18:10

Der verlorene Sohn
Predigt zu Lk 15,1–2; 11–32

59 Über den Trost, den der Vater dem Sohn für die Tür bringt 3. So. n. Trinitatis, 20. Juni 2021, Sottrum

Der ältere Sohn ist wütend. Er fühlt sich ungerecht behandelt. Doch sein Vater kommt zu ihm vor die Tür. Er „bittet“ ihn: Er ermahnt ihn, und darin tröstet er ihn auch. Gott verweist den Gerechten auf die Beziehung, die sie miteinander haben: „Alles, was mein ist, ist dein“. Ich lebe in dir und du lebst in mir.

Liebe Gemeinde,

den einen Abend treffe ich mich mit einer Bekannten.
Sie kommt gerade von der Arbeit,
und ist vollkommen aufgebracht.
Sie erzählt, dass sie mit ihrem Chef unterwegs war
zu einem Kundentermin.
Dieser Chef hatte sie mit seinem Auto mitgenommen.
Er fährt ein dickes Luxusauto.
Ein Auto, das er sich selbst von seinem Manager-Gehalt nicht leisten könnte, aber er hat reich geerbt.

Er meinte,
eigentlich müsste er auch nicht für das Gehalt arbeiten,
aber man muss ja irgendwas tun.

Dann protzt er ’rum,
dass er mehrere Eigentumswohnungen hat,
in der Frankfurter Innenstadt.
Alle in bester Lage!
Und er benutzt die auch alle für sich selbst.
Mal schläft er in der, mal in der.
Wenn er morgens aufsteht, weiß er noch nicht,
in welcher Wohnung er abends schlafen möchte.
Derweil fährt er wie der schlimmste Raser,
den ihr euch vorstellen könnt:
Nur auf der linken Spur, immer am drängeln,
immer mit Lichthupe.
Und dann meint er noch zu meiner Bekannten:

„Ja, ich weiß, ich fahr’ wie eine gesengte Sau.
Aber ich habe Beziehungen zur Polizei.
Die nehmen das dann aus den Akten“.

Ja, was soll man dazu sagen?
Wir leben hier in einem Rechtsstaat.
Wie kann das denn sein,
dass ein Reicher sich dem Gesetz entziehen kann.
Nicht nur, dass er sich teurere Anwälte leisten kann,
sondern er hat auch noch ein Bestechungs-Netzwerk zur Verfügung,
dass er sich komplett der Strafverfolgung entziehen kann.

  • Er ist eine Gefahr auf der Straße.
  • Er behandelt Menschen schlecht um sich herum.
  • Und demütigt sie dann noch, führt sie vor mit seinem großen Auto mit dem leistungsstarken Motor.

Und es hat keine Konsequenzen.

Wie ungerecht ist das?
Der hat so ein tolles Leben,
mit Geld und Wohnungen und einem tollen Auto.

Es macht einen wütend!
Meine Bekannte war so aufgebracht an dem Abend,
sie wusste gar nicht wohin mit ihrer Wut.
Und ich habe das an mir auch gemerkt,
wie sehr meine Gefühle hochkochten,
bei dem Gedanken an diesen Mann.

Es ist genau diese Wut,
Brüder und Schwestern,
die der ältere Bruder auch hat.

Mankann dem jüngeren Bruder, dem „Verlorenen Sohn“, zugutehalten, dass er reumütig war.
Der „Raser“ hat noch damit
angegeben,
dass er sich Straffreiheit
erkaufen kann.
Der „Verlorene Sohn“ kommt mit dem Anliegen zum Vater, einer seiner Sklaven zu werden. — 
Aber was hilft das dem
älteren Bruder?
Er fühlt sich vorgeführt und gedemütigt,
genau wie jeder von uns vorgeführt und gedemütigt ist,
der sich halbwegs an die Verkehrsregeln hält.
Deswegen kann er ihn auch nicht als seinen Bruder annehmen, sondern sagt zu seinem Vater:

„Dieser, dein Sohn…“

Er kann nicht sagen: „mein Bruder“,
sondern „dieser, dein Sohn“,
als mache er dem Vater einen Vorwurf,
dass es den jüngeren Bruder überhaupt gibt.

Es ist ein bisschen wie bei einem Ehepaar:

„Deine Kinder können sich nicht benehmen!“

„Ach, jetzt sind es meine Kinder??“

Die Einleitung des Gleichnisses lautet:

Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder,
um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: „Dieser nimmt die Sünder an und ißt mit ihnen“.

Es gibt unter Christen die Tendenz,
die Pharisäer und Schriftgelehrten als Pappkameraden aufzustellen und zu gesetzlich-religiöse Miesepetern zu erklären. Das Neue Testament spart nicht mit Kritik an ihrer Frömmigkeit! Wir dürfen aber nicht übersehen, dass Jesus sie als Gesprächspartner immer wieder ernst genommen hat.
Und sie ihn ja auch!
Sie haben ihn ernst genommen als Gesetzeslehrer und Prediger, sonst würde sie sein Umgang mit „Zöllnern und Sündern“ nicht weiter stören.

Wir sind schnell dabei,
„Zöllner und Sünder“ als Opfer hinzustellen,
die von den bösen „Frommen“ ausgeschlossen
und vom „lieben Jesus“ angenommen wurden.
Wir identifizieren uns mit ihnen,
weil auch wir
als Sünder von Jesus angenommen worden sind.

Das darf uns aber nicht blind machen dafür,
dass Sünde
Sünde istund Gemeinschaft zerstört.
Wir dürfen nicht übersehen,
dass ein Zöllner ein Beamter einer heidnischen Besatzungsmacht ist.
Das ist einer der hilft, sein eigenes Volk auszubeuten.

Das „Murren“ der Pharisäer ist genau so berechtigt,
wie die Wut, die wir auf den „Raser“ haben
und der Zorn des älteren Bruders.

Ich glaube,
liebe Gemeinde,
der Schlüssel zu diesem Gleichnis,
seine Pointe,
liegt in der Antwort des Vaters.
Es ist die Antwort, die er auch uns gibt und es ist die Antwort, die Jesus den Schriftgelehrten und Pharisäern gibt:

Der Vater spricht zu seinem Ältesten:
„Mein Kind,
du bist allezeit bei mir,
und alles, was mein ist, das ist dein.
Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein;
denn dieser, dein Bruder, war tot
und ist wieder lebendig geworden,
er war verloren
und ist wiedergefunden.“

„Mein Kind,
du bist allezeit bei mir.“

Der Vater kritisiert mit keinem Wort die Wut
und die Enttäuschung seines Sohnes.
Es ist überhaupt nichts Schlimmes,
diese Gefühle zu haben.
Er hat einen Grund dafür!

Der Vater hat aber einen ganz anderen Blick auf die Gesamtsituation.
Er betrachtet alles von der Beziehungsebene her:

„Mein Kind,
du bist allezeit bei mir,
und alles, was mein ist, das ist dein.“

Mein Leben ist dein Leben.
Du und ich sind
so in Liebe verbunden,
wir sind eigentlich eins.
Im Griechischen wird das Erbe,
das der Vater zwischen den Söhnen aufteilt,
bezeichnet mit dem Wort βιός.
Das heißt „Leben“ –
und dann im übertragenen Sinne auch „Vermögen“:
Das, wofür der Vater sein ganzes Leben lang malocht hat.

Die waren im Grunde alle Landwirte damals.
Jeder hatte einen Hof.
Und ein Hof:
da geht es um Pflanzen und Tiere,
alles Dinge, die wachsen und leben.
Die Gesamtheit davon ist das βιός des Vaters.

„Alles, was mein ist, das ist dein“ heißt:
„Mein Leben ist dein Leben“.
„Ich lebe in dir und du lebst in mir“.

Das ist Gott, der da spricht!

Die Pointe, auf die das Gleichnis hinausläuft,
ist die lebensstiftende und lebensbestimmende Beziehung,
die wir mit Gott haben.

Das nimmt der Wut und der Entrüstung nicht das Recht.
Das macht auch die Sünde / und die Schuld,
die aus ihr fließt,
nicht weniger schlimm.
Aber es setzt alles in eine ganz neue Perspektive
und eine ganz neue Größenordnung:

Wie klein und unwichtig sind diese Dinge im Vergleich zu dieser Tatsache:

„Du bist allezeit bei mir,
und alles, was mein ist, das ist dein“.

Vollkommen in den Schatten gestellt vom Licht dieser Wahrheit ist auch jedes Gefühl von Überheblichkeit:

  • Mit keinem Wort möchte ich den „Raser“ vom Anfang bemitleiden:
  • „Der ist bestimmt ein ganz einsamer Mensch“.
  • „Seine Eltern haben ihn bestimmt nicht lieb gehabt“.
  • Oder die „frömmelnde“ Universal-Keule:
    „Der kommt in die Hölle, wenn er sich nicht bekehrt“.
  • Das ist die Haltung,
    die Jesus an den Pharisäern kritisiert:
    Dass sie sich selbst erhöhen über die „Sünder und Zöllner“, dass sie Menschen für „unrein“ und ekelig erklären.
    Jesus kritisiert religiösen Hochmut.
    Er redet nicht die Sünde der Sünder
    oder der Verrat der Zöllner klein.

Genau so wenig rechtfertigt oder relativiert der Vater,
was der „Verlorene Sohn“ getan hat.
Wenn er seinen Ältesten einlädt zu der Party,
ist das nie-und-nimmer mit einer Haltung von wegen:
„Egal! Schwamm drüber! Lass’s einen trinken gehen!“

Nein! –
Der Schmerz des älteren Bruders hat seinen Ort
und sein Recht.
Alles andere würde zur Verletzung noch die Demütigung hinzufügen!

Der Vater lädt seinen Ältesten ein,
die Heimkehr des „Verlorenen Sohnes“ zu feiern,
weil der Älteste aus der Beziehung mit dem Vater lebt,
weil sie einander Leben teilen,
und
deswegen Freude möglich ist,
wo sonst nur Wut wäre.

Das ist der Trost,
den der Vater zu seinem ältesten Sohn vor die Tür bringt.

Dieser Trost, diese Beziehung,
diese göttliche Liebe ist auch in
deinem Leben:

(1)Schau mal nach vorn:
Neben der Osterkerze steht der Taufstein.
Hier hat Gott dich zu seinem Eigentum gemacht.
Hier ist sein Wort
an dich ergangen:
„Mein Kind,
du bist allezeit bei mir,
und alles, was mein ist, das ist dein.“

(2)Schau zur Seite:
Gott hat dir Brüder und Schwestern gegeben,
die ihr Leben mit dir teilen.
Vielleicht sitzt neben dir sogar ein Mensch,
den Gott an deine Seite gestellt hat
und der dir versprochen hat,
für den Rest des Lebens bei dir zu bleiben.
Das ist ein großes Geschenk.
Es ist ein Eid unter Menschen:
„Alles, was mein ist, ist dein.
Bis dass der Tod uns scheidet“.

(3)Schau um dich herum:
Du bist eingebunden in eine Gemeinschaft,
die sich über die ganze Welt erstreckt
und über alle Zeiten.
Der Gottesdienst heute Morgen
ist nur einer von vielen,
die seit tausenden Jahren für Gott gefeiert werden.
Die
- Christus-Gemeinde in Sittensen /
- Zionsgemeinde inSottrum
ist eine von vielen,
die über die ganze Welt verstreut sind
und Gott loben und preisen.

Eingebunden in diese Gemeinschaft,
in diese lebendige Beziehung,
gehen wir unseren Lebensweg.

Und über alledem steht die Zusage Gottes:

Du bist mein geliebtes Kind.
An dir habe ich Wohlgefallen.

Das ist eine Zusage, die einem König würdig ist.
Das ist eine Zusage, die sonst nur dem Christus gilt.
Das ist eine Zusage, die
dir gilt.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!1 Amen.

1 Phil 4,7


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 155 KB)

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Gott zieht unseren Ausreden den Stecker und er bekennt sich im selben Atemzug zu unserem Leben.