16:06

Daniel schaut die Weltreiche
Predigt zu Dan 7,1–14

116 Himmelfahrt, 18.5.2023, Frankfurt am Main

Daniel hat seine Träume und Visionen aufgeschrieben und Menschen haben Zeit und Geld investiert, sie abzuschreiben und so aufzubewahren. Sie haben darin das Evangelium gehört, dass Gott stärker ist als alle Mächte der Welt.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
steht im 7. Kapitel des Buches Daniel.
Da dieser Abschnitt recht lang ist,
setzt euch bitte.

Im Buch des Propheten heißt es:

1Im ersten Jahr Belsazars,
des Königs von Babel,
hatte Daniel einen Traum und Gesichte auf seinem Bett;
und er schrieb den Traum auf,
und dies ist sein Inhalt:

2Ich, Daniel, sah ein Gesicht in der Nacht,
und siehe,
die vier Winde unter dem Himmel wühlten das große Meer auf.
3Und vier große Tiere stiegen herauf aus dem Meer,
ein jedes anders als das andere.

4Das erste war wie ein Löwe und hatte Flügel wie ein Adler.
Ich sah, wie ihm die Flügel genommen wurden.
Und es wurde von der Erde aufgehoben
und auf zwei Füße gestellt wie ein Mensch,
und es wurde ihm ein menschliches Herz gegeben.

5Und siehe, ein anderes Tier, das zweite,
war gleich einem Bären
und war auf der einen Seite aufgerichtet
und hatte in seinem Maul zwischen seinen Zähnen drei Rippen.
Und man sprach zu ihm:

Steh auf und friss viel Fleisch!

6Danach sah ich, – und siehe!
noch ein Tier,
gleich einem Panther,
das hatte vier Flügel wie ein Vogel auf seinem Rücken,
und das Tier hatte vier Köpfe,
und ihm wurde große Macht gegeben.

7Danach(!) – sah ich in diesem Gesicht in der Nacht,
und siehe,
ein viertes Tier.
Es war furchtbar
und schrecklich
und sehr stark
und hatte große eiserne Zähne,
fraß um sich und zermalmte,
und was übrigblieb, zertrat es mit seinen Füßen.
Es war auch ganz anders als die vorigen Tiere
und hatte zehn Hörner.

8Als ich aber auf die Hörner achtgab,
siehe!
da brach ein anderes kleines Horn zwischen ihnen hervor,
vor dem drei der vorigen Hörner ausgerissen wurden.
Und siehe!
das Horn hatte Augen wie Menschenaugen
und ein Maul; das redete große Dinge.

9Ich sah, wie Throne aufgestellt wurden,
und einer, der uralt war,
setzte sich.
Sein Kleid war weiß wie Schnee
und das Haar auf seinem Haupt rein wie Wolle;
Feuerflammen waren sein Thron
und dessen Räder loderndes Feuer.

10Und von ihm ging aus ein langer feuriger Strahl.
Tausendmal Tausende dienten ihm,
und zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm:
Das Gericht wurde gehalten,
und die Bücher wurden aufgetan.

11Ich merkte auf um der großen Reden willen,
die das Horn redete,
und ich sah, wie das Tier getötet wurde
und sein Leib umkam
und ins Feuer geworfen wurde.

12Und mit der Macht der andern Tiere war es auch aus;
denn es war ihnen Zeit und Stunde bestimmt,
wie lang ein jedes leben sollte.

13Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht,
und siehe,
es kam einer mit den Wolken des Himmels
wie eines Menschen Sohn
und gelangte zu dem, der uralt war,
und wurde vor ihn gebracht.
14Der gab ihm Macht, Ehre und Reich,
dass ihm alle Völker dienen sollten
und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen.
Seine Macht ist ewig und vergeht nicht,
und sein Reich hat kein Ende.

15Ich, Daniel, war entsetzt,
und dies Gesicht erschreckte mich [„sehr“].

Lasst uns beten:
Herr Gott, himmlischer Vater,
sende uns deinen Heiligen Geist,
damit die Vision des Propheten
uns ein Bild des Trostes und der Zuversicht wird
in deinen Sohn Jesus Christus.
— Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

(1) Hinführung

ich möchte euch ein Beispiel vorlegen
für die Beobachtung von Zeiten:

  • In den 40er und 50er Jahren waren die Regeln sehr strikt:
    Da mussten alle Frauen lange Röcke tragen.
  • In den 60er Jahren wurde der Minirock erfunden.
    Das war eine Befreiung!
  • In den 70er Jahren war man Miniröcke leid
    und man hat wieder lange Röcke getragen.
  • Das Ganze ergibt so eine Wellenbewegung.

Das ist sicherlich ein triviales Beispiel,
aber die Grundidee ist die richtige:
Man beobachtet Dinge in der Zeit
und überlegt sich,
welchen Gesetzmäßigkeiten sie folgen.
Wie gut das funktioniert,
sei mal dahingestellt.
Das gerade skizzierte Modell von der Rocklänge
funktioniert schon mal nur so lange,
bis Frauen die Hosen anhaben
oder Männer in Kilts auftreten.

Mit ist neulich ein weiteres Beispiel begegnet:

  • Im Internet erzählte ein Mann von seinem Großvater.
  • Der sei jeden Tag 10 Kilometer zur Arbeit zu Fuß gegangen.
  • Sein Vater wäre 2 Kilometer gegangen.
  • Er würde mit einem Volkswagen zur Arbeit fahren.
  • Für seinen Sohn stellt er sich vor,
    dass er im Porsche fährt.
  • Sein Enkel,
    da ist er sich sicher,
    würde wieder laufen.

Er fasst zusammen:
- Harte Zeiten bringen starke Männer hervor,
- bequeme Zeit schwache Männer.
Es würde bald zum großen Knall kommen,
da sei er sich sicher.
Das wäre schon immer so gewesen.
Es sei vollkommen unnatürlich,
dass wir jetzt 70 Jahre Frieden gehabt hätten.

So viel tiefsinniger als mein erstes Beispiel aus der Rock-Mode
ist diese Idee auch nicht,
aber sie zeigt sehr gut,
dass solche Vorstellungen auch etwas transportieren.
In diesem Fall zum Beispiel bestimmte Bilder von Männlichkeit.

Was heißt es eigentlich,
ein „starker Mann“ zu sein
oder ein „schwacher Mann“?

Oder Bilder von Wirtschaft und Wert:

In welcher Hinsicht
ist ein Porsche besser als ein Volkswagen?

Könnte es nicht sein,
dass bei unseren Kindern
derjenige das größte Ansehen auf der Straße genießt,
der die wenigste Energie verbraucht?

Mein Gegenüber hier sagt,
er beobachte die Zeit.
- Doch was er sieht,
- und wie er es beschreibt,
ist dick aufgeladen mit eigenen Gedanken.

(2) Daniels Vision

Liebe Gemeinde,
mir fällt heute Morgen zu,
einen Traum des Propheten Daniel auszulegen.
Wenn wir träumen,
tun wir das nicht im luftleeren Raum,
sondern unsere Träume
sind dick aufgeladen mit eigenen Gedanken
und Erlebnissen.

Dabei hat Daniel seinen Traum aufgeschrieben,
weil er hoffte,
dass er für andere relevant sei.
Und Menschen müssen Daniels Gedanken
und Bilder beeindruckend gefunden haben,
denn sie haben seinen Traum aufbewahrt
und wieder geschrieben,
so dass er seinen Weg in die Bibel gefunden hat.

Ich glaube,
Menschen haben schon seit langer Zeit
in Daniels Worten Gottes Stimme gehört
und eine Ahnung des Evangeliums in seinen Bildern gesehen. —

Daniel beobachtet die Zeit.

Dem Chaos-Meer der entsteigen nacheinander

  • das Babylonische Weltreich
    wie ein Löwe mit Flügeln,
  • das Reich der Meder
    wie ein Bär,
  • das Reich der Perser
    wie ein Panther.
  • Zuletzt sieht er das Weltreich der Griechen.
    Gegründet wurde es von Alexander dem Großen.
    Jetzt kämpfen die Herrscher um die Nachfolge.
    Sie lassen sich als Götter verehren.
    Die Menschen müssen sie als Retter begrüßen.
    Auf der ganzen Welt
    soll es nur noch griechische Städte geben –
    und griechische Götter in allen Tempeln.

8Als ich aber auf die Hörner achtgab,
siehe!
da brach ein anderes kleines Horn zwischen ihnen hervor,
vor dem drei der vorigen Hörner ausgerissen wurden.
Und siehe!
das Horn hatte Augen wie Menschenaugen
und ein Maul; das redete große Dinge.

Daniel beobachtet die Zeit.
Er sieht die Weltreiche kommen und gehen.
In alledem sieht er eine Konstante:
Gott.
Er hält die Macht über das Chaos in Händen
und schaut auf uns Menschen.
Daniels Vision ist aufgeladen mit Glauben.

Dieser Glauben ist eine große Überraschung,
denn Gottes Volk gehörte keineswegs zu den Großen.
Die Israeliten waren nicht die
Player
der antiken Weltgeschichte,
sondern eher der Spielball der anderen:
- das Exil,
- die Tribute,
- die Fremdherrschaft.
Und trotzdem,
gegen alles, was man erwarten würde,
blüht in der Vision des Propheten der Glaube auf,
dass Gott allmächtig ist.

Tausendmal Tausende dienten ihm,
und zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm:
Das Gericht wurde gehalten,
und die Bücher wurden aufgetan.
2

Für die Armen,
die Unterdrückten,
für die Ausgebeuteten
und Entrechteten
ist das Evangelium:
Es kommt ein Gericht,
vor dem sind alle Menschen gleich.
Niemand kann sich mehr hinter einem Tier verstecken;
niemand kann mehr mit den Besatzern gleiche Kasse machen.
Es wird Gerechtigkeit geben
im Reich dessen,
der aus den Wolken des Himmels kommt
und ist

wie eines Menschen Sohn.3

(3) Jesus Christus

Als Johannes der Täufer ihn fragen lässt:

Bist du es, der da kommen soll,
oder sollen wir auf einen andern warten?

da antwortet Jesus:

5Blinde sehen und Lahme gehen,
Aussätzige werden rein und Taube hören,
Tote stehen auf,
und Armen wird das Evangelium gepredigt;
6und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.4

Das sind die Zeichen der Zeit.
So hat es Gott durch Jesaja verheißen:
5
Jesus kommt nicht zu den Reichen und Schönen,
sondern zu den Armen und Verwundeten.

Daniels Vision führt uns Weltreiche als Monster vor Augen.
Das ist sehr angemessen,
denn wie leicht kommen in den großen Umweltzungen der Welt
einzelne Menschen unter die Räder.
Krieg, Zerstörung, Armut, Hunger – 
und das alles in der Unsicherheit,
wie es weitergeht.

- Wie sieht es nächsten Monat aus?
- Nächstes Jahr?
- Werden meine Kinder eine gute Zukunft haben?
Diese Fragen haben sich die Menschen damals schon gestellt.

Jesus sagt zu seinen Zeitgenossen:

Mt 16,2Des Abends sprecht ihr:
„Es wird ein schöner Tag werden, denn der Himmel ist rot“.
3Und des Morgens sprecht ihr:
„Es wird heute ein Unwetter kommen,
denn der Himmel ist rot und trübe“.
Über das Aussehen des Himmels könnt ihr urteilen;
könnt ihr dann nicht auch über die Zeichen der Zeit urteilen?

Mit anderen Worten:
Die alltäglichen Zeichen sucht ihr,
aber ihr traut euch nicht,
euch auf die göttliche Verheißung zu verlassen.
Ihr traut euch nicht zu glauben.

Trau dich, zu glauben!

Diese Linie geht von Weihnachten bis Himmelfahrt:
- Der ein Kind war, so wie du,
- der erwachsen wurde, so wie du,
- der gelebt, gelitten und getragen hast, so wie du,
- der ist jetzt bei Gott dem Vater.
Und du bist so sehr mit ihm verbunden,
dass du schon mit einem Bein im Himmel stehst,
obwohl du noch ganz in dieser Welt bist.

Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte, hält [dich]
6 kein Dunkel mehr.
Von Gottes Angesichte kam [dir]
6 die Rettung her.7

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!8 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Vers 10.


3 Vers 13.


4 Mt 11,5f.


5 Vgl. Jes 35,5 und öfter.


6 Plural im Original.


7 ELKG² 322,4


8 Phil 4,7