Die Gerechtigkeit Gottes
Predigt zu Mt 20,1–16

178 Septuagesimae, 16. Februar 2025, Frankfurt

Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Kurzauslegung im Projektgottesdienst)

Liebe Gemeinde,

(1) Jstitia trägt eine Wage in der Hand.
So ziert sie Gerichtsgebäude als Statue
und Verhandlungssäle als Relief.
Gerechtigkeit ist da,
wo die Rechtsgüter auf der einen
den Rechtsgütern auf der anderen Waagschale entsprechen.
Die Strafe soll dem Vergehen entsprechen,
und der Vergleich soll herbeiführen,
dass die Parteien sich vertragen. —
Bis in unsere Sprache hinein
ist uns diese Idee selbstverständlich:
„Waag’-gerecht“ muss der Balken sein,
damit es stimmt.

Genau mit der gleichen Logik
schauen wir auf Arbeit und Lohn.
Für gleiche Arbeit
erwarten wir gleichen Lohn.
Sicher sind wir bereit,
Ausnahmen zu machen –
wenn jemand zum Beispiel durch eine Krankheit
oder eine Verletzung nicht die selbe Leistung bringen kann
wie andere.
Dann kommen wir als Gesellschaft zusammen
und alle leisten einen Beitrag zur Sozialversicherung.
Mit dem Geld wird dann Gerechtigkeit hergestellt,
weil wir alle unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. —
In dem Gleichnis ist nicht die Rede davon,
dass einer schlechter arbeiten konnte,
als ein anderer.
Das waren allen gleich Tagelöhner
und standen auf dem selben Marktplatz.

(2) Unterschiedliche Arbeiten bringen unterschiedlichen Lohn.
Ein Azubi hat ein anderes Gehalt als der Meister.
Von da aus gesehen ist noch Luft nach oben:
Designerinnen, Ärztinnen, Richterinnen usw.
Damit das nicht ausartet
gibt es auf der einen Seite einen gesetzlichen Mindestlohn.
Wer eine Stunde arbeitet
bekommt mindestens so-und-so viele Euros.
Am anderen Ende des Spektrums greift die Steuerprogression.
Auch das ist ein Versuch,
Gerechtigkeit herzustellen. —
Im Gleichnis ist nicht die Rede davon,
dass die Tagelöhner unterschiedliche Arbeiten verrichtet haben.
Sie waren alle als ungelernte Erntehelfer angestellt.

(2) Kinder haben ein ganz feines Gefühl für Gerechtigkeit.
Wer Geschwister erlebt,
weiß sofort, was ich meine:

Na gut,
ich tausche Gummibärchen gegen Lakritz,
aber ich will zwei Lakritz für ein Gummibärchen.
Ist ja nicht mein Problem,
dass du kein Lakritz magst …

Jetzt beginnt das Verhandlungsgeschick.

In dem Gleichnis ist nicht die Rede davon,
dass einer mehr Verhandlungsgeschick hatte,
als ein anderer.
Das Gehalt ist ganz auf Seiten des Hausherrn:
„Ich will dir geben, was recht ist“.
Auf dieses Versprechen hin gehen die Tagelöhner an die Arbeit.

(3) Ist der Hausherr ungerecht?
Hängt die Waage schief,
ist der Lohn ist unfair
oder eine Absprache gebrochen?

Er antwortete aber und sagte:

Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht.
Bist du nicht mit mir einig geworden
über einen Silbergroschen?
Nimm, was dein ist, und geh!
Ich will aber diesem letzten dasselbe geben wie dir.
Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will,
mit dem, was mein ist?
Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?

Ja, ja, sicher,
Chef,
es ist dein Geld,
aber ich habe den ganzen Tag malocht.
So einen gewissen Anspruch,
den habe ich schon. —
Es ist genau dieser Anspruch,
dem Jesus den Wind aus den Segeln nehmen will.

(4) Jesus erzählt diese Geschichte unter diesen Vorzeichen:
„Das Himmelreich ist folgendermaßen – Doppelpunt“.
Dann erzählt er diese Geschichte.

Die Jünger kennen Vorstellungen von Himmelreich,
die sind wie die Geschichte
von Nikolaus und Knecht Ruprecht.

  • Die „braven Kinder“,
    also die, die regelkonform und angepasst sind,
    zu denen kommt der Nikolaus
    und bringt geschenkte.
  • Die „bösen Kinder“,
    also die, die verhaltenskreativ sind
    oder anstrengend,
    zu denen kommt Knecht Ruprecht mit der Rute
    und sie kriegen Dresche.

Menschen erwarten vom Himmelreich,
dass sie belohnt werden dafür,
dass sie religiöse Regeln einhalten.
Sie meinen,
sie könnten sich einen Anspruch erarbeiten.

Dagegen hält Jesus ganz klar fest:
Das Himmelreich ist das Reich Gottes.

Habe ich nicht Macht zu tun, was ich will,
mit dem, was mein ist? —

spricht der Herr.

(5) Damit ist uns der Wind aus den Segeln genommen
für Eifer und Anspruch. —
Doch uns ist auch die Last genommen
von Druck und Perfektion.

Ich werde dir geben, was recht ist,

spricht der Herr.
Und dieser Herr ist

barmherzig und gnädig,
geduldig und von großer Güte.
1

Vor ihm können wir umgehen mit unseren Defiziten
und mit unserem Scheitern.
Und wenn wir einst im Himmel sind,
werden wir uns eh wunder,
wen wir da alles treffen.

So werden die Letzten die Ersten sein
und die Ersten die Letzten.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!2 Amen.

1 Ps 103,8


2 Phil 4,7


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 1.3 MB)

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