16:04

Ihr seid der Leib Christi
Predigt zu 1.Kor 12,27

188 Himmelfahrt, 29.5.2025, Frankfurt

„Ihr seid der Leib Christi“ spricht der Apostel der Gemeinde zu. Anhand der Bereiche Gemeinschaft, Zeugnis, Diakonie und Gottesdienst lege ich aus, was das für die Trinitatisgemeinde bedeutet.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist ein Vers aus dem 1. Brief des Paulus an die Korinter
im 12. Kapitel.

Der Apostel schreibt:

Ihr seid der Leib Christi.2

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!3 — Amen

Liebe Schwester in Christus,
lieber Bruder im Herrn,

(1) Was erwartest du,
wenn du hier zum Gottesdienst kommst?

Wenn du heute Morgen losgezogen wärst
mit deinem Vater
oder mit anderen Vätern,
mit einem Bollerwagen voller Kaltgetränke,
dann wäre klar sichtbar,
was zu erwarten wäre:
- die mehr oder weniger lustigen Anekdoten der anderen,
- die biochemisch-geistige Wirkung des Alkohol.

Was erwartest du hier?

Versteht mich nicht falsch:
Es geht mir nicht darum,
euch scheinheilig zu beglückwünschen:

Ihr habt die richtige Entscheidung getroffen!

Ich will euch nicht vermitteln,
dass ihr was Besseres seid,
weil ihr so fromm zu Kirche geht.
Nichts läge mir ferner!
Wie manch anderer auch,
weiß ich eine gepflegte Kohl-und-Pinkel-Tour sehr schätzen!

Was erwartest du hier? —

Ich möchte euch ermutigen:

Erwarte
hier
nicht weniger
als Wunder.

Du bist in der Gegenwart Gottes –
und zwar mittendrin. —

Ihr seid der Leib Christi.

So, wie Christus die Gegenwart Gottes ist,
so seid ihr als Gemeinde
die Gegenwart Christi.
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(2) Das liegt nicht an uns
und ist auch nicht von uns abhängig,
sondern es ist Gnade allein.
Hier steht Indikativ, Zuspruch,
nicht Imperativ, Anspruch.
Hier steht nicht:

Wenn ihr nur ganz anders wäret,
dann wäret ihr Leib Christ.

Oder:

Wenn ihr dieses oder jenes Werk vollbringen würdet,
dann wäret ihr würdig,
euch Leib Christi zu nennen.

Hier steht auch nicht:

Man muss euch ansehen können,
dass ihr Leib Christ seid,
- weil ihr so erfolgreich seid mit der Mission,
- die
Mega Church der Kaiserstadt,
- weil ihr so hart seid gegen euch selbst,
- weil ihr euch so scharf abgrenzt von der Gesellschaft,
dem Zeitgeist
oder was auch immer.

Kirche als Leib Christi ist nicht sichtbare,
sondern geglaubte Wirklichkeit.
Was mit den Augen sichtbar ist,
ist nur die Spitze des Eisberges.
- Unser Sozialwesen,
- die Veranstaltungen,
- der Kultus,
- die Gebäude:
Sie verkörpern eine Wirklichkeit,
die unter der geistlichen Wasseroberfläche
groß und schön ist. – 
Dabei können sie selbst höchst fragwürdig sein:

  • Gemeinschaft kann aufbauen –
    und quälen
    und sogar krank machen.
  • Veranstaltungen können Freude stiften,
    aber sie können auch langweilig sein
    und leer.
  • Liturgie kann lebendiger Ausdruck des Glaubens sein
    oder das Abarbeiten toter Formen.
  • Gebäude können der Kirche ein Zuhause sein.
    Sie sind ihr aber
    auch eine große Versuchung zu Abfall und Götzendienst.
    Die Kirche steht nämlich immer in der Gefahr,
    in der Diskussion um Fenster, Dächer und Pflastersteine
    den Herrn Christus zu vergessen.

Trinitatisgemeinde,
du bist mehr als ein Gesangverein!

Trinitatisgemeinde,
du bist mehr als ein Grundstücksverein
(mit Parkplatzverwaltung)!

Trinitatisgemeinde,
du bist der Leib Christi. —
Das sollst du glauben.

(3) Jesus Christus spricht:

Siehe,
das Reich Gottes
ist mitten unter euch.
5

Im Glauben ergreifen wir es
und im Unglauben lassen wir es links liegen,
obwohl es uns auf Armlänge zur Verfügung steht.

So, wie wir gleichzeitig Sünder und Gerechtfertigte sind,
vermischen sich in unserem Leben Glaube und Zweifel.

Der Unglaube
steht knietief in einem klaren Bergfluss
und verreckt an Durst.
6

Der Glaube
lebt aus der Quelle des lebendigen Wassers.
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(4) Was heißt dieser Glaube nun konkret
für uns,
hier und heute?
Ich möchte probieren,
das an vier Bereichen des kirchlichen Lebens
deutlich zu machen:

a)der Gemeinschaft,

b)dem Zeugnis,

c)der Diakonie

d)und dem Gottesdienst.

a) Gemeinschaft —
Neulich hat mir wieder jemand gesagt,
dass die Gemeinschaft,
die wir untereinander haben,
ein herausragendes Merkmal dieser Gemeinde ist.
Hier herrsche ein Geist der Freundlichkeit und der Liebe,
der etwas erahnen ließe,
von der Liebe Gottes für uns Menschen.
Ich finde,
das ist ein wundervolles Kompliment an die Gemeinde.

Doch der Leib Christ ist eine Gemeinschaft,
die mehr ist als die Summe ihrer Teile.
Mir wird das deutlich an der Sündenvergebung.
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Wir bekommen sie in der Beichte zugesprochen
und auch beim Abendmahl.
Doch die Gemeinde nimmt nicht die Sünden auf sich
und verteilt sie auf ihre Glieder –
etwa nach einem Solidaritätsprinzip.
Viel mehr kann die Kirche die Sünden vergeben,
weil Christus sie auf sich genommen hat.
Der Zuspruch der Sündenvergebung
ist nicht der Zuspruch von Menschen,
sondern der Zuspruch von Christus,
als Gemeinde existierend.
Nur in diesem Glauben kann man diesen Zuspruch aussprechen
und annehmen.

b) Zeugnis –
Letzten Sonntag
hat unser Chor auf dem Paul-Arnsberg-Platz-Fest gesungen.
Die Technik hat gegen die Sänger gearbeitet
und es war für viele eine ungewohnte Situation –
sicherlich außerhalb der Komfort-Zone.
Aber es geht nicht um Brillianz
und es geht nicht um Perfektion.

Als unser Chor sang,
erhob eine junge Frau ihre Hände zum Lobpreis.
Sie gehört wohl eher zu einer charismatischen Gemeinde.
Das ist nicht unsere Frömmigkeit
oder unsere Ausdrucksform,
aber das Zeugnis ist bei ihr angekommen.
Unser Chor hat Christus vor der Welt bezeugt; —
ok, vor einem kleinen Ausschnitt der Welt.

Da, wo der Leib Christi sein Herz öffnet,
kommt das Herz Jesu zum Vorschein.
Das kann man nicht sehen mit den Augen.
Das ist eine geglaubte Wirklichkeit.

c) Diakonie – 
Der Staat hat mit seinen Institutionen
auf breiter Fläche die Arbeit der diakonischen Einrichtungen
übernommen.
Das ist etwas Gutes!
Krankenhäuser,
Altenheime,
Sanatorien – 
all diese Dinge sind uns heute ganz selbstverständlich.
Dabei haben diese Institutionen
nicht mehr das Selbstverständnis,
im Glauben zu Handeln
und Gottes Wort in die Tat umzusetzen.
Für staatliche Einrichtungen
ist das ja auch nur angemessen.

Wo bleibt aber der Ort für uns,
für das Handeln des Leibes Christi im Glauben?

Mir hat neulich jemand erzählt,
er habe eine Gabe an sich entdeckt.
Dieser Mann hat eine sehr tiefe Stimme.
Und er wusste von sich,
dass seine Stimme beruhigend sein kann,
wie das Rauschen des Waldes
oder das Geräusch des Meeres.
Er sagt:
Seine Stimme kann Wärme und Behaglichkeit spenden,
dass selbst die Verzweifeltesten,
Trauerndsten
und Hoffnungslosesten der Allerärmsten
und Krankesten ihr gerne zuhören.

Der Mann wendet sich im Gebet an Gott,
denn er möchte denen helfen,
die direkten Zuspruch brauchen. —

Der Gottesknecht sagt bei Jesaja:

Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben,
wie sie Jünger haben,
dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.
Alle Morgen weckt er mir das Ohr,
dass ich höre, wie Jünger hören.
9

Jesajas Gottesknecht
geht bei Gott selbst in die Schule,
um etwas zu sagen zu haben,
das seine Mitmenschen aufbaut.

Jesus Christus ist der wahre Gottesknecht.
Dort wo der Leib Christi gegenwärtig ist,
handelt und redet er so,
wie er es bei Gott gelernt hat.
Wo deine Hände einem Menschen helfen
und deine Stimme jemandem ein gutes Wort sagt,
da handelt Gott.

Das gilt im Großen,
aber auch im ganz Kleinen.

Und scheitern kann das immer noch. – 
Und als Sünder und Gerechtfertigte,
Gläubige und Zweifler,
die wir sind,
scheitern wir auch an unseren Mitmenschen.
Doch ich möchte euch Mut machen,
daran zu glauben,
dass in und unter eurem Dienst
Gott gegenwärtig ist.

d) Als letztes: Gottesdienst –
Damit bin ich wieder am Anfang dieser Predigt:

Was erwartest du,
wenn du hier zum Gottesdienst kommst?

Erwarte
nicht weniger
als ein Wunder.

Hier in der Gemeinde ist Gottes Wort gegenwärtig;
als Wort der Schrift
und als Wort der Predigt.
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Der Leib Christi spricht Gottes Wort aus.

Jes 55,10Und gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt
und nicht wieder dahin zurückkehrt,
sondern feuchtet die Erde
und macht sie fruchtbar
und lässt wachsen,
dass sie gibt Samen, zu säen,
und Brot, zu essen,
11so soll das Wort,
das aus meinem Munde geht, auch sein:
[ – spricht der
Herr – ]
Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen,
sondern wird tun, was mir gefällt,
und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.

Das Wort,
das die Welt erschaffen hat,
schafft auch dich neu, hier und jetzt.
Es schenkt Leben und Wachstum,
das von außen kommt.

Das liegt nicht an irgendeinem Menschen,
auch nicht am Prediger,
sondern es liegt daran,
dass hier Christus gegenwärtig ist
in seinem Leib. —

Normalerweise ist der vorletzte liturgische Akt,
den ich vollziehe im Gottesdienst,
dass ich die Gemeinde segne.
Der letze Akt ist,
dass ich mich verbeuge vor der Gemeinde.
Doch ich verbeuge mich nicht vor euch,
wie ein Schauspieler sich vor seinem Publikum verbeugt.
Ich verbeuge mich vor meinem Herrn Jesus Christus.

Christus ist hier.
Jeder Blick und jede Umarmung,
jedes Zeugnis und und jeder Zweifel,
jede Tat und jedes Wort,
alles Feiern und Singen der Gemeinde:
Das ist Gottes Handeln in dieser Welt.

Ihr seid der Leib Christi. — Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ich folge in dieser Predigt locker Dietrich Bonhoeffers Ideen zu der für seine Dissertation „Sanctorum Communio“ zentralen Formel „Christus als Gemeinde existierend“ gemäß deren Stichwortregister; im Folgenden zitiert nach DBW 1. In Fachkreisen ist das Genre dieser Kanzelrede auch als „Sprungbrettpredigt“ bekannt.


3 Ps 119,105


4 Vgl. DBW 1, S. 87.


5 Lk 17,21. In der Auslegung dieses Verses folge ich Alexander Rüstow, ΕΝΤΟΣ ΥΜΟΩΝ ΕΣΤΙΝ, Zur Deutung von Lk 17,21–22, ZNW 51, ’60, 197–224. Bonhoeffer verweist auf den Vers DBW 1, S. 87: „Auch die neutestamentliche Gemeinde war nicht aktuell ‚rein‘ (Lk 17,21), sondern eschatologisch, d.h. als Gemeinde Gottes, als Leib Christi“ und warnt vor einem „perfektionistischen Missverständnis“. Der Zusammenhang scheint mir so wenig durchsichtig, dass sich mir nahelegt, zu vermuten, Bonhoeffer habe sich im Vers vertan. Das Wort ‚rein‘ markiert er als Zitat, so als würde es im angesprochenen Vers stehen. Entlang von Rüstows Deutung, wie ich sie hier durchführe, macht es einen gewissen Sinn. Ob ich damit Bonhoeffers Intention folge, weiß ich aber nicht.


6 Dieses starke Bild entnehme ich dem Lied „Standing Knee Deep in a River (Dying of Thirst)“ von Bob McDill, Dickey Lee und Bucky Jones, veröffentlicht 1993 von Kathy Mattea auf ihrem Album „Lonesome Standard Time“. In meiner Sammlung: Joe Cockers Cover auf seinem Album „Have a Little Faith“ von 1994.


7 Vgl. Jer 2,13 „Denn zweifach Böses hat mein Volk begangen: Mich, die Quelle lebendigen Wassers, haben sie verlassen, um sich Zisternen auszuhauen, geborstene Zisternen, die kein Wasser halten“ (ELB06); desweiteren das Herrenwort Joh 7,38.


8 Vgl. DBW 1, S. 126f.


9 Jes 50,4


10 Vgl. DBW 1, S. 159


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