14:34

Jesu wahre Verwandte
Predigt zu Mk 3,31–35

196 13. So. n. Trinitatis, 14. September 2025, Schmitten-Dorfweil

Die Kirche ist keine Familie, kein Verein und kein Fanclub, sondern unsere Gemeinschaft lebt davon, dass Jesus Christus in unserer Mitte gegenwärtig ist.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt, steht geschrieben beim Evangelisten Markus im 3. Kapitel:

31Und es kamen Jesu Mutter und seine Brüder
und standen draußen,
schickten zu ihm und ließen ihn rufen.

32Und das Volk saß um ihn.

Und sie sprachen zu ihm:
„Siehe,
deine Mutter
und deine Brüder und deine Schwestern
[stehen] draußen [und] fragen nach dir“.

33Und er antwortete ihnen und sprach:
„Wer ist meine Mutter und meine Brüder?“
34Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen,
und sprach:
„Siehe,
das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! 35Denn wer Gottes Willen tut,
der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“.

Lasst uns beten:
Herr Gott, Jesus Christus, ich bitte dich:
Schaue auch in unserem Kreis einen jeden an.
Sag zu uns „Bruder“ und „Schwester“,
denn dein Wort schafft, was es sagt.
Schaffe in uns, Herr, ein reines Herz
und lenke unseren Willen,

Liebe Brüder in Christus,
liebe Schwestern im Herrn!

(1) Hinführung

Abgesehen von Maria
bleibt uns Jesus’ irdische Familie merkwürdig fremd.
Joseph kommt außerhalb der Weihnachtsgeschichte nicht vor.
Schon von altersher wird angenommen,
dass er früh gestorben sei.
2
Als Jesus vor den Bewohnern von Nazareth predigt,
reagieren sie mit Unverständnis.
In einem späteren Kapitel bei Markus sagen sie:

„Ist er nicht der Zimmermann,
Marias Sohn,
und der Bruder des Jakobus
und Joses und Judas und Simon?
Sind nicht auch seine Schwestern hier bei uns?“
Und sie ärgerten sich an ihm.
3

Ein Prophet gilt eben wenig in seiner Vaterstadt.

In unserer Szene sind es die Mutter Jesu
und seine Brüder und Schwestern,
die draußen vor der Tür stehen.
Das Verhalten ihres Bruders wird sie verstört haben.
Sie hatten ihn sicher lieb.
Es war aber bestimmt eine komische Situation,
als er anfing zu predigen
und einen Kreis von Jüngern um sich zu sammeln.

In meiner Familie war das so ähnlich.
Als ich anfing, Theologie zu studieren,
war die Haltung von meinem Vater ungefähr so:

Also Glaube und so,
das ist schon in Ordnung,
wenn es dir hilft…
Aber musst du gleich übertreiben?
Musst du wirklich eine Karriere als Programmierer wegschmeißen und in einer Kirche anfangen,
wo man nur 70% vom Gehalt eines Pastors in der Landeskirche kriegt…

Das ist auch eine Sichtweise, auf meine Entscheidung.

Und wenn es stimmt, dass Joseph tot war,
wäre Jesus als ältestem Sohn auch die Rolle des Familienoberhauptes zugefallen.
Die hatten einen Betrieb zu Hause, eine Schreinerei.
Das macht sich nicht gut,
wenn der Chef einen auf Guru macht.
Was sollen da die Nachbarn denken? Und erst die Kunden?
Einen
frommen Schreiner hätten die toll gefunden,
aber das mit dem Predigen und den Wundern –
muss das wirklich sein?

Was Jesus dann sagt,
in seinem Jüngerkreis,
muss uns sehr schroff vorkommen:

„Wer ist meine Mutter und meine Brüder?“
34Und er sah ringsum auf die,
die um ihn im Kreise saßen,
und sprach:
„Siehe,
das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!“

Jesus will seine Familie damit nicht verletzten.
Ich bin sicher, dass er seine Mutter und seine Geschwister lieb gehabt hat.

Was Jesus da macht, ist eine prophetische Zeichenhandlung.
Markus malt uns hier ein Bild von Jesus vor Augen,
das uns etwas sagen soll
über uns
und unsere Beziehung zu Jesus.

Die, die sich um Jesus Christus versammeln,
sind seine wahren Verwandten.
Das ist ein Zuspruch:
Du hast diesen Zuspruch gehört und gefühlt in deiner Taufe.
Da hat Jesus Christus zu dir gesagt:

Du gehörst zu mir.
Ich habe dich bei deinem Namen gerufen,
du bist mein.

2a) στοργή, die natürliche Liebe

Ihr lieben,

In unserer Geschichte heute erfahren wir über Jesus,
dass er kein Einzelkind war.
Das ist nicht weiter überraschend.
Viel eher ist es überraschend,
dass der leiblichen Familie Jesu
keine Führungsrolle in der Kirche zugefallen ist.
Weder haben sie versucht,
aus dem Ruhm ihres Bruders Profit zu schlagen,
noch hat die Kirche in besonderer Weise auf sie geschaut,
wenn es um Entscheidungen geht.
Selbst Jakobus, der als „Bruder des Herren“ bezeichnet wird,
hatte in der frühen Kirche nicht
mehr zu sagen,
als Petrus, Paulus und die anderen Apostel.

Wir sagen manchmal umgangssprachlich:
„Du bist in die SELK geboren“.
Das heißt, du bist aus einer Familie,
die „schon immer“ zur SELK gehört hast.
Und das heißt: Du hast „Stallgeruch“,
du hast als Kind im Chor gesungen
und spielst ein Blasinstrument.

Ich denke doch, dass der Maßstab,
ob man zur Kirche gehört
–in den äußeren Dingen–
gegeben ist
durch das, was man glaubt.

Viel wichtiger als das Äußere ist aber das Innere:
Denn es kommt nur auf einen an: den Herrn Jesus Christus.
Er hat uns in der Taufe zu Christen gemacht.
Er schickt uns den Heiligen Geist,
der uns in alle Wahrheit leitet.
Sein Licht leuchtet in uns
und macht uns zu einem Licht in der Dunkelheit der Welt,
für die Menschen, die –wie wir!– seiner Rettung bedürfen.

2b) ἔρος, der Fanclub

Genau so wenig wie eine Familie,
ist die Kirche ein Fanclub.

Ein „Fan“ ist jemand,
wo die Begeisterung für den Star
den Verstand ausschaltet.
Ich erinnere mich an eine Fernsehsendung,
da war eine Frau,
die hatte ein ungewaschenes Handtuch
von Udo Jürgens aus seiner Garderobe ergattert.
Also: Ich fänd’ das ja so ein bisschen ekelig.
Aber diese Anekdote beschreibt gut, was ich meine:
Ein Gefühl der Begeisterung für den Sänger
hat bei ihr den guten Geschmack ausgeschaltet –
und wohl auch die Hygiene.

Abgesehen davon könnte man mal fragen,
was Udo Jürgen darüber denkt, wenn ihm jemand die Handtücher klaut…

Ähnlich irrational meinen manche Christen,
sie müssen alles in der Geschichte der Kirche schönreden;
inklusive der Kreuzzüge und der Hexenverbrennungen.

Dabei gehört es zur christlichen Frömmigkeit,
die eigenen Fehler einzugestehen.
Es kommt sogar im Gottesdienst an mehreren Stellen vor.

Vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

So heißt es im Vaterunser.

Herr, sei mir Sünder gnädig!

So beginnen wir den Gottesdienst.

Nicht die Organisation
oder die Geschichte ist das Wesentliche an der Kirche.
Christus ist derjenige,
der Menschen aus allen Völkern gerufen hat.
Das ist, was uns rettet.
Er ist, der das macht.

2c) φιλία, der Verein

Genau so wenig wie eine Familie oder ein Fanclub,
ist die Kirche ein Verein.

In einem Verein tun sich Menschen zusammen,
um einer
Gemeinsamkeit willen, zum Beispiel eines gemeinsamen Interesses.
Bei einem Sportverein macht man zusammen Sport.
Ein Traditionsverein pflegt gemeinsames Brauchtum.
Ein Förderverein organisiert das
Fundraising für eine Institution,
wie zum Beispiel der „Freundeskreis“ unserer Hochschule.

Die Kirche ist kein Verein.
Nicht ein gemeinsames Interesse steht in unserer Mitte,
sondern der auferstandene Herr Jesus Christus.
Er lebt in unseren Herzen
und deswegen sind wir einander Herz-zu-Herz zugewandt.
Zur Kirche gehören Menschen von ganz jung bis ganz alt.
Von ganz arm bis ganz reich.
Vom lernbehinderten Jugendlichen bis zum Hochschulprofessor.
Vom Bankangestellten bis zum Punk.

Jesus hat mal gesagt:

Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig,
den eine Frau nahm
und unter einen halben Zentner Mehl mengte,
bis es ganz durchsäuert war.
4

Es ist mir ganz egal, wie unser Sauerteig schmeckt,
ob nach CoSi oder nach ELKG.
Das Problem ist,
dass wir –als Kirche– kaum Berührungsfläche haben
mit Menschen von außerhalb der Kirche.
Ein Sauerteig, der mit dem Mehl nicht in Berührung kommt,
wird vertrocknen und absterben,
egal, wie schön er Bachkantaten singen kann!

3) Schluss: ἀγάπη

Liebe Brüder und Schwestern,
ich habe in dieser Predigt viel in Frage gestellt:

  • Die familiäre Atmosphäre, die wir in der SELK pflegen,
    denn die Kirche ist keine Familie.
  • Ich habe die Begeisterung in Frage gestellt,
    wie sie manche von uns
    für den Glauben und für die Kirche empfinden,
    denn die Kirche ist kein Fanclub.
  • Ich habe unsere bürgerliche Ausrichtung in Frage gestellt,
    den vorherrschenden Geschmack für Musik und Form,
    denn die Kirche ist kein Verein.

Ich habe gewagt all das anzurühren,
weil eines fest steht:
dass der Herr Jesus Christus mitten unter uns ist.

  • Er blickt um sich und schaut uns an.
  • Er macht uns zu Brüdern und Schwestern
    durch sein schöpferisches Wort.
  • Er stiftet unter uns die Gemeinschaft,
    die man „Kirche“ nennt,
    - nicht leibliche Verwandtschaft,
    - nicht das Gefühl der Begeisterung,
    - nicht ein gemeinsames Interesse
    hält diese Gemeinschaft zusammen,
    sondern die Liebe, die von Gott kommt.

Von dieser Liebe redet Johannes, wenn er schreibt:

Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns,
dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.
Darin besteht die Liebe:
nicht, daß wir Gott geliebt haben,
sondern daß er uns geliebt hat
und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Und sein wir mal ganz ehrlich: Desto wichtiger die Idee der Jungfrauengeburt wurde, desto mehr hat die Erinnerung an Joseph kognitiv „gestört“.


3 Mk 6,3


4 Mt 13,33


Manuskript pdf, 3.1 MB)

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