18:08

Die Schuld aller Stände im Lande
Predigt zu Ez 22,23–31

132 Buß- und Bettag, 22.11.2023, Frankfurt

Ich werde Hesekiels Bußrede in Abschnitten vorlesen, ein paar Worte dazu sagen. Danach gibt es einen Moment der Stille, den ich jeweils mit einem Kollektengebet beenden werde.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
steht im Buch des Propheten Hesekiel im 22. Kapitel.
Wir haben es vorhin als Lesung aus dem Alten Testament gehört. Ich werde es im Laufe der Predigt wiederholen.

Lasst uns beten: Herr, sende deinen Heiligen Geist auf diese Gemeinde, damit die Worte des Propheten zu Worten an uns werden. — Amen

Liebe Brüder und Schwestern,

der Prophet verteilt einen Rundumschlag.
Die Fürsten, die Priester, die Oberen, die Propheten,
das ganze Volk:

Sie sind allesamt Sünder
und ermangeln des Ruhmes,
den sie bei Gott haben sollten.
1

Die Versuchung ist groß,
sich einen Blitzableiter zu suchen.

Die Politiker, die Pfaffen, die Reichen, die Medien,
das ganze Gesocks. —

Es ist unser Glaube,
dass das Wort der Schrift mehr ist,
als die Summe seiner Teile.
Ein konkreter Mensch, Hesekiel,
hat seinen Zeitgenossen etwas zu sagen gehabt.
Doch über seinen geschichtlichen Ort hinaus
hat das Wort ein Potential hier und jetzt.
2
Hesekiel redet nicht mit anderen,
sondern er predigt uns.
Gottes Wort ist lebendig und kräftig,
es macht etwas mit uns.

Auch in einem harten Prophetenwort
müssen wir mithören,
was der Prophet Nathan zu David sagte,
als er zu ihm kam,
nachdem er zu Batseba eingeangen war:
3

Du bist der Mann.4

Darauf gibt es nur eine Antwort.
Mit dem Mund:

Ich habe gesündigt gegen den Herrn.5

Im Herzen:

Gott sei mir gnädig nach deiner Güte,
und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.
6

Ich werde Hesekiels Bußrede in Abschnitten vorlesen,
ein paar Worte dazu sagen.
Danach gibt es einen Moment der Stille,
den ich jeweils mit einem Kollektengebet beenden werde.

(1) Hesekiel schreibt, dass Got zu ihm gesagt hat:

24Du Menschenkind (בֶּן־אָדָ֕ם, „Menschensohn“), sprich zu ihnen:
Du bist ein Land, das nicht beregnet ist,
das nicht benetzt wurde zur Zeit des Zorns,
25dessen Fürsten in seiner Mitte sind wie brüllende Löwen,
wenn sie rauben;
sie fressen Menschen, —
reißen Gut und Geld an sich —
und machen viele zu Witwen im Lande.

Politiker sind auch nur Menschen.
Sie bedürfen der Kontrolle
und machen trotzdem noch genug Fehler.
Es ist ein Segen,
dass wir in unserem Land gut geschützt sind.
Das System ist nicht perfekt – sicherlich,
aber es könnte alles noch viel schlimmer sein.

Macht lädt immer zum Missbrauch ein.
Da frage ich mich,
wo ich Macht missbraucht habe
zu meinem eigenen Vorteil
oder aus eigener Schwäche. — Stille —

Lasst uns beten:
Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz
und einen neuen beständigen Geist.
7
— Amen.

(2) Der Prophet sagt über das Volk:

26Seine Priester tun meinem Gesetz (תוֹרָתִי֮) Gewalt an.
Sie entweihen, was mir heilig ist.
Sie machen zwischen heilig und unheilig keinen Unterschied
und lehren nicht, was rein oder unrein ist.
Und vor meinen Sabbaten schließen sie die Augen.
So werde ich unter ihnen entheiligt.

Die Unterscheidung zwischen heilig und unheilig,
rein und unrein,
war für das alte Israel ein großer Segen.
So konnten sie ihre Identität behalten,
auf diese Weise haben sie ihren Bund mit Gott gehabt,
auch in der Fremde.

Schon zu Jesu Zeiten hatte diese Frömmigkeit ein Eigenleben.
Jesus sagt:

Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer,
ihr Heuchler, die ihr den Zehnten gebt
von Minze, Dill und Kümmel
und lasst das Wichtigste im Gesetz beiseite,
nämlich das Recht,
die Barmherzigkeit
und den Glauben!
8

Bei uns verhärten sich zur Zeit die Fronten.
Hinter der einen Front
verschanzen sich die Pharisäer der Klimapolitik,
die mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen.
Hinter der anderen Front
rotten sich die Schriftgelehrten zusammen,
die die Kirche rein halten wollen
vom Gräuel der Homosexualität.
Ihnen scheint die heilige Ordnung wichtiger zu sein,
als die Menschen, für die sie gemacht ist.
9

Da frage ich mich, wo ich stehe
und wie ich im Niemandsland zwischen den Fronten leben soll. — Stille —

Lasst uns beten:
Schlachtopfer willst du nicht und Brandopfer gefallen dir nicht.
Dir Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängstigter Geist.
Ein geängstigtes, zerschlagenes Herz,
wirst du, Gott, nicht verachten.
10
— Amen.

(3) Der Prophet sagt über das Volk:

27Die Oberen in seiner Mitte sind wie reißende Wölfe.
Sie vergießen Blut und bringen Menschen um
durch ihre Habgier.

Wer hat, der hat.
Insbesondere haben die Reichen eine besondere Verantwortung.
Sie haben es besonders schwer.

Jesus sagt:

Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe,
als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.
11

Über 1.000 Jahre lang
gehörte Armut zu den Kardinaltugenden des Christentums.
Das hat auch nur dazu geführt,
dass die Mönche ihre Armut irgendwann wichtiger nahmen,
als die Taufe.
So war das auch nicht gedacht.

Zum Glück für die Christen im globalen Norden
sagt Jesus zu diesem Thema auch:

Was bei den Menschen unmöglich ist,
ist bei Gott möglich.
12

Doch wir sollten den Schrecken der Jünger nicht übersehen.
Was Jesus hier sagt,
ist ein hartes Wort –
gegen uns.

Ich frage mich,
was Jesus zu meinem Reichtum sagt. — Stille —

Lasst uns beten:
Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, Herr,
und nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir.
Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe,
und mit einem willigen Geist rüste mich aus.
13
— Amen.

(4) Der Prophet sagt:

28Und seine Propheten streichen ihnen mit Tünche darüber,
haben Truggesichte und wahrsagen ihnen Lügen;
sie sagen: „So spricht Gott der
Herr“,
wo doch der
Herr gar nicht geredet hat.

In der Öffentlichkeit hat mancher Streit kosmische Ausmaße.

  • Die einen sagen,
    wir stecken mitten in der Klima-Krise.
    Die anderen beruhigen:
    Am Klimawandel sei nichts menschen-gemacht.
  • Die einen meinen, wir seien die letzte Generation,
    die das Ruder noch ’rumreißen könne,
    die anderen sagen,
    ihre größte Sorge sei ein Tempolimit auf der Autobahn.

Ich frage mich,
wo ich mir selbst Panik mache.
Ich frage mich aber auch,
wo meine Bequemlichkeit mir im Weg steht,
das Richtige zu tun. — Stille —

Lasst uns beten:
Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz;
prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.
Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin,
und leite mich auf ewigem Wege.
14
— Amen

(5) Von den Fürsten über die Priester, die Reichen und die Propheten kommt der Prophet zum Schluss zu den gewöhnlichen Menschen, uns sagt zu ihnen:

29Das Volk des Landes übt Gewalt;
sie rauben drauflos
und bedrücken die Armen und Elenden
und tun den Fremdlingen Gewalt an
gegen alles Recht.

Selbst die, von denen man meinen sollte,
sie wüssten, wie das ist:
Selbst die, die bis gerade nur als Opfer vorgekommen sind,
sind Täter,
wenn es den eigene Bauch füllt.

Der Arme sucht sich den Ärmeren,
der Elende den Elenderen,
der Eingesessene den Fremdling.

Ich frage mich,
wo ich zu diesem Volk gehöre. — Stille —

Lasst uns beten:
3Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte,
und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.
4Wasche mich rein von meiner Missetat,
und reinige mich von meiner Sünde;
5denn ich erkenne meine Missetat,
und meine Sünde ist immer vor mir.
6An dir allein habe ich gesündigt
und übel vor dir getan. — Amen.

(6) Der Prophet sucht einen Abraham unter ihnen,
einen Moses unter den Menschen,
für die er redet.
Mit Gottes „Ich“ sagt er:

30Ich suchte unter ihnen,
ob jemand eine Mauer ziehen
und in die Bresche vor mir treten würde für das Land,
damit ich’s nicht vernichten müßte;
aber ich fand keinen.

Die Bresche ist, wo die Verteidigungsmauer offen steht
und der Feind eindringt.
Der in die Bresche springt,
setzt sein eigenes Leben ein,
um die seinen zu schützen.

Gott sucht,
wer in die Bresche springen würde
für die Menschen,
die der Prophet anspricht.
Wer würde für sie Gottes gerechten Zorn aushalten? —

Er findet niemanden.

Ich frage mich,
wer für mich in die Bresche springen wird.
Ich kenne nur einen:

Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ,
der Herr Zebaoth,
und ist kein andrer Gott,
das Feld muss er behalten.
15

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!16 Amen.

Offene Schuld

(Die Gemeinde erhebt sich)

P: Lasst uns miteinander vor Gott bekennen,
dass wir gesündigt haben mit Gedanken, Worten und Werken,
auch aus eigener Kraft
uns von unserem sündigen Wesen nicht erlösen können.

Darum nehmen wir Zuflucht
zu der grundlosen Barmherzigkeit Gottes,
unseres himmlischen Vaters,
begehren Gnade um Christi willen und sprechen:
Gott sei mir Sünder gnädig.

P+G: Der allmächtige Gott erbarme sich unser,
er vergebe uns unsere Sünde
und führe uns zum ewigen Leben. Amen.

P: Der allmächtige, barmherzige Gott hat sich unser erbarmt, seinen einzigen Sohn für unsere Sünde in den Tod gegeben
und uns um seinetwillen verziehen.
Er hat allen denen, die an seinen Namen glauben,
Vollmacht gegeben,
Gottes Kinder zu werden
und ihnen seinen heiligen Geist verheißen.

Wer da glaubt und getauft wird,
der wird selig werden.
Das verleihe Gott uns allen.

G: Amen.

1 Röm 3,23


2 Vgl. Kirchenleitung der SELK: „Biblische Hermeneutik“, Hannover 2011, S. 15.


3 Nach Ps 51.2.


4 2.Sam 12,7


5 2.Sam 12,13


6 Ps 51,3


7 Ps 51,12


8 Mt 23,23


9 Vgl. Mk 2,27.


10 Ps 51,18f


11 Mt 19,24 par


12 Nach Mt 19,26.


13 Ps 51,13f


14 Ps 139,23f


15 ELKG² 527,2 „Ein feste Burg ist unser Gott“


16 Phil 4,7


Manuskript zum Ausdrucken pdf, 4.9 MB)