13:38

Umkehr, Herz und Liebe
Predigt zu Dtn 30,1–6

160 10. So. n. Trinitatis, 4. August 2024, Frankfurt

In diesem Abschnitt aus dem Alten Testament kommen mindestens zwei Motive vor, die uns im Neuen Testament wiederbegegnen: Die Umkehr und die Beschneidung des Herzens.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
steht im 30. Kapitel des 5. Buch Mose,
genannt „Deuteronomium“.

Mose spricht zum Volk:

1Wenn nun dies alles über dich kommt,
es sei der Segen oder der Fluch,
die ich dir vorgelegt habe,
und du es zu Herzen nimmst, wenn du unter den Heiden bist,
unter die dich der
Herr, dein Gott, verstoßen hat,
2und du dich bekehrst zu dem Herrn, deinem Gott,
dass du seiner Stimme gehorchst,
du und deine Kinder,
von ganzem Herzen und von ganzer Seele
in allem, was ich dir heute gebiete,
3so wird der Herr, dein Gott,
deine Gefangenschaft wenden
und sich deiner erbarmen
und wird dich wieder sammeln aus allen Völkern,
unter die dich der
Herr, dein Gott, verstreut hat.

4Wenn du bis ans Ende des Himmels verstoßen wärst,
so wird dich doch der
Herr,
dein Gott, von dort sammeln und dich von dort holen
5und wird dich in das Land bringen,
das deine Väter besessen haben,
und du wirst es einnehmen,
und er wird dir Gutes tun und dich zahlreicher machen,
als deine Väter waren.

6Und der Herr, dein Gott,
wird dein Herz beschneiden und das Herz deiner Nachkommen,
damit du den
Herrn, deinen Gott,
liebst von ganzem Herzen
und von ganzer Seele,
auf dass du am Leben bleibst.

Lasst uns beten: Herr, Gott, Heiliger Geist,
sprich zu uns durch das Wort der Predigt.
Lass die Worte Moses’ an sein Volk
zu Worten an uns werden. — Amen

Liebe Schwestern und Brüder,

(Einleitung)
in diesem Abschnitt aus dem Alten Testament
kommen mindestens zwei Motive vor,
die uns im Neuen Testament wiederbegegnen:
Die Umkehr
und die Beschneidung des Herzens.
Ich werde uns in dieser Predigt beide Motive vor Augen führen
und dann die Linien bis zu uns ziehen.

(1) Umkehr

(a) Mose hält eine Rede vor dem Volk Israel.
In der biblischen Geschichte sind wir beim Auszug aus Ägypten,
und zwar an dessen Ende.
Wir stehen an der Grenze zum Gelobten Land.
Das Volk hatte vierzig Jahre Wüstenwanderung hinter sich.
Vierzig Jahre intensiver Beziehung mit Gott,
voll Abfall und Gnade,
Tanz um das Goldene Kalb
und Umkehr zu Gott, wenn dessen Wut über sie entbrannte.
Sie haben das Ziel vor Augen.

Und da sagt Moses ihnen:

Wenn nun dies alles über dich kommt,
es sei der Segen oder der Fluch,
und du es zu Herzen nimmst,
wenn du unter den Heiden bist,
unter die dich der Herr, dein Gott, verstoßen hat,
und du dich bekehrst zu dem Herrn, deinem Gott, …
so wird der Herr, dein Gott,
deine Gefangenschaft wenden
und sich deiner erbarmen.

Als Israelit hätte ich mich gefragt:

Wie?
Das geht jetzt noch so weiter?
Gott verstößt uns unter die Heiden?
Ich dachte,
hier wäre jetzt gelobtes Land angesagt!
… wo Milch und Honig fließen
und wir unsere Ruhe haben?

Wir Menschen wünschen uns das:
- dass jetzt endlich Frieden ist,
- dass dieser große Moment kommt,
in dem alles perfekt ist.
Wir binden unsere Hoffnungen zum Beispiel
an einen neuen Anfang:
- der Einzug ins gelobte Land,
- in eine neue Wohnung,
- in eine neue Beziehung.
Aber nach einer Weile stellen wir fest,
dass wir immer noch die alten sind.
Was uns vom Neuen bleibt ist nicht der Sieg,
sondern die Arbeit.
So war es auch für die Israeliten,
als sie ins gelobte Land kamen.

(b) Deswegen beginnt auch Jesus sein öffentliches Auftreten
mit dieser Überschrift:

Die Zeit ist erfüllt,
und das Reich Gottes ist herbeigekommen.
Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium!
2

Das Reich Gottes ist mitten unter uns.
Hier und jetzt zeigt es Wirkung.
Das ist unser Glaube.
Auf Christus sollen wir schauen,
wenn uns die Kraft versagt.

(c) Denn auch wir sind noch nicht im Himmel.
Unser gelobtes Land ist ständig in Frage gestellt.

Die Ereignisse um die deutsche Wiedervereinigung
erschienen vielen Menschen als ein Wunder.
Doch die Feierlaune ist vergangen.
Bei vielen herrscht ein Gefühl von Fremdheit vor
und die Unterschiede zwischen Ost und West
zeigen sich in Gehältern und Renten.
Ganz regelmäßig kriegen wir das als Deutschlandkarten
vor Augen geführt,
die für Wahlsendungen im Fernsehen erstellt werden.
Was vom Kalten Krieg geblieben ist,
ist nicht der Sieg,
sondern die Arbeit:
Beziehungsarbeit und Arbeit daran,
einen gemeinsamen Weg zu finden
für eine gemeinsame politische Kultur.

Unsere kirchliche Tradition hat die Züge einer Erweckungsbewegung.
Es kommt einem Wunder gleich,
dass Menschen im 19. Jahrhundert
das lutherische Bekenntnis für sich entdeckt haben.
Sie fanden das wichtig genug,
dafür zu kämpfen
und ihre Zeit, ihre Energie, ja ihre Freiheit und ihr Leben
dafür in die Waagschale geworfen.
1972 wurde dann die SELK gegründet.
Doch zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte
ist die SELK gewachsen.
Anscheinend ist „bekenntnislutherisch“ für unsere Zeitgenossen
nicht mehr so überzeugend,
wie es für die Gründungsväter unserer Kirche mal war.
Was uns von der Erweckung geblieben ist,
ist nicht der Sieg,
sondern die Arbeit:
Trauerarbeit vielleicht, dass alles immer weniger wird,
und die Arbeit an der Suche,
wie wir unser Licht leuchten lassen können vor den Menschen,
so dass sie mit uns zusammen Gott loben wollen.

(2) Beschneidung des Herzens

Liebe Gemeinde,
(a) Moses bleibt hier nicht stehen.
Er sagt den Israeliten mehr,
als dass das Leben im gelobten Land Arbeit sein wird.
Seine Hauptaussage ist,
dass Gott seinem Volk immer gnädig sein will.
Das ist seine Verheißung:
Gott wird die Beziehung zu seinem Volk niemals aufgeben.

[Selbst] wenn du bis ans Ende des Himmels verstoßen wärst,
so wird dich doch der Herr,
dein Gott, von dort sammeln und dich von dort holen …

Und der Herr, dein Gott,
wird dein Herz beschneiden
und das Herz deiner Nachkommen,
damit du den Herrn, deinen Gott,
liebst von ganzem Herzen
und von ganzer Seele,
auf dass du am Leben bleibst.

Die Beschneidung gehört zur Familie Abrahams.
Sie ist ein Zeichen der Freundschaft zwischen Gott und ihm.
Diese Freundschaft gilt für alle seine Nachkommen.
Doch schon für das Israel in der Wüste war klar,
dass die äußere Beschneidung nur äußerlich bleibt.
Gott selbst muss Hand anlegen an die Seinen.
Nur unser Schöpfer kann uns zu dem Menschen machen,
der wir sein sollen.

(b) Paulus glaubt,
dass genau das an uns Christen geschehen ist,
in unserer Taufe.
3
Gottes Beziehung mit den Menschen
hat eine ganze neue Qualität bekommen.

  • Erstens steht dieser neue Bund allen Menschen offen.
    Die Freundschaft zwischen Gott und Abrahams Kindern
    ist ungebrochen,
    doch auch wir sind nun berufen.
    Der Schlüssel dazu ist der Glaube.
  • Zweitens ist dies kein äußerliches Zeichen,
    sondern eine innere Wirklichkeit.

Christus hat sich selbst hingegeben am Kreuz –
für dich – 
zur Vergebung aller deiner Sünden. — 
Diese Triebfeder ist schon in dir drin.
Das Liebesgebot ist die Achse,
die ihre Kraft in dein Leben überträgt.

Du sollst den Herrn deinen Gott lieben,
vom ganzem Herzen,
und von ganzer Seele
und mit aller deiner Kraft …
und deinen Nächsten wie dich selbst.

(c) Wir sind immer noch in ein Leben voller Arbeit geworfen:

  • Beziehungsarbeit auf allen Ebenen,
    Familie, Beruf, Kirche, überall,
  • Trauerarbeit über den Tod unserer Liebsten,
    aber auch über unsere eigene Vergänglichkeit
    und die Endlichkeit unserer Institutionen.

Unser Land hat sich in den letzten 40 Jahren stark verändert.
Es wird sich auch noch weiter verändern.
Die weltpolitische Lage ist nicht mehr,
was es mal war.
Wir brauchen uns nicht an Äußerlichkeiten klammern.
Was uns hält ist die Glaubensstärke,
die von innen kommt.
Gott hat uns beschnitten an unseren Herzen.
Herzensstärke ist, was uns hält.

Unsere Kirche, die SELK,
und unsere Trinitatisgemeinde in Frankfurt:
Sie werden sich beide verändern.
Die Teilung der Kirche wird von manchen angedacht.
Im „Atlas Frauenordination“ gibt es konkrete Vorschläge,
wie so das aussehen könnte.
Was heißt das konkret für uns in Frankfurt? —
Wir werden es sehen.

Fest steht aber,
dass wir uns nicht an Äußerlichkeiten klammern müssen,
weder an die Institution,
noch an Gebäude.
Christus, der Herr der Kirche, ist mitten unter uns.
Von ihm erwächst uns die innere Stärke,
anzunehmen, was für uns dran ist. — Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus! Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Mk 1,15


3 Vgl. Gal 2,11f.


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Weitere Predigten zu 10. So. n. Trinitatis:
Das Geheimnis des Töpfers
Röm 11,25–32, 10. So. n. Trinitatis

In seiner ersten Vorlesung über den Römerbrief nennt Martin Luther unseren Predigtabschnitt heute Morgen „dunkel“. Tatsächlich redet Paulus ja von einem „Geheimnis“, das er den Römern mitteilen möchte. Was er ihnen zu sagen hat, bleibt ein Paradox.