14:59

Bild und Wesen
Predigt zu Eph 4,22–32

39 19. So. n. Trinitatis, 18. Oktober 2020, Bremen und Bremerhaven

Wenn Christenmenschen den „neuen Menschen“ anziehen, dann ist ihr inneres Wesen ein für alle Mal erneuert. Das glauben und bekennen wir von der Taufe. Warum liefert der Apostel dann eine Reihe von Regeln und Ratschlägen nach?

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist ein Abschnitt des Briefes an die Epheser im 4. Kapitel.
Der Apostel schreibt:

22Legt von euch ab den alten Menschen
mit seinem früheren Wandel,
der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet.
23Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn
24und zieht den neuen Menschen an,
der nach Gott geschaffen ist
in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

  • 25Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit,
    ein jeder mit seinem Nächsten,
    weil wir untereinander Glieder sind.
  • 26Zürnt ihr, so sündigt nicht;
    lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen,
    27und gebt nicht Raum dem Teufel.
  • 28Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr,
    sondern arbeite
    und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut,
    damit er dem Bedürftigen abgeben kann.
  • 29Laßt kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen,
    sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören.
  • 30Und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes,
    mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung.
  • 31Alle Bitterkeit
    und Grimm
    und Zorn
    und Geschrei
    und Lästerung
    seien
    fern von euch
    samt aller Bosheit.
  • 32Seid aber untereinander freundlich und herzlich
    und vergebt einer dem andern,
    wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

Lasst uns beten:
„Herr, sprich nur ein Wort,
so wird meine Seele gesund“.
2
— Amen

Liebe Brüder in Christus,
liebe Schwestern im Herrn!

A) Wenn Christenmenschen den „neuen Menschen“ anziehen,
dann ist ihr inneres Wesen ein für alle Mal erneuert.
Das glauben und bekennen wir von der Taufe.
Hier sind uns die Sünden vergeben
und Gott hat uns angenommen.
Da müssen wir nichts dazutun
und uns nichtmal entscheiden.

Warum liefert der Apostel dann eine Reihe von Regeln
und Ratschlägen nach?
Ist nicht der eine Moment,
in dem der Mensch von Gott ein neues Wesen bekommt,
ausreichend und endgültig?

Nun, ich denke, viele Christen können das nachvollziehen:
Sie sind getauft
und gleichzeitig gibt es ein Wachsen im Glauben.
Es mag sogar ein Tun der guten Werke geben
und ein Lassen der bösen Werke.
Für den ein oder anderen gibt es einen regelrechten Kampf
mit der Sünde, der Versuchung und dem Bösen.

Diese Spannung spiegelt sich in der Lehre der Kirche.
Im kleinen Katechismus schreibt Martin Luther auf die Frage:

Was gibt oder nützt die Taufe?

„Die Taufe gibt Vergebung der Sünden,
erlöst von Tod und Teufel
und gibt die ewige Seligkeit allen,
die es glauben“.

Zwei Überschriften weiter fragt er:

Was bedeutet denn solch Wassertaufen?

Und er antwortet:

„Es bedeutet, dass der alte Adam in uns
durch tägliche Reue und Buße
soll ersäuft werden muss
und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten;
und wiederum täglich herauskommt und aufersteht
ein neuer Mensch,
der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewig lebe.
3

Die selbe Spannung:
- Unsere Sünden sind uns vergeben.
- Wir bedürfen der täglichen Reue und Buße.

Heißt das jetzt,
wir müssen zusätzlich zu unserer Taufe noch Werke tun?

In unserem Abschnitt heute schreibt der Apostel,
wir sollen den neuen Menschen anziehen.
Dabei geht es nicht um Äußerlichkeiten.
Die meisten Menschen in der Antike
besaßen überhaupt nur einen Satz Kleidung:
Einmal Unterwäsche und einmal Obergewand.
Die hat man nicht groß gewechselt
und im Grunde nur zum Waschen ausgezogen.

Die Kleidung war die Fortsetzung des Körpers.
Auf ihre Art stand die Kleidung damals
für den ganzen Menschen,
seine Identität und sein Wesen.
Die Kleidung ist nicht äußerlich,
sondern sie ist verbunden
mit dem inneren Wesen eines Menschen.

Ich habe zwei Geschichten mitgebracht,
in denen es um eine solche tiefe Verbindung geht.
In den Geschichten ist das Wesen eines Menschen
mit seinem Bild verbunden,
mit einem Gemälde.
Ich hoffe, dass diese Geschichten erhellen,
wie das Endgültige
und das Tägliche sich zueinander verhalten.

G) Ein schöner junger Mann steht neben dem Maler
vor seinem eigenen Portrait.
Er murmelt:

Ist das traurig!

Den Blick fest auf das eigene Abbild gerichtet sagt er:

Ist das traurig!
Ich werde alt werden
und hässlich
und bitter.
Aber dieses Bild wird immer jung bleiben.
Es wird nie älter als werden als heute.

Wenn es bloß umgekehrt wäre!
Ich wünschte mir, dass ich es wäre,
der immer jung bleibt,
und dafür
das Bild alt würde.

Dafür, ja dafür würde ich alles geben.
Es gibt nichts auf der Welt,
das ich dafür nicht geben würde.
Dafür würde ich sogar meine Seele hergeben!
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⊙) Liebe Brüder und Schwestern,
was der junge Mann hier auf sein Porträt abwälzen will,
ist die Entfremdung zwischen ihm und Gott.
Die Bibel redet davon,
dass wir Menschen in Zusammenhänge von Verblendung
und Entzweiung hineingeboren sind.
Die Sünde wirkt in unserem Leben die Entstehung von Schuld, Schmerz, Bitterkeit und die Demütigung der Knechtschaft.
Der Sünde Sold ist der Tod.
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Damit ist das Altern gemeint und der leibliche Tod,
aber dieser Tod hat schon angefangen,
weil wir entzweit sind mit Gott, mit unseren Mitmenschen
und mit uns selbst.

Natürlich funktioniert es nicht so,
wie der junge Mann es sich wünscht.
Wir können diese Dinge nicht einfach auf ein Bild abwälzen.
Aber es wird immer wieder versucht,
sie mit eigenen Mitteln zu übertünchen.
Früher war es der perfekt gepflegte Vorgarten.
Heute ist es das makellose
Instagram-Profil.

Ich möchte nicht schlecht reden,
wenn Menschen sich bemühen um Anstand und Moral.
Sicherlich wird der ein oder andere von ihnen
Gottes echten Willen erfüllen
durch Respekt und Großzügigkeit.
Da ist Gott nicht dagegen.
Nur, wir müssen auch ganz klar sehen:
„Heilig“ – in diesem Sinne! – kann jeder Atheist sein.

Wenn die Bibel „Leben“ sagt,
redet sie von einer anderen Quelle.
Das Leben fließt aus der Rechtfertigung.
Rechtfertigung bedeutet,
dass Gott uns vor sich hinstellt
und uns betrachtet mit dem liebevollen Blick Christi.
Gott sagt:

Wegen Jesus’ schaue ich dich an,
wie du eigentlich sein solltest:
- Schön, nicht hässlich,
- stolz, nicht gebeugt,
- lebenssatt, nicht bitter,
- heilig, nicht ein Sünder.
Das vor mir Wirklichkeit, um Christi Willen.

Dir sind deine Sünden vergeben.

Dies zu glauben,
bringt diese göttliche
und deine weltliche Wirklichkeit
mehr und mehr in Übereinstimmung.
Wie von selbst wirkt das gottgefällige Werke in uns.
So kann nur heilig sein, wer von Gott selbst geheiligt ist.

Die Wirklichkeit vor Gott ist ein für alle Mal.
Die Wirklichkeit hier in der Welt
ist geprägt von Versuch und Irrtum,
Wachstum und Rückschritt,
Besseres Wissen und Fehlgriff.
Dadurch ist Gottes Haltung zu dir nicht in Frage gestellt.
Deine Haltung zu ihm bleibt davon kaum unberührt.
Deswegen hat er seine Kirche beauftragt,
Beichte zu hören
und dir die Vergebung der Sünden zuzusprechen.

G') Ihr lieben,
ich möchte euch die zweite Geschichte nicht vorenthalten.
Es geht um eine Gräfin.
Sie hat einen Künstler eingeladen,
bei sich auf dem Schloss zu wohnen
und ein Portrait von ihr anzufertigen.

Als das Bild veröffentlicht wird,
sagen die Kenner:

Na, da hat er ihr aber geschmeichelt!
Die gebeugte, schüchterne, etwas glanzlose Frau
hat er viel schöner gemalt,
als sie in Wirklichkeit ist.

Zehn Jahre hat sie das Bild in ihrem Zimmer hängen.
Die Freunde merken eine Entwicklung an ihr:

  • Sie ist nicht mehr vom Leben gebeugt,
    sondern trägt auf ihren Schultern einen gesunden Stolz.
    Nicht den Stolz, der sich über andere erhebt,
    sondern den Stolz eines freien Herzens.
  • Sie ist nicht mehr schüchtern,
    sondern selbstbewusst –
    sich selbst bewusst,
    weil sie ein Bild vor Augen hat,
    wie sie sein könnte.
  • Und ihr Gesicht strahlt mit Glanz und Würde,
    ohne, dass sie sich mühen muss
    oder mit Make-up nachhilft.

A') Liebe Gemeinde,
die Taufe macht die Rechtfertigung in deiner Biographie sichtbar. Hier hat Gott dich angenommen.
Von Gott aus gesehen ist damit alles klar:
Dein Leben ist in ihm geborgen,
ein für alle Mal.
Gott schaut dich an,
als wärst du heilig, perfekt und ohne jedes Fehl.

Für uns Menschen ist das manchmal schwer zu glauben.
Deswegen müssen wir im Glauben wachsen.
Doch Gott will, dass sein Bild von uns
mehr und mehr auf uns abfärbt.

Mit der Beichte hält er dir eine Tür auf,
immer wieder „zurückzukriechen“ in die Taufe
durch „tägliche Reue und Buße“, wie Luther es schreibt.
Dies ist der Inbegriff des Evangeliums:

Dir sind deine Sünden vergeben!

In diesem Satz darfst du einen Blick tun darauf,
wie Gott dich sieht,
weil er dich mit den liebevollen Augen
von Jesus Christus ansieht.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!6 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Vgl. Lk 7,7.


3 Kl. Katechismus nach ELKG S. 1272f.


4 Nach: Oscar Wilde: The Picture of Dorian Gray. Penguin Popular Classics, London, New York, 1994, p. 34–35.


5 Vgl. Röm 6,23.


6 Phil 4,7


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