11:27

„Was ein Theater!“
Predigt zu Mk 15

110 Karfreitag, 7.4.2023, Frankfurt

Ich nehme euch heute Morgen mit in einen Besprechungsraum im Prätorium in Jerusalem. Hier findet die Dienstbesprechung der Garnisons- und Stabskompanie statt. Das ist die militärische Einheit derjenigen Soldaten, die für Jesus’ Hinrichtung zuständig waren.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist die Lesung aus dem Evangelium,
wie wir sie gerade gehört haben,
bei Markus im 15. Kapitel.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

(Einleitung) ich nehme euch heute Morgen mit
in einen Besprechungsraum im Prätorium in Jerusalem.
Hier findet die Dienstbesprechung
der Garnisons- und Stabskompanie statt.
Das ist die militärische Einheit derjenigen Soldaten,
die für Jesus’ Hinrichtung zuständig waren.

Um eine gewisse Vertrautheit zu erzeugen,
gebe ich der Szene grobe Umrisse,
wie sie einer Panzergrenadierkompanie der Bundeswehr entsprechen. –
Also: Der Bundeswehr aus den 90er Jahre, als ich Soldat war.
Historisch ist das natürlich Quatsch,
aber es bringt uns Menschen nahe,
die dabei gewesen sind,
als Jesus starb.

Diese fünf Männer,
die ich uns gleich vor Augen führe,
wissen, wie es stinkt,
auf der Müllkippe Golgatha.

(1) Jetzt haben sie sich aber die Stiefel geputzt,
sitzen in bewusstem Besprechungsraum
und warten auf den Kompaniechef.

Die Tür geht auf,
die Soldaten erheben sich von ihren Plätzen
und der Leutnant macht Meldung:

„Aaachtung!

Herr Hauptmann,
Zugführer der Garnisons- und Stabskompanie
vollständig zur Dienstbesprechung angetreten!“

„Danke. Guten Abend, die Herren“.

„Guten Abend Herr Hauptmann!“
antworten die Soldaten im Chor.

„Nehmen sie bitte Platz“.

Hinter dem Hauptmann her kommen zwei Diener in den Raum,
statten die Zugführer mit Gläsern aus,
schenken ein
und lassen die Flasche auf dem Tisch stehen.

„Gibt es was zu feiern?“ fragt der Zugführer 1.

„Typisch“ denken sich die Soldaten,
„korrekt melden kann er,
aber die Menschen sind ihm egal“.

„Unser Kamerad, der Oberfeldwebel, Zugführer 3:
Seine Frau hat das erste Kind auf die Welt gebracht!“

erklärt der Hauptmann.
Darauf stoßen sie an. —

Als die Gläser auf dem Tisch stehen,
kommt der der Zugführer 2 gleich zur Sache:
„Bei der Hinrichtung letzte Woche:
Wer hat befohlen,
dass die ganze Kohorte da antreten muss?
Was sollte dieses Theater?“

Ich habe das befohlen“ faucht der Leutnant.

Er hat es schon nicht leicht:
Er ist Mitte zwanzig und hat studiert.
Der Hauptfeldwebel ist doppelt so alt wie er.
Der hat zwar nicht studiert,
ist aber schon 20 Jahre auf seinem Posten.
An dem Tisch sitzt keiner,
der härter kämpft
oder härter säuft
als der Zugführer 2.

Der Leutnant rechtfertigt sich:
„Ich hielt es für angemessen,
das Selbstbewusst sein unserer Soldaten zu stärken.
Wir sind eine Besatzungsmacht.
Die Männer müssen sich den Juden überlegen fühlen“.

Der Hauptfeldwebel ist nicht überzeugt:
„Überlegen?
Meine Soldaten reden davon,
mit welcher stoischen Ruhe
er die Prügel eingesteckt hat
und mit welcher Würde
er den Hohn über sich hat ergehen lassen“.

Zugführer 3 will die schlecht Stimmung zu heben:
„Ach kommt!
Vor Pilatus hat der Typ die Zähne nicht auseinander gekriegt.
Diese Witzfigur!
Vielleicht ist er stumm?“

„Nein“, meint sein Gegenüber,
Zugführer 4,
„ich glaube, der wollte nichts sagen“. —

Mit nachdenklichem Tonfall sagt der Hauptmann:

Als er gemartert ward,
litt er doch willig
und tat seinen Mund nicht auf
wie ein Lamm,
das zur Schlachtbank geführt wird;
und wie ein Schaf,
das verstummt vor seinem Scherer,
tat er seinen Mund nicht auf.
3

„Was bitte?“ fragt der Leutnant.

„Das ist ein altes Lied,
eine Prophezeiung der Juden:
Der Gottesknecht leidet für die Sünden der Menschen.
Er ist verachtet und unwert, voller Schmerzen und Krankheit.
Aber es ist
unsere Krankheit
und er trägt
unseren Schmerz.4
Er sieht aus, wie etwas, das wir nicht ansehen wollen.
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In Wirklichkeit ist er aber ein Wesen aus dem Himmel“.

Zugführer 3 versucht es nochmal mit Humor:
„Na, wenn er ein himmlisches Wesen ist,
dann war es doch angemessen,
dass die Männer auf die Knie gefallen sind,
um ihm zu huldigen!“
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Dem Hauptmann ist sichtlich unwohl bei dem Gedanken,
dass Soldaten unter seiner Verantwortung
einem
echten himmlischen Wesen
gespielte Huldigung entgegengebracht haben.

„Ein himmlischer König sogar“, sagt er,
„dessen Herrschaft groß sein wird
und des Friedens kein Ende“.
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(2) Darüber kann Zugführer 3 nur lachen:
„…ein König mit einer Krone aus Dornen
und mit seinem Zepter hat er eins auf den Kopf gekriegt.
Über das Obergewand
hat sich der glückliche Gewinner sehr gefreut“.

„Ja, das hat kein gutes Bild abgegeben!“
Mit tiefer Stimme meldet sich der Zugführer 2 zu Wort.
Mit himmlischen Wesen
kann der Hauptfeldwebel nichts anfangen,
aber
hierzu hat er eine Meinung:
„…dass unsere Soldaten
unter dem Kreuz
um die Kleidung des Verurteilten zocken,
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das geht gar nicht!
Man denkt,
wir bezahlen unseren Leuten keinen anständigen Sold“.

„Hähmäm…“
der Leutnant räuspert sich bedeutungsvoll
und erklärt:
„Es ist eine althergebrachte Tradition im römischen Heer,
dass den Henkern die Habseligkeiten der Delinquenten zufallen.
So halten wir es auch unter meinem Kommando“.

„Ich habe hier das Kommando“,
korrigiert der Hauptmann.
„Und soll ich ihnen mal was sagen?

17Hunde haben mich umgeben,
und der Bösen Rotte hat mich umringt;
sie haben meine Hände und Füße durchgraben. […]
19Sie teilen meine Kleider unter sich
und werfen das Los um mein Gewand.
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Das ist ein altes jüdisches Lied“.

„Schon wieder ein Lied?
Ich wusste gar nicht,
dass sie sich so für Musik interessieren,
Herr Hauptmann“.

„Die beiden Lieder:
Die passen eins-zu-eins auf diesen Jesus.
Und auf mich auch.
Ich habe auch das Gefühl

16Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe,
und meine Zunge klebt mir am Gaumen,
und du legst mich in des Todes Staub“.
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Der Leutnant unterbricht ihn:
„Herr Hauptmann,
sie wollen mir doch jetzt nicht sagen,
dass sie glauben,
dass ein himmlisches Wesen,
– dieser
eine Gott der Juden, oder was auch immer, –
die Ereignisse um diese Hinrichtung
so orchestriert hat,
dass sie mit irgendwelchen Liedern übereinstimmen?

Jupiter ist der Gott des römischen Reiches.
Das wird auf ewig bestehen.
Der Gott der Juden?
Das ist der gescheiterte Gott
eines gescheiterten Volkes
und was da am Rüsttag am Kreuz hing,
war die Leiche eines gescheiterten Wanderpredigers“. –

Und er kann sich gerade noch zurückhalten,
dem Hauptmann von dessen gescheiterten Karriere zu erzählen,
und dass er als Hauptmann in Pension gehen wird
und dass er ihn dafür verachtet.
Aber er beißt sich auf die Zunge. —

(3) In die angespannte Stille hinein sagt Zugführer 3:
„Mensch, das hat er doch selber gesagt:
‚Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen‘“.
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„Das ist der Anfang von dem Lied“, meint Zugführer 4.

„Welches Lied?“

„Das der Hauptmann gerade zitiert hat,
das mit dem Würfeln um die Kleider“.

„Ach?“ der Hauptmann ist selbst überrascht.
„Ich dachte, er ruft Elia“.

„Nein, das ist Alt-Hebräisch.
Und wissen sie, was noch in dem Lied steht?
Dass alle Geschlechter der Erde den Herrn anbeten werden
vor ihm werden die Knie beugen alle,
die zum Staube hinabfuhren
und ihr Leben nicht konnten erhalten.“
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Der Leutnant verliert langsam die Geduld:
„Das sind doch alles nur Zufälle!
Ich kann nicht glauben,
dass ich mich mit erwachsenen Leuten
über solchen Quatsch unterhalte!“

Dem Zugführer 3 geht das Thema auch auf die Nerven:
„Lasst uns über gestern nicht weiter reden.
Schwamm drüber!
Können wir noch eine Flasche Wein kriegen, bitte?
Von diesem Jesus von Nazareth haben wir das letzte gesehen.
Wir haben ihn mit den anderen Übeltätern hingerichtet
und irgendjemand hat ihn verscharrt.
Da kommt nichts mehr nach“.

„Das ist, was der Prophet sagt“.

„Was??“

‚Er wurde den Übeltätern gleichgerechnet
und hat die Sünden der Vielen getragen‘.
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„Schluss jetzt, ich will nichts mehr davon hören!“
Der Leutnant verliert endgültig die Geduld.

Aber der Hauptmann ist sich jetzt sicherer.
Er sagt: „Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!“

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!14 Amen.

Predigtabschnitt aus Mk 15

1Am Morgen hielten die Hohenpriester Rat
mit den Ältesten
und Schriftgelehrten
und dem ganzen Hohen Rat,
und sie banden Jesus,
führten ihn ab
und überantworteten ihn Pilatus.

2Und Pilatus fragte ihn:

Bist du der König der Juden?

Er aber antwortete und sprach zu ihm:

Du sagst es.

3Und die Hohenpriester beschuldigten ihn hart.

4Pilatus aber fragte ihn abermals:

Antwortest du nichts?
Siehe, wie hart sie dich verklagen!

5Jesus aber antwortete nichts mehr,
so dass sich Pilatus verwunderte. […]

15Pilatus aber wollte dem Volk zu Willen sein
und gab ihnen Barabbas los
und ließ Jesus geißeln
und überantwortete ihn,
dass er gekreuzigt werde.

16Die Soldaten aber führten ihn hinein in den Palast,
das ist ins Prätorium,
und riefen die ganze Kohorte zusammen
17und zogen ihm einen Purpurmantel an
und flochten eine Dornenkrone
und setzten sie ihm auf
18und fingen an,
ihn zu grüßen:

Gegrüßet seist du,
König der Juden!

19Und sie schlugen ihn mit einem Rohr auf das Haupt
und spuckten ihn an
und fielen auf die Knie
und huldigten ihm.

20Und als sie ihn verspottet hatten,
zogen sie ihm den Purpurmantel aus
und zogen ihm seine Kleider an.
Und sie führten ihn hinaus,
dass sie ihn kreuzigten.

[…]

22Und sie brachten ihn zu der Stätte Golgatha,
das heißt übersetzt: „Schädelstätte“.

23Und sie gaben ihm Myrrhe in Wein zu trinken;
aber er nahm’s nicht.

24Und sie kreuzigten ihn.
Und sie teilten seine Kleider und warfen das Los,
wer was bekommen solle.

25Und es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten.

26Und es stand über ihm geschrieben,
welche Schuld man ihm gab,
nämlich: „Der König der Juden“. […]

34Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut:

Eli, Eli, lama asabtani?

Das heißt übersetzt:

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

35Und einige, die dabeistanden, als sie das hörten, sprachen sie:

Siehe, er ruft den Elia.

36Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Essig,
steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach:

Halt, lasst sehen, ob Elia komme
und ihn herabnehme!

37Aber Jesus schrie laut und verschied. […]

39Der Hauptmann aber, der dabeistand,
ihm gegenüber,
und sah, daß er so verschied, sprach:

Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 Jes 53,7


4 Vgl. Jes 53,3f.


5 Vgl. Jes 52,14f; 53.3.


6 Vgl. Mk 15,19.


7 Vgl. Jes 9,6.


8 Vgl. Mk 15,24.


9 Aus Ps 22.


10 Aus Ps 22.


11 Ps 22,1; Mk 15,34


12 Ps 22,30


13 Nach Jes 53,12


14 Phil 4,7