Der aaronitische Segen
Predigt zu Num 6,22–27
Das Wort Heiliger Schrift, das diese Predigt auslegt, ist der Segen, den Gott selbst seinen Priestern für sein Volk aufgibt. „Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden“.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater,
und dem Herrn Jesus Christus.1 Amen.
Das Wort Heiliger Schrift,
das diese Predigt auslegt,
ist der Segen,
den Gott selbst seinen Priestern für sein Volk aufgibt.
Dies ist aufgeschrieben im Buch Numeri,
dem 4. Buch Mose, im 6. Kapitel:
22Und der Herr redete mit Mose und sprach:
23Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich:
So sollt ihr sagen zu den Israeliten,
wenn ihr sie segnet:
24Der Herr segne dich und behüte dich;
25der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir
und sei dir gnädig;
26der Herr hebe sein Angesicht über dich
und gebe dir Frieden.
27Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen,
dass ich sie segne.
Lasst uns beten:
Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte
und ein Licht auf meinem Wege!2
— Amen
Liebe Brüder und Schwestern!
(1) Einstieg
Wenn ich den Gottesdienst beende,
benutze ich in aller Regel eine traditionelle, trinitarische Segensformel:
Es segne und behüte uns
Gott, der allmächtige und barmherzige,
der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Dabei sieht unsere Agende vor,
dass der Pastor Aarons Segen benutzt,
so, wie wir ihn gerade gehört haben.
Das hat nichts damit zu tun,
dass Vikare das nicht dürfen
und Pastoren doch –
„Priester“ aus den Nachkommen Aarons
sind Pastoren auch nicht.
Und als Vikar würde man das „dich“ in ein „uns“ tauschen
und wäre kirchenrechtlich auf der sicheren Seite.
Nein, das hat etwas mit meiner Ausbildung zu tun,
dass ich diesen Segen bisher vermieden habe.
Ich hatte mir über den Segen noch nie so richtig Gedanken gemacht.
Ich kannte die Formel auswendig,
wie man eben Dinge auswendig kann,
die man im Gottesdienst ständig hört. –
Bis dann ein Vikars-Kollege meinte,
der aaronitische Segen,
der sei ja so was von schwierig
und man sei immer so unter Druck.
Aber er habe da einen Trick:
„Der Herr segne dich und behüte dich“ –
das sei der einfache Teil.
Dann müsse man irgendwie an Lampen denken,
damit man auf den zweiten Teil kommt.
Und die Eselsbrücke für den dritten Teil habe ich vergessen.
Jedenfalls: Am Ende dieser „Hilfe“
war ich hinreichend verwirrt und verunsichert
und habe seit dem diesen Segen noch nie verwendet. —
Bis auf dieses eine Mal!
Ich stehe am Ende des Gottesdienstes vor der Gemeinde
und denke so bei mir:
„Du musst irgendwann anfangen,
den aaronitischen Segen zu üben,
um diese Angst zu überwinden“.
Und plötzlich hörte ich aus meinem Mund die Worte kommen:
„Der Herr segne dich und behüte dich…“
Nicht nur,
dass ich damit die dem Vikar zukommenden Begrenzungen überschritten hatte,
die anderen beiden Teile des Segens
mussten jetzt ja auch noch von irgendwo herkommen!
Innerlich habe ich gedacht:
„So, Heiliger Geist, jetzt bring das auch zu Ende!“
Und ich kann mich gar nicht so recht erinnern,
wie das ausgegangen ist,
aber es hat sich niemand beschwert.
Immerhin!
(2) Disposition und Gliederung der Predigt
Ich habe über diese Segensformel heute zu predigen.
Ich finde,
es wäre einiges zu sagen zum Verhältnis von Kirche und Israel.
Das ist ja ein Segen,
- der den Söhnen Aarons
- für das Volk Israel
aufgetragen ist.
- Wie kommt die Kirche dazu,
das in die Agende zu schreiben? - Wie passt das eigentlich
zur Bethlehemgemeinde in Bremen
und ihrem Pastor?
Das sind spannende Fragen,
aber heute ist nicht der Israel-Sonntag,
sondern heute feiern wir das Trinitatis-Fest.
Es soll um den dreieinigen Gott gehen.
Da gibt’s erst mal eine Falle:
Der aaronitische Segen hat zwar drei Teile,
aber er ist nicht trinitarisch.
Vom „dreieinigen“ Gott zu reden,
macht erst Sinn seit Jesus.
Das Alte Testament kann zwar
- vom Geist Gottes
- und von der Weisheit Gottes
fast so reden,
wie wir von Vater, Sohn und Heiligem Geist.
Das ist also der ganzen Bibel nicht etwa fremd.
Aber zu sagen,
deswegen hätte dieser Segen drei Teile,
das ist abwegig.
Nein,
mit dem Wort „Herr“,
das drei mal vorkommt,
ist jedes Mal Vater, Sohn und Heiliger Geist gemeint.
Wenn ich an Trinitatis über diesen Segen reden möchte,
muss ich also bei jedem Abschnitt über den dreieinigen Gott reden.
So, jetzt muss ich mal auf die Uhr gucken:
- Es sind drei mal drei Abschnitte.
- Wir sind jetzt bei 700 Worten…
Wann wollt Ihr zu Hause sein?
Nein – keine Angst:
Was jetzt kommt ist notwendigerweise eine Skizze.
Eine Skizze lebt nicht von dem,
was weggelassen wird,
sondern von dem,
was dasteht.
Und ich hoffe,
das ihr mit dieser Skizze etwas anfangen könnt.
(3) Der Herr
segne dich
und behüte dich.
Das Erste, das Gott macht,
nachdem er Tiere und Menschen geschaffen hat,
ist, sie segnen.3
Wir kriegen einen Auftrag von Gott
und wir bekommen von ihm die Kraft dazu,
diesen Auftrag zu erfüllen.
Jemanden zu segnen bedeutet,
für ihn eine Verbindung zu dieser Kraft des Anfangs herzustellen.
Dabei ist Segen immer ein Lobpreis Gottes.
Segen ist mehr als ein freundlicher Wunsch, wie zum Beispiel:
„Viel Glück!“
„Reiche Ernte!“
„Frohes Schaffen!“
Segen ereignet sich in Verbindung
und Beziehung.
Verbindung und Beziehung zu einer Kraft,
die du nicht machen oder herstellen musst.
Diese Kraft hast du geschenkt bekommen am Anfang
und kriegst sie immer wieder geschenkt,
in jedem Augenblick.
- Eine Geburt ist ein Wunder.
Auch deine Geburt.
Neues Leben kommt von Gott.
Das heißt nun nicht,
dass deine Mama und Papa da unbeteiligt waren.
Aber das Leben, das leben will,
hat in Gott seinen Anfang.
Gott hat hat dich gewollt. - Dein Herz schlägt.
Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute.
Dein ganzes Leben lang.
Welche Maschine fällt dir ein,
die 90 Jahre Dauerbetrieb durchhält?
- Ohne Wartung?
- Ohne Pause?
Das ist die Kraft vom Anfang,
die an dir sichtbar und fühlbar ist,
jeden Tag.
Zum Segen gehört auch der Schutz vor den Gegenkräften:
Der Herrbehüte uns vor Krankheit, Unfall und Tod.
Unser Leben ist bedroht
und die Kraft der Schöpfung
ist durchmischt mit der Gift der Vergänglichkeit.
Gott hat dieses Leben,
das bedroht ist durch Verletzung, Leiden und Tod,
angenommen
für sich angenommen.
In Christus ist er einer von uns geworden.
Er hat seine Schöpfung betreten,
„er kam in sein Eigentum“,4
und hat als Mensch gelebt.
Das ist keine Kleinigkeit!
So viel bedeutet ihm seine Schöpfung.
So viel bedeuten wir ihm.
Auch hier und heute begegnet er uns
in und unter den Früchten der Schöpfung:
Brot und Wein nutzt er,
um uns ganz nah zu sein –
ein Kelch des Segens in gesegneter Gemeinschaft.5
Diese Gemeinschaft ist geprägt von Lobpreis,
in Liedern und Dankgebet.6
Alles, das Odem hat,
lobe den Herrn. Halleluja!7
Das ist das letzte Wort im Buch der Psalmen.
Psalm 150, dieses kleine Lobpreislied,
bringt es dann auf den Punkt:
Atmen ist hier ein Bild für Gottes Geist.
Komm, Heiliger Geist,
mit deiner Kraft,
der uns verbindet
und Leben schafft.8
Oder in den Worten der „großen“ Abendmahlsliturgie
unserer Agende:
Herr, sende herab auf uns den Heiligen Geist,
heilige und erneuere uns nach Leib und Seele
und gib, dass wir unter diesem Brot und Wein
deines Sohnes wahren Leib und Blut […] empfangen.9
Gottes Geist ist die Quelle allen Lebens, Webens und Freuens
in der ganzen Schöpfung.
Segnen ist ein Lobpreis Gottes.
So schließt sich der Kreis:
Unter dem Segen
des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes
wird unser ganzes Leben
zu einem Lobpreis Gottes
und zu einem Segen untereinander.
(4) Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir
und sei dir gnädig.
Kennt ihr das,
wenn man verliebt ist,
und der geliebte Mensch kommt um die Ecke
und man hat dieses Gefühl: „Die Sonne geht auf!“ —
Der Wunsch hier ist:
So möge dich Gott ansehen!
Dabei geht es nicht um flauschige Gefühle. –
Na ja, auch: Wir sind fühlende Wesen
und wir brauchen nicht so tun,
als wäre das nicht so.10
Wichtiger aber ist,
dass das Wesen der Beziehung zwischen Gott und uns
die Liebe ist.
Als Gott auf seine Schöpfung geschaut hat,
hat er gesagt:
„Es ist sehr gut“.11
Die Beziehung zwischen Gott und Mensch war in Ordnung.
Wenig später hat der Mensch diese Liebe schwer belastet.
Die Bibel erzählt diesen Bruch als die Übertretung des Gebotes.
Obwohl die Gemeinschaft des Paradieses gebrochen war,
erlebten die Menschen schon jetzt die Gnade Gottes:
Er selbst stattete sie mit Kleidung aus für ihren Weg12
in das „echte Leben“.
Das bedeutet dieser Segen:
Liebe und Gnade des Schöpfers
für uns hier und jetzt,
in der „gefallenen“ Welt.
Diese Liebe und Gnade Gottes
begegnet uns am klarsten in Jesus Christus.
Gott wird Mensch,
um uns zu erlösen.
Gott wird Mensch,
um Gemeinschaft zu ermöglichen,
damit wir bei Gott sein können.
Liebevoll und gnädig
blickt unser Erlöser noch vom Kreuz auf uns herab
und lässt sein Angesicht leuchten über uns.
Wenn wir von Erlösung reden,
geht es oft darum, wovon wir erlöst sind.
Diese Dinge sind uns sehr vor Augen.
Ich glaube,
wir können alle Beispiele aus dem eigenen Erleben aufzählen,
für Kränkungen, den wir erlitten haben,
für Krankheit und Verletzung, die uns niederdrückt.
Wir wissen alle um den Tod,
und dass wir ihm nicht entfliehen können.
Aber wir sind auch erlöst zu etwas,
für etwas,
nämlich, dass die Beziehung zwischen uns und Gott
aus Liebe besteht.
Die Vergebung der Sünden,
die Christus uns geschenkt hat,
wird deutlich und ausdrücklich in der Beichte.
Christus spricht:
23Welchen ihr die Sünden erlasst,
denen sind sie erlassen;
und welchen ihr sie behaltet,
denen sind sie behalten.13
Im Heiligen Geist entfaltet Jesus Opfer am Kreuz
in unserem Leben Kraft für Vergebung und Neuanfang.
Die Liebe in Gottes Angesicht
färbt auf uns ab
und strahlt durch uns durch.
In seinem Licht kannst du dir
- Fehler,
- Fehlgriffe
- und regelrechte Sünde
eingestehen,
loslassen
und auf neuen, schöpferischen Wegen hinter dir lassen.
Unter dem Segen
des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes
werden wir mehr und mehr
zu dem Menschen,
als der wir geschaffen sind.
(6) Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich
und gebe dir Frieden.
„Frieden“, das ist hier mehr,
als die Abwesenheit von Krieg.
„Frieden“ in diesem Sinne ist ein zustand fruchtbarer Harmonie.
Das ist, wenn die Kräfte von Natur und Geist
so ineinandergreifen,
wie Gott es am Anfang bestimmt hat.
Im Frieden ist alles „sehr“ gut
- und Tier und Mensch,
- Mensch und Mensch,
- ja sogar Mensch und Gott
sind im Einklang miteinander.
Das ist, wenn das Leben überfließt
und der Tod ist nicht mehr.
Beim Propheten Jesaja steht diese Vision.
Gott sagt:14
17Denn siehe, ich will einen neuen Himmel
und eine neue Erde schaffen,….
20Es sollen keine Kinder mehr da sein,
die nur einige Tage leben,
oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen,
sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt,
und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht.
23Sie sollen nicht umsonst arbeiten
und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen…
25Wolf und Schaf sollen beieinander weiden;
der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind…
Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun
auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der Herr.
Das ist ein schönes Bild, wie aus einem Kinderbuch,
wie aus einem schönen Traum.
Wir stehen mit einem Bein im Himmelreich
und das macht einen Unterschied
hier und jetzt, in unserem Leben.
Schon jetzt, unter den Bedingungen der Welt,
hat Christus dieses Leben zu uns gebracht.
Klein, unscheinbar und keimhaft
gibt es in unserer Mitte
- Vergebung,
- Gnade
- und eine Liebe, wie Gott sie befohlen hat.
Wir sind dabei immer noch gefallene Menschen, natürlich!
Aber es gibt eine Kraft in unserer Mitte,
die uns zu Gott hin verändert und zieht, denn
Vergebung, Gnade und Liebe sind kein moralischer Anspruch.
Jesus hat gesagt:
Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.
In ihm hat es angefangen,
unter uns zu existieren.
Jesu Wort,
sein Befehl:
Kehrt um, tut Buße!
Das ist,
was unter uns Umkehr und Buße wirkt.
Es ist das Wort des Schöpfers,
das hervorbringt, was es sagt.
Im Heiligen Geist
atmen wir schon jetzt die Luft des Himmelreiches.
Ansatzweise und gebrochen
können wir schon
- denken ohne Hintergedanken,
- lieben ohne Selbstsucht
- und Glauben ohne Täuschung.
Unter dem Segen
des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes
wird uns dieser Friede immer mehr umfangen
und unser Leben und unsere Welt so prägen,
dass sie dem Himmelreich immer ähnlicher wird.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!15 Amen.
1 1.Kor 1,3
2 Ps 119,105
3 Gen 1,22.28
4 Vgl. Joh 1,11.
5 Vgl. 1Kor 10,16.
6 Die Präfation for one thing; überhaupt der ganze Gebetskranz des Abendmahls. Die doppelte Richtung von „segnen“ im Hebräischen, Griechischen und Lateinischen wird durch die Baracha der B-Form gut abgebildet.
7 Ps 150,6.
8 ELKG (Vorentwurf III, April 2018) 490.
9 „Lobpreis und Bitte um den Heiligen Geist (Epiklese)“, Agende I, S. 274f.
10 Gegen: Stoa und Aufklärung.
11 Gen 1,31.
12 Vgl. Gen 3,21.
13 Joh 20,23
14 Jes 65
15 Phil 4,7