15:20

Ein Lolch, wer da an Unkraut denkt
Predigt zu Mt 13,24–30

75 Altjahrsabend, 31. Dezember 2021, Frankfurt

Wie soll der Bauer damit umgehen? Das Unkraut, das der Feind säht, heißt auf Deutsch Lolch. Es sieht aus wie Weizen, ist aber giftig.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist Jesu Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen.
Es ist aufgeschrieben mein Evangelisten Matthäus
im 13. Kapitel:

24Jesus legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach:
Das Himmelreich gleicht einem Menschen,
der guten Samen auf seinen Acker säte.

25Als aber die Leute schliefen,
kam sein Feind
und säte Unkraut zwischen den Weizen
und ging davon.

26Als nun die Saat wuchs und Frucht brachte,
da fand sich auch das Unkraut.
27Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen:

Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät?
Woher hat er denn das Unkraut?

28Er sprach zu ihnen:

Das hat ein Feind getan.

Da sprachen die Knechte:

Willst du denn, dass wir hingehen und es ausjäten?

29Er sprach:

Nein!
damit ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft,
wenn ihr das Unkraut ausjätet.
30Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte;
und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen:
„Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel,
damit man es verbrenne;
aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune“.

Lasst uns beten:
Herr, Gott, himmlischer Vater,
sähe dein Wort als einen guten Samen,
dass es in unseren Herzen aufgehe
und reiche Frucht bringe. — Amen

(1) Liebe Brüder und Schwestern,

meine Güte: Ist da jemand gehässig!
Das Wort, das hier für „Unkraut“ steht,
bezeichnet eine konkrete Pflanzenart,
den Lolch.
Diese Pflanze sieht dem Weizen durchaus ähnlich,
gerade wenn sie noch jung ist.
Sie ist aber giftig
und muss sorgfältig aussortiert werden.
Der „Feind“ fügt dem Hausherrn erheblichen wirtschaftlichen Schaden zu.
Nicht nur, dass er das Personal bezahlen muss,
das den Kram aussortiert,
sondern das Unkraut nimmt dem Boden auch Kraft,
die er sich doch für seine Kulturpflanzen bestimmt wäre.
Um jemandem so zu schaden,
bedarf es doch einem erheblichen Maß von krimineller Energie.

Seine Mitarbeiter stellen dem Hausherrn zwei Fragen:
Die erste: „Hast du guten Samen gekauft?“
Da steht wohl hinter,
dass man damals damit rechnen musste,
dass Verkäufer unter ihren Samen
den Samen von Unkraut mischen.
Das wird nach Volumen abgerechnet
und Unkraut kostet nichts.

Das ist ein bisschen wie im Sommer,
wenn man sich ein verpacktes Eis kauft.
Man macht oben den Deckel ab
und die ersten vier Zentimeter der Verpackung sind Luft.
Luft kostet nichts.

Im Fall von Saatgut ist man angeschmiert,
weil man das Ergebnis erst sieht,
wenn die Saat aufgegangen ist.
Aber nein: Der Hausherr hat aufgepasst
und das Saatgut überprüft,
bevor er es gekauft hat.
Daher weiß er, dass sein „Feind“ ihm mitspielt.

Die zweite Frage,
die die Mitarbeiter stellen ist die:

Wie willst du jetzt damit umgehen?

Da stehen im Grunde zwei Möglichkeiten offen:

(1)Man geht her und jätet den Lolch aus.
Vorteil ist,
dass das Unkraut dem Boden nicht weiter Kraft raubt.
Nachteil ist,
dass man die Kulturpflanzen beschädigt.
Das Wurzelwerk wächst zusammen
und man kann nicht so sauber ausjäten,
wie man gerne möchte.
Außerdem wollen die Leute, die das machen,
die Arbeit bezahlt kriegen.

(2)Die zweite Möglichkeit ist,
wozu sich der Hausherr in unserem Beispiel entscheidet:
Man wartet bis zur Ernte
und sortiert den Lolch aus, wenn alles ausgewachsen ist.
Dann bündelt man ihn vom Weizen getrennt
und nutzt ihn als Brennmaterial.
Das war nämlich rar –
und ist heute noch rar –
in den warmen Gefilden der Erde.

Der Hausherr wählt die zweite Möglichkeit,
denn er sorgt sich um die guten Früchte seiner Ernte.

(2) Liebe Gemeinde,
Jesus erzählt uns diese Geschichte nicht,
um uns Tipps über Landwirtschaft zu geben,
sondern das ganze steht unter dem Vorzeichen:

Das Himmelreich ist wie…
diese Geschichte von dem Bauern.

Nur: Was soll uns das sagen?
Wir sind nicht die ersten,
die diese Frage stellen.
Schon die Jünger haben da noch mal nachgefragt.
Matthäus berichtet:

36Seine Jünger traten zu [Jesus] und sprachen:
Deute uns das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker.

37Er antwortete und sprach zu ihnen:

  • Der Menschensohn ist’s,
    der den guten Samen sät.
  • 38Der Acker ist die Welt.
  • Der gute Same sind die Kinder des Reiches.
  • Das Unkraut sind die Kinder des Bösen.
  • 39Der Feind, der es sät, ist der Teufel.
  • Die Ernte ist das Ende der Welt.
  • Die Schnitter sind die Engel.
  • 40Wie man nun das Unkraut ausjätet
    und mit Feuer verbrennt,
    so wird’s auch am Ende der Welt gehen:
  • 41Der Menschensohn wird seine Engel senden,
    und sie werden sammeln aus seinem Reich alles,
    was zum Abfall verführt,
    und die da Unrecht tun,
    42und werden sie in den Feuerofen werfen;
    da wird Heulen und Zähneklappern sein.
    43Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne
    in ihres Vaters Reich.

Wer Ohren hat, der höre! —

Diese Antwort von Jesus
erinnert mich an Antworten,
die man als Programmierer schon mal geben muss:

Herr Vorberg,
wie macht der Computer das?

Ich gebe hier die Adresse ein
und dann erscheint meine Webseite.
Wie macht der Computer das?

Antwort:

Lieber Kunde,
mit Einsen und Nullen,
mit Einsen und Nullen.

Diese Antwort ist irgendwie richtig,
sie ist aber auch nichts-sagend.
Der Abstand ist einfach gewaltig:
ein binärer Volladdierer aus ein paar Schaltern
auf der einen Seite;
und auf der anderen Seite
- eine moderne CPU mit mehreren Kernen,
- die zig Gigabyte Speicher verwaltet
- und mittels einer ganzen Reihe von Grafik-Prozessoren,
- dein 4K-Display mit Signalen beschickt:
Selbst, wenn man zwölf Semester Informatik studiert hat,
überblickt man das nicht alles bis ins Detail.
Was soll man auf die Frage antworten:

Wie macht der Computer das?

„Mit Einsen und Nullen.“ –
Das ist eine Pseudo-Antwort,
die den Zuhörern das Gefühl gibt,
irgendwas verstanden zu haben.

Jesus antwortet mit einer Tabelle,
wer in diesem Gleichnis was ist.
Eine solche Tabelle schränkt die Deutung des Gleichnisses ein,
statt sie zu öffnen.
Das ist eine Pseudo-Antwort.
Sie gibt den Zuhörern das Gefühl,
etwas verstanden zu haben:

Whow, ich habe etwas verstanden
über die unsichtbare Welt:
Der Menschensohn kommandiert die Engel
und es gibt ein letztes Gericht.

Dazu sagt Jesus dann:

Wer Ohren hat zu hören, der höre.

Mit anderen Worten:

Wenn du dich mit der Antwort zufrieden gibst,
hast du die falschen Ohren.

Wenn du dich mit der Antwort zufrieden gibst
und dir dann noch einredest:

Oh prima, ich gehöre zu den Kindern des Lichts
und komme ungeschoren aus dem Gericht!

…dann hast du überhaupt nicht zugehört,
was Jesus sonst noch so erzählt.

Bei Lukas fragen die Jünger Jesus nach Gleichnissen
und er sagt:

Euch ist’s gegeben,
die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen,
den andern aber in Gleichnissen,
damit sie es nicht sehen, auch wenn sie es sehen,
und nicht verstehen, auch wenn sie es hören.
2

Diese Antwort Jesu
bringt uns sofort dazu zu fragen:

- Wo stehe ich bei dieser Angelegenheit?
- Habe ich richtig verstanden?
- Habe ich Ohren, zu hören?

Wenn du dich das fragst
bist du richtig.

Gleichnisse sind dazu da,
uns zu aktivieren.
Sie sollen uns anregen,
uns ins Fragen führen
und zum Gebet:

Herr, rede mit mir.
Sprich zu mir durch das Wort der Schrift
und durch das Wort der Predigt.

So lange du fragst, bist du nicht verhärtet.
Wenn du eine feste Meinung hast,
hast du die Festigkeit in dir drin.
Glauben ist, die Festigkeit in Jesus zu haben.

Im Glauben fragen wir immer wieder neu,
wie Gottes Wort uns anspricht,
hier,
jetzt,
in
das Leben hinein,
das wir leben.

(3) Hier ist meine Frage,
auf die ich in diesem Gleichnis eine Antwort höre:

Warum lässt Gott das Böse zu?
Warum jätet er es nicht aus?

Ich möchte mich neben den Propheten Jesaja stellen
und rufen:

Heilland reiß die Himmel auf…3
dass die Berge vor dir zerflössen
wir Feuer Reisig entzündet,
wie Hitze Wasser sieden macht…
4

Warum darf der Gottlose leben,
während der Fromme dahinsiecht?
Adler sterben,
aber die Ratten gedeihen.
5

Und was ist mit der Saat des Bösen,
die in meinem Herzen aufgegangen ist?

17Warum lässt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen
und unser Herz verstocken,
dass wir dich nicht fürchten?
6

Kannst du nicht einfach wegnehmen, was gegen dich ist?
Kannst du nicht einfach ausreißen, was uns von dir trennt?

Nein!

spricht der Herr der Ernte:

Damit ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft,
wenn ihr das Unkraut ausjätet.

Gott macht es sich nicht einfach.

Gottes Zorn währet einen Augenblick,
aber seine Gnade ein ganzes Leben lang.
7

Gott ist nicht scharf, sondern besonnen.
Er hat Geduld bis zum Tag der Ernte.
Gott investiert in dich.
Er schenkt dir die Kraft des Bodens
und Zeit zu wachsen,
denn er will dein Leben, nicht deinen Tod.
8

Conclusio

Liebe Gemeinde,

(1)wir haben Jesu Gleichnis gehört
vom Unkraut unter der Saat.

(2)Gleichnisse eröffnen einen Raum,
in dem Gottes Wort in unser Leben spricht.

(3)Ich habe versucht,
eine Zusage von Gottes Milde und Geduld
für uns hörbar zu machen.

Jesus redet zu uns in Gleichnissen.
Er will uns nicht belehren.
Er will auch nicht eifersüchtig Geheimnisse bewahren,
die für uns nicht bestimmt sind,
sondern er wählt die Form der Poesie,
damit die Botschaft der Gnade,
der Milde
und der Liebe Gottes dich im Kern trifft
und dich zu ihm hin bewegt. — Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!9 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Lk 8,9


3 Nach ELKG² 307.


4 Nach Jes 63,19f.


5 Udo Jürgens, Thomas Christen: „Adler sterben“ Album: „Ohne Maske“, 1989.


6 Jes 63,17


7 Vgl. Ps 30,6.


8 Vgl. Hes 33,11.


9 Phil 4,7


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