16:22

Die Spendeworte
Predigt zu Lk 22,7–23

64 14. So. n. Trinitatis, 5. September 2021, Frankfurt a.M.

Diese Predigt fällt etwas aus der Reihe: Sie legt nicht einen Bibeltext aus, sondern die „Spendeworte“, die ich sage, wenn ich jemandem das Heilige Abendmahl reiche.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Für diese Predigt
habe ich eine liturgische Formel als Grundlage gewählt.

Lasst uns beten:
Herr Gott Jesus Christus,
Gott von Gott und Licht vom Licht:
Lass dein Evangelium leuchten für uns
und mache unsere Herzen hell.
Amen.

Liebe Brüder und Schwestern!

Wenn ich jemandem das Heilige Abendmahl reiche,
tue ich das normalerweise mit ungefähr folgenden Worten:

Nimm hin und iss,
dies ist der wahre Leib und das wahre Blut
deines Herrn und Heilandes Jesus Christus
für dich dahingegeben am Stamm des Kreuzes
zur Vergebung aller deiner Sünden.
2

Man könnte sich kürzer fassen und es wäre trotzdem fromm.

Gerade bei der Corona-konformen Austeilung des Abendmahls,
wie wir sie hier in Frankfurt haben,
wäre eine kürzere Formel auch okay.

Man könnte auch empfinden,
die Formel habe einen gewissen Hang zum Kitsch:

Jaaa…, dies ist eine bekenntnis-lutherische Kirche,
aber muss der Kleine Katechismus
immer traktiert werden?

Nein, „muss“ natürlich nicht.

Ich habe solche Sachen auch überlegt,
aber es fühlte sich für mich irgendwie doof an,
etwas anderes zu sagen,
irgendwie unvollständig.

Ich musste erstmal darüber nachdenken,
warum ich das so empfinde.
Ich möchte meine Überlegungen mit euch teilen,
weil ich dachte,
es hilft der Gemeinde,
ihren neuen Pfarrer kennen zu lernen.

Das heißt dann natürlich nicht,
wir
müssen das auf ewig so machen,
weil
ich das irgendwie gut finde.
Viel mehr ist das eher so ein Bauchgefühl
und ich habe mir Gedanken dazu gemacht
und bin auf eure Rückmeldung gespannt:
Mit welchen Worten möchtet
ihr
das Abendmahl gereicht bekommen?

Ich sage jetzt mal was über die,
die
ich schön finde.
Das soll nicht das letzte Wort sein,
sondern im Gegenteil:
Diese Predigt möchte ein Gespräch eröffnen.

Fangen wir mal vorne an:

Dies

„Dies“.

Ernsthaft? Wort-für-Wort?
Nein, keine Bange, ich mache nicht jedes Wort.
Aber dieses ist ein besonders spannendes, einzelnes Wort:

Dies…

Das, was ich hier in der Hand habe,
das ist, worum es geht.

Es geht nicht um einen Gedanken,
nicht mal, um eine gute Idee,
sondern es geht um dieses kleine,
aber sichtbare, greifbare, essbare Stück Lebensmittel.

Ich habe überhaupt nichts gegen Ideen.
Ich habe 20 Jahre als Programmierer gearbeitet
und von meinen mehr oder weniger guten Ideen gelebt.
Aber wenn ich eine Diskette nehme
– oder für die Jüngeren von uns: einen USB Stick…
Also: Ich nehme einen physischen Datenträger,
und kopiere mein Lebenswerk als Programmierer
auf diesen Datenträger,
dann ist der Datenträger nachher genau so schwer wie vorher.
Da ist nichts greifbar.
Nichts daran kann man sehen, anfassen oder verdauen.

Das ist keine Kleinigkeit.
Jesus hat gesagt:

Dies ist mein Leib…
dies ist mein Blut…
tut dies zu meinem Gedächtnis.

Auf diese Zusage hin
glauben wir daran,
dass hier am Altar ein Wunder geschieht.
Wir glauben, dass Gott in den Lauf der Welt eingreift
und in und unter dem Brot und Wein
mehr ist,
als die Summe seiner Teile.

Es unscheinbar,
verwechselbar
und für unsere Sinne verborgen –
und nicht messbar:
Die Hostie wird ja auch nicht schwerer.
Aber das
Sein der Hostie wird zu Jesus’ Sein.

Jesus sagt:

Diesen kleinen Raum,
den die Hostie in der Welt einnimmt,
den nehme
ich jetzt ein.

Dieses kleine Gewicht,
das die Hostie auf die Wage bringt,
das fülle
ich jetzt aus –
für dich –
weil ich bei dir sei will.

Jesus bleibt nicht auf Abstand,
irgendwo im Himmel,
sondern er ist für uns da –
auf eine Art,
die wir fassen und zu uns nehmen können.

Und er ist nicht irgendwo,
schwer zu erreichen oder schwer zu verstehen,
sondern: Hier ist es!
Dies, was ich hier in der Hand halte,
ist Jesus,
ist Gott – für dich!

Wahrheit

Es ist der wahre Leib und das wahre Blut
deines Herrn und Heilandes Jesus Christus…

Nein, es geht mir nicht darum zu betonen:
Wir glauben hier an Realpräsenz.
Wir sind nicht in der Landeskirche
oder bei den Reformierten. —
Es geht mir nicht um Unterscheidung,
sondern es geht mir um Wahrheit selbst.

Wenn Jesus „Wahrheit“ sagt,
dann geht es um Treue,
um Zuverlässigkeit,
dann geht es darum,
dass man sich auf seine Zusage verlassen kann.

Jesus hat gesagt:

Ich bin die Wahrheit.

Er sagt das im Johannes-Evangelium,
das auch bezeugt:

So sehr hat Gott die Welt geliebt,
dass er seinen einzigen Sohn gab,
damit alle, die an ihn glauben,
nicht verloren werden,
sondern das ewige Leben haben.
3

Gott hat diese Liebeserklärung wahr gemacht.
Er hat es durchgezogen bis zum Schluss:
- Menschwerdung,
- Leiden,
- Sterben,
- Höllenfahrt,
- Auferstehung.
Er hat nicht irgendwann zwischendurch gesagt:

Mensch!
Jetzt ist aber mal gut.
Bis hierhin und nicht weiter.

Immerhin bin ich Gott!

Nein! Gottes macht seine Versprechen wahr.
Er gibt alles.
Und das nicht nur damals,
in einer längst vergangenen Vergangenheit,
sondern gegenwärtig:
- hier
- und jetzt.
Gott zieht sein Versprechen durch,
bis zu diesem Altar,
bis zu diesem „Dies…“

Bis dahin,
dass du ihn mit Händen greifen kannst,
mit deinen Zähnen zerkauen,
mit deinem Bauch verdauen…
Gott hat sich sehenden Auges darauf eingelassen.

Das ist Wahrheit! –
im biblischen Sinne.

Ich habe überhaupt nichts gegen Philosophie
oder gegen eine Religionskritik,
die sagt,
ein Wahrheitsanspruch hat auch problematische Seiten.
Geschenkt!
Natürlich ist das so.

Aber wenn ich hier von „Wahrheit“ rede,
geht es darum,
dass Gott treu ist
und wir uns auf seine Liebe verlassen können.

Gott hat uns Menschen wahrhaftig angenommen.
Er hat nicht bereut,
dass er uns gemacht hat,
und dass er uns so gemacht hat,
wie wir sind:
Als leibliche Wesen.

Leib

Wenn ich Menschen erklären möchte,
warum ich gerne zur Kirche gehe,
dann sage ich gerne:

Die Predigt ist eine Liebeserklärung
und das Abendmahl ist wie eine Umarmung.

Die klassische dogmatische Redeweise ist:

Gott nimmt den Menschen an,
- mit Geist,
- Seele und
- Leib.

Wir sind leibliche Wesen
und das ist nicht immer einfach.

Als ich noch jünger war,
war ich wie ein C64.
Den macht man an
und noch bevor der Bildschirm das richtig darstellen konnte,
sagt der Computer

READY.

Fertig! Der Tag kann beginnen.
Dann tippert man sein BASIC da ein und sagt

RUN

Und das Dingen tut genau das, was man gesagt hat.

Heute bin ich eher wie ein Windows-PC.
Der muss erst mal booten.

Wenn der dann ein bisschen in die Jahre gekommen ist,
kommt man auf der Arbeit an,
schaltet den Computer ein
und holt sich erst mal einen Kaffe.
So lange dauert das nämlich, bis der gestartet ist.

Ich wache morgens auf, gucke auf mein Handy und sehe nichts.

„Ach ja“, denke ich, „ich bin ja jetzt alt“.

Ich setze meine Brille auf und gucke nochmal auf mein Handy.
Ich sehe immer noch nichts.
Die Augen booten noch.
Ich mache mir erst mal einen Kaffee.

Wir sind leibliche Wesen
und wir erleben leiblichen Verfall
und leibliche Begrenzungen.

Gott hat so einen Leib für sich angenommen.
Seine Liebe ist nicht nur in Gedanken,
seine Umarmung nicht mit spitzen Fingern,
sondern ganz
und wahrhaftig.

Das Wort wurde Fleisch.4

Es geht um das Sein,
- nicht um das Scheinen,
- nicht um das Wissen,
- nicht um eine Berührung, wie ein mathematischer Punkt.

Gott ist Jesus
und Jesus ist Gott.

Gott hat am eigenen Leib alles durchgemacht,
was du auch durchmachst.
Für ihn war es Leiden und Kreuz.
Was es für dich ist, weißt du selber.

Wenn dein Körper altert,
wenn er dich begrenzt
und selbst wenn dich etwas körperlich quält:
Der ewige Gott erkennt sich in dir.
Einen Körper, wie du einen hast, hatte Jesus auch.

Einen Körper, wie Jesus ihn hat,
wirst du auch haben.
Diese Zusage trägt den Gedanken der Auferstehung.

„Jesus Christus ist auferstanden von den Toten
als Erstling unter denen,
die entschlafen sind.“ – schreibt Paulus.
5

In und unter dem kleinen, unscheinbaren Stück Brot
und dem Schluck Wein
kommt die Auferstehung zu dir.
Noch im Alten
ist das Neue ein Teil von dir.

Dieser kleine Raum, den die Hostie einnimmt,
dieses kleine Gewicht, das sie auf die Wage bringt:
Es ist mit Himmelreich gefüllt.
Du bekommst es,
obwohl es für dich noch nicht so weit ist.

  • Es ist der Schluck Bier,
    den du aus dem Glas von deinem Vater trinken darfst,
    obwohl du noch zu jung bist.
  • Oder der Löffel,
    den deine Mutter dir zum Ablecken gibt,
    während die Plätzchen noch im Ofen sind.

Es ist mit Vorfreude gefüllt und mit Verheißung:
Das Himmelreich kommt.
Hier ist ein Vorgeschmack darauf.

Dies stärke und erhalte dich im Glauben
zum ewigen Leben.

Vergebung der Sünden

Als letztes Thema
möchte ich über die Vergebung der Sünden reden.
Wo Leiden und Vergänglichkeit unseren Leib betreffen,
so betrifft die Sünde unsere Beziehungen.

Da ist zuerst die Beziehung zu Gott,
aber auch unsere Beziehungen untereinander
sind belastet durch Missverständnis und Verletzung.

Von wie vielen Dingen wünschte ich mir,
ich könnte sie rückgängig machen.

„You can’t unring a bell“.
– Sagen die Amerikaner.

Wenn ein Wort einmal gefallen ist,
kann man es nicht wieder aufheben.

Wie oft wünschte ich mir,
das Leben hätte eine
Undo-Funktion.
Einfach „Rückgängig“ drücken
und weitermachen, wo man war.

Wie gerne würde ich ab und zu den Spielstand von vor drei Tagen laden können und nochmal neu anfangen.

Aber auch, wenn es ein Gespräch gegeben hat,
wenn man sich entschuldigt hat,
bleibt dieses Gefühl:

Wird unsere Beziehung wieder sein, wie vorher?

Ich stelle mir auch Fragen wie:

  • Bin ich gut?
  • Bin ich wertvoll?
  • Bin ich liebenswert?
    Also: Bin ich der Liebe wert?
    Der Liebe Gottes?
    Und der meiner Mitmenschen?

Im Abendmal sagt Gott uns auf diese Frage „Ja“.
Ganz egal, was man noch über den Menschen sagen kann,
ganz egal, was war, — was ist,
Gott gibt alles für dich.

Die Bilder sind drastisch und sogar brutal:
- der Mann am Kreuz,
- das Opfer, das geschlachtet wird.
Diese Bilder spiegeln vielleicht Seiten an unserem Leben.

Dagegen steht das Bild des liebevollen Vaters,
der Gemeinschaft hat mit seinem Sohn,
dem Menschen.

Dagegen steht das Bild von Jesus,
wie er das letzte Abendmahl mit seinen Freunden verbringt.

Dagegen steht das Bild von Jesus, der hier bei uns ist:
der Auferstandene, der uns –im Himmel– ganz nahe ist.

Gott nimmt sich dieser Spannung an,
der Spannung zwischen dem, wie unser Leben ist,
und wie heilig er ist.
Er
nimmt das an
und er
geht das an.
Gott spannt eine Linie
- von Golgatha
- über das Passah-Mahl im Obergemacht
- über diesen Altar, hier, heute, wo du bist,
- bis ins Himmelreich.

Hier steht unsere Himmelsleiter.
Hier sind wir mit dem Gott verbunden, der uns liebt
und mit dem Reich, das er uns bereitet hat.

Deswegen ist es mir eine Freude, allen zu sagen:

Nimm hin und iss,
dies ist der wahre Leib und das wahre Blut
deines Herrn und Heilandes Jesus Christus
für dich dahingegeben am Stamm des Kreuzes
zur Vergebung aller deiner Sünden.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! — Amen

1 1.Kor 1,3


2 Vgl. Luth. Kirchenagende S. 283.


3 Joh 3,18


4 Joh 1,14


5 1Kor 15,20


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 356 KB)

Weitere Predigten zu 14. So. n. Trinitatis:
Jakob schaut die Himmelsleiter
Gen 28,10–22, 14. So. n. Trinitatis

Wir begleiten Jakob beim Auszug aus dem Elternhaus: die erste Nacht in seiner ersten eigenen Wohnung. Er bekommt einen starken Zuspruch von Gott, doch Jakob ist nicht blauäugig oder naiv.

Zachäus (Sola fide – Zeit der Identitätsfindung und Schulzeit)
Lk 19,1–10, 14. So. n. Trinitatis

Manchmal glauben wir Dinge, die einfach falsch sind. Wie geht Jesus damit um? Und was hat es damit auf sich, dass wir „aus Glauben allein“ gerecht werden?