12:13

Unter die Haut
Predigt zu Kol 2,12–15

22 Quasimodogeniti, 19. April 2020, Bremen

„Kennt Ihr das, 
wenn man sich eine Blase gelaufen oder gearbeitet hat? 
Nach einer Weile, wenn die Blase wieder verheilt ist, 
löst sich die alte Haut ab 
und die neue Haut, die darunter nachgewachsen ist, 
ist ganz weich: Wie Babyhaut! 
 Unter dem Schmerz und der Verletzung,
ist ein kleiner Teil von mir wie neu geboren!“ Ich erinnere mich, dass ich beim Vortrag damals den Anfang spontan geändert und eine Geschichte erzählt: Wenn ich bei meinem Onkel den Parkplatz gefegt habe, war das für meine zarte Programmierer-Haut regelmäßig Grund zum Protest: Sie löste sich großflächig von meiner Handfläche. Darunter kam dann neue Haut zum Vorschein, die ist, wie Babyhaut… Man beachte auch die Haut von Jesus auf dem Bild (Dierick Bouts: „Christus mit Dornen gekrönt“): „Der, der von keiner Sünde wusste, ist für uns zur Sünde geworfen…“ Unter die Haut

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das uns für heute Morgen bestimmt ist, steht im Brief an die Kolosser im 2. Kapitel.

Der Apostel schreibt:

12Mit Christus seid ihr begraben worden durch die Taufe;
mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben –
aus der Kraft Gottes,
der ihn auferweckt hat von den Toten.

13Und er hat euchmit ihm lebendig gemacht,
die ihr
tot wart in den Sünden
und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches.

Er hat uns vergeben alle Sünden.
14Er hat den Schuldbrief getilgt,
der mit seinen Forderungen gegen uns war,
und hat ihn weggetan und an das Kreuz genagelt.

15Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet
und sie öffentlich zur Schau gestellt
und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.

Lasst uns beten: Herr Gott, Heiliger Geist, komm herab zu deiner Gemeinde und öffne unsere Ohren und Herzen für dein Wort; segne du alles Reden und Hören. — Amen

(1) Liebe Brüder und Schwestern!

Kennt Ihr das,
wenn man sich eine Blase gelaufen oder gearbeitet hat?
Nach einer Weile, wenn die Blase wieder verheilt ist,
löst sich die alte Haut ab
und die neue Haut, die darunter nachgewachsen ist,
ist ganz weich: Wie Babyhaut!
Unter dem Schmerz und der Verletzung,
ist ein kleiner Teil von mir wie neu geboren!

Schlangen machen einen solchen Prozess
am ganzen Körper durch.
Ihre Haut ist stark verhornt und kann deswegen nicht mitwachsen, wenn das Tier älter wird.
Deswegen
häuten sich Schlangen regelmäßig.
Sie sehen dann von vorne bis hinten aus,
als käme es gerade aus der Waschmaschine:
Wie neu!

Wir sagen auch manchmal über einen Menschen:

„Er kann nicht aus seiner Haut!“

Das heißt:
Er ist verhaftet in bestimmten Denk- und Handlungsstrukturen.
Strukturen, die schädlich sind, für ihn,
für seine Mitmenschen
und die Beziehungen, in denen sie leben.

Der Prophet Jeremia fragte einst seine Zeitgenossen:

„Kann etwa ein Mohr seine Haut wandeln
oder ein Panther seine Flecken?
So wenig könnt auch ihr Gutes tun,
die ihr ans Böse gewöhnt seid“.
2

Und die Antwort ist natürlich:
„Nein, er kann nicht aus seiner Haut“.

„Er kann nicht aus seiner Haut!
Er wird immer so schnell wütend“.

„Sie kann nicht aus ihrer Haut!
Sie reagiert immer so empfindlich bei dem Thema“.

„Er kann nicht aus seiner Haut!
Er muss immer die Kontrolle über alles haben“.

Dagegen stellt uns der Apostel heute Morgen vor Augen,
dass mit uns noch etwas viel radikaleres passiert ist,
als dass wir äußerlich erneuert wurden:

Wir sind mit Christus begraben worden durch die Taufe
und mit ihm sind wir auferstanden
aus der Kraft Gottes. —

Es ist aus der Kraft Gottes geschehen.

Das Rüstgebet zu Anfang des Gottesdienstes,
das wir in dieser Gemeinde sprechen,
lautet in der „offiziellen“ Fassung:

„dass wir gesündigt haben, […]
[und] aus eigener Kraft
uns von unserem sündigen Wesen
nicht erlösen können“.
3

Warum ist das so wichtig,
dass wir
aus der Kraft Gottes wiedergeboren wurden
und nicht aus
eigener Kraft?

Weil wir eben nicht aus unserer Haut können!

Wirklich tief sitzende
Wut, Eitelkeiten oder Unsicherheiten
können wir nicht einfach-mal-so loslassen oder hinter uns lassen.

Verletzungen, Erziehung und Gewohnheiten
haben uns tief geprägt.
Auch wenn wir uns redlich
um Selbstanalyse und Besserung bemühen,
bleibt uns tiefe Erkenntnis durch den

„Balken im eigenen Auge“

verwehrt.

Wir sind

„unreiner Lippen
und wohnen unter einem Volk von unreinen Lippen“,
4

wie es der Prophet Jesaja einmal formuliert hat.

Wir können nicht aus unserer Haut. —
Wenn wir uns wirklich ändern sollen,
muss unser Schöpfer
selbst Hand anlegen.

(2) Liebe Gemeinde!
Die tiefe Erneuerung können nicht wir selbst erreichen.
Wir könne nicht los
lassen, was wir sind,
und hinter uns
lassen, was uns geprägt hat.
Wir bleiben darauf angewiesen,
dass wir die Last, die wir tragen, abgenommen bekommen.
Wir sind darauf angewiesen,
dass wir unsere Schuld er
lassen5 bekommen.

Der Apostel schreibt, sehr eindrücklich:

14Christus hat den Schuldbrief getilgt, […]
er hat ihn an das Kreuz
genagelt.

Was uns davon trennt,
so zu sein, wir unser Schöpfer uns gewollt hat,
ist aus unserer Mitte entfernt.
6

Der, der von keiner Sünde wusste,
ist für uns zur Sünde geworden.
7
Und vor den Toren der Stadt
auf der
Müllhalde Golgatha
wurde die Sünde auf ewig ans Kreuz genagelt
und kommt nie wieder zurück.

Ich habe neulich von einer Frau gelesen,
die für alle
einschneidenden Ereignisse in ihrem Leben
eine Tätowierung trägt.
Das mag einem komisch vorkommen –
und über Schönheit kann man bekanntlich streiten.
Doch für manche ist eine Tätowierung der bessere Weg:
Es gibt Krankheitsbilder, bei denen Menschen dazu neigen,
unter Stress und Leid sich selbst zu ritzen und in die eigene Haut zu schneiden.
„Einschneidend“ bekommt so einen ganz anderen Klang.

Die Frau ist von oben bis unten tätowiert.
Ihr Leben ist ihr „unter die Haut“ gegangen
und —
„wir können nicht aus unserer Haut“.

Doch:

Fürwahr, Christus trug unsre Krankheit
und lud auf sich unsre Schmerzen.
8

Als der ungläubige Thomas den auferstandenen Jesus gerade verpasst hatte, sagt er:

„Ich kann nicht glauben,
bis ich meine Finger in seine Wundmale lege“.
9

Jesus erfüllt ihm diesen Wunsch.

Wir lernen, dass der Auferstandene die Narben in der Haut trägt, die die Nägel geschnitten haben.
Gott ist es nicht egal, was wir erleben und erleiden.
Er trägt
die Narben am eigenen Leib,
- die uns das Leben
schlägt,
- die wir uns gegenseitig schlagen,
- die wir
ihm schlagen.

Er trägt sie —
und er trägt sie weg aus unserer Mitte,
aus der Mitte unserer Gemeinschaft und aus unserem Herzen.

(3) Zum Schluss unseres Abschnitts,
liebe Brüder und Schwestern,
weitet der Apostel den Blick:
Christus ist nicht nur die Erlösung
von der persönlichen Sünde und Schuld,
sondern für die ganze Schöpfung.
Er schreibt:

15Gott hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt
und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.

Mit „Mächte und Gewallten“ sind die verschiedenen Gottheiten und Himmelswesen gemeint, die man sich in der Antike vorgestellt hat.
Heute belächelt man vorschnell über diese Vorstellungen,
doch sind sie uns näher, als man meint:

Ich bin den einen Abend in Frankfurt U-Bahn gefahren.
Neben mir auf dem Bahnsteig stand eine Frau
und wartete aus den nächsten Zug.
Sie war sichtlich gestresst und schien sehr in Eile.

Sie sagt:

„Sei pünktlich!
Bitte, bitte, sei pünktlich!“

Mit wem redet die?
Na ja, mit dem Zug!
Was soll das?

Es scheint so zu sein,
dass auch moderne, aufgeklärte Menschen instinktiv dazu neigen,
Dingen, die sie nicht beeinflussen können,
„ein Gesicht aufzumalen“.

Für die Antike ist das der Hauptzweck von Religion:
Das, was uns im Leben bestimmt,
soll unter unsere Kontrolle gebracht werden.
Die heidnische Vergangenheit der Christen in Kolossae
war bestimmt von allen möglichen Formen,
die „Mächte und Gewallten“ zu beeinflussen.
Dazu „malt man ihnen ein Gesicht auf“,
oder stellt sie als Statue dar und dergleichen.
(Ein „Götze“ ist etwas physisches!)
Durch Rituale, Gebete und Opfer
versucht man dann, die „Macht“ auf seine Seite zu bringen.
Doch jetzt, wo sie Christen geworden sind,
haben die Kolosser diesen Aberglauben hinter sich gelassen.

Christus hat die „Mächte und Gewallten“ abgeführt,
ihnen die Macht genommen.
Alltägliche Erfahrungen der Hilflosigkeit,
wie der Zug, der hoffentlich pünktlich kommt,
kann man gelassen hinnehmen.
Kein Götze verlangt ein Opfer dafür,
sondern alles liegt in der Hand Gottes.

(Conclusio)Liebe Gemeinde!

  • Mit Christus sind wir begraben worden durch die Taufe.10
  • Der Schöpfer selbst hat Hand an uns angelegt
  • und uns erlöst von dem, was uns bindet,
  • und der Schuld, die sie drückt.
  • In Christus sind die Götter und Dämonen als „Nichtse“ vorgeführt:
  • Wir Christen sind erlöst zum richtigen Gottesdienst.
  • Und unsere Gebete verhallen nicht in einem Universum,
    das sich nicht für sie interessiert,
    11
    sondern werden erhört von Gott.

Diese Gewissheit bleibt bestehen,
auch wenn uns das Leben unter die Haut geht.
Dies gilt, selbst, wenn wir uns fühlen,
wie der Propheten Jeremia,
als er schreibt:

„Gott hat mir Fleisch und Haut alt gemacht
und mein Gebein zerschlagen“.
12

Die Wirklichkeit der neuen Geburt aus der Taufe ist unumstößlich:

38Ich bin gewiß,
dass weder Tod noch Leben,
weder Engel noch Mächte noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,
39weder Hohes noch Tiefes
noch eine andere Kreatur
uns scheiden kann von der Liebe Gottes,
die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
13

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!14 Amen.

Zu dieser Predigt gehört ein Rüstgebet im gleichen Ordner.

Rüstgebet Quasimodogeniti 2018

LIm Namen + des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

GAmen.

LUnsere Hilfe steht im Namen des Herrn,

Gder Himmel und Erde gemacht hat.

LDer Prophet Jeremia fragte einst die Menschen:

„Kann ein Panther seine Flecken wandeln
oder ein Tiger seine Streifen?
15
So wenig könnt auch ihr Gutes tun,
die ihr ans Böse gewöhnt seid“.

Wie die neugebornen Kinder könnten wir sein,
doch wir haben gesündigt
mit Gedanken, Worten und Werken.

Wir bleiben dem Alten Menschen verhaftet
und nichts kann uns helfen als die Gnade Gottes allein.

Deswegen sprechen wir: „Gott, sei mir Sünder gnädig“.

G+LDer allmächtige Gott erbarme sich unser, er vergebe uns unsere Sünde und führe uns zum ewigen Leben. Amen.

LAllmächtiger Gott, barmherziger Vater, wir danken dir
für das Wunder der neuen Geburt
in deinem Sohn Jesus Christus.

Wir bitten dich: Sende uns deinen Heiligen Geist,
dass er unseren Sinn erneuere
und unsere Herzen in seine Hand nimmt.

Das bitten wir durch Jesus Christus,
deinen Sohn, unseren Herrn.

Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Jer 13,23


3 Ev.–Luth. Kirchenagende, S. 253.


4 Jes 6,5


5 Der λυ‐Stamm will hier anklingen, wie in λύτρον, Mt 20,28; Mk 10,45, vgl. ThWNT zu λύω. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich gar nicht, ob „lösen“ und „lassen“ verwandt sind, aber gefallen tut es mir trotzdem.


6 Vgl. Lev 16,21f.


7 Nach 2.Kor 5,21.


8 Nach Jes 53,4.


9 Nach Joh 20,25.


10 Nach Kol 2,12.


11A man said to the universe:
“Sir, I exist!”
“However,” replied the universe,
“The fact has not created in me
A sense of obligation.”

— Stephen Crane (1871–1900)


12 Klgl 3,4


13 Röm 8,38f


14 Phil 4,7


15 „Kann ein Mohr seine Haut wandeln…“ schreibt der Prophet, aber das hören wir mir rassistischem Einschlag und bringt uns hier vom Thema ab.


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 1.6 MB)

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