem Rühmen
eine
wichtige Frage.
Es geht wirklich ans „Eingemachte“,
wenn wir nach dem Grund unseres Selbstwertes fragen.
Wir fragen im Grunde nach unserer
Existenzberechtigung.

Wenn deine Weisheit,
deine Fähigkeit zu denken und sinnvoll zu handeln,
der Grund für deinen Wert ist,
was ist dann am
Ende des Lebens,
wenn du alt wirst und vergesslich wirst?

Wenn deine Stärke,
deine körperliche Gesundheit,
der Grund für deinen Wert ist,
was ist dann,
wenn ein Unfall oder eine Krankheit sie dir nehmen?

Wenn dein Reichtum,
dein materieller Besitz,
der Grund für deinen Wert ist,
was ist dann,
wenn einer neben dir steht und noch viel reicher ist?
Ist sein Leben mehr wert als deins?

Gott selbst ist es, der durch den Propheten Jeremia
eine Antwort auf diese Fragen gibt:

9,22So spricht der HERR: […]
Wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen,
daß er klug sei und mich kenne,
daß ich der HERR bin, —
der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden;
denn solches gefällt mir, spricht der HERR.

„Wer sich rühmen will“… also:
„Wer gefragt wird,
warum er sich für wertvoll und liebenswert achtet“,
der antworte:

„Weil ich den HERRn kenne“.

Es ist wichtig, dass wir Jeremia hier richtig verstehen:
Es geht nicht darum zu wissen,
- dass es einen Gott gibt,
- der die Welt erschaffen hat,
- in Christus Mensch geworden ist,
- „gestorben, begraben,
- niedergefahren zur Hölle,
- auferstanden,
- aufgefahren in den Himmel“… usw.
All diese Dinge zu
wissen und die Lehre zu kennen
ist richtig und wichtig,
aber das Wort „kennen“, das hier steht, bedeutet mehr.
Das selbe (hebräische) Wort steht auch in dem Satz:

„Adam erkannte seine Frau Eva.
Und sie gebar ihm einen Sohn“.

In dem Wort „kennen“ steckt viel mehr,
als zu wissen, dass es jemanden gibt.
- Das Wort redet von Nähe und Intimität.
- Das Wort redet davon, sein Leben mit Gott zu teilen.
- Das Wort redet davon, fest zu Gott zu gehören.

Und die erste Frage, die sofort jedem Menschen in den Sinn kommt, wenn er das hört, ist:

„Wie mache ich das?“

Oder mit den Worten des jungen Mannes,
der eines Tages zu Jesus kommt
und fragt:

„Meister, was soll ich Gutes tun,
damit ich das ewige Leben habe?“
2

Und Jesus antwortet:

„Gehe hin, verkaufe, was du hast und gib’s den Armen
und komm und folge mir nach“.
3

Und der junge Mann konnte das nicht, —
„denn er war sehr reich“.

Die Jünger fanden Jesus’ Antwort schockierend.
Sie fragten ihn:

„Ja, wer kann dann selig werden?“4

Und genau an dieser Stelle, wie als eine Antwort, erzählt Jesus seinen Jüngern das Gleichnis von den „Arbeitern im Weinberg“, das wir heute als Evangeliums-Lesung gehört haben.

Ich bin der Meinung, dass Jesus’ Pointe an diesem Gleichnis ist, dass Gottes Heils-Ökonomie
ganz anders funktioniert
als unsere
Geld-Ökonomie.

Der „Hausherr“ geht morgens los,
um Tagelöhner für die Ernte anzuheuern.
Das ist vollkommen normal,
ein Vorgang so alltäglich wie heutzutage,
dass jemand zur Arbeit geht
und am Ende des Monats den Geldeingang auf seinem Konto verzeichnet – „Lohn und Gehalt“.
Jesus stellt uns Gott hier als einen guten Hausherr vor,
als „Chef von’s Ganze“. Das kann jeder verstehen.

Was der Hausherr im Gleichnis als nächstes tut,
ist ungewöhnlich, aber immer noch irgendwie
im Rahmen dessen, was man sich vorstellen kann:
Er geht nach Anfang der Schicht
noch einmal auf den Platz und heuert Männer an, die keine Arbeit gefunden haben
an diesem Tag.
Er wird handelseinig mit ihnen und will ihnen geben

„…was recht ist“.

Und hier spielt Jesus mit unseren Erwartungen.
Jeder normale Mensch würde
erwarten,
dass „was recht ist“ in einem direkten Verhältnis steht
zur geleisteten Arbeitszeit.
So funktioniert Lohn:
so mehr man arbeitet, desto mehr Geld verdient man.
Zumindest theoretisch ist das so.
In unserer Erwartung ist das so.

Als der Hausherr nach der Hälfte der Schicht
und sogar kurz vor Ende des Tages noch einmal losgeht
und Arbeiter anheuert,
macht das schon nicht mehr so richtig Sinn
für ökonomisches Denken.
Das ist schon sehr
nett von ihm,
dass die Männer überhaupt etwas Geld verdienen an diesem Tag,
aber man fragt sich, was das noch bringen soll.

Vollends gegen unsere Erwartung handelt der Hausherr,
als es ans Bezahlen geht:
Er zahlt jedem das gleiche.
Das ist unerwartet, und in einem gewissen Sinne auch ungerecht. Es macht im Denken der Geld-Ökonomie keinen Sinn. Die Männer haben unterschiedlich viel gearbeitet. Sie verdienen –in Geld gedacht– unterschiedlich viel Lohn.

Einer von denen,
die seit morgens gearbeitet haben,
beschwert sich.

Er sagt:

„Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet,
doch du hast sie uns gleichgestellt,
die wir des Tages Last und Hitze getragen haben“.

Im Licht unseres Predigt-Abschnitts könnte man etwa sagen:

„Der Arbeiter rühmt sich seiner Arbeit“.

Auf die Frage:

„Was macht dich wertvoll,“

oder anders formuliert:

„Warum bist du es Wert, dass du Geld bekommst?“

antwortet er:

„Weil ich den ganzen Tag
seit morgens früh
in der Hitze der Sonne
gearbeitet habe!“

Da antwortet der Hausherr ihm:

„Mein Freund…“

Das ist in den ersten zwei Wörtern schon so bemerkenswert: „Mein Freund“. Das ist ja Gott, der hier redet. Oder, innerhalb der Geschichte, ein sehr reicher Mann gegenüber einem sehr armen. Und trotzdem sagt er zu ihm: „Mein Freund“.

Mt 20,13b„Mein Freund, ich tu dir kein Unrecht. […]
14bIch will aber diesem letzten dasselbe geben wie dir.
15Oder habe ich nicht Macht zu tun,
was ich will,
mit dem, was mein ist?“

Gott ist derjenige, der schenkt,
nicht wir sind diejenigen, die verdienen.
Beziehung mit Gott,
Gott zu
„kennen“,
in dem reichen Sinn, den wir in unserem Jeremia-Wort finden,
ist nicht
Lohn, sondern Gnade.

Jeremia schreibt:

9,22Wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen,
daß er klug sei und mich kenne,
daß ich der HERR bin.

Wenn wir uns die Freiheit nehmen,
Jesus’ Gleichnis einen Moment weiterzuspinnen,
können wir uns vorstellen, wie die Arbeiter abends heimkommen zu ihren Familien. Sie sagen etwa:

„Frau! Kinder!
Ihr glaubt nicht, was mir heute passiert ist.
Erst dachte ich, wir müssten alle hungern,
weil ich keine Arbeit bekommen habe.

Aber dann hat mich ein Hausherr am Nachmittag noch eingestellt und mir einen ganzen Tag bezahlt.

Er hat „Freund“ zu mir gesagt,
dieser reiche Mann!
Er hat uns das Brot für heute gegeben,
5
weil er so gütig ist!

Dieser Arbeiter,
liebe Brüder und Schwestern,
macht es richtig.
Er ist
klug und er rühmt sich dessen,
dass er Gott kennt!

Der Mensch fragt sich, wie er sich selbst wertvoll machen kann:
Weisheit, Stärke, Reichtum oder Schönheit!
Alle diese Dinge haben ihre guten Seiten,
versteht mich nicht falsch!
Keines von diesen Dingen ist an sich böse!
Auch die Schönheit ist nicht an sich böse.

Doch wenn wir uns aber auf diese Dinge verlassen,
um uns für wertvoll und liebenswert zu achten,
dann
nehmen wir Gott die Ehre,
weil wir etwas selbst machen wollen,
was er uns längst geschenkt hat.

Deswegen lehrt Jesus uns beten,
mit der Gewissheit, dass Gott unser Gebet erfüllt.
Darin geben wir Gott die Ehre.
Wenn wir mit der Gewissheit beten,
dass Gott uns erhört,
bringen wir immer wieder zur Sprache,
dass wir Gott
kennen,
dass wir wissen, wie gütig und freundlich er ist.
Wenn wir so beten, sind wir so wie der Arbeiter,
als er nach Hause kommt.

So sagen wir immer wieder:

  • „Gott beschenkt mich“.
  • „Gott hat mich ‚Freund‘ genannt“.
  • Mit einem Gebet, von dem wir fest glauben,
    dass wir erhört werden, sagen wir immer wieder:
    „Jetzt habe ich keinen Zweifel mehr,
    dass ich wertvoll und der Liebe wert bin“.

Ich wünschte, liebe Brüder und Schwestern,
dass mir dies schon damals vor dem Spiegel klar gewesen wäre.

In meiner Erinnerung ist diese Begebenheit
von einem gewissen Leid geprägt.
In dem, wie diese Frau mich angesprochen hat,
steckte so viel Wut.
Und mein Eindruck ist, es ist die Wut eines kleinen Mädchens,
das enttäuscht ist, dass es sich nie hübsch machen darf.
Ich möchte diesem Mädchen, dieser jungen Frau, gerne sagen:

„Du darfst dich hübsch machen!
Es ist sogar für einen Menschen,
der ein geliebtes Kind Gottes ist,
im höchsten Maße
angemessen,
zu strahlen
und schön zu sein“.

Aber wenn Du dich fragst,
warum du
- wertvoll
- und liebenswert
bist,
dann denke nicht an deine
- Weisheit,
- Stärke,
- Reichtum
- oder Schönheit,
sondern nur daran,
dass du Gott kennst,
dass er der HErr ist,
und mit großer Freundlichkeit und Güte begegnet
in seinem Sohn Jesus Christus.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!6 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Mt 19,16


3 Mt 19,21


4 Mt 16,25


5Lk 11,3τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δίδου ἡμῖν τὸ καθʼ ἡμέραν.


6 Phil 4,7