15:54

Dienst am Wort und zu Tisch
Predigt zu Apg 6,1–6

36 13. So. n. Trinitatis, 6. September 2020, Bremen

Lukas berichtet uns in der Apostelgeschichte von einem Konflikt in der Urgemeinde. Es geht um die Versorgung der Witwen der „Hellenisten“. Was verbirgt sich hinter dieser Episode? Und wir sind die Christen in Jerusalem damals damit umgegangen?

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.
1 Amen.

Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt,
steht geschrieben in der Apostelgeschichte des Lukas,
im 6. Kapitel. Ich werde den Abschnitt im Laufe der Predigt komplett vorlesen.

Lasst uns beten: Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!2 — Amen

Liebe Gemeinde,

am Anfang der Bibel geht es Schlag auf Schlag:

  • Gott erschafft die Welt (und den Menschen),
  • der Mensch zerstört die paradiesische Harmonie
  • und kaum in der sog. „wirklichen Welt“ eingezogen,
    setzen die Söhne das Werk ihrer Eltern fort.
    Adam und Eva haben das
    eine Gebot gebrochen
    und Adam-Junior macht mit dem fünften Gebot weiter
    und tötet seinen Bruder.

Für biblische Verhältnisse wird die Erzählung
von Kains Brudermord sehr detailliert geschildert.
Es wird sichergestellt, dass es sich nicht
- um ein Versehen,
- ein Unglück
- oder einen einfachen Wutanfall handelt.
Kain hatte ein Motiv.
Er hat den Tod seines Bruders vorab geplant
und von Gott selbst darauf angesprochen,
reagiert er patzig und ohne Reue.

Stark verdichtet und zu einer Familiengeschichte geronnen,
führt uns die Bibel vor Augen,
dass
- jeder Konflikt,
- jeder Streit,
- alle Bosheit und Gewalt
immer auf diesen einen Umstand zurückfallen:
Dass wir mit Gott im über Kreuz sind.

Im krassen Gegensatz dazu stehen die Worte der Epistel.
Johannes schreibt:

Gott ist die Liebe!

Und diese Liebe ist in der gefallenen Welt sichtbar geworden
in Jesus Christus.

Ich hatte bei der Begrüßung ja gefragt:
Warum hören wir am „Diakoniesonntag“,
an dem es um Nächstenliebe geht,
die Geschichte von Kain und Abel?
Und eine Antwort ist:
Es geht um den Kontrast.

Was durch Adam und Eva in die Welt gekommen ist
und sich in ihren Söhnen fortgepflanzt hat,
ist in Christus zu einem Ende gekommen.
Diese geistliche Wirklichkeit wird
- spürbar,
- erfahrbar
- und erlebbar in der Liebe der Christen.
Diese Liebe wirkt sich aus
- in Haltung
- und Tat
als Nächstenliebe.

Johannes schreibt:

Niemand hat Gott jemals gesehen.
Wenn wir uns untereinander lieben,
so bleibt Gott in uns,
und seine Liebe ist in uns vollkommen.
3

Christen leben in dieser Spannung:
Sie sind gleichzeitig in Christus erlöst,
aber immer noch in der Welt
und können sich auch nicht einfach von der Welt lösen.
Auch in der Kirche gibt es Konflikt und Streit.
Lukas bietet uns heute Morgen ein Beispiel dafür:

Apt6,1In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm,
erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde
gegen die hebräischen,
weil ihre Witwen übersehen wurden
bei der täglichen Versorgung.

2Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen
und sprachen:

Es ist nicht recht, daß wir für die Mahlzeiten sorgen
und darüber das Wort Gottes vernachlässigen.
3Darum, ihr lieben Brüder,
seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte,
die einen guten Ruf haben
und voll heiligen Geistes und Weisheit sind,
die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.
4Wir aber wollen ganz beim Gebet
und beim Dienst des Wortes bleiben.

5Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut;
und sie wählten

  • Stephanus,
    einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes,
  • und Philippus
  • und Prochorus
  • und Nikanor
  • und Timon
  • und Parmenas
  • und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.

6Diese Männer stellten sie vor die Apostel;
die beteten und legten die Hände auf sie.
7Und das Wort Gottes breitete sich aus,
und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem.

Liebe Brüder und Schwestern,
die junge Gemeinde in Jerusalem hat ein Luxus-Problem:
Sie wächst so schnell, dass sie mit ihren organisatorischen Strukturen nicht hinterherkommt.

Die junge Kirche war von Anfang an der Meinung,
dass die Nächstenliebe
Gottes Mittel gegen die Auswirkungen der Sünde sei.
Die Sünde selbst muss freilich von Gott vergeben werden,
aber das Leid und der Schmerz,
den sie hervorbringt,
kann zumindest gelindert werden.
Deshalb war von Anfang an die Fürsorge für Arme und Bedürftige kirchliches Programm.
In unserem Abschnitt geht es konkret um die Versorgung von Witwen mit Nahrungsmitteln.
Frauen, deren Männer gestorben waren,
waren besonders gefährdet von Armut und Hunger.
Ausgerechnet an dieser Stelle kommt es zum Konflikt.

Dieser Streit bricht auf an einer Nahtstelle,
die bei allen Menschen zu allen Zeiten immer anfällig war:
Der Mensch findet
immerirgendeinen Grund,
sich gegen andere Menschen zu erheben.
Kain und Abel hatten den selben Vater
und die selbe Mutter
und trotzdem entbrannte der Zorn des einen auf den anderen.

Lukas redet in unserem Abschnitt von „Hebräern“
und „Hellenisten“.
Mit „Hebräern“ sind Juden gemeint,
die aus dem Alten Israel stammen und Hebräisch
4 sprachen.
Als „Hellenisten“ bezeichnet er Juden,
die im Ausland aufgewachsen sind
und Griechisch sprechen.

Diesen „Hellenisten“ geht es ein bisschen so,
wie den „Russlanddeutschen“ in den 90er Jahren.
In Russland galten sie als „die Deutschen“
und waren Ausländer.
Als es dann nach der „Wende“ die rechtliche Möglichkeit gab,
gingen viele nach Deutschland.
In Deutschland angekommen,
werden sie von den Einheimischen als Russen wahrgenommen:
- die sehen aus wie Russen,
- ziehen sich an wie Russen
- und richtig Deutsch sprechen sie auch nicht.
Die Russlanddeutschen dachten, sie kommen nach Hause.
In Deutschland angekommen gelten sie als Ausländer.

Die „Hellenisten“, von den Lukas berichtet,
kamen aus dem ganzen östlichen Mittelmeer.
Wo sie aufgewachsen sind,
galten sie als Juden.
Sie waren für ihre Mitmenschen Sonderlinge,
die die „normalen“ Götter nicht angebetet haben.
Als sie dann nach Israel gingen,
galten sie den Einheimischen als Ausländer.
Sie sprachen Griechisch,
die Sprache der Heiden.
Und sie haben bestimmt auch wie Heiden ausgesehen
und sich wie Heiden angezogen!

Theoretisch sollte das in der christlichen Gemeinde keinen Unterschied machen.
Aber auch Christen sind nur Menschen.
Als es um die Verteilung von Nahrungsmitteln ging,
haben die einheimischen „Hebräer“
zuerst an die hebräischen Witwen gedacht
und die „Hellenisten“ fanden das unfair.

Die Art,
wie die Urgemeinde mit diesem Problem umgegangen ist,
ist vorbildlich:
Es wird eine Gemeindeversammlung einberufen.
Die zwölf Apostel machen einen Vorschlag
und der wird besprochen
und umgesetzt.
So lief das bei der Urgemeinde in Jerusalem.
Bei der Bethlehemsgemeinde in Bremen
hätte es noch eine Tagesordnung und ein Protokoll gegeben,
aber
hey, vielleicht hatten die das damals auch schon.
Immerhin hat es ein kurzer Bericht über dieses Treffen
bis in die Bibel geschafft.

Die Apostel stellen ihre Idee vor
und der Gemeinde gefällt gut,
was sie vorschlagen.
Sie drücken sie nicht einfach durch,
mit Autorität oder Druck.
Das hätten sie ja sagen können:

Wir sind mit Jesus durch Galiläa gewandert.
Wir haben das Kommando.
Wenn wir das sagen, machen wir das so!

Aber nein,
sie schlagen vor, was sie meinen
und es gefällt der Gemeinde gut.

Das ist die geistliche Seite dieses Geschehens:
Apostel und Gemeinde
sind ein „Herz und eine Seele“.
Das liegt aber nicht daran,
dass die Autorität der Apostel so groß ist
oder die Gemeinde so duckmäuserisch,
sondern es ist der Heilige Geist,
der diese Einigkeit schenkt.

Das Besondere an der Gemeinschaft unter Christen
ist nicht etwa, dass es keine Konflikte gäbe.
Die gibt es.
…oder dass es keine Verletzungen gäbe
und keine Fehler
und keine Schuld.
All das gibt es auch,
das wissen wir alle.
Aber es ist unser Glaube,
dass der Frieden Gottes,
der der Welt geschenkt ist in Jesus Christus,
hier in der Gemeinde auf ganz besondere Art Wirkung zeigt.

Das heißt noch lange nicht,
dass wir naiv sein sollen.
Wir brauchen eine Kirchenordnung,
die Macht begrenzt und geregelte Verfahren festlegt.
Darin unterscheidet sich die Kirche nicht von jedem Verein
oder Staat, der sich sinnvoll organisieren muss.

Was ist aber der Unterschied zwischen einem Verein
und einer Kirchengemeinde?
Ich würde sagen,
das ist so ähnlich wie der Unterschied zwischen einem Vortrag
und einer Predigt.
Äußerlich sind sie sich sehr ähnlich:
Vorne steht jemand und redet auf ein Publikum ein,
von dem erwartet wird,
dass es schweigend zuhört.
Der Unterschied ist,
dass wir für die Predigt die Zusage Gottes haben.
Christus spricht:

Wer euch hört,
der hört mich.
5

Ganz ähnlich ist es mit unserer Gemeindeversammlung
oder auch der Kirchenbezirkssynode,
die nächsten Samstag stattfinden soll.
Christus spricht:

Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind,
da bin ich mitten unter ihnen.
6

In und unter unseren Gesprächen,
Verhandlungen
und Entscheidungen,
ist Christus derjenige, der seine Kirche führt.
Selbst
- für unsere Konflikte,
- unser Streit
- und unser Scheitern
ist Christus sich nicht zu schade.
Er verlässt uns nicht,
darauf können wir uns verlassen.

Für Urgemeinde war die Entscheidung, die sie getroffen haben,
ein großer Segen.
Unter den sieben Männern,
die sie an dem Tag zu „Diakonen“ bestellt haben,
waren zwei,
über die in den folgenden Kapiteln noch berichtet wird:
Stephanus, der zum Märtyrer wurde,
und Philipus, der als Evangelist tätig wurde.
Geistlich war diese „Gemeindeversammlung“ ein Segen.
Dabei war der Anlass für den Streit
sehr menschlich und weltlich.

Ich möchte schließen mit den Worten aus der Epistel,
dem 1. Brief des Johannes, im 4. Kapitel:

Niemand hat Gott jemals gesehen.
Wenn wir uns untereinander lieben,
so bleibt Gott in uns,
und seine Liebe ist in uns vollkommen.
7

Wann lieben wir uns untereinander?
Wenn der Herr Jesus Christus unter uns gegenwärtig ist,
mit seinem lebendigen Wort.

Möge er uns so die Hand nehmen
und unsere menschlichen und weltlichen Seiten
geistlich verwandeln,
- für uns persönlich im Alltag,
- für unsere Gemeinde,
- den Kirchenbezirk (am kommenden Samstag)
- und für seine ganze Kirche auf Erden.
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!8 Amen.

1 1.Kor 1,3


2 Ps 119,105


3 1.Joh 4,12


4 Die haben natürlich Aramäisch gesprochen, aber mit dieser Sprachgeschichtlichen Ungenauigkeit möchte ich jetzt hier mal leben, damit es nicht unnötig kompliziert wird.


5 Lk 10,16


6 Mt 18,20


7 1.Joh 4,12


8 Phil 4,7