Das unentdeckte Land
Predigt zu 2.Kor 2,14–18
In dieser Predigt benutze ich den Unterschied und Kontrast zwischen dem Umgang mit Kummer, wie Shakespeares Hamlet ihn an den Tag legt und dem, was Paulus darüber denkt.
Bitte behaltet Eure Plätze.
Diese Predigt fängt anders an als die anderen.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Ich werde den Abschnitt heiliger Schrift,
den diese Predigt auslegt,
in deren Verlauf vorlesen.
Lasst uns beten:
Herr Gott Jesus Christus,
sende uns den Heiligen Geist,
damit der Brief des Paulus nach Korinth
ein Brief an uns ist. — Amen
Sein
oder nicht sein:
Das ist die Frage.1
Ob man es wohl für mutiger halten muss,
die Treffer und Schläge eines schweren Schicksals zu ertragen,
oder sich den Wogen des Kummers entgegenzustellen; —
als Gegenwehr
Schluss machen
damit.
Sterben –
schlafen:
Das ist eine ist nicht mehr als das andere.
Sagen wir mal so:
Durch diesen „Schlaf“
könnte man alle sein Leid beenden, –
all die tausend Stiche,
die unser Fleisch seiner Natur nach mitgeerbt2 hat.
Das wär doch mal ein Abgang,
für den man fromm beten könnte; —
sterben – schlafen —
Schlafen und vielleicht träumen.
Das ist der nämlich Haken an der Sache:
Was für Träume befallen einen im Todesschlaf?
wenn wir unsere sterbliche Hülle abgestreift haben?
Dieser Gedanke macht uns zögern.
Da nehmen wir lieber ein Leben lang Elend auf uns.
Wer würde die Prügel und die Flüche ertragen,
die mit der Zeit über uns kommen:
- das Unrecht der Unterdrücker,
- die Verachtung der Angeber,
- den Kummer ausgeschlagener Liebe,
- das Versagen des Rechts an der Gerechtigkeit,
- die Willkür der Behörden
- oder dass der Anständige immer der Dumme ist:
Niemand würde das ertragen,
der auf eigene Rechnung den Abschluss vollbringen3 kann
— mit der blanken Waffe in der Hand. —
Wenn da nur nicht die Angst wäre,
dass da was sein könnte
nach dem Tod,
dem unentdeckten Land,
von dessen Toren
kein Reisender zurückkehrt.
Das lähmt unseren Willen
und wir tragen lieber unsere eigenen Päckchen
als von ihnen zu flüchten
zu anderen, die wir nicht kennen.
Deswegen4
sind wir allesamt Feiglinge.
* * *
(1) Liebe Schwestern und Brüder!
Hamlet geht durch eine Lebenskrise.
Jetzt steht er da und überlegt sich,
ob das Leben lebenswert ist.
Dieser Gedankengang ist nicht für jeden.
Es gibt Menschen,
die haben durch ein sonniges Gemüt
oder sind durch ihre Lebensumstände hindurch
nie in die Situation kommen,
solche Gedanken zu denken
oder solche Gefühle zu fühlen. —
Gut.
Doch „Hamlet“ ist gerade deswegen
in die Weltliteratur eingegangen,
weil viele Menschen
sich mit dem dänischen Prinzen identifizieren können.
Selbst wenn man nichts weiß über Shakespeare,
„Sein oder nicht sein“
hat man schon mal gehört.
Dieser Monolog scheint vielen Menschen
aus dem Herzen zu sprechen.
Hamlet nennt ja auch eine breite Palette des Kummers:
- von ganz persönlichen Dinge,
wie der ausgeschlagenen Liebe, - bis zu den großen Problemen der Menschheit,
Unrecht, Ungerechtigkeit, Willkür.
Da ist für jeden was dabei,
die einem den Lebenswillen streitig machen könne. —
Was hält ihn ab? —
Hamlet hat Angst.
Er weiß nicht,
was nach dem Tod
auf ihn zukommt.
Feige findet er das,
aber es hält ihm am leben.
(2) Liebe Gemeinde,
Angst ist ein schlechter Grund,
sein Leben zu leben.
Paulus weiß einen besseren.
Dabei kennt sich der Apostel gut aus
- mit Bedrängnis von allen Seiten,
- mit Angst und Verfolgung,
- mit Unterdrückung5
- mit Prügel
- mit Willkür,
- mit Verachtung.
Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leib.6
Trotzdem nimmt Paulus sein Leben gerne an.
Und nicht nur das:
Für Paulus und die anderen Apostel
ist der Rest nicht etwa Schweigen,7
sondern Verkündigung.
Ich glaube,
darum rede ich.8
So schreibt Paulus im 2. Brief an die Korinther
im 4. Kapitel:
14Denn wir wissen,
dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat,
mit Jesus auch uns auferwecken wird.
Er wird uns in seine Gegenwart holen9
zusammen mit euch.
15Denn es geschieht alles um euretwillen,
damit die Gnade, die zunimmt,10
durch die Danksagung vieler noch reicher werde
zur Ehre Gottes.
16Darum werden wir nicht müde;
sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt,
wird doch der innere [Mensch] von Tag zu Tag erneuert.
17Unsre Trübsal ist zeitlich und leicht.
Sie schafft eine ewige,
über alle Maße gewichtige Herrlichkeit –
für 18uns,
die wir nicht auf das Sichtbare starren,
sondern das Unsichtbare schauen.11
Denn was sichtbar ist,
das ist vergänglich;12
was aber unsichtbar ist,
das ist ewig.
Für Hamlet ist das Unsichtbare
nichts als eine schwarze Grube.
Dagegen schaut Paulus lichte Herrlichkeit.
Wo Hamlet einen unentdeckten Erdteil nicht betreten will,
sieht Paulus einen Leuchtturm,
der ihn nach Hause leitet.
Dieses warme Licht
strahlt aus der Ewigkeit schon in sein Leben.
Am inneren Menschen wird er immer stärker,
obwohl der äußere Mensch verfällt
unter den tausend Stichen,
die unser Fleisch
seiner Natur nach
mitgeerbt hat.
Paulus hat einen Auftrag von Gott.
Er soll den Menschen das Evangelium verkündigen.
Den Korinthern schreibt er:
Es geschieht alles um euretwillen!
Paulus muss dadurch,
er muss seinen Auftrag erfüllen.
Doch Gottes Motor für ihn ist nicht Angst,
sondern Hoffnung
und Glauben.
(a) Ich habe neulich einen Soldaten gehört,
der redete über Strategien,
mit schwierigen Situationen umzugehen.
Er erzählte von einem Infanterie-Lehrgang.
Das ist eine Ausbildung,
bei der man an seine körperlichen
und psychischen Grenzen geführt wird.
Seine Strategie,
um das zu bewältigen,
war sein Wissen
über die Dienstvorschriften der Bundeswehr.
Jedem Soldaten stehen drei Mahlzeiten am Tag zu.
Egal,
was passiert:
Die Dienstvorschriften werden eingehalten.
Egal,
mit welchen Härten du hier konfrontiert wirst:
Am Ende gibt es was zu essen.
Dieser ganz basale Gedanke
war für ihn der Leuchtturm.
So konnte er sich mutiger den Herausforderungen stellen,
die für ihn anlagen.
Die himmlische „Dienstvorschrift“ ist,
dass Gott,
der Christus von den Toten auferweckt hat,
mit Jesus zusammen
auch uns auferwecken wird.
Dadurch wird die Gnade,
die eh schon zunimmt,
noch mehr überfließen,
weil wir Gott Dank sagen und uns freuen.
Egal,
mit welchen Härten auf dich zukommen,
am Ende gibt es ein Hochzeitsmahl im Himmel.
(b) Weiß Gott nicht alle Härten
kommen unter der Aufsicht erfahrener Ausbilder über uns.
Das Leben bricht auf uns herein
ohne Sicherheitsnetz
und mit wenig Hilfestellung.
Da hat jemand eine Krebs-Diagnose bekommen.
Die Versuchung ist nicht,
mit Hamlet zu fragen,
ob das Leben lebenswert ist.
Die Versuchung ist zu fragen,
ob das Leben so lebenswert ist:
mit all dem Kampf
und ohne Haare.
Es gibt einen Therapie-Plan.
Da stehen die Daten drauf
- für Operationen,
- für Chemo,
- für Reha.
Das ist so etwas wie eine Landkarte
für das unentdeckt Land „Zukunft“.
Das gibt einem ein gewisses Maß an Sicherheit,
aber es bleibt im Bereich des Sichtbaren.
Was ist,
wenn die Therapie nicht anschlägt?
Es kann in dieser Situation
durchaus Sinn machen,
den Pastor anzusprechen
und die eigene Beerdigung zu planen.
So bleibt man zwar auch im Bereich des Sichtbaren,
aber die Hoffnung auf das Unsichtbare wird sichtbar.
So kann die eigene Beerdigung zu einem Leuchtturm werden.
Die Schwelle von der sichtbaren zur unsichtbaren Welt
ist nicht mehr das Tor
zu einem unbekannten Land,
sondern der Unterpfand für das ewige Leben.
Denn was sichtbar ist,
das ist vergänglich;13
was aber unsichtbar ist,
das ist ewig.
(Schluss)
Ihr lieben,
Paulus ist jemand,
der sich das Leben nicht schönredet.
Er nennt seinen Kummer und seine Anfechtungen beim Namen.
Dabei finden das vielen seiner Zeitgenossen eher problematisch.
Sie meinen,
er solle als Apostel doch eher glänzen.
Sie wünschen sich einen heiligen Helden,
keinen problembeladenen Pastor.
Doch Paulus dreht die Sache um.
Gerade da,
wo wir nicht selbst glänzen,
sehen wir den Glanz Gottes.
Gerade da,
wo unser Weg dunkel ist,
ist er unser Leuchtturm sein.
Je dunkler die Nacht
und je stärker der Sturm:
Erhebt eure Häupter,
weil sich eure Erlösung naht.14
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!15 Amen.
1 Nach William Shakespeare: „Hamlet“, Arden, Third Series, revised edition, eds. Ann Thompson and Neil Taylor, London, New York, 2006, 2016, 3. Akt, 1. Aufzug, Zeile 55ff.
2 “The heartache and the thousand natural shocks / That flesh is heir to”, 3.1.60f. Ich bürste Shakespeare vielleicht ein bisschen christlicher, als er ist. Hätte sein Publikum hier eine Anspielung an die Erbsündenlehre gehört?
3“His quietus make“ ist Wortwahl aus der Geschäftswelt. Quietus est ist fast gleichbedeutend mit consumatum est, Joh 19,30 in der Vulgata, Jesu Sterbewort: „Es ist vollbracht“.
4“Conscience” habe ich ’rausübersetzt und halte dafür, dass hier “introspection” gemeint ist, vgl. Arden Shakespeare zu Zeile 82. „Wegen dieser Einsicht …“ ist als Schluss für meine Zwecke aber nicht punchy genug.
5 Nach 2.Kor 4,8f.
6 Vers 10.
7 Hamlets Sterbeworte: “The rest is silence“, 5.2.342, in Schlegels Übersetzung.
8 2Kor 4,13 nach Ps 116,10.
9 παραστήσει: „darstellen, vorführen“, vgl. Röm 14,10; 1Kor 8,8, drückt die persönliche Nähe aus. Dabei fehlt wie in 1Kor 8,8 der Gerichtskontext, vielmehr geht es hier um die Gemeinschaft von „uns“, d.h. Paulus, „mit euch“, d.h. der Gemeinde, vor Gott. (Quelle: „Exegese für die Predigt“, z.St.)
10 „Überschwenglich“ ist im Grunde keine schlechte Wahl, trifft m.E. aber nur eine emotionale Ebene und verschleiert die Steigerung. χάρις πλεονάσασα ist Gnade, die zunimmt und dann auch noch überläuft.
11 „Starren“ folgt der Einheitsübersetzung, „schauen“ fasse ich geistlich/mystisch auf.
12 πρόσκαιρα heisst „von kurzer Dauer“, „zeitlich“.
13 πρόσκαιρα heisst „von kurzer Dauer“, „zeitlich“.
14 Lk 21,28b
15 Phil 4,7
Weitere Predigten zu Jubilate:
Die Weisheit, Jesus und du
Spr 8,22–36,
Jubilate
Der Predigtabschnitt heute möchte Gottes innerer Stimme nachsprechen, als er die Welt geschaffen hat. Die „Weisheit“, die hier zu Wort kommt, hat eine tiefe innere Beziehung zu Jesus Christus. Durch ihn sind auch wir mit ihr verbunden und hören in ihrer Rede Gottes Barmherzigkeit.