17:48

Erbarmen will ich, nicht Opfer
Predigt zu Mt 9,9–13

105 Septuagesimae, 5. Februar 2023, Frankfurt

„Jesus nimmt die Sünder an“. Mit welcher Haltung blicken wir auf die Pharisäer, die das nicht gut finden? Da könnten wir schnell selbst zu Pharisäern werden.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
steht beim Evangelisten Matthäus im 9. Kapitel:

9Und als Jesus von dort wegging, sah er
einen Menschen am Zoll sitzen,
der hieß Matthäus;
und er sprach zu ihm:

Folge mir nach!

Und er stand auf und folgte ihm nach.

10Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause,
siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder
und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.
11Als das die Pharisäer sahen,
sprachen sie zu seinen Jüngern:

Warum ißt euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?

12Als das Jesus hörte,
sprach er:

Die Starken bedürfen des Arztes nicht,
sondern die Kranken.

13Geht aber hin und lernt, was das heißt:

„Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit
und nicht am Opfer“.
2

Ich bin gekommen,
die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.

Lasst uns beten:
Herr Jesus Christus,
sprich zu uns durch das Wort der Predigt,
wie du zu Matthäus geredet hast,
dass wir tun, was dein Wille ist
und dir nachfolgen.
— Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

(Einleitung) es steht geschrieben:

Erbarmen will ich, nicht Opfer.3

denk mal drüber nach!

Das ist eine richtige „Klatsche“ gegen einen Pharisäer,
was Jesus hier sagt.
Normalerweise sind es nämlich die Pharisäer,
die mit dem Verweis auf eine Bibelstelle
einen Streit beenden:

Geht aber hin
und lernt,
was das heißt!

Das ist eine typisch pharisäische Formel,
mit der man auch schon mal einem weniger Frommen
über den Mund fahren kann.
Diesen Spieß dreht Jesus hier um.

Wir neigen dazu,
auf der Seite der Sünder zu stehen
und uns zu freuen.

Jesus nimmt die Sünder an!

Dieses Trostwort sagen wir uns gerne weiter.4
Ich werde als Prediger nicht müde,
euch anzusagen:

Gott ist barmherzig!
Dir sind deine Sünden vergeben!
Jesus hat dich angenommen!

Als angenommene Sünder
freuen wir uns für die Zöllner.
Da mag es geschehen,
dass wir auf die Pharisäer
schauen und uns denken:

Die haben wohl das Evangelium nicht gehört!

Doch spätestens, wenn wir auf jemanden herabblicken,
und uns die Schadenfreude ereilt,
sind wir die „Pharisäer“.

Liebe Gemeinde,
kann es sein,
dass uns die Freude am Evangelium
zum Hochmut verleitet?
Das Evangelium ist doch die gute Botschaft, – 
ein Wort
Gottes für uns Menschen.
Hat es etwa einen fahlen Beiklang?
Ist es doch nicht immer und vollkommen „gut“? —

Martin Luther hat einst formuliert,
der Mensch sei ein Gerechtfertigter und ein Sünder zugleich.
Unter dieser Spannung steht auch all unser Handeln.
Alles, was der Mensch anfasst,
fällt unter diesen Fluch.
Jeder Wort,
das ein Mensch in den Mund nimmt,
wird von der Sünde verfärbt und verfälscht.

Ich möchte dies Gotteswort als Überschrift nehmen:

Erbarmen will ich, nicht Opfer.

Dazu habe ich zwei Abschnitte aus der Bibel ausgewählt
und möchte als drittes Beispiel
auf unsere eigene Kirche schauen.

(1) Mein erstes Beispiel ist das Opfer,
das man in Israel brachte,
bevor es im Tempel in Jerusalem zentralisiert wurde.
Das 1. Buch Samuel
beginnt mit einer Erzählung aus dieser Zeit.
Elkana, der Vater des Propheten, und seine Familie
ziehen hinauf zum Heiligtum nach Silo,
um dort zu Opfern und anzubeten.

Das Opfer ist ein Weg,
Gott zu begegnen.
Die Familie schlachtet ein Tier aus ihrer Herde.
Es gibt ein Festmahl
und ein Teil des Tieres wird verbrannt.
Das Feuer symbolisiert die Gottheit.
So hat die Familie Gemeinschaft –
untereinander und mit dem
Herrn, ihrem Gott.
So war es für Generationen
und so hielten es auch Elkana und seine Familie.

Der Priester am Heiligtum in Silo hieß Eli.
Er war wohl schon alt
und hatte den Betrieb seinen Söhnen überlassen.
Über sie berichtet die Bibel so:

1.Sam 2,12Aber die Söhne Elis waren ruchlose Männer;
die fragten nichts nach dem
Herrn
13noch danach,
was dem Priester zustände vom Volk. […]

15Ehe sie das Fett in Rauch aufgehen ließen, kam des Priesters Diener und sprach zu dem,
der das Opfer brachte:

„Gib mir Fleisch für den Priester zum Braten,
denn er will nicht gekochtes Fleisch von dir nehmen,
sondern rohes“.

16Wenn dann jemand zu ihm sagte:

„Lass erst das Fett in Rauch aufgehen
und nimm dann, was dein Herz begehrt“,

so sprach er zu ihm:

„Du sollst mir’s jetzt geben;
wenn nicht, so nehme ich’s mit Gewalt“.

17So war die Sünde der Männer sehr groß vor dem Herrn;
denn sie verachteten das Opfer des
Herrn.

Gott stiftet das Opfer,
um Gemeinschaft zu haben mit den Menschen
und er Stiftet das Amt der Priester,
um uns dabei zu unterstützen,
die Brücke zu ihm zu bauen.

Doch Priester sind auch nur Menschen.
Sie verachten das Opfer
und beklauen ihre Mitmenschen.
So will Gott die Opfer nicht.
Was Gott uns geschenkt hat,
nimmt der Mensch in die Hand
und es fällt unter den Fluch der Sünde.

(2) Das zweite Beispiel,
das ich ausgesucht habe,
ist aus der Zeit,
als der Tempel in Jerusalem
längst das Zentrum aller Opfer in Israel ist.
Der Palast steht unmittelbar neben dem Tempel.
Der König wohnt Mauer an Mauer mit Gott selbst.
Im Tempel finden täglich Opfer statt.
Der König opfert Ganzopfer in Vertretung des Volkes.
Familienväter kommen
und opfern für ihre „Häuser“.

Da tritt der Prophet Jesaja auf
und redet die führenden Bürger von Jerusalem so an:

10Höret des Herrn Wort,
ihr Herren von Sodom!
Nimm zu Ohren die Weisung unsres Gottes,
du Volk von Gomorra!

11„Was soll mir die Menge eurer Opfer?“ spricht der Herr.
Ich bin satt der Brandopfer von Widdern
und des Fettes von Mastkälbern
und habe kein Gefallen am Blut der Stiere,
der Lämmer
und Böcke. […]
13Bringt nicht mehr dar so vergebliche Speisopfer!
Das Räucherwerk ist mir ein Greuel! […]

16Wascht euch,
reinigt euch,
tut eure bösen Taten aus meinen Augen,
lasst ab vom Bösen!
17Lernt Gutes tun,
trachtet nach Recht,
helft den Unterdrückten,
schafft den Waisen Recht,
führt der Witwen Sache!

Jesaja ist hier ein Beispiel
für eine Grundhaltung biblischer Prophetie:
Du kannst nicht auf der einen Seite Gemeinschaft haben
mit dem barmherzigen Gott
und auf der anderen Seite die Gemeinschaft verachten
mit deinen bedürftigen Nächsten.
Das passt nicht zusammen.
Gott lässt sich nicht gefallen,
dass wir ihn als ein religiöses Mäntelchen
über unsere Bosheit legen.

(3) Liebe Gemeinde,
das erste Beispiel richtete sich an Priester
und das zweite an die Gemeinde.
Bevor ich mein drittes Beispiel beschreibe,
möchte ich noch mal kurz auf die Szene blicken,
die unser Predigtabschnitt beschreibt:

Jesus beruft den Zöllner Matthäus vom Zoll weg
und macht ihn zu einem seiner Jünger.
Jesus hat Gemeinschaft mit ihm
und manchen von seinen Zöllner-Kollegen.

Die Pharisäer hinterfragen das.

Sie sind dafür,
Abstand zu halten von den Zöllnern.
Sie dienen den heidnischen Besatzern
und haben ständig Umgang mit Geld,
auf dem die Bilder fremder Götter prangen.
Sie sind unrein!

Und das Geld, das sie sammeln:
davon werden in Israel keine
- Schulen,
- Straßen
- und Synagogen gebaut,
sondern davon bauen sich die Feinde in Rom
- einen Zirkus für ihre Gladiatorenspiele,
- Badehäuser für ihre Orgien
- und Tempel für ihre nichtigen Götter.
Von dem Geld,
dass die Zöllner sammeln,
werden die römischen Soldaten bezahlt.

Haben die Pharisäer nicht recht?
Sind das gute Menschen, diese Zöllner?
Sie sind gegen Gott.
Sie sind gegen sein Volk.
Sie haben den Glauben nicht.

Wie kann Jesus mit denen zusammen essen gehen?
Sollte er nicht einen geschlossenen Abendmahlstisch haben? —

Nach der Kirchenordnung der SELK
ist es nicht vorgesehen,
dass jemand den Altären unserer Kirche
das Sakrament empfängt,
der nicht das lutherische Bekenntnis teilt.

Dies ist das wahre Blut
und der wahre Leib
deines Herrn und Heillandes Jesus Christus.

Glaubst du das?
Und: Wenn du das nicht glaubst,
schließen wir dich aus.

  • Wenn du glaubst,
    im Abendmahl bringe die Kirche ein Opfer,
    für das wir bei Gott „Punkte“ bekommen,
    dann lästerst du Christus,
    denn sein Opfer am Kreuz
    ist vollkommen ausreichend,
    um uns selig zu machen.
    Wir schließen dich aus.
  • Wenn du glaubst,
    das Abendmahl sei nur symbolisch
    und nicht körperlich,
    dann hast du nicht verinnerlicht,
    wie sehr Gott uns liebt
    und dass er uns angenommen hat mit
    - Seele,
    - Geist
    - und Leib
    - und allem, was dazu gehört, ein Mensch zu sein.
    Du teilst unseren Glauben nicht.
    Wir schließen dich aus.

Sind wir die Pharisäer?

Liebe Brüder und Schwester,
in Bezug auf die Abendmahlslehre unserer Kirche
bin ich der Meinung:

Wir haben recht
und die anderen nicht.
Der „geschlossene Abendmahlstisch“ 
markiert vollkommen zurecht:

Dies sind heilige Dinge.
Wenn man hier zum Abendmahl geht,
sollte man wissen,
was man tut.

Doch der Zweifel bleibt und muss auch bleiben.
Machen wir das richtig?
Machen wir das, was Jesus uns vorgemacht hat?

Die Ordnungen unserer Kirche sehen vor,
vom „geschlossenen Abendmahlstisch“ Ausnahmen zu machen
in „seelsorgerisch begründeten Fällen“.
Die meisten Pfarrämter unserer Kirche helfen sich damit,
davon reichlich Gebrauch zu machen,
auch mit einer gewissen absichtlichen Blindheit.
So halte ich es auch:
Ich schicke hier niemanden weg.
Das trägt dem Rechnung,
dass wir wissen,
dass auch die SELK nur aus Menschen besteht,
die gleichzeitig gerechtfertigt und Sünder sind.
Diese Spannung hält sich durch unser Leben durch.

(Schluss)
Zum Schluss noch ein Gedanke:
Gibt es dann überhaupt
irgendwas
das unvermischt gut ist?

Ist das „Wahre, Schöne, Gute“
in dieser Welt überhaupt zu finden?

Einer meiner Lehrer hat uns beigebracht,
dass wir als Menschen dann unvermischt gut handeln,
wenn wir sakramental handeln.
Was Gott in diese Welt eingesetzt hat,
um sich mitzuteilen,
das ist unvermischt gut.

Ich für mich selbst bin da vorsichtiger.
Ich denke:

Nicht das, was die Kirche im Sakrament tut, ist gut,
nicht das, was der Pfarrer im Sakrament tut, ist gut,
sondern was Gott tut ist gut.

Aber:

  • Christus hat dich angenommen in deiner Taufe.
  • Er hat sich dir geschenkt,
    ohne Vorbehalt und Einschränkung.
    Du empfängst seinen Leib und Blut im Abendmahl.
  • Er vergibt dir deine Schuld in der Beichte.

Was wir Menschen tun und sagen ist immer vermischt.

Aber Jesus Christus handelt an dir –
in Wort und Sakrament.
Hier ist das Himmelreich schon da
und Gottes Tag hat schon angefangen.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!5 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Hosea 6,6


3 Hosea 6,6 nach Vers 13.


4 Vgl. ELKG² 569.


5 Phil 4,7


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 2.1 MB)

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Jer 9,22–23, Septuagesimae

Diese Predigt legt zwei Verse aus dem Buch Jeremia im Licht des Evangeliums dieses Sonntages aus.