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Interview mit der Schlange
Predigt zu Gen 3

16 Impuls zum Sonntag Invokavit Invokavit, 1. März 2020, Idee zum Sonntag Invocavit

Dies ist gar keine Predigt. Ich hatte an Invokavit frei, weil ich auf dem Jugendkongress in Witzenhausen war. Statt dessen habe ich den Impuls von predigttagebuch.de mitgebracht. Viel Spaß!

predigttagebuch: Guten Abend, Schlange! Wie schön, dass wir uns treffen können.

Schlange: Guten Abend!

p: Wie wir eingangs schon besprochen haben, ist für den nächsten Sonntag Invokavit das 3. Kapitel des Buches Genesis als Predigttext vorgesehen, die Geschichte vom sog. „Sündenfall“. Mich interessiert, wie diese Geschichte auf sie wirkt und was sie aus ihrer Perspektive als Schlange dazu zu sagen haben.

S: Ja… also… uns Schlangen hat diese Geschichte in der ganzen christlichen Welt unseren Ruf verdorben. In Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ zum Beispiel ist die Schlange Moglis Freund und ein Helfer auf seinem Weg. In der Disney-Verfilmung von 1967 ist sie verschlagen und hinterlistig. Sie manipuliert und schmeichelt, um Mogli zu fressen. Furchtbar!
Andere Kulturen und Religionen haben uns bewundert. Weil wir uns ständig häuten müssen, hielten uns die Griechen für unsterblich und für einen Hort von Heilkräften. Noch heute ziert eine Schlange den Äskulapstab von Ärzten und Apothekern. – Das mit der Unsterblichkeit ist natürlich Quatsch. Aber ein bisschen Wertschätzung tut schon gut!
Auch als Symbol für Fruchtbarkeit zu gelten, ist nicht das Schlechteste
(lacht).

p: Als Symbol für Fruchtbarkeit?

S: Na, für Sexualität halt. — Männliche Sexualität…

p: Ah… oh… Und das finden sie gut?

S: Nun, sehen sie: Ich will nicht leugnen, dass Sexualität problematische Seiten haben kann. Aber für die allermeisten Menschen ist sie erst mal was Schönes, ein Ausdruck von Liebe, Geborgenheit und Intimität. Ich schäme mich nicht, ein sexuelles Wesen zu sein. Meine Sinnlichkeit, meine Bedürfnisse, selbst meine Lust und mein Verlangen, sind mir von Gott gegeben. Die Frage ist halt, wie ich damit umgehe.

p: Wo wir gerade von körperlichen Dingen reden: Am Ende des Kapitels teilt Gott reichlich Strafe aus. Der Schlange sagt er, sie solle auf dem Bauche kriechen und Dreck fressen ihr Leben lang (Gen 3,14b). Empfinden sie es als demütigend, keine Gliedmaßen zu besitzen?

S: Sie und ich, wir sind beide Sünder. Unsere Körper sind der „Knechtschaft der Vergänglichkeit“ (Röm 8,20f) unterworfen und wir harren „des Lebens der zukünftigen Welt“ (ELKG S. 17f). Empfinden sie es als demütigend, dass sie einst sterben und verrotten werden? Ich habe meinen Leib von Gott bekommen. Von ihm nehme ich ihn an. Gliedmaßen habe ich keine, aber Gott hat mir Rumpfmuskulatur gegeben, von der Schwarzenegger nur träumen kann, und einen Körperbau, mit dem ich als Schlange gut klarkomme.

p: Und wie ist es so, Sinnbild des Teufels zu sein?

S: Machen sie sich nicht lächerlich!

p: Nun kommen sie: Die Schlange in Gen 3 ist schon Sinnbild der Versuchung und des Bösen.

S: Würden sie diese Frage auch ihrer Mutter stellen?

p: Meiner Mutter?

S: Ihre Mutter hat sie „unter Schmerzen geboren“ und sie hatte „viel Mühsal“ mit ihnen (Gen 3,16). Das ist die Strafe dafür, dass sie auf die Schlange gehört hat. (seufzt) Sehen sie, ich denke doch, dieser Abschnitt der Bibel ist in erster Linie eine Symbol-Erzählung. Es wird ein Anfang erzählt, um gegenwärtige Wirklichkeit zu beschreiben. Der Mensch („Adam“ ist das hebräische Wort für „Mensch“, Anm. d. Red.) bekommt vom Leben (der Name „Eva“ lässt sich auf das heb. Verb für „leben“ zurückführen. Vgl. auch Gen 3,20, Anm. d. Red.) Versuchung gereicht. Wer von uns könnte von sich sagen, dass er das nicht nachvollziehen kann? Haben sie noch nie Versuchung erlebt? Das würde ich ihnen nicht glauben, würden sie das von sich behaupten!

p: Es würde mir nicht einfallen, das zu behaupten! Natürlich kenne ich Situationen, wo ich vor einer Entscheidung stehe. Und glauben sie nicht, ich würde immer den richtigen Weg gehen, den Weg, den Gott für mich will. „Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich“ (Röm 7,15). Aber es ist trotzdem die Schlange diejenige, mit der die ganze Misere ihren Lauf nimmt. Glauben sie, dass hat was damit zu tun, dass die Bibel sie als Sexualsymbol sieht, das zu beherrschen sei?

S: Die Bibel ist lockerer in ihrer Behandlung von Sexualität, als der durchschnittliche „Fromme“. Aber in der Bibel ist die Schlange nicht mit Sexualität verbunden, sondern mit Klugheit. „Die Schlange aber war klüger als alle Tiere auf dem Felde“ (Gen 3,1). So fängt das Kapitel doch an.

p: „Listiger“. In meiner Bibel steht „listiger“, nicht „klug“. „Listig“ und „klug“ haben schon einen recht unterschiedlichen Klang.

S: Jesus hält uns für „klug“ (Mt 10,16) und in der griechischen Version des Alten Testament steht da an der Stelle oben das selbe Wort (φρόνιμος, Gen 3,1 LXX).

p: Also ich glaube, das reden sie sich schön: Das hebräische עָרוּם („arum“) heißt schon auch „listig“.

S: Also, wenn sie über Vokabeln reden wollen, müssen wir schon genau gucken: Das Wort kommt ganze elf Mal in der hebräischen Bibel vor. Dabei ist es drei mal negativ konnotiert und ansonsten positiv (vgl. Gesenius, „Handwörterbuch“ 18. Aufl., S. 1012). — Schauen sie, die Pointe ist doch dies: Die Kunst ist, klug zu sein, aber sich nicht selbst für klug zu halten (vgl. Röm 12,16). Ich bin intelligent und in der Lage, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Auch das habe ich von Gott empfangen, übrigens! Wenn ich mich aber für klug halte, dann setze ich mich an Gottes Stelle und treffe ein Urteil, das nur ihm zukommt, über mich und über andere. Zum Beispiel meinen Körper: Gott hat mich als Schlange geschaffen. Klug bin ich, wenn ich meinen Leib als Gottes Willen für mich annehme und nicht Armen und Beinen hinterherweine.

p: Gilt das auch für Schwule und Transsexuelle?

S: Ich rede hier über mich und nicht über andere. Jesus hält überhaupt nichts davon, ein Urteil über andere zu fällen oder ihnen ihre Sünden vorzurechnen (vgl. Mt 7,1–6).

p: Nun, es gibt ein Gesetz! Es überführt uns als Sünder, aber es ist auch Riegel und Regel. Und manche Dinge sind doch sehr offensichtlich, oder nicht? Sie können keinen Stepptanz machen und Männer können keine Kinder kriegen.

S: Hören sie: Nur, weil ich meinem Körper als gott-gegeben annehme, dürfen sie sich nicht über mich lustig machen.

p: Sorry, ich wollte sie nicht verletzten; aber es ändert doch nichts an der Tatsache!

S: Das Problem ist, dass wir das Thema wechseln. Aus der Frage, was mein Körper kann und was er nicht kann, wird die Frage, ob ich mit Gott im Reinen bin und seinen Willen über mein Leben ernst nehme. Das tue ich! Auch dann, wenn ich gegen Konventionen und Regeln verstoße.

p: Gilt das auch für die Übertretung von Gottes Gesetz?

S: Wir leben in einer gefallenen Welt. Kein Gesetz, das in Menschenworten niedergeschrieben werden kann, kann für sich in Anspruch nehmen, absolut und immer zu gelten. Deswegen sind wir immer angewiesen auf den lebendigen Geist. Gott selbst muss in unser leben sprechen und uns die Augen für seinen Willen öffnen. „Der Buchstabe tötet. Der Geist macht lebendig“ (2.Kor 3,6).

p: Ist das Gesetz also nichts nutze für unseren Alltag?

S: „Das sei ferne!“ Ich schätze das Gesetz gerade wert (vgl. Röm 3,31). Ich will es gerade in den Händen Gottes belassen und es nicht selbst in die Hand nehmen, und mich etwa für klug halten. In der Glaubensbeziehung zu Gott ist mir alles erlaubt. Und was mir zum Guten gereicht, das darf ich selbst bestimmen, oder nicht? (vgl. 1.Kor 6,12)

p: Aber das ist doch Antinomismus: Im Grunde wollen sie gar kein Gesetz, sondern wollen ihrem eigenen Gutdünken folgen.

S: Seien sie nicht unfair, bitte, und pressen mich in irgendwelche Schubladen, die sie im Grundstudium nur halb verstanden haben! Ich lehne das Gesetz nicht ab. Die Frage ist, wie und als was schätze ich es. Ich bin kein Lego-Männchen und das Gesetz ist nicht die Bauanleitung für mein Leben. Die Vorstellung von Gesetz, dass ich nur „buchstabengetreu“ den irgendwie klaren, offensichtlichen Regeln folgen muss, um „richtig“ zu handeln, trifft einfach nicht die Tiefe des biblischen Gesetzes. Das Gesetz bedarf der Auslegung. Es muss immer angewendet werden auf ein echtes, gelebtes Leben; auf Menschen in einem Alltag, nicht auf Lego-Püppchen in einer Noppen-Welt. Es kommt ja auch nicht aus einer simplen Plastik-Kulisse. Die Geschichten, die die Bibel erzählt, sind voller echter Menschen, aus Fleisch und Blut, die echte Probleme haben und damit umgehen. Sie tun dies mit Blick auf das Gesetz, ja. „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!“ (Ps 119,105). Aber sie tun es vor Allem in Beziehung mit dem Herrn, dem sie ihr Herz ausschütten und es ihm öffnen. „Der Herr ist gut und gerecht; darum weist er Sündern den Weg.“ (Ps 25,8)

p: Wir haben dieses Gespräch ja angefangen, weil ich von ihnen hören wollte, wie sie die Geschichte vom „Sündenfall“ als Schlange so lesen. Wir haben uns ganz schön von diesem Ausgangspunkt entfernt!

S: Ganz im Gegenteil: Die Geschichten, mit denen die Genesis anfängt sind ganz wesentlich für das Verständnis des Gesetzes. Sie sind der Rahmen, sie sind das Vorzeichen vor der Klammer, unter der das ganze Gesetz gelesen werden muss. Und diese Geschichten sind spannend und lebensnah. Sie handeln von Menschen in echten Konflikten, nicht in Hollywood-Klischees.

p: Was ist dabei die Rolle der Schlange? – Ich glaube, ich muss hier jetzt aufpassen, oder nicht? Sich von einer Schlange das Gesetz auslegen zu lassen, war für Adam und Eva nicht gerade von Vorteil.

S: Was? Du krabbelst am Sonntag auf die Kanzel und meinst, du könntest Menschen das Wort Gottes predigen. Meinst du, du verführst sie weniger, als die Schlange aus Gen 3? Du bist ein Sünder! Meinst du, du darfst Gottes Wort auslegen, nur, weil du Arme und Beine hast?

p: Bitte verzeihen sie, es geht mir nicht um sie persönlich. Sünder sind wir allemal gleich. – Hm. So gesehen könnte eine Schlange sogar Pastorin werden.

S: Wieso wagen sie es überhaupt, zu predigen? Was gibt ihnen das Recht?

p: Nun, der Herr Jesus sagt. „Wer euch hört, der hört mich“ (Lk 10,16).

S: Sehen sie, da haben sie’s: Nicht Arme und Beine machen den Prediger, sondern das Wort Christi.

p: Sie sind eine Schlange, die Christus groß macht…

S: Das ist bei einer Schlange nicht mehr oder weniger überraschend als bei jedem anderen Sünder auch.

p: „Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade“ (Joh 1,16).

S: Amen.

p: Mehr habe ich nicht zu sagen. Ich danke ihnen für das Gespräch!

S: Gerne!