13:44

Heilig, denn ich bin heilig
Predigt zu Lev 19

162 13. So. n. Trinitatis, 25. August 2024, Frankfurt

Wer sein Leben mit Gott führt, muss sich so verhalten, dass es zu Gott passt. Und was heißt das jetzt konkret?

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Diese Predigt legt einige Verse aus dem 19. Kapitel
des Buches Leviticus aus, dem 3. Buch Mose.
Dieses Kapitel wurde in der Evangeliumslesung zitiert:
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“,
steht dort.

Ich werde im Verlauf der Predigt einige Verse vorlesen.

Lasst uns beten:
Herr Gott himmlischer Vater,
sende deinen Heiligen Geist auf diese Gemeinde,
damit wir deine Stimme hören
in diesen Worten der Heiligen Schrift. — Amen

Liebe Schwestern und Brüder,

(1) Ende der 90er Jahre war ich bei der Bundeswehr
Ausbilder in der Allgemeinen Grundausbildung.
Auf dem Weg zum Übungsplatz
sind wir regelmäßig durch die Stadt marschiert,
drei Mann nebeneinander, viele-viele hintereinander.
Wir kamen also zurück von der Übung
und da meinten zwei der Rekruten,
einem jungen Mädchen nachpfeifen zu müssen.
Die junge Dame war nicht amüsiert
und es gab eine Beschwerde bei der Bundeswehr.
Es war schnell klar,
welche Einheit verantwortlich war
und die beiden Soldaten
mussten beim Spieß antreten. – Unangenehm.

Die kriegten also den Auftrag,
zu dieser-und-jener Adresse zu gehen,
um sich zu entschuldigen.
Die also da hin,
geschniegelt und gebügelt,
mit einem Blumensträußchen in der Hand,
klingeln – 
die Tür geht auf
und da steht die junge Dame –
zusammen mit ihrem Vater:
dem Batteriechef.

„Öh, ja, guten Tag Herr Hauptmann“.

„Guten Tag die Herren!
Dann kommen sie mal rein“.

Die beiden werden also ins Wohnzimmer gebeten.
Sie entschuldigen sich formvollendet
und überreichen ihren Blumenstrauß.

Zum Abschied fragt der Hauptmann:

„Wissen sie, was sie falsch gemacht haben?“

„Jawoll, Herr Hauptmann.
Wir dürfen keinen Mädchen nachpfeifen.“

„Warum nicht?“

Betretenes Schweigen.

Der Hauptmann erklärt:

Sie sind jetzt Soldaten.
Wenn sie in Uniform in der Öffentlichkeit unterwegs sind,
sieht das auch jeder.
Sie können nicht auf der einen Seite geloben,
der Bundesrepublik Deutschland treu zu diesen,
und sich auf der anderen Seite unflätig verhalten.

Was sie sind
und was sie tun
muss zueinander passen.

Damit, liebe Gemeinde,
hat der Hauptmann für das Hier-und-Jetzt
einen Gedanken ausgesprochen,
der für unseren Bibeltext leitend ist:

Was wir sind
und was wir tun
muss zueinander passen.

Das ist, was die Bibel „Heiligkeit“ nennt.

Das 19. Kapitel des Buches Leviticus beginnt mit den Worten:

Und der Herr sprach zu Mose:
„Rede mit der ganzen Gemeinde der Israeliten
und sprich zu ihnen:
Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig,
der
Herr euer Gott“.

Mit anderen Worten:

Ihr lebt in Beziehung mit Gott,
in Gemeinschaft mit ihm.
Dazu muss euer Verhalten passen.
2

Was nun folgt in diesem Kapitel,
sind Ausführungsbestimmungen und Beispiele dafür.

(2) Manche dieser Regelungen sind uns sehr vertraut.
Andere sind sofort plausibel.
Wieder andere sind uns so selbstverständlich,
dass man sich fragt, ob das überhaupt gesagt werden muss.
Manches ist uns aber auch fremd,
unverständlich
oder sogar anstößig.

(a)Die Gebote beginnen so:

Ein jeder fürchte seine Mutter und seinen Vater.
Haltet meine Feiertage …
Ihr sollt euch nicht zu den Götzen wenden
und sollt euch keine gegossenen Götter machen;
ich bin der
Herr, euer Gott.

Das sind Zitate aus den Zehn Geboten.

Wenn ihr dem Herrn ein Dankopfer bringen wollt,
sollt ihr es so opfern,
dass es euch wohlgefällig macht.
Ihr sollt es an dem Tag essen, an dem ihr’s opfert,
und am nächsten Tage.
Was aber bis zum dritten Tag übrigbleibt,
soll man mit Feuer verbrennen.

Wird aber am dritten Tage davon gegessen,
so ist es ein Greuel und wird nicht wohlgefällig sein;
und wer davon isst, muß seine Schuld tragen,
weil er das Heilige des
Herrn entheiligt hat,
und ein solcher Mensch wird ausgerottet werden
aus seinem Volk.

Wer im Mittelmeer-Klima,
weit vor der Erfindung des Kühlschrankes,
Fleisch isst, das drei Tage alt ist,
über den kommt der Zorn Gottes.
Das ist mir sofort plausibel.

Ich habe das im letzten Jahr ausprobiert –
mit Kühlschrank –
und Kochschinken, der sechs Wochen überdatet war. —
Mein Erleben war:
Ich sollte ausgerottet werden aus dem Volk Gottes.

Fremd ist uns sicher,
dass eine solche Hygiene-Regel
kultisch codiert ist:

Solches Fleisch zu essen macht dich unrein,
der Gemeinschaft mit dem heiligen Gott unangemessen.

Da haben wir heute eine andere Perspektive
und anderes Wissen,
über Mikroorganismen, Schadstoffe usw. —

Folgendes Gebot funktioniert ähnlich:

12Ihr sollt nicht falsch schwören bei meinem Namen
und den Namen eures Gottes nicht entheiligen;
ich bin der
Herr.

Warum sollen wir immer die Wahrheit sagen,
in privaten
wie in geschäftlichen Dingen?
Für die Bibel ist ganz klar:
Wer mit Gott geht,
geht den Weg der Aufrichtigkeit.
Sonst passt er nicht zu Gott.

Wenn du dein Land aberntest,
sollst du nicht alles bis an die Ecken deines Feldes abschneiden,
auch nicht Nachlese halten …
sondern den Armen und Fremdling sollst du essen lassen;
ich bin der
Herr, euer Gott.

Auch das ist uns sofort plausibel.
„Fremdlinge“ in diesem Zusammenhang
sind Wirtschaftsflüchtlinge;
die bekommen eine Chance auf Minimalversorgung.

(b)Andere Gebote des Gesetzes sind und bleiben uns fremd.

Lass nicht zweierlei Art von Vieh sich paaren
und besäe dein Feld nicht mit zweierlei Samen
und lege kein Kleid an,
das aus zweierlei Faden gewebt ist.

Das ist einer von den harmloseren Abschnitten,
wo man die Hand heben möchte:

Äh, Moses?
Ich hätte da Rückfragen.

  • Saatgut soll man nicht mischen.
    Ok, wenn man nachher das Getreide sortieren muss,
    erschließt sich das sofort.
    Aber wer würde das machen?
  • Maultiere und Mulis,
    also die Mischung von Pferd und Esel,
    sind als Lasttiere bewährt und sehr verbreitet.
    Warum sollen die Israeliten die nicht haben?
    Vielleicht gab es die damals in Israel nicht
    oder jemand hat schlechte Erfahrungen gemacht.
  • Aber was ist mit dem Mischgewebe?
    Da wäre meine persönliche Frage wäre:
    Sind Bundeswehrsocken Sünde?
    Die bestehen nämlich aus Wolle und Elastan.
    Sie sind also aus zweierlei Fäden gewebt.
    Das ist für den Gebrauch überaus praktisch.
    Was sollte Gott da dagegen haben?

Das ist ein recht harmloses Beispiel für die Fremdheit,
die man bei diesen Passagen empfinden kann.
Es gibt Gebote zu Sexualität zum Beispiel,
aber auch Speisegebote,
die wir wohl eher verstörend finden.

Der Genuss von Blut ist mit Todesstrafe belegt. —
Blutwurst kann man mögen oder nicht.
Manche finden sie ekelig.
Aber Todesstrafe?

(3) An solchen Stellen spürt man den „garstigen Graben“,
den Abstand,
den wir zeitlich und kulturell zum Alten Testament haben.
Das liegt keineswegs alleine daran,
dass wir moderne Menschen sind,
aufgeklärt und wissenschaftlich informiert.
Schon den Menschen zu Jesu Zeiten
hat sich die Frage gestellt,
wie die Gebote gemeint seien.
Dazu gehört ganz selbstverständlich die Frage,
an welche Gebote man sich unbedingt halten muss
und welche hinten ’runterfallen dürfen.

Das ist nämlich genau die Frage,
um die es im Evangelium geht:

Lk 10,25Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf,
versuchte [Jesus] und sprach:
„Meister, was muß ich tun,
dass ich das ewige Leben ererbe?“

Das ewige Leben ist dort, wo Gott ist.
Wer bei Gott ist,
muss sich so verhalten,
dass es zu Gott passt,
genau, wie ein Soldat sich so verhalten muss,
dass es zu einem Soldaten passt.

Die Dienstvorschrift für ein Leben mit Gott
findet sich im Gesetz,
da sind sich Jesus und der Pharisäer einig:

26Jesus aber sprach zu ihm:
„Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?“

Die Frage, die Jesus ihm hier zurückspielt, „was ließt du?“,
ist die Frage nach Kern – und Rand:

Was ließt du als unverzichtbaren Kern,
unter den sich der Rest als Rand unterordnet?

Und der Pharisäer versteht das auch und antwortet:

27Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben
von ganzem Herzen, von ganzer Seele,
von allen Kräften und von ganzem Gemüt,
und deinen Nächsten wie dich selbst.

Der zweite Teil von diesem Doppelgebot
stammt 1:1 aus Leviticus 19.

Der Pharisäer wählt zwei Abschnitte aus dem Gesetz,
Gottesliebe und Menschenliebe.
Diese
beiden Dinge sind der eine Kern.

Jesus findet die Antwort des Pharisäers richtig gut.
Er sagt:

Du hast recht geantwortet;
tu das, so wirst du leben.

Der Pharisäer stellt dann eine Folgefrage:

Wer ist denn mein Nächster?

Unter dieser Frage verbirgt sich die Bitte:

Jesus, differenzier das doch noch mal aus!

Was machen wir jetzt mit den ganzen anderen Regeln,
die in Leviticus 19 stehen?

Wie verhalten die sich
deiner Meinung nach
die einzelnen Regeln zu der wichtigsten:
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“?

Als Antwort erzählt Jesus die Geschichte
vom Barmherzigen Samariter.

(3) Damit, liebe Gemeinde,
komme ich zum letzten Gedanken für diese Predigt.
Jesus legt nämlich seinen Finger in die Wunde
und zeigt ein großes Problem auf mit der Idee der Heiligkeit.

Gott ist heilig und wir sollen auch heilig sein.
Von allem Unheiligen sollen wir rein sein. —
Darin steckt aber immer die Gefahr von einem Rollentausch.
Das ist der Rollentausch zwischen Gott
und dem Bodenpersonal.

Ein Rollentausch zwischen Vater und Kind ist immer ungesund.

Wenn wir Menschen anfangen,
unsere Heiligkeit zu schützen und rein zu halten,
haben wir mit Gott die Rolle getauscht.

Ein feste Burg ist unser Gott,
ein gute Wehr und Waffen.
3

Wir brauchen den nicht schützen. — Er schützt uns.

Die beiden Männer im Gleichnis,
der Pharisäer und der Levit,
die wollen ihre Heiligheit schützen
vor dem Blut des Verwundeten.
Das Blut ist unrein. — Todesstrafe!

Dagegen stallt Jesus den Samariter als Vorbild hin.
Der ist bereit, sich die Hände schmutzig zu machen.
Er übt Barmherzigkeit, auch, wenn es ihn was kostet.

So handelt Gott.
Er kommt in Jesus zu uns.
Er ist uns ganz nah, ganz gegenwärtig.
Er schenkt sich uns, obwohl es ihn etwas kostet.
Er nimmt in Kauf,
dass wir ihn mit unseren klebrigen Sünderhänden ans Kreuz schlagen
und sagt noch:

Nimm hin und iss, das ist mein Leib.

Wir sind nicht in seiner Gegenwart, weil wir uns rein halten.
Wir sind heilig,
weil er zu uns kommt.
Nicht wir schützt Gott vor dem Unheiligen,
sondern er birgt uns unter dem Schatten seiner Flügel
und hat Gemeinschaft mit Sündern
aus lauter Barmherzigkeit.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Vers 2a: קְדֹשִׁ֣ים תִּהְי֑וּ כִּ֣י קָדֹ֔ושׁ אֲנִ֖י יְהוָ֥ה אֱלֹהֵיכֶֽם „Vielmehr empfängt kadosch als Prädikat von Gott die Bedeutung des Göttlichen und wird zum Adjektivum für Gott … Auch als menschliches Prädikat aber erhält kadosch einen neuen Sinn; denn im Menschen berührt sich das Heilige mit dem Sittlichen, ohne sich damit zu identifizieren“. Proksch, Art ἁγιός B., ThWNT I, S. 89.


3 ELKG² 527,1


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