18:15

„Europa ist ein geiles Land“
Predigt zu Eph 2,11–22

155 2. So. n. Trinitatis, 9. Juni 2024, Frankfurt

Wie gehört man wirklich dazu? Gerade unter diesen Bedingungen: Alles wird anders, aber das Leben geht weiter.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist ein Abschnitt aus dem Brief an die Epheser im 2. Kapitel.
Die BasisBibel übersetzt ungefähr so:

11Erinnert euch deshalb daran,
dass ihr früher, schon rein körperlich gesehen, Heiden wart.
Von den sogenannten „Beschnittenen“
wurdet ihr die „Unbeschnittenen“ genannt.
Dabei haben auch sie nur
die körperliche Beschneidung,
die von Menschen vollzogen wurde.

12Denkt daran,
dass ihr damals von Christus getrennt wart.
Ihr habt nicht zu Israel gehört.
Als Fremde galt für euch keiner der Bundesschlüsse,
mit denen Gott seine Verheißungen gab.
Ohne Hoffnung und ohne Gott
habt ihr in dieser Welt gelebt.

13Jetzt aber gehört ihr zu Christus Jesus.
Ihr, die ihr einst fern wart,
seid ihm nahe gekommen durch das Blut,
das Christus vergossen hat.

14Ja, Christus selbst ist unser Frieden.
Er hat aus beiden,
aus den Juden und den Völkern,
ein Ganzes gemacht.
Er hat die Mauer niedergerissen, die sie trennte.
Er hat die Feindschaft zwischen ihnen beseitigt,
indem er seinen Leib hingab. […]

17Er kam und verkündete Frieden:
Frieden für euch in der Ferne
und Frieden für die in der Nähe.
18Denn durch ihn haben wir beide
in ein und demselben Geist Zugang zum Vater.

19Ihr seid also nicht mehr Gäste und Fremdlinge,
sonder ihr seid Mitbürger der Heiligen
und Gottes Hausgenossen.
2

20Ihr seid gegründet
auf dem Fundament der Apostel und Propheten,
dessen Eckstein Christus Jesus ist.
21Nach ihm richtet sich der ganze Bau,
der zu einem heiligen Tempel des Herrn
3 emporwächst.
22Auch ihr werdet dazu mit(v)erbaut4
zu einer Wohnung Gottes im Geistes.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!5 — Amen

(Einleitung) Liebe Gemeinde!

EUROPA IST EIN GEILES LAND

An der Straßenbahnstation „Ostendstraße“,
steht das auf einem Werbeplakat.
Das Plakat ist aufgeteilt in vier Felder.

(1)Das erste Zeigt einen Herren mittleren Alters.
Von seinen Gesichtszügen her würde man vermuten,
er stamme aus dem östlichen Mittelmeerraum,
vielleicht ein Türke.
Er hat sich die deutschen Nationalfarben
ins Gesicht gemalt
und trägt einen schwarz-rot-goldene Blüten-Boa.

(2)Das zweite Feld füllt ein Männer-Gesicht
mit rotem Bart.
Da würde ich eigentlich einen Engländer
oder Schotten erwarten.
Er ist aber orange geschminkt
mit rot-weiß-blauen Fahnen: ein Niederländer, der stolz die Farbe seines Landes und seines Königshauses zeigt.

(3)In der Reihenfolge blau-weiß-rot
kommt die Flagge im nächsten Feld noch mal vor.
Frankreich wird vertreten von einer jungen Frau im Hajib.
Sie hat sich eine wehende Tricolore auf die Wange gemalt.

(4)Das vierte Feld gehört einer Dame, deren rundes Gesicht
sehr gut zu ihrer quadratischen Nationalflagge passt:
Das weiße Kreuz auf rotem Grund
der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

Das ganze ist eine Werbeaktion für die Fußball-Berichterstattung von niemand geringerem als der Bildzeitung.

Dabei war eine gemeinsame Europäische Identität
ein mitte-
linkes Anliegen.
Die mitte-rechten Kreise in Deutschland
wollten Wirtschaftsunion.
Sie wollten Geld verdienen mit den anderen,
aber: „Meine Nation, die soll die bleiben, die sie immer war“.

Inzwischen hat die Wirklichkeit beide Ideen eingeholt.
Die sauber abgetrennten Nationalitäten und Identitäten
gibt es nicht mehr.
Das ist auch bei der Redaktion der Bildzeitung angekommen.
Trotzdem will die „Springer-Presse“
ihr Flaggschiff-Produkt „Bildzeitung“
weiter verkaufen.
Dazu müssen sie die Kundschaft ansprechen, die sie haben,
nicht die, die sie vielleicht
von ihrer Tradition her gerne hätten.

EUROPA IST EIN GEILES LAND

Unser Heimatland ist das Übergeordnete, Große
und darunter findet sich eine Vielfalt von
Ethnien, Identitäten und Nationen.

Unter dem Bildzeitungs-Logo
behauptet der
Claim: „Bild bleibt Bild“.

Dabei ist die Bildzeitung gar nicht geblieben,
wie sie mal war – 
zumindest nicht in Bezug auf ihre Zielgruppe
und politische Grundüberzeugung.

Damit sind die drei Punkte angesprochen,
in die ich das Folgende gliedern möchte:
(1) Wie gehört man wirklich dazu?
(2) Alles wird anders.
(3) Das Leben geht weiter.

(1) Liebe Schwestern und Brüder,
in Jesus Christus sind wir Brüder und Schwestern;
nicht mehr Fremde,
sondern Vertraute.
Wir gehören quasi zur Familie – 
zu der
einen Familie, der wahren Familie Gottes.

Wir sind nicht mehr fern, sondern nah.
Nicht mehr Feindschaft bestimmt unser Leben,
sondern Frieden.
Nicht mehr Fremde und Gastarbeiter sind wir,
sondern Mitbürger der Heiligen
und Mitbewohner in Gottes WG.
Wir dürfen an seinen Kühlschrank gehen,
ohne zu fragen:

Kommt, es ist alles bereit.
Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.

In dem einen Geist haben wir gemeinsam Zugang zum Vater.
Statt dem Götzendienst der Heiden
und den Opfern im Jerusalemer Tempel
feiern wir zusammen den einen, wahren Gottesdienst.

Wir sind wiedergeboren.
Jeder einzelne Christenmensch ist der Sünde gestorben.
Doch Gott hat uns auferweckt,
wie er Jesus auferweckt hat,
und mit ihm eingesetzt in den Himmel.
6
Zusammen bilden wir den Leib Christi,
die Kirche,
einen lebendigen, wachsenden Tempel Gottes in der Welt.

– So weit die Theologie. – 

Das Ideal des Apostels
muss sich in Ephesus an der Wirklichkeit abgerieben haben.
Er malt starke Bilder
- von Gottes Gnade,
- unserer Einheit in Christus
- und unserem Leben im Geist.
Doch er schreibt den Ephesern
mindestens genau so viele Anweisungen und Mahnungen:

  • „Legt die Lüge ab und redet die Wahrheit“.7
    Das muss man nur schreiben, wenn Menschen lügen.
  • „Zürnt ihr, so sündigt nicht“.8
    Wut macht Konflikte nicht einfacher.
    Das galt auch damals schon.
  • „Faules Geschwätz“, „Bitterkeit“, „Grimm und Zorn“,
    „Geschrei und Lästerung“
    9 — Na ja, das Übliche halt.
    Nichts davon scheint den Ephesern
    fremd oder fern gewesen zu sein.

Dazu eine „Haustafel“ mit Vorschriften für
Frauen und Männer,
Eltern und Kinder,
Sklaven und ihre Herren.

Auch Christenmenschen sind und bleiben Menschen.
Gott sieht das im Grunde gern,
denn als Menschen hat er uns erschaffen.
Du bist du! –
nicht eine Idee, ein Ideal oder ein perfektes Püppchen.
Gott hat
dich erlöst.
In der WG mit ihm gibt es halt ein paar Regeln.
Easy.

Schwierig wird es dann,
wenn wir Menschen
die Regeln zu unseren Regeln machen.

Wie gehört man wirklich dazu?
Wann ist man so richtig
ein Mitbürger der Heiligen
und Hausgenosse Gottes?

  • Man muss auf jeden Fall in der einzig wahren,
    rechtgläubigen Kirche sein.
    Also der SELK.
  • Um ein richtiger SELKie zu sein,
    hilft norddeutscher Migrationshintergrund ungemein.
  • Wenn man den nicht hat,
    kann man aber im Chor und/oder Posaunenchor musizieren.
  • Man muss auf jeden Fall Sonntag Morgens um 10.00 Uhr
    zum Gottesdienst antreten.

Genau, wie wir eine bestimmte Vorstellung davon haben,
wie ein richtiger Deutscher aussieht und sich benimmt,
haben wir auch eine menschliche,
sehr menschliche Vorstellung davon,
wer zu uns in der SELK gehört – und wer eher nicht.

Das Bild von dem südosteuropäischen Mann
mit der deutschen Flagge im Gesicht
spielt mit unseren Erwartungen und Vorstellungen.
Er ist
- der gender-queere SELKie,
- der Lobpreis-SELKie,
- der SELKie, dem Abendmahl gar nicht so wichtig ist.
(Bei dem letzten Beispiel hatte ich so ein komisches Gefühl …)

Diese SELKies sind längst Wirklichkeit.

Damit komme ich zum zweiten Punkt:

(2) Bleibt alles anders.

Während wir in der SELK uns Gedanken machen,
ob die Psalmtöne im neuen Gesangbuch
ein lohnenswerter Beitrag zur deutschen Gregorianik sind,
singen die allerwenigsten unserer Zeitgenossen
überhaupt noch selbst.

Unser Selbstverständnis ist abgekoppelt
von der Lebenswirklichkeit unserer Mitmenschen.
Genau diesen Menschen aber
haben wir als Kirche und Gemeinde
das Evangelium zu verkündigen.
Und das ist nicht freiwillig oder extra.
Christus spricht:

Gehet hin, — lehret — taufet.10

Nicht:

Bleibt unter euch und diskutiert musikologische Details.

Der demographische Wandel ist überall sichtbar.
Es kommen kaum jungen Leute nach.
Es gibt wenig Fachkräfte
und die Bereitschaft,
das eigene Leben
dem Beruf oder dem Ehrenamt unterzuordnen,
hat deutlich abgenommen.

Christliche Gruppen
müssen den Schulterschluss mit anderen Christen suchen. –
Im Poster ist das auf Ebene der Nationen durchgeführt:

Europa ist ein geiles Land.

Nation und Ethnie sind in ihrer Bedeutung zurückgetreten,
aber das übergeordnete Große hält uns zusammen.
Bedeutet das,
die Trinitatisgemeinde ist nicht mehr so wichtig ist
und die SELK ihre Bedeutung verloren hat?

Ökumene ist eine geile Kirche?

Ich kann zum Beispiel mit den Baptisten
und ihrer Frömmigkeit viel anfangen.
Ihre Leidenschaft im Glauben
und ihre Liebe zu Jesus inspirieren mich.
Johnny Cash hängt über meinem Schreibtisch.
Über Psalmentöne, Queer und Lobpreis können wir diskutieren,
aber Sakramentenlehre?
Entscheidungstaufe? – Von Wiedertaufe ganz zu schweigen.
Abendmahl als Symbol? —
Da komme ich nicht nur pfarramtlich an meine Grenzen,
sondern auch ganz persönlich.

Doch:

(3) Das Leben geht weiter.

Bild bleibt Bild.

  • Wir leben in bunter ethnischer Vielfalt.
  • Nationale Identitäten bedeuten wenig mehr,
    als die Zugehörigkeit zu einem Fußballverein.
  • Dabei ist Europa das gemeinsame Heimatland.

Und Springer verkauft sein Produkt an diejenigen,
die da sind.
Wem sollen sie es auch sonst verkaufen?
Ich finde das nicht verwerflich.
Wie und in welcher Hinsicht
die Bildzeitung sich treu geblieben ist,
müssen die Herausgeber bestimmen.

Das Leben der Kirche geht auch weiter,
denn die treibende Kraft ihres Lebens
ist der
Herr selbst.

Dabei ist keineswegs gesagt,
dass es dabei keine Brüche und Abbrüche gibt.

Jesaja muss mit seinen Leuten in Babylon leben,
ohne Zugang zum Tempel.
Die jungen Leute rennen zu den Götzen
und die Alten sind nur traurig über den Verlust.
Doch der Prophet weiß,

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen
und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
11

Mit seinem Jüngerkreis zusammen glaubt der Prophet,
dass Gott sein Volk wieder herstellen wird.
Doch dort im Exil,
wo alles nach Niedergang aussah,
wird diese Idee geboren:

Es ist zu wenig,
dass du mein Knecht bist,
die Stämme Jakobs aufzurichten
und die Zerstreuten Israels wiederzubringen,
sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht.
12

Diese Vision ist Wirklichkeit geworden
und das Dokument davon
ist unter Anderen der Ephaserbrief.

Denkt daran,
dass ihr einst Heiden wart,
jetzt aber gehört ihr durch Jesus Christus dazu.

19Ihr seid also nicht mehr Gäste und Fremdlinge,
sonder ihr seid Mitbürger der Heiligen
und Gottes Hausgenossen.

Ihr seid ein lebendiger Tempel,
dessen Leben von Gott kommt.
Die konkrete Ausgestaltung ist oft Verhandlungssache,
aber der Eckstein ist Christus.
An dem richtet sich alles aus.
Gott zur Freude und uns zum Segen.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Hier verwende ich das dt. Vokabular von LUT84, weil es „eingebetet“ ist.


3 αὔξει εἰς ναὸν ἅγιον ἐν κυρίῳ. ἐν κυρίῳ übersetze ich als einfachen Genitiv, um die Offenheit der Interpretation zu bewahren.


4 ἐν ᾧ καὶ ὑμεῖς συνοικοδομεῖσθε changiert zw. „miterbaut“ und „mitverbaut“.


5 Ps 119,105


6 Vgl. Eph 2,5f.


7 Eph 4,25


8 V. 26.


9 V. 31.


10 Nach Mt 28,19.


11 Jes 42,3


12 Jes 49,6


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 2.1 MB)

Weitere Predigten zu 2. So. n. Trinitatis:
Die Einladung
Mt 11,25–30, 2. So. n. Trinitatis

Nicht die Klugen und Weisen, nicht die, von denen man es erwartet, werden von Gott angesprochen.