Die Weisheit, Jesus und du
Predigt zu Spr 8,22–36
Der Predigtabschnitt heute möchte Gottes innerer Stimme nachsprechen, als er die Welt geschaffen hat. Die „Weisheit“, die hier zu Wort kommt, hat eine tiefe innere Beziehung zu Jesus Christus. Durch ihn sind auch wir mit ihr verbunden und hören in ihrer Rede Gottes Barmherzigkeit.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.
Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt, ist die Rede der „Weisheit“ aus dem achten Kapitel des Buches der Sprüche. Ich werde uns ihre Worte im Verlauf der Predigt vorlesen.
Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.2Sende deinen Heiligen Geist herab auf die Gemeinde und ihren Prediger. — Amen
Liebe Brüder und Schwestern,
(1) Die Weisheit
diese Predigt hat ihren Anfang genommen
auf dem Weg zum Bäcker.
Ich fang mit einer neuen Predigt meistens (hoffentlich)
ziemlich früh an.
Ich lese das Stück aus der Bibel
und überlege mir im Laufe der Woche,
was für die Menschen,
die hier am Sonntag sitzen werden,
dazu zu sagen ist.
Das soll natürlich auch so sein,
dass man da gut zuhören kann
und sich nicht langweilt.
Ich weiß nicht, ob ihr das auch so macht,
aber wenn ich mir die Frage stellt,
„Wie mache ich das jetzt?“
antworte ich mir selbst „in Text“ –
also mit anderen Worten: Ich führe ein Selbstgespräch.
Meine innere Stimme und ich haben einen Dialog.
Ich entwerfe und verwerfe also Predigtanfänge
und so vor-mich-hin-predigend gehe ich zum Bäcker.
Da werde ich aus dem Augenwinkel gewahr,
dass mich ein älterer Herr
– sehr leise, sehr langsam –
mit seinem Fahrrad überholt.
Und mich überkommt mit einem gewissen Schrecken die Frage:
„Habe ich laut oder leise geredet?“
Und:
„Wie lange hört der jetzt schon zu?“
Liebe Gemeinde,
der Mensch, der unseren heutigen Predigtabschnitt verfasst hat,
war der festen Überzeugung,
dass auch Gott sich vor Urzeiten diese Frage gestellt hat:
„Wie mache ich das jetzt?“
„Wie gestalteich diese Schöpfung,
die ich mir vorgenommen habe?“
Und er möchte gerne zuhören.
Er möchte gerne wissen:
Welche Gedanken hat Gott sich gemacht,
als er den Grund der Erde gelegt hat?
Das hat nichts zu tun mit respektloser Neugierde.
Es geht nicht darum,
Gott auf die Pelle zu rücken.
Viermehr geht es hier um ganz lebenspraktische Dinge.
Zum Beispiel wussten die Menschen,
dass es Jahreszeiten gibt,
und dass zu bestimmten Jahreszeiten bestimmte Sterne am Himmel standen.
Die Frage
„Wie hat Gott sich das gedacht?“
gibt dir die Möglichkeit,
sich ein Konzept davon zu überlegen.
Damit kann man eine Voraussage zu machen.
Es geht um einen Kalender.
Und dieser Kalender dient dazu,
den richtigen Zeitpunkt zu finden
für Aussaat und Ernte.
Das sind in einer bäuerlichen Gesellschaft
lebenswichtige Fragen.
Die „Sterndeuter“ waren hoch angesehene Menschen
in der damaligen Zeit,
weil sie auf diese existenziellen Fragen
Antworten zu geben wussten.
Diesen Gedanken,
dass man Gottes Gedanken bei der Grundlegung der Welt
nachvollziehen und verstehen kann,
wurde auf alle möglichen Gebiete des täglichen Lebens angewandt.
Das, was wir heute in
- Naturwissenschaft,
- Medizin,
- aber auch Soziologie,
- Politik,
- Psychologie und der gleichen mehr
untersuchen,
wurde damals verhandelt unter dem Begriff „Weisheit“.
Gottes Gedanken bei der Schaffung der Welt erkennen
und auf Probleme des täglichen Lebens anwenden,
heißt in der Bibel „Weisheit“.
Unser Predigtabschnitt heute Morgen ist eine Rede,
die jemand der Weisheit Gottes in den Mund legt.
Wir hören also quasi Gottes innere Stimme,
– seine kreative Seite –,
zu uns reden.
Aus dem Buch der Sprüche, im 8. Kapitel:
22Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her.
23Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her,
im Anfang, ehe die Erde war.
24Als die Meere noch nicht waren, ward ich geboren,
als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen.
25Ehe denn die Berge eingesenkt waren,
– vor den Hügeln – ward ich geboren,
26als er die Erde noch nicht gemacht hatte
noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens.
27Ich war da[bei],
- als er die Himmel bereitete,
- als er den Kreis zog über den Fluten der Tiefe,
28- als er die Wolken droben mächtig machte,
- als er stark machte die Quellen der Tiefe,
29- als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern,
daß sie nicht überschreiten seinen Befehl.
Als er die Grundfesten der Erde legte,
30da war ich als sein Liebling bei ihm;
ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit;
31ich spielte auf seinem Erdkreis
und hatte meine Lust an den Menschenkindern.
32So hört nun auf mich, meine Söhne!
Wohl denen, die meine Wege einhalten!
33Hört die Mahnung und werdet weise
und schlagt sie nicht in den Wind!
34Wohl dem Menschen, der mir gehorcht,
dass er wache an meiner Tür täglich,
dass er hüte die Pfosten meiner Tore!
35Wer mich findet, der findet das Leben
und erlangt Wohlgefallen vom HERRN.
36Wer mich aber verfehlt, zerstört sein Leben.
Alle, die mich hassen, lieben den Tod.
Auf drei Dinge möchte ich euch hinweisen:
- Ewigkeit – Die Weisheit betont in dieser Rede,
dass sie ewig ist.
Vor der Schöpfung gab es sie schon. - Freundlichkeit – Die Weisheit ist den Menschen freundlich zugewandt: „Ich spielte auf seinem Erdkreis
und hatte meine Lust an den Menschenkindern“.
Gottes innere Stimme,
seine Schöpferische Kraft,
ist für uns, nie gegen uns. - Lebensgabe – Die Weisheit will –
von sich aus, ohne dass wir sie zwingen müssen –
eine positive, lebensförderliche Kraft für uns sein,
gegen das Unglück und den Tod.
Diese drei Dinge machen die Weisheit aus:
Ewigkeit, Freundlichkeit, Lebensgabe.
Liebe Gemeinde,
wir kommen zum zweiten Abschnitt.
Der erste Abschnitt ist überschrieben mit „Weisheit“.
Jetzt kommt der zweite.
Der ist überschrieben mit „Jesus“.
Und es kommt noch ein dritter Abschnitt,
der ist überschrieben mit „ich“ – da geht es dann um die Frage: „Was hat das mit mir zu tun?“
Jetzt aber erst zum zweiten Abschnitt: „Jesus“.
(2) Jesus
Die Rede der „Weisheit“,
die wir heute Morgen bedenken,
will in Worte fassen,
welche Logik die Schöpfung Gottes hat.
Einige hundert Jahre später,
als auf die Bewegung der „Weisheit“
ein Rückblick möglich war,
will der Evangelist Johannes
die Geschichte von Jesus Christus erzählen.
Er beginnt sein Evangelium mit folgenden Worten:
1Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort.
3Alle Dinge sind durch das Wort gemacht,
und ohne das Wort ist nichts gemacht,
was gemacht ist.
4In ihm war das Leben,
und das Leben war das Licht der Menschen.
Erinnert ihr euch noch an die drei Dinge,
die die Weisheit ausmachen?
Ewigkeit, Freundlichkeit und Lebensgabe.
Ewigkeit – „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott“.
Alles, was Gott ist, ist nicht Schöpfung.
Alles, was Schöpfung ist, ist nicht Gott.
Im Sprüche-Buch schillert das noch:
Ist die Weisheit und Gott jetzt das selbe oder nicht?
Der Johannes-Evangelist zieht den Gedanken jetzt bis zu Ende durch und schreibt ganz klar:
Im Anfang war das Wort
und Gott war das Wort.
Er kann das schreiben,
weil die Offenbarung Gottes ein Stück weiter gegangen ist.
Das lesen wir im 14. Vers des Johannes-Evangeliums:
14Das Wort ward Fleisch.
Und es wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit.
Hier ist „erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes“3, in Jesus Christus, unserem Herrn.
4In ihm war das Leben,
und das Leben war das Licht der Menschen.
In Jesus Christus hat Gott die Schöpfung betreten.
Das, was Gott sich überlegt hat,
wie die Schöpfung sein soll,
wird in Jesus Wirklichkeit.
Johannes benutzt absichtlich die ersten Worte der Bibel,
um sein Evangelium zu beginnen:
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde…“
„Im Anfang war das Wort…“
Hier, in Jesus, wird die Schöpfung neu
und kommt zu ihrem Höhepunkt.
Und das ist nicht einfach ein kosmisches Ereignis,
eine Sternen-Explosion, Supernova, oder so was,
„weit da draußen“.
Vielmehr passiert es hier,
vor deinen Augen,
in deinem Leben.
Diese steile Behauptung,
liebe Brüder und Schwestern,
bringt uns zum dritten Abschnitt:
„Was hat das mit mir zu tun?“
(3) …und du
Christi Leben ist unser Leben,
sein Tod ist unser Tod,
seine Auferstehung ist unsere Auferstehung.4
Äußeres Zeichen dafür ist unsere Taufe.
Wie aber die Taufe in unserem Leben Wirkung entfaltet,
kann sehr unterschiedlich aussehen:
- Viele Christen können eine Lebenswende beschreiben,
ja eine Zeit oder ein Ereignis,
das ihr Leben umgekrempelt hat.
Für sie gibt es ein klares „Vorher“ und „Nachher“.
„Umkehr“ und sogar „Wiedergeburt“ sind angemessene Worte dafür. - Andere leben aus einem tiefen inneren Vertrauen auf Gott.
Nicht, dass sie den Zweifel und die Anfechtung nicht kennen, aber die Gegenwart Gottes in ihrem Leben
ist für sie immer klar zu erkennen. - Wieder andere lesen ihr Leben als eine Pilgerfahrt, eine Wüstenwanderung, auf der Gott sie begleitet,
mal deutlich erkennbar, mal verborgen.
Für jeden von uns gilt aber,
dass wir dieses Leben im Glauben
und in der Liebe Gottes nicht aus uns selbst heraus leben.
Jesus sagt:
„Ich bin der Weinstock,
ihr seid die Reben“.
Die Früchte hängen nicht frei in der Luft
und du musst nicht aus eigener Kraft
Glaube und Zuversicht aufbringen,
sondern Jesus schenkt sie dir.
An mindestens zwei Stellen,
da hat uns Jesus versprochen,
dass er uns dort begegnen will
und dass er uns dort stärken will:
Die Predigt und das Abendmahl.
Christus spricht:
„Wer euch hört, der hört mich“.5
Das heißt, die wichtigste Aufgabe der Predigt ist,
der Gemeinde zuzusprechen:
Also hat Gott die Welt geliebt,
daß er seinen eingeborenen Sohn gab.6
Bei allem, was die Predigt noch ist,
dies ist ihre wichtigste Aufgabe:
Diese Liebeserklärung auszurichten,
dass wir es Gott wert sind,
als Mensch geboren zu werden,
zu leben
und zu sterben am Kreuz –
um uns nahe zu sein
und uns das Leben zu schenken.
Christus spricht:
„Dies ist mein Leib…
dies ist das neue Testament in meinem Blut…
Tut dies zu meinem Gedächtnis…“
Die lutherische Kirche besteht darauf,
dass es der wahre Leib und das wahre Blut Christi sind,
die wir im Abendmahl empfangen.
Doch warum ist das so wichtig?
Für mich persönlich geht es darum,
dass ich einen Körper habe.
Das hier, Fleisch und Blut, Haut und Haare,
das ist, was ich bin.
Ich bin nicht eine Idee.
Ich bin nicht ein Stück Software,
das auf einem Eiweiß-Computer läuft.
Ich bin ein Mensch.
Und als Mensch
und für uns Menschen
kommt Christus zu uns.
Deswegen ist es so wichtig,
dass es leiblich geschieht und nicht bloß symbolisch oder ideell.
So, wie die Predigt eine Liebeserklärung ist,
ist das Abendmahl eine Umarmung.
Gott meint es ernst mit uns
er möchte so Gemeinschaft mit uns haben,
wie es zu uns passt. —
Die Rede der Weisheit,
die diese Predigt auslegt,
ist von dem Wunsch geprägt,
Gottes Denken und Handeln tief zu verstehen.
Gottes Ewigkeit,
seine Freundlichkeit
und das Leben, das er uns schenkt,
kommen in ihr – schon im Alten Testament – zur Sprache.
Gottes Liebe aber, ist endgültig erschienen in Jesus Christus.
In ihm ist Gott nicht als Weisheit oder Erkenntnis zu uns gekommen, sondern als Mensch mit Leib und Blut. — Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!7 Amen
1 1.Kor 1,3
2 Ps 119,105
3 Tit 3,4
4 Vgl. Röm 6,3–5.
5 Lk 10,16
6 Joh 3,16
7 Phil 4,7
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Das unentdeckte Land
2.Kor 2,14–18,
Jubilate
In dieser Predigt benutze ich den Unterschied und Kontrast zwischen dem Umgang mit Kummer, wie Shakespeares Hamlet ihn an den Tag legt und dem, was Paulus darüber denkt.