16:22

Die Einladung
Predigt zu Mt 11,25–30

27 2. So. n. Trinitatis, 21. Juni 2020, Bethlehemsgemeinde, Bremen

Nicht die Klugen und Weisen, nicht die, von denen man es erwartet, werden von Gott angesprochen.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist aus dem 11. Kapitel des Evangeliums nach Matthäus.
Johannes der Täufer sitzt im Gefängnis
und Jesus sagt über ihn:

9bJa, ich sage euch: er ist mehr als ein Prophet.
10Dieser ist’s, von dem geschrieben steht:
„Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her,
der deinen Weg vor dir bereiten soll.“

11aWahrlich, ich sage euch:
Unter allen, die von einer Frau geboren sind,
ist keiner aufgetreten, der größer ist als Johannes der Täufer.

[…]

18Johannes ist gekommen,
aß nicht und trank nicht;
so sagen sie: „Er ist besessen“.

19aDer Menschensohn ist gekommen,
ißt und trinkt;
so sagen sie:
„Siehe, was ist dieser Mensch für ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder!“

[…]

25Zu der Zeit fing Jesus an und sprach:

Ich preise dich, Vater,
Herr des Himmels und der Erde,
weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast
und hast es den Unmündigen offenbart.

26Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen.
27Alles ist mir übergeben von meinem Vater;
und niemand kennt den Sohn als nur der Vater;
und niemand kennt den Vater als nur der Sohn
und wem es der Sohn offenbaren will.

28Kommt her zu mir,
alle, die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.

29Nehmt auf euch mein Joch
und lernt von mir;
denn ich bin sanftmütig
und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
30Denn mein Joch ist sanft,
und meine Last ist leicht.

Lasst uns beten:
Herr Jesus Christus – selig ist, wer sich nicht an dir ärgert.
2
Deshalb bitte ich dich:
Reiß nieder, was uns von dir trennt.
Sprich du selbst in unser Herz
durch das Wort der Predigt
und überwinde
du unsere Schranken und Grenzen.
— Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

man kann immer nur sehen,
was man erwartet.

Archäologen legen ein antikes Gebäude frei.
In seinem Inneren finden sie Ringe:
ca. 4
–5 cm Innendurchmesser,
aus verschiedenen Materialien,
insbesondere Keramik,
manche reich verziert,
andere ganz schlicht.
Die Funktion ist ihnen über lange Zeit nicht klar.
Bis jemand auf die richtige Idee kommt:
Diese Ringe haben einst
Schriftrollen zusammengehalten.
Die Ausgräber haben sich durch eine antike
Bibliothek gegraben,
ohne es zu wissen.
Nun ist nicht klar,
ob sie irgendein Schriftstück hätten retten können,
aber der Gedanke allein,
dass sie die
Chance gehabt hätten,
ist ärgerlich und frustrierend. —
Man kann immer nur sehen,
was man erwartet

Was Gott betrifft,
spreng er nicht nur alle unsere Erwartungen,
sondern unsere Augen sind regelrecht
gehalten.
„Verblendet“ nennt die Bibel das (in einem alten Deutsch),
„blind gemacht“,
„taub und unempfindlich gemacht“.
Verblendung ist der Inbegriff der Sünde,
dem Abstand und Abgrund
zwischen
- uns und Gott,
- uns und unserem Nächsten,
- zwischen uns und uns selbst.

Die Reaktion der Menschen auf Johannes und auf Jesus sind dafür ein gutes Beispiel:
Über Johannes sagen sie:

Er isst nicht und er trinkt nicht.
Der ist gar kein richtiger Gottesmann!

Der asketische Lebensstil dieses Aussteigers:
Damit können sie nicht viel anfangen.

Über Jesus sagen sie:

Er säuft und er frisst
und das auch noch mit den Zöllnern und Sündern:
Der ist gar kein richtiger Gottesmann!

Denen möchte man doch sagen:

Seid doch ehrlich:
Ihr
wollt gar keinen Gottesmann in eurer Mitte.
Ihr
wollt gar nicht angesprochen werden von Gott,
denn dann müsstet ihr euch mit euren Leben auseinandersetzen,
mit dem Abgrund zwischen
- euch und Gott,
- euch und eurem Nächsten,
- zwischen euch und euch selbst.

Das ist ein bisschen so wie die Leute die sagen:

Ne, Gottesdienst mit Orgel und Chorälen,
das ist mir zu spießig.

Und die selben Menschen sagen:

Lobpreislieder und Klatschen:
Das ist mir zu verrückt.
Das ist gar kein richtiger Gottesdienst.

Dann möchte man sagen:

Seid doch ehrlich:
Ihr
wollt am Sonntag einfach nicht zum Gottesdienst gehen.
Ihr
wollt nicht Gottes Wort hören,
denn euer Schöpfer könnte euch da ansprechen und sagen:
„Hey,
so habe ich dich nicht geschaffen!“
Euer Erlöser könnte euch ansprechen und sagen:
„Du bedarfst der Rettung!“

Ich habe neulich mit einer Frau gesprochen,
die singt hier in Bremen in einem Gospel-Chor.
Dann haben sie bei einer Hochzeit gesungen,
in einer sehr frommen, landeskirchlichen Gemeinde.
Die Gemeinde steht in reformierter Tradition.
Da hat das Gesetz das letzte Wort
und der Pastor hat zu dem junge Ehepaar gesagt:

Wenn ihr jetzt christlich verheiratet seid,
müsst ihr auch regelmäßig in der Bibel lesen
und zum Gottesdienst kommen.

Und die Frau meinte:

Ne,
das sei ihr zu „religiös“.

Also: Die singt in einem Gospel-Chor,
einem Chor, der von seinem Namen her sagt,
er verkündige das Evangelium
und Bibellesen und Gottesdienst sei ihr zu religiös.

Was will sie denn eigentlich?
Na ja, im Horizont ihrer Erwartungen bleiben.
Sie möchte nicht gestört werden in dem,
was sie in ihrem Leben als normal und bequem empfindet.

Gottes Wort ist etwas ganz anderes,
etwas, das man gar nicht richtig erwarten kann,
weil man blind ist
für Gott und sein Reich.

Liebe Gemeinde,
ist Religion also die Antwort?
- Sonntags zur Kirche gehen,
- Bibel lesen
- und diese oder jene Regel einhalten –
Das ist es? Das ist, was Gott von uns will?

Es ist sehr attraktiv,
sich für etwas Besonderes zu halten.
Menschen geben sich gern das Gefühl,
- etwas Besseres zu sein,
- etwas mehr Durchblick zu haben als der andere,
- etwas besser die Regeln einzuhalten.
Damit der Nachbar das denkt,
steht man auch Sonntags morgen schon mal auf
und geht zur Kirche.

Jesus betet:

Ich preise dich, Vater,
Herr des Himmels und der Erde,
weil du dies den Weisen und Klugen verborgen hast
und hast es den Unmündigen offenbart.

Diejenigen, denen Gott sich offenbart,
sind gerade
nicht diejenigen,
von denen man es erwartet.
Weder die weltlich-Normalen,
die in ihrer bürgerlichen Erwartungen bleiben,
noch die religiös-Normalen,
die sich für was Besseres halten –
Niemand hat einen
Anspruch darauf,
dass Gott sich ihm offenbart.
Weder die „Weisen“
noch die „Klugen“ hat Gott erwählt,
sondern die „Unmündigen“:
Die Hilflosen, die sind, wie kleine Kinder.

Jesus sagt weiter:

26Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen.
27Alles ist mir übergeben von meinem Vater;
und niemand kennt den Sohn als nur der Vater;
und niemand kennt den Vater als nur der Sohn
und wem es der Sohn offenbaren will.

Das Heft des Handelns
hat Jesus selbst in der Hand.
Wir bleiben passiv.

Das wird in der evangelischen Theologie gerne betont,
dass der Mensch
passiv bleibt gegenüber Gott.
Das ist überhaupt nicht angenehm,
weil es auf Seiten des Menschen
Unsicherheit hervorbringt.

Ist doch klar:
Ich würde gerne selber entscheiden,
ob ich glaube oder nicht.
Ich hätte gerade Sicherheit,
ob ich gut genug bin für Gottes Reich oder nicht.

Warum ist das trotzdem so wichtig,
dass
wir selbst aus der Entscheidung herausgenommen sind?

  • Wenn man sich auf Menschen verlässt,
    verlässt man sich immer auf Sünder.
  • Egal, wie gut ein Mensch es meint:
    Wir sind endliche Wesen,
    von endlicher Erkenntnis
    und endlicher Kraft.
  • Und wir sind verblendet.
    Nicht nur, dass wir keine Erkenntnis Gottes haben,
    wir wehren uns aktiv dagegen,
    die Erkenntnis zuzulassen.

So, wie die Menschen, die Jesus begegnen:
- Johannes war ihnen zu streng,
- Jesus war ihnen zu lasch.

Oder:
- Choräle sind zu spießig,
- Lobpreis ist nicht andächtig genug.

Das sind Beispiele der simpelsten Art.
Die
wirklichen Ausreden sind viel filigraner
und zum Teil dick überkleistert mit
- Anstand,
- Religion
- und Moral.

Wie kommen wir also ’raus aus der Nummer?
Nur dadurch, dass Jesus uns anfasst
und uns ’rauszieht.

Er sagt:

28Kommt her zu mir,
alle, die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.

29Nehmt auf euch mein Joch
und lernt von mir;
denn ich bin sanftmütig
und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
30Denn mein Joch ist sanft,
und meine Last ist leicht.

Jesus bringt nicht etwas Altes,
wie es das in der Welt schon gibt.
Er bringt etwas
Neues
sozusagen „vom Himmel her“.

Das wirkt sich in der Welt aus,
in einer Lebenswende zum Beispiel.

Das kann sich auswirken darin,
dass jemand
gerne zur Kirche geht,
weil er Jesu Stimme in der Predigt hört
und ihm im Abendmahl begegnet.

Die Betonung ist hier auf „gern“:
Es wird dir eben
keine neue Last aufgelegt.

„Mühselig und beladen“ wirst du durch etwas Fremdes.

Wer Jesu Jünger wird,
wer von ihm lernt,
wird nicht neu beladen,
sondern von seinem Schöpfer so verändert,
dass das, was gut für ihn ist,
zu dem wird, was er
gerne und leicht tut und annimmt.

Und das kann so aussehen,
dass ein Mensch bürgerlicher oder sogar spießiger geworden ist.
Ein Mensch,
der unter Jesu Segen Alkohol und Drogen hinter sich lässt,
wird bürgerlicher.

Es muss aber überhaupt nicht so aussehen.
Ein Mensch, der Jesu Ruf ins Kloster folgt,
bricht aus der bürgerlichen Welt komplett aus.

Ich glaube: Für uns ist wichtig,
dass man mit Urteilen über andere sehr zurückhaltend ist,
und dass man an sich selbst die Offenheit behält,
von Gottes Wort angerührt und überrascht zu werden.

Christus sagt:

„Mein Joch ist sanft“.

Ein Joch ist dafür da, den Tieren zu helfen,
mit ihrer Last umzugehen.
Es ist keine neue Last,
die noch oben drauf kommt,
auf ein anstrengendes Leben.

Möge Jesus in unser Leben treten,
möge er uns ansprechen, sanft und liebevoll,
aber mit aller Macht des Schöpfers.
Möge er uns auf seinen Weg setzen
und uns lehren, ihn mit ihm zusammen zu gehen.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!3 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Mt 11,6


3 Phil 4,7


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„Europa ist ein geiles Land“
Eph 2,11–22, 2. So. n. Trinitatis

Wie gehört man wirklich dazu? Gerade unter diesen Bedingungen: Alles wird anders, aber das Leben geht weiter.