Das Wunder unter uns
Predigt zu Jos 3,5–11.17
Josua hat in große Fußstapfen zu treten. Er hat die Ausbildung, er hat den Titel, die Vorzeichen sehen gut aus. Doch hat er auch, was man braucht, um Gottes Volk zu führen?
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.
Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
ist ein Abschnitt aus dem Buch Josua im 3. Kapitel.
Ich werde die relevanten Verse im Laufe der Predigt vorlesen.
Lasst uns beten:
HErr Gott, himmlischer Vater,
komm zu uns
und heilige uns in deinem heiligen Geist,
damit unter uns das Wunder geschieht,
dass dein Wort unsere Herzen zu dir zieht.
— Amen
Liebe Schwestern und Brüder,
(1) stellt euch einen strahlend-schönen Frühsommer-Tag vor.
Es ist Samstag Nachmittag
und Karl2 steht im Hochzeitsanzug vor der Kirche.
Neben ihm steht der Pfarrer.
Der hat ihn getauft und konfirmiert.
Heute will er ihn auch verheiraten.
Nur auf die Braut müssen sie noch einen Moment warten.
Karl sen. nutzt die Gelegenheit,
seinem Sohn die Hand zu geben:
Alles Gute, mein Junge.
Du hast dir ein gutes Mädchen ausgesucht.
Ich bin stolz auf dich.
Du wirst deinen Weg gehen, da bin ich sicher.
Da fährt der Wagen mit der Braut vor.
Der Vater geht auf seinen Platz in der Kirche.
Karl jun. bleibt mit dem Eindruck zurück,
wie hart und wie rau die Hände seines Vaters sind.
Jahrzehntelange Arbeit auf dem Bau
haben die Haut ausgemergelt.
Vielen tausend Steine haben sie hart gemacht.
Der Pfarrer geht mit gemessenem Schritt durch den Mittelgang,
Karl mit seiner Braut hinterher.
Das einzige,
woran er denken kann, ist,
wie er mal mit seinen Eltern am Strand war.
Er war fünf.
Er ging seinem Vater hinterher
und hat versucht,
in seine Fußstapfen zu treten.
Wird er es schaffen,
den kleinen Maurer-Betrieb aufrecht zu halten?
Er hat jetzt Verantwortung.
Wird es reichen für ihn,
seine Frau,
vielleicht Kinder?
Die Ehe seiner Eltern war nicht immer einfach.
Manche Dinge will er besser machen, als sein Vater.
Wird das gelingen?
Die ersten Freunde,
wo er auf der Hochzeit war,
leben schon in Scheidung.
(2) Liebe Gemeinde,
mit einem ganz ähnlichen Problem trägt sich Josua.
Er hat in riesige Fußstapfen zu treten,
denn er ist der Nachfolger von Moses.
Josua hat die Ausbildung.
Er war lange Zeit so was wie Moses’ erster Offizier.
Er hatte auch den Segen von Moses,
denn er hat ihm die Hände aufgelegt
und ihn damit öffentlich zu seinem Nachfolger bestimmt.3 —
Am wichtigsten aber war,
was Gott zu Josua gesagt hat:
Siehe, ich habe dir geboten,
dass du getrost und unverzagt seist.
Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht;
denn der Herr, dein Gott,
ist mit dir in allem, was du tun wirst.4
Dieser Vers wird gerne als Taufspruch verwendet,
weil er ein solch starker Zuspruch
für das Leben eines Menschen ist.
Doch in alledem bleibt der Zweifel, –
sowohl für Josua selbst
als auch für die Israeliten.
Der junge Anführer ist noch nicht erprobt.
Er hat noch nie unter Beweis gestellt,
dass er kann,
wofür er gebraucht wird.
Die Israeliten wussten nicht:
Ist das wirklich unser Mann Gottes?
Die Vorzeichen sehen gut aus,5
aber der Beweis stand noch aus.
In dieser Situation geschah folgendes:
(Lesung aus dem Buch Josua im 3. Kapitel):
5Und Josua sprach zum Volk:
Heiligt euch,
denn morgen wird der Herr Wunder unter euch tun.
6Und zu den Priestern sprach er:
Hebt die Bundeslade auf
und geht vor dem Volk her!
Da hoben sie die Bundeslade auf
und gingen vor dem Volk her.
7Und der Herr sprach zu Josua:
Heute will ich anfangen,
dich groß zu machen vor ganz Israel,
damit sie wissen:
wie ich mit Mose gewesen bin,
so werde ich auch mit dir sein.
8Und du gebiete den Priestern,
die die Bundeslade tragen, und sprich:
„Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt,
so bleibt im Jordan stehen“.
9Und Josua sprach zu den Israeliten:
Herzu!
Hört die Worte des Herrn, eures Gottes!
10Daran sollt ihr merken,
dass ein lebendiger Gott unter euch ist […]:6
11Siehe, die Lade des Bundes des Herrschers über alle Welt
wird vor euch hergehen in den Jordan. […]7
17Und die Priester,
die die Lade des Bundes des Herrn trugen,
standen still im Trockenen mitten im Jordan.
Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch,
bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.
* * *
(4) Der Vers, der mir ins Auge fällt, ist gleich der erste:
Heiligt euch,
denn morgen wird der Herr Wunder unter euch tun.
Es gibt Gemeinden und Traditionen in unserer Kirche,
da war es üblich,
dass man vor dem Abendmahl zur Beichte geht, –
im Idealfall am Samstag Abend.
Das ist die gleiche Idee:
Heiligt euch,
denn der Herr wird Wunder unter euch tun.
Was mich beeindruckt ist,
das hier die Erwartung,
die hier ihren Ausdruck findet:
Morgen geschieht ein Wunder.
Gott stellt seine Anwesenheit unter Beweis
und gibt uns einen sichtbaren Beleg seines Segens.
Dabei scheint mit das Abendmahl als Beleg schlecht geeignet.
Das Wunder des Abendmahls
ist unscheinbar und verwechselbar,
gerade im Vergleich jedenfalls zu dem,
was Josua vorzuweisen hatte.
Der Jordanfluss stand still,
und die Israeliten gingen
trockenen Fußes
ins gelobte Land.
Das ist doch mal ein klarer Beweis dafür,
dass Gottes Versprechen für Josua wahr ist.
Damit hatten auch die Israeliten einen Beleg,
das Josua ihr Mann Gottes ist.8
Die heiligen drei Könige sind einem Stern gefolgt,
der ihnen klar gesagt hat,
dass der König der Juden geboren werde.
Das ist nach den Maßstäben von damals
ein „wissenschaftlicher“ Beleg dafür,
dass Jesus der Sohn Gottes ist.
Bei Jesu Taufe erklang Gottes Stimme aus dem Himmel:
Dies ist mein lieber Sohn,
an dem ich Wohlgefallen habe.9
Auch wenn Gottes Stimme hier eine geistliche Stimme war: Diejenigen, die das gehört haben,
hatten ein intensives Glaubenserlebnis.
Sie hatten Gewissheit in Bezug auf Jesus.
Wo ist den unser Beleg,
- dass der Glaube trägt,
- dass wir als Gemeinschaft auf dem richtigen Weg sind?
Wer hält für uns den Main an,
damit wir trockenen Fußes nach Sachsenhausen gehen können,
nicht nur,
um einen Apfelwein zu trinken,
sondern damit alle Menschen sehen:
Hier auf dem Altar der Trinitatisgemeinde im Ostend,
da findet ein Wunder statt.
Gott ist gegenwärtig.
Kommt und sehet und schmecket,
wie freundlich der Herr ist! —
Wo ist unser Stern, unsere Himmelsstimme?
Und, wenn wir das nicht haben können:
Wo ist das Zertifikat für unsere Echtheit,
wo ist das Empfehlungsschreiben mit Gottes Unterschrift?
So schreibt der Apostel Paulus
im 2. Brief an die Korinther
(im 3. Kapitel):
2Ihr seid unser Brief, […]
erkannt und gelesen von allen Menschen!
3Ist doch offenbar geworden,
dass ihr ein Brief Christi seid, […]
geschrieben nicht mit Tinte,
sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes,
nicht auf steinerne Tafeln,
sondern auf fleischerne Tafeln,
nämlich eure Herzen.
4Solches Vertrauen
aber haben wir [Apostel] durch Christus zu Gott.
5Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, […]
sondern dass wir tüchtig sind, von Gott […].
Paulus geht es im Zusammenhang darum,
wer ein „richter“ Apostel ist.
Also: Welchem Pastor kann man vertrauen,
dass er wirklich von Gott beauftragt ist?
Paulus dreht das um und sagt:
2Ihr seid unser Brief!
Der Beweis, dass wir Gottes Apostel sind, das seid ihr!
Wenn ihr zusammenkommt zu einer Gemeinschaft, dann ist da mehr, als die Summe seiner Teile.
Wo ihr seid, da ist Gott gegenwärtig. —
Wenn ich Menschen erzähle,
wie die Gemeinde hier funktioniert,
sage ich oft:
Ja, ich bin der einzige fest Angestellte.
Die ganze Arbeit wird von Ehrenamtlichen gemacht.
Auch die ganze Musik ist handgemacht,
von Leuten aus der Gemeinde.
Die kaufen sich nicht Kirche, die machen Kirche selber.
Dann sagen die Leute:
Das ist ja toll!
Da kann man sehen,
dass sie es ernst meinen.
Ja, ihr seid der Brief!
Und wenn jetzt jemand sagt:
Ach, unser Brief,
der ist ja nur so normal.
Das sind ja nur wir.
Die Schrift ist schon mal krakelig
und es ist nicht immer alles perfekt.
Da gibt es Spinnweben hinter den Lautsprechern
und bei der Musik,
da gibt es ab und zu schon mal schiefe Töne,
und sogar Streit in der Gemeinde.
Und das mit der Frauenordination,
das kann man wirklich niemandem vorzeigen.
Wie würde Gott da seine Unterschrift machen wollen?
Auch dazu möchte ich den Apostel Paulus zitieren,
aus dem 1. Brief an die Korinther (im 1. Kapitel):10
26Seht doch, […], auf eure Berufung.
Nicht viele Weise […],
nicht viele Mächtige,
nicht viele Angesehene
sind berufen.
27Sondern was töricht ist vor der Welt,
das hat Gott erwählt,
damit er die Weisen zuschanden mache;
und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt,
damit er zuschanden mache, was stark ist; […]
30Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus,
der uns von Gott gemacht ist
zur Weisheit
und zur Gerechtigkeit
und zur Heiligung
und zur Erlösung,
31damit, wie geschrieben steht:
„Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!“
- Gott hat den Jordan angehalten für sein Volk.
- Gott hat den Stern gesandt
- und seine Stimme hat Christus bestätigt.
Der selbe Gott hat entschieden,
sich unter dem Gegenteil zu offenbaren:
im Leid,
im Kreuz,
dem Unscheinbaren und Bescheidenen.
Die Freude im Glauben,
die Vergebung in der Gnade,
die Liebe unter Gottes Segen –
das sind die Wunder,
die Gott jeden Tag unter uns wirkt.
Und diese Wunder Gottes
kristallisieren zu einem sichtbaren Gottesdienst.
Wo das Evangelium rein verkündigt
und die Sakramente ihrer Einsetzung gemäß gefeiert werden,
da ist Kirche.11
Da fallen
- der Brief und die Wirklichkeit,
- Gottes Unterschrift und seine Gegenwart
in eins zusammen.
Heiligt euch,
denn unter euch geschehen Wunder!
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!12 Amen.
1 1.Kor 1,3
2 Ähnlichkeiten zu lebenden oder gestorbenen Karls und andere Leyhes sind zwar nicht zufällig, aber nur den „Maurerhänden“ geschuldet. Die Vignette selbst lehnt sich an das Lied „Walk like a man“ an, von Bruce Springsteen, veröffentlicht auf dem Album „Tunnel of Love“, 1987.
3 Vgl. Dtn 34,9.
4 Jos 1,9
5 Ich denke insbesondere an das Verhalten der „Hure“ Rahab, wie es in Kap. 2 geschildert wird, das auf Einsicht in Gottes Plan beruht, vgl. Vers 9.
6 Ich lasse die Völkerliste aus, weil ich sonst den Landnahme-Narrativ kontextualisieren muss. Es wäre zu klären: Wer sind die und was hat Gott gegen sie?
7 Die Auslassung der „technischen“ Details geht auf die Leseordnung zurück. Ich folge dem Vorschlag hier, weil die Verse inhaltlich nichts zu meinem Predigtanliegen beitragen, denn ich lasse das Thema der Synergie göttlichen und menschlichen Handelns, das die Predigthilfe vorschlägt, unbeachtet (Quelle s.u.).
8 Selbst mit Mose kann er mithalten, obwohl Mose natürlich der größere von beiden ist. Es gibt ja auch fünf Bücher Mose und nur ein Buch Josua. Aber immerhin!
9 Mt 3,17
10 Diesen Impuls sowie einige andere Anregungen zum Hauptteil verdanke ich den „Praktisch-theologischen Responanzen“ zum Predigtabschnitt von C. Barnbrock auf „Exegese für die Predigt“ z.St.
11 Vgl. CA 7, BSELK 102.
12 Phil 4,7